⠀ ⠀ ⠀ V. autumn envelops itself in dust and smoke







»NEIN, NEIN. NEIN, DU brauchst es nicht einmal zu versuchen.« Dorian hob sein Kinn missbilligend und konnte tatsächlich für einen Mann missverstanden werden, der keine Widerworte duldete und seine Meinung als einzig wahre ansah. »Sie hat gelogen, die ganze Zeit. Wäre er nämlich so ein Arsch und hätte sie niemals geliebt, hätte er nicht alles für sie niedergebrannt.«

Alethea nahm unbeeindruckt einen weiteren Schluck ihres Weines, während sie sich bewusst wurde, wie sehr sie es vermisst hatte, mit ihm zu sprechen. Selbst wenn sie unterschiedliche Meinungen vertraten und ein Außenstehender dieses Gespräch für eine hitzige Diskussion halten konnte, war es dies beim besten Willen nicht.

»Ich habe dieses Buch sehr oft gelesen, Dorian. Und ich kann dir versichern, dass er ein unzuverlässiger Erzähler ist und Aurania die Wahrheit sagt. Sein Gerede über seine verstorbene Familie oder die offensichtlich gefälschten Gefühle Aurania gegenüber: Jämmerlich. Alexander kann keine Liebe empfinden und ist ein hochgradig gestörter Soziopath, der Aurania nur als sein Eigentum angesehen hat.«

Er kniff seine Augen zusammen und umfasste sein Glas, suchte in seinem Kopf ein weiteres Argument, das seine Seite unterstützte. Ihre Finger fuhren langsam über die Flamme der Kerze und sie beobachtete, wie sie sich um ihre Finger herum beugten, ohne ihre Haut zu verbrennen.

»Vielleicht kommen seine Gedanken etwas übertrieben rüber, weil er noch nie geliebt hat und gezwungen ist, zu improvisieren. Es liegt viel näher, dass Aurania die Lügnerin der beiden ist. Sie hat versucht ihn zu vergiften, während er seinem Gott abgeschworen hat für sie.«

Alethea schnaubte und lehnte sich an ihre Stuhllehne zurück. »Das tat er nicht für sie. Er tat es, weil er die kranke Vorstellung gehabt hat, er selbst wäre ein besserer Gott. Alexander ist wahnsinnig. Wahrscheinlich hat er sogar seinen Vater umgebracht.«

»Wie lösen wir das jetzt? Schreiben wir einen Brief an die Autorin? Oder entführen sie?«, überlegte er laut und nippte an seinem Getränk, stellte es wieder auf den Holztisch und Alethea konnte mit ansehen, wie sich das Kerzenlicht in dem Glas spiegelte. Als sie für einen Moment schwieg und auf ihre Lippe biss, als würde sie dies tatsächlich abwägen, grinste Dorian verträumt und nickte leicht Richtung Ausgang, um ihr zu zeigen, dass es Zeit war zu gehen.

Ein Gähnen entkam ihr und sie blickte auf die silberne Uhr um ihr Handgelenk, stellte schockiert fest, dass die beiden Freunde bereits drei Stunden in dem kleinen Pub saßen und sich über die unterschiedlichsten Dinge unterhielten, während sie eine Flasche Wein nach der nächsten leerten.

Gespräche an einem vernebelten Herbsttag über ihr Lieblingsbuch besaßen etwas Ruhiges; etwas, was sie ablenkte von all dem, das momentan schief lief.

Mit einem Nicken und dem Wissen, dass sie die Diskussion gewonnen hatte, trank sie den letzten Schluck ihres Rotweines, zog sich ihren Wintermantel an, welcher über ihrem Stuhl hing und nahm die Hand entgegen, die er ihr wie früher reichte. Ihr Kopf drehte sich etwas und sie kicherte, als er seine Arme um sie schlug, damit sie auf ihren Füßen blieb.

Die dünne Luft des schwach beleuchteten Pubs durchzog einen Dunst aus Kerzen- und Zigarettenrauch und ahmte damit den Nebel nach, der sich über die Welt außerhalb des Geschäftes gelegt hatte. Leise Gespräch und gemurmeltes Lachen schallte von den Wänden ab; waren eine herrliche Musik in ihren Ohren, die sie dazu brachte ihre Augen zu schließen.

»Professor Riddle ist entspannter als sonst.«, sagte Dorian und legte ein paar Galeonen auf den verborgenen Tisch, an dem sie ihre letzten Stunden verbracht haben. Verwirrt über seinen rasanten Themenwechsel hob sie eine Augenbraue. »Verzeihung? Wie kommst du nun auf ihn

Dorian umfasste ihr Kinn mit einem leichten Lächeln und drehte ihr Gesicht zu der anderen Seite des Pubs. Zwischen den sitzenden Gestalten, die tranken, um die Kälte des Herbstes zu vergessen, erkannte sie tatsächlich ihren Professor für die Verteidigung gegen die dunklen Mächte. Er saß an einem Tisch unter dem großen Fenster, hinter dem der stockdunkle Abend zu sehen war, und neben ihm saß die junge Divinations Professorin, Běla Vablatsky.

Im trüben Licht erschien ihr rostbraunes Haar, das sie verspielt um ihren Finger wickelte, wie ein gewöhnlicher dunkler Ton. Die russische Schönheit legte Riddle die Karten und er schaute ihr mit einer solchen Bewunderung zu, als würde sie ihm die gesamten Geheimnisse der Welt eröffnen.

Alethea wusste nicht, ob Vablastsky ein tatsächliches Talent für die Wahrsagerei besaß oder sie sich nur den Ruhm ihrer Mutter, die eine gefeierte Seherin und Autoren der meisten Schulbücher war, zu nutzen kommen ließ.

»Er kann ganz gut mit seinen Worten umgehen.«, sagte Alethea und beobachtete sie noch eine Sekunde länger, versuchte die Körpersprachen zu lesen, die ihr meist so fremd war wie jede andere, die sie nicht sprach.

Professor Vablatsky aber schien nicht verbergen zu wollen, dass sie Riddle anziehend fand; hatte die obersten Knöpfe ihrer Bluse geöffnet, in der Hoffnung, ihn damit wie einen einfachen Mann zu verführen. Riddle hingegen waren seine Intentionen nicht anzusehen. Ein charmantes Lächeln auf seinen Lippen, das sowohl vertraut als auch nichtssagend wirkte.

Ob er sie attraktiv fand?

»Sie schlafen wahrscheinlich miteinander.«, meinte Dorian unbekümmert und führte sie an den Tischen vorbei zu dem Ausgang, seine Hände auf ihrer Hüfte abgelegt. Sie wandte ihren Blick von den zwei Professoren ab, nickte nur abwesend. »Alle anderen in der Akademie sind entweder zu alt oder sind Schüler und auch wenn Professor Rosewood ungefähr in seinem Alter ist, bevorzugt sie die Gesellschaft von Frauen.«

»Aber wieso unbedingt Vablatsky? Hogsmeade hat auch hübsche Frauen.«, fügte Alethea hinzu und Dorian griff an ihr vorbei, um die Tür für sie zu öffnen. Die Kälte legte sich gemeinsam mit Dorians Arm um sie und ihr entkam ein leichtes Lachen, als sie seinen leicht verängstigten Ausdruck erkannte.

»Die Hexen hier beten die alten, teuflischen Götter an. Zu religiös für ihn. Er ist ein Mann der Wissenschaft.« Seine Augen huschten über die von bunten Blätter übersäten Straße des kleinen Dorfes, doch die wenigen Hexen und Hexer, die sich vor dem Pub versammelt hatten; rauchten oder murmelnde Gespräche führten, schenkten ihm keine Beachtung.

»Delilah würde dich für diese Behauptungen nun mit ihrem Dolch aufschneiden.«

»Genau das meine ich. Welche vernünftige Frau besitzt einen Dolch? Und ist gewillt ihn einzusetzen, um ihre Religion zu verteidigen? Nur Teufelsanbeter.«, flüsterte er seinen letzten Satz und setzte ein Lächeln auf, als ein Pärchen aus der Akademie nach Zigaretten fragen.

Alethea kannte nur den Jungen, wusste, dass er in den anderen Kurs ihres Jahrganges ging und dass seine Freundin zu jung für ihn war. Trotzdem zog sie ihr Zigarettenetui aus ihrem Mantel und reichte beiden eine.

»Sie beten nicht den Teufel an, Dorian.«, sagte sie, als die beiden sich wieder verabschiedeten und die Straße weiter herunter liefen. »Es sind Heiden und beten die nordischen Götter an. Beziehungsweise warten auf ihre Wiederkehr. Nichts Teuflisches hier.«

Sie grinste zufrieden, war noch besserwisserischer, wenn sie betrunken war und lehnte ihren Kopf gegen ihn, während sie die Straße entlang schlenderten. Ihre Augen schlossen sich von alleine, während sie das heimliche und vertraute Gefühl von ihm genoss.

Sie liebte Dorian nicht. Nein, sie hatte ihn niemals geliebt und würde es auch nicht, doch würde sie seine Nähe immer bevorzugen.

»Warst du schon einmal in Professor Riddles Büro?«, fragte Dorian sie und ohne ein leichtes Zögern verneinte sie sofort. Alethea schaute den Sternen beim Warten auf ihren eigenen Tod zu, während sie selbst auf den Hintergedanken der Frage wartete. »Ich war es. Ich wollte etwas nachfragen über meinen Aufsatz. In seinem Regal stehen die unheimlichsten Bücher. Satanische Magie ist dagegen noch harmlos.«, meinte er und nahm die Zigarette an, die sie ihm reichte.

Sie streckte ihre eigene zwischen ihre Lippen und strich über das Ende, um sie anzuzünden. Tief atmete sie den Rauch in ihre Lungen, lehnte ihren Kopf in den Nacken und pustete das Giftgemisch in den Himmel. »Es gibt keine satanische Magie oder Himmlische. Oder gut und böse. Magie ist Magie. Es sind die Ausführer. Alleine sie dürfte man böse oder gut oder grausam oder lieb oder was auch immer nennen.«

Der Herbst tanzte um sie herum, während Dorian mit seiner Zigarette zwischen seinen Lippen grinste. »Du klingst wie Riddle.«

»Ich klinge wie mein Vater.«, verbesserte sie mit leichter strenge und lief vorne weg, streckte ihre Arme in die Luft, um noch mehr Freiheit zu spüren. »Natürlich, Miss Desmond.«, säuselte er und es war nicht die Person, die sie bei diesen Worten erwartete.

Ihr roter Lippenstift klebte an dem Filter der Zigarette, die sie zwischen ihren Fingern wippen ließ und sie dachte an Riddle. Die Schülerinnen haben angefangen, ihn am Morgen zu beobachten. Es wurde zu einem Erlebnis, jeden Morgen an den Fenstern der Akademie zu stehen und dem attraktiven Professor dabei zuzusehen, wie er seine Zigarette rauchte.

»Kommst du mit mir zu Malleus Maleficarum?«, fragte sie Dorian und drehte sich um, zog so viel Nikotin in ihre Lungen, bis der Rauch leicht in ihrem Inneren kratzte und sie spürte, wie ihr Kopf sich beruhigte. »Findest du die Ironie, dass ein Laden der Magie denselben Namen hat wie das Buch, das die Hexenverfolgung gefördert hat, auch so lustig?«

»Zum Totlachen.«

Nun war sie es, die ihn durch die leeren Straßen des kleinen Dorfes zog, während die wenigen Laternen es quälend versuchten, die Welt beleuchtet zu halten und gegen die Finsternis der Nacht anzukämpfen.

Der Laden, in dem es alles gab, was man als Hexe benötigte, befand sich in einem Haus am Ende des Dorfes, das durch seine windschiefe Haltung einem alten Mann glich, der sich auf seinen Gehstock lehnte. Abgeplatzte goldene Schrift, auf der schwarzen Verkleidung des Hauses. Malleus Maleficarum, der Hexenhammer.

Alethea konnte hunderte Gründe aufzählen, warum es erst volljährigen Schülern erlaubt war, diesen Laden zu betreten, und noch hunderte weitere, warum niemand dies sollte. Selbst wenn man die Schwelle mit dem passenden Alter übertrat, wurde es in der Akademie nicht gerne gesehen und jeder Besuch wurde als Geheimnis behandelt.

Schweigend betraten die zwei Schüler das Geschäft, nachdem sie ihre Zigaretten auf dem Kopfsteinpflaster ausgetreten hatten, und wurden von Dunkelheit und Staub begrüßt. Vollgestellte Regale reichten bis an die Decke und kaum ein halber Meter Platz war es, um sich zwischen ihnen zu bewegen.

Dorian steuerte auf die Verkaufstheke zu, während Alethea sich in den hintersten Teil des Ladens begab. Die meisten Dinge, die der Besitzer hier verkaufte, konnte sie nicht entziffern. Verworrene Figuren, Steine oder Talismane. Bücher auf Sprachen, die kein Sterblicher sprach oder Pflanzen, deren Verzehr schicksalhafte Folgen hatte.

Diese Dinge haben nie ihr Interesse geweckt und niemals würde sie gestehen, dass auch die Bücher nicht er wahre Grund war, wieso sie sich in die letzte Ecke des Ladens nur zu oft schlich und dies selbst, in ihren ersten Jahren auf der Akademie, nachdem Delilah ihr den Hintereingang gezeigt hatte.

Es war die Spieluhr, die versteckt unter anderen Objekten stand und nur wartete, bis jemand sie erneut öffnete, damit sich ihre himmlische Melodie in die Ohren des Unglücklichen fressen konnte.

Alethea ließ ihre Finger passiv über die Regale gleiten, bestaunte einen Moment lang die einbalsamierten Körper von Wesen, die einst auf der Welt gehaust hatten. Ihr Vater hatte ebenfalls solche Schmuckstücke gesammelt und auch Professor Riddle würde sich zwischen den Regalen wohlfühlen.

Als sie an der hintersten Wand angelangt war, fiel ihr Blick auf das dunkle Regal in der Nähe der Ecke, welches direkt neben dem kauernden Skelett eines Menschen stand, dessen Glieder jedoch zu lang und unproportional waren. Alethea legte ihr Unbehagen ab und hockte sich auf den Boden und zog die hölzerne Spieluhr hervor, die sie auf dem tiefsten Regalbrett versteckt hatte, bis sie das Geld besaß, um es sich zu kaufen.

Nun hatte sie es. Sie besaß genug, um alles zu kaufen, was ihr Interesse weckte und sie bemerkte das Kribbeln eines Dranges in sich. Dies genügt vorerst, flüsterte sie sich zu und erhob sich mit der Schatulle in ihrer Hand.

Das Bimmeln der Tür ertönt im Eingangsbereich des Geschäfts und sie schaute über ihre Schulter, konnte aber aufgrund der hohen Ausstellungsvitrinen nicht erkennen, ob Dorian wieder hinausgegangen oder jemand anderes eingetreten war.

Vertieft in die verwunschenen Abbildungen des Gemäldes, das ihre Aufmerksamkeit als nächstes auf sich zog, bemerkte sie erst zu spät, wie sie beobachtet wurde. Alethea zuckte zusammen und drehte sich wieder rasant um, erblickte ihren jungen Professor mit seinem rabenschwarzen Haar, der sie leicht missbilligend betrachtete.

»Es ist nicht verboten, sich in diesem Laden aufzuhalten.«, sagte sie sofort und versteckte unterbewusst die Schatulle hinter ihrem Rücken. Panik überkam sie, dass er sie ihr vielleicht nehmen könnte.

Riddle strich sich über den feinen Stoff seines dunklen Wintermantels und verengte leicht seine Augen. »Einige Dinge stehen nicht in den Regelungen der Akademie, da der Ausschuss es als selbstverständlich erachtet. Ich bin mir sicher, dass Sie wissen, dass es nicht gerne gesehen wird, wenn sich Schüler hier aufhalten.«

»Wegen der satanischen Magie?«, fragte sie übertrieben und ihr Blick fiel auf die Bücher in seiner Hand.

»Es gibt keine satanische Magie.«

»Oh, tatsächlich?«, fragte sie mit einem Grinsen und hob ihr Kinn, als ihr bewusst wurde, wie klein und lächerlich sie aussehen musste. Ihre Lippen in dem dunklen Ton, der zwischen Lila und Rot tanzte, und ihr Augenmakeup in dem Schwarz der Nacht, mit der er sich umgab.

Riddles Blick huschte über ihr Gesicht. »Sind Sie betrunken, Miss Desmond?«

Ihre Wangen waren heiß und sie trat einen Schritt auf ihn zu. Vielleicht nur, weil sie seinen Geruch nach dem treuen Parfüm mochte oder es bewundernd fand, wie sich seine Augen zu verändern schien, so näher sie ihm kam.

Lag es am Licht? Daran, dass seine Augen nun wirklich nur sie fixierten?

Alethea blickte unschuldig zu dem hohen Hexer hoch. »Nein, da es untersagt ist, Alkohol zu sich zu nehmen und dies steht auch tatsächlich in den Regeln.«

Riddle hob eine Augenbraue; glaubte ihr kein Wort.

»Und selbst wenn ich getrunken hätte, wäre ich keine Gefahr. Mein Verstand ist so klar, wie Wasser und Sie müssen sich damit auch keine Angst um meine Magie machen. Ich würde eher mich verletzen, als jemand anderen.«

Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie an ihm vorbei schlenderte. Durch die hohen Regale hindurch, direkt zu der Theke, an der Dorian noch immer mit dem Verkäufer sprach. Sie verstand die Worte nicht und machte sich auch nichts daraus, es zu tun, legte nur die Schatulle auf den Tresen.

»Diese Schatulle, bitte.«, sagte sie sobald die zwei Männer missgestimmt aufhörten miteinander zu sprechen und der ziegenbärtige Mann sich zu ihr drehte. Er sah sie gelangweilt an; dachte, dass sie sich niemals leisten könnte, während er seine Zigarre zwischen seine spröden Lippen setzte.

Aber Alethea hatte gewartet, war über die letzten Jahre immer wieder hergekommen, um sich ihre Schatulle anzusehen. Ihre Spieluhr. Ihre.

»Sie wissen sicherlich, dass sie fünfundsiebzig Galleonen kostet.«

»Stellen Sie es in Rechnung. Alethea Kassándra Desmond.«

Spott übernahm seine Züge, während sie ihren Namen nannte und er zog an seiner Zigarre, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu bewegen. Den Rauch in ihr Gesicht pustend, beugte er sich etwas über den Tresen und brummte sarkastisch: »Gewiss, Sie sind eine Desmond. Und ich bald Minister.«

Aletheas Finger krümmten sich zu einer festen Faust, während sich in ihrem Körper eine Wut zusammenbraute, die sie an die ihrer Mutter erinnerte, die sie damals mit solch einer Leichtigkeit ausgestrahlt hatte. Mit nur einem Satz unterstrich er ihre Wertlosigkeit. So berühmt waren ihre Eltern und doch war sie ein Niemand, dem nichts gehören sollte.

Dorian trat einen Schritt nach vorne, war bereit für sie einzustehen, als eine Stimme vor ihm ertönte. Halbherzig und desinteressiert kam Professor Riddles ihm zuvor. »Sie ist eine Desmond, Creag. Stelle es einfach auf Rechnung, damit die beiden wieder in die Akademie können, bevor die Wolken aufhören den Mond zu verstecken.«

Sie drehte sich zu ihm und ihre Brust wurde enger. Er stand ein paar Meter hinter ihnen, durchsuchte mit seinem Blick ein Regal, vollgestellt mit alten Relikten der katholischen Kirche. Zwischen den Wänden dieses Ladens sah er so jung aus; als ob weniger als zehn Jahre zwischen ihnen liegen würden und Aletheas unpassenden Gedanken angemessen sein könnten.

Der Geschäftsinhaber starrte mit einem ähnlich ungläubigen Blick wie Alethea zu Riddle; kämpfte mit sich. Als er nun wieder sie ansah, hoffte sie, etwas wie Angst in seinen Augen erkennen zu können. Sei es nur die Angst, seinen Laden durch ihren Einfluss verlieren zu können.

»Ich—Natürlich, Miss Desmond. Verzeihen Sie mir, Ihr Vater—Guter Professor. Mein Beileid für ihre Mutter. Ebenfalls eine gute Frau.«, murmelte er vor sich hin, während er die Zettel auf der unordentlichen Theke zusammen suchte und ihr die Feder reichte, damit sie die Papiere unterschreiben konnte.

Sobald ihr Name auf dem Pergament geschrieben stand, zog er es schon wieder an sich; heftete es in einen ledernen Ordner, der bereits auseinanderfiel.

Ohne einen Dank an den Verkäufer oder Professor Riddle, nahm sie sich ihre Spielbüchse und hackte sich bei Dorian ein. Gemeinsam verschwanden sie aus dem Laden, ließen die dunkle Magie zurück, die in dem schiefen Haus auf Befreiung wartete.

»Ich vergesse an manchen Tagen, wie berühmt die Desmonds sind.«, kam es als erstes von Dorian, der versuchte, mit ihr Schritt zu halten. »Die Desmonds sind weder berühmt noch beliebt. Wir sind Hüter des Wissen, verbringen unser gesamtes Leben in Bibliotheken und schreiben Bücher, die jeder liest, doch dessen Autor nicht beachtet. Es ist mein Vater, dem ich diesen Ruhm zu verdanken habe. Mich kennt niemand. Ich bin nur diese stumme verfickte Missgeburt, die alles geerbt hat.«, knurrte sie beinahe und starrte nur geradeaus, steuerte auf den Waldrand zu.

Ihre Hände waren noch immer Fäuste und ihre langen Nägel bohrten sich in ihre Handfläche. Der Alkohol rauschte noch immer durch ihre Adern, doch anstatt ihr Ruhe und Freude zu bringen, spendete es ihrem inneren Feuer nur noch mehr Hitze.

»Ale, wir gehen nicht durch den Wald. Verflucht, es ist stockdunkel und—«

»Es ist kürzer.«, unterbrach sie ihn und ging weiter. »Du solltest mehr Angst vor der Akademie haben, als vor den Wäldern. Hier haust nur das Leblose, während in den Mauern alles nur noch darauf wartete sich an dich zu verzerren.«

Tatsächlich war sie einfach nur betrunken und dumm. Sie war wütend, aus einem Grund, den niemand verstehen konnte und irgendwo in ihr glaubte sie, dass sie ebenfalls wütend war, weil der Verkäufer versucht hatte, ihr diese Spieluhr zu verweigern. Sie gehörte ihr. Alleine ihr.

Die Abkürzung, die sie nehmen wollte, handelte sich nur um zehn Minuten. Sie sollten nicht in die Wälder gehen; niemals wenn der Mond durch den Nebel fiel und den Boden mit seinem gestohlenen Licht erleuchtete.

Schließlich hatte der Efeu, der sich um die Gemäuer der Akademie wickelte, das dem über die Jahrhunderte ergrauten Gestein dunkle Farbe schenkte, seinen Ursprung in den Wäldern. Nicht nur die verborgenen Bedrohungen hausten hier.

Es waren nicht nur verlorene Seelen und unentdeckte Geister, die zwischen Bäumen und Sträuchern nach ihren Leichen suchten; nach der Bestätigung für ihren Tod. Monster waren es, die Kreaturen, die die leblosen Ländereien ihr Zuhause nannten.

Monster, dachte sie und hatte ihren Professor in ihrem Kopf, war er auch eines? Eine Monstrosität in menschlicher Hülle gefangen und alles verschlang, was sich ihm in den Weg stellte? Wie die tiefschwarze Dunkelheit der Nacht selbst alles zerfraß?

Wäre es nicht so, würde sie in seiner Nähe nicht ein solches Unbehagen empfinden. Er wäre keine Bedrohung für ihren gesunden Verstand, wenn es nicht so wäre.

Dorian hatte aufgehört zu sprechen. Sie sah zu ihm herüber und merkte, dass nicht Angst seine Hand um seinen Mund geschlossen hatte, sondern Wut ihn verstummen ließ. Erst jetzt wurde ihrem betrunkenen und vernebelten Verstand bewusst, dass seine Worte etwas kühler waren als sonst, seitdem sie das Geschäft verlassen hatten. Keine Wärme, die sie erfüllte.

»Habe ich etwas getan?«, fragte sie und eine kleine Flamme erschien neben ihnen; leuchtete den Weg, als sie den dichten Wald betraten. Hochgewachsene Bäume reckten sich in den Himmel, und vor lauter Dunkelheit konnte sie kaum zwei Meter weit sehen und hatte nur den moosigen Geruch in der Nase.

»Nein. Also– doch.«, meinte Dorian und seine Hand fand die ihre. Seine Haut war angenehm warm auf ihrer kalten. »Es ist nur so... dass du dich verändert hast. Du bist noch immer Alethea, aber zugleich eine wildfremde Person.«

»Veränderungen sind menschlich. Wären wir unser ganzes Leben lang dieselbe Person, würden wir eingehen wie eine Rose ohne Wasser und Licht.« Sie atmete tief die kühle Herbstluft ein und bewunderte, wie der Nebel beiseite wich, wenn sie einen weiteren Schritt auf dem Waldboden machte.

»Natürlich... Wahrscheinlich kommt mir die Veränderung auch nur so vor wegen der Zeit, in der wir nicht gesprochen haben.«, murmelte er, aber alles, was er sagte, war nur die Hälfte von dem, was ihn bedrückte. Er verschränkte ihre Finger miteinander und sah nur noch vorne, als würde er es nicht schaffen, einen Blick auf sie zu werfen. »Ich habe dich wirklich geliebt damals. Und es ist so einfach für mich, mich wieder in dich zu verlieben.«

»Dorian, ich kann nicht—«

»Ich weiß. Ich weiß, dass du mich nicht lieben wirst. Dass du es nicht kannst oder willst oder es nie versuchen wirst. Ich kenne dich, ich weiß das alles. Es ist nur, dass dieses Wissen, es nicht schafft all diese Gefühle endlich zum Verschwinden zu bringen.«

Sie schwieg. Sie hatte ihre eigene innere Ruhe vermisst und wollte sie nun, nachdem Dorians Worte sie wieder herbeibeschworen hatte, nicht mehr loslassen. Ihre Ruhe übertönte selbst ihren Instinkt, der aufflammte, als ihr bewusst wurde, dass vieles sie beobachtete.

Sie schloss nur ihre Augen und ließ sich von Dorian durch den Wald führen.

Alethea dachte über seine Worte nach. Sie wusste, dass seine Gefühle nicht verschwinden würden, wenn sie nun mit ihm schlief oder ihn küsste. Sie wusste, wie romantische Gefühle funktionierten, auch wenn sie sie nicht nachempfinden konnte.«
























[ . . . ] Ich weiß, dass es nicht gut ist. Es tut mir leid, aber ich schaffe es nicht mehr besser zu schreiben. Vielleicht war ich einmal gut, doch diese Zeiten sind vorbei.
Mehr schaff ich nicht. Wenn es euch nicht reicht, müsst ihr es nicht lesen.

words: 3,620k

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