⠀ ⠀ ⠀ prologue
BLASSE HÄNDE ZITTERTEN IM Einklang mit den Flammen der wenigen blutroten Kerzen, während sie die vergilbten Seiten umblättern und die Augen von der Farbe grauen Granits huschten über jedes Wort; versuchten das Gesuchte aufzuspüren.
Allzu schwer war es, die junge Hexe zu entdecken, die kaum noch Platz in dem Raum einnahm, nun förmlich kauerte. Sie war in den Schatten beinahe untergegangen, die die Türme der verbotenen Bücher warfen; ihr Rücken dicht an die Wand gepresst, war sie unter der Last zu Boden geglitten.
Von einem Lufthauch angetrieben, führten die Kerzenflammen erneut den unruhigen Tanz auf und Alethea hob ihren Kopf, paranoid wie ein Wahnsinniger, der schon vor so vielen Jahren seinen Verstand verloren hatte und nun auf ewig dazu verdammt war hinter jeder Ecke und in jedem Schatten ein Monster lauernd zu erwarten, welches nur darauf wartete, ihn zu holen.
Nicht erwägen wollte sie, dass sie dies vielleicht war. Eine Wahnsinnige, die sich des Nachts aus ihrem Zimmer schlich, um immer wieder der Enttäuschung nachzujagen, wie eine Süchtige ihrer Sucht, da sie niemals das finden würde, was sie benötigte.
Abermals erreichte sie die letzte Seite, blickte auf den zerknitterten Einband und legte das Buch beiseite, um sich ein neues zu nehmen. Alethea blätterte die Seiten um und ihre zielsicheren und bereits eingeprägten Bewegungen stoppten.
War es das?, fragte sie sich selbst und pustete den Staub von dem auf ihren herangezogenen Knien balancierenden Buch. Der Staub schien nicht daran interessiert, den Regeln zu folgen und hatte sich selbst zwischen die Seiten gezwängt, die Jahre nicht mehr geöffnet worden waren.
Die Hoffnung, die mit einem Mal in ihr aufkam, war gefährlich. Je höher du steigst, desto tiefer wirst du fallen.
Gehetzte Augen flogen über die Schriftzeichen der ausgestorbenen Sprache und auch wenn die Zeichen für sie nur ein Haufen aneinandergereihte Striche waren, konnte etwas in ihr sie verstehen.
Das verschnörkelte Symbol in der Mitte der Seite begann sich zu winden, als aus ihrem Mund leise die Beschwörung glitt. Die Worte flossen, verzerrt wie Gift von ihren aufgerissenen Lippen, tropften an ihrem Kinn hinunter und fielen zischend auf den steinernen Boden. Doch dieses dunkle Wunder, dieser Moment der Blasphemie, hielt nur einen Augenblick an.
Es war kaum lange genug, um sie spüren zu lassen, wie die Finsternis ihre Klauen nach ihr ausstreckte und sich raue Stricke um ihre Kehle wickelten. Eine einsame Träne war es, die über ihre Wange rollte und auf die Seite des alten Buches fiel; alles zum Verstummen brachte.
»Nein, nein. Nein.«, stieß sie verzweifelt aus, spürte wie die Stricke augenblicklich rissen und eine Macht sie von Alethea fortzogen, bevor sie sie noch zu fassen bekam. Erneut versuchte sie, die Verbindung in sich zu finden; die Dunkelheit, die nach Erlösung flehte und sie mit jedem weiteren Tag mehr zerriss.
Ihre Tränen begannen die Tinte des Buches zu verschmieren und die geschriebenen Worte waren nur noch eine Krittelerin ohne Bedeutungen in ihren Augen. Keine tiefere Verbundenheit mehr war in ihr. Kein Verstehen, was sie nicht verstand.
Tränen des Defätismus stiegen in ihre Augen und als würden die alten Seiten ihre zarte Haut aufschneiden, stieß sie das Buch von sich, bevor ihre Hände Blut getränkt waren und das Weiß ihres Kleides mit Schande beschmierten.
Ihr Herz raste, brach vor Enttäuschung.
Alethea kauerte sich weiter zusammen, starrte auf das noch immer offene Buch und versuchte erneut, das kleinste in dem Raum zu werden, während die Symbole gehässig zu ihr blickten. So viele Gefühle schwirrten in der Hexe, dass sie nichts anderes konnte, als mit starrem Gesicht zu weinen.
»Sie haben nicht die nötige Kontrolle über Ihre Magie, um diesen Zauber durchzuführen.«, ertönte die Dunkelheit und noch bevor sie den Schatten ausmachen konnte, griffen ihre blassen, gierigen Finger nach den Schriften.
Sie durfte nicht hier sein. Niemand durfte erfahren, was sie tat und vor allem nicht er. Ihre Magie huschte durch den Raum, versuchte die Spuren von diesen diabolischen Künsten verschwinden zu lassen, aber war zu aufgebracht, um es zu Ende zu bringen.
»Es ist nicht so wie es aussieht.«, wisperte sie schnell ohne aufzusehen und gerade als sie das Buch erreicht hatte, wurde es wie durch Geisterhand weggezogen und lag eine Sekunde später in den langen, blassen Fingern ihres jungen Professors.
Ihre granitgrauen Augen brauchten länger ihn zu finden, als es für einen solch kleinen Raum gewöhnlich war. Aber die in ihr herrschende Unentschlossenheit, ob sie ihn überhaupt finden wollte, verzögerte es. Stehe auf, kämpfe um deine Unschuld, flüsterte ihre eigene Stimme und wäre sie nicht von Gefühlen verschüttet und von dem Schock vereist, hätte sie es auch getan.
»Es sind keine Dunklen Künste. Ich habe nichts getan.«, log sie mit schwacher Stimme und ihr Inneres zog sich vor Angst zusammen, als sie bemerkte, wie neugierig seine dunklen Augen über die Zeilen schwebten.
Professor Riddle war keine Marionette von etwas Größerem, sondern lehnte an der Wand wie es ihm beliebte und blätterte durch die Schriften, welche Worte er, anders als sie, zu verstehen schien und nicht nur unwissend dem nachsprach, was seine Magie ihm befahl.
»Halten Sie mich nicht für dumm, Miss Desmond. Sie sollten durchaus wissen, dass ich die Dunklen Künste erkenne, wenn ich sie sehe, da ich schließlich ihre Verteidigung unterrichte.«, verkündete der Professor ihren Untergang mit leichtem Spott und das Licht der Kerzen traute sich nun endlich zögernd zu ihm, beleuchtete den traumhaft schönen Mann, um den so viele Lilien geweint haben müssen.
Die Nacht besaß ein betörendes Talent, dessen sich Alethea schon bewusst war, als sie noch ein Kind war; zu jung, um den Grund von allem zu verstehen, aber in Lage die Simplizität der Welt zu erkennen.
Sie besaß die Fähigkeit, die Welt in eine atemberaubende und sterbliche Schönheit zu hüllen, die weitaus fesselnder war als alles andere, das man bei Tageslicht finden mag. Sie konnte ein Trugbild erschaffen; eine Ablenkung, die es ihr erlaubte, einen langsam zu zerfressen und so genüsslich zu verzehren, bis nichts als Asche zurückblieb. Zu geblendet von der Schönheit, konnte sie verschlingen, ohne die Furcht in ihren Opfern zu erwecken.
Und Professor Riddle war diese pure Nacht. Er besaß dasselbe Trugbild, mit seinem rabenschwarzen Haar und den Zügen einer Gottheit, die zur Sterblichkeit verdammt worden war; das Feuer in seinen Augen, wie die Sterne am Himmel.
Auch er würde zerstören.
Die Luft der verbotenen und versteckten Kammer war noch immer elektrisiert von dem begonnen Ritual und zu viel ihrer unzugänglichen Magie schwirrte noch immer herum, als dass sie die furchteinflößende Aura des Professors hätte spüren können.
Zwar war sie nicht in der Lage, diese wahrzunehmen; sie auf ihrer Haut kribbeln zu spüren, doch das Wissen, dass sie wie eine allgegenwärtige Finsternis von ihm ausstrahlte, konnte sie niemals verlassen.
Jede weitere Stunde musste sie es ertragen; jede Sekunde fühlte sie, wie sie alle von ihr zerfressen wurden, als wären sie nur ein Stück Wolle für die Motten. Niemand anderes merkte diesen Vorgang, zu tief verloren in dem Bann der Schönheit. Im Bann der Nacht.
Eine Magie des Verderbens folgte dem Professor für die Verteidigung der dunklen Mächte und keiner hörte die Schreie ihrer Warnungen. Niemand schenkte ihnen Glauben.
»Bitte, ich habe nichts getan. Ich kann der Akademie nicht verwiesen werden; ich habe niemanden.«, flehte sie mit dem Luftzug flüsternd, noch immer auf den Boden kauernd. Stille Magie pulsierte, würde bald aus dem Schlaf erwachen und erzürnt über ihr erneutes Scheitern sein.
Der Professor senkte seinen Blick zu ihr und das Herz in ihrer Brust, setzte einen Schlag vor Angst aus, schien nur noch in ihren Ohren zu pochen; Überforderung machte sie taub. Lügen kamen wie Wahrheiten über ihre Lippen, wie ein Gelehrter Wissen überbrachte. Alethea schaffte es, Menschen mit ihren erfundenen Worten in einen Bann zu ziehen, sie von jeder Wahrheit abzulenken, die sie nur für sich behalten wollte. Nun schaffte sie es kaum, ihren Körper zu befehlen zu atmen.
»Stehen Sie auf.«, ordnete er an und der Furcht wegen tat sie es. Sie fühlte ihren Körper nicht mehr und stand sie einmal aufrecht, konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie sie es geschafft hatte. Noch immer mit einem leeren Gesicht sah sie ihn an.
Mit zittrigen Fingern strich sie ihre Tränen von ihrem Kinn und vergrub sie dann in den zarten Stoff ihres Nachtkleides. »Sie versuchen sich an den Dunklen Künsten, ohne die Fähigkeit zu besitzen Ihre Macht kontrollieren zu können, wodurch Sie zu einer Gefahr für Ihre Mitschüler werden.«, erinnerte er sie und trat einen Schritt näher zu ihr; seine Augen glühten wie glimmende Kohlen.
Ungeachtet seines Blickes war es ihr nicht möglich in seinem Gesicht Emotionen zu finden und egal wie sehr sie sich anstrenge; das leere Blatt, auf welchem bei jedem anderen die Antwort niedergeschrieben stand, so oft umdrehte, bis es zerknitterte, blieb sie in der Ahnungslosigkeit gefangen.
Der Logik nach müsste er wütend sein. Sie brach eine Regel, die zwar niemals auf einer Seite des Buches der Gesetze gestanden hatte, aber deren Existenz sich wie eine falsch gemerkte Erinnerung in jedermanns Köpfe verfangen hat.
Ihre Gedanken überschlugen sich, als sie nach den Lügen auf ihrer Zunge suchte. Aber just in dem Moment, in dem sie die Fähigkeit zu lügen, ohne rot zu werden, am dringendsten benötigte, ließ sie diese auf offenem Meer ohne Hilfe zurück. Sie würde der Akademie verwiesen werden.
»Ich schwör Ihnen, Sir: Ich bin keine Gefahr.«, versuchte sie erneut mit letzter Kraft und der Professor blickte mit einer berechnend Kälte zu ihr hinunter. Wie ein Kaiser auf seine hungernden Untertanen, im Wissen, dass sie alles für Leib Brot tun würden.
Seine dunklen Augen verengten sich und als er ihre vollkommene, bittere Verzweiflung erkannte, fasste er einen Entschluss. Er schlug das Buch mit einem lauten Knall zu und gemeinsam mit den Kerzenflammen zuckte Alethea zusammen.
»Am Freitagabend erwarte ich sie um acht in meinem Büro und Sie werden diesen Raum nie wieder betreten, haben Sie mich verstanden?« Seine Stimme hallte schneidend von den Wänden ab und schnell nickte sie; brachte sich mit der hastigen Bewegung nur noch stärkere Kopfschmerzen ein.
Autoritär nickte er zu der sich langsam öffnenden Tür und ohne etwas zusagen ging sie mit gesenktem Kopf hinaus.
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