⠀ ⠀ ⠀ IV. kisses of the ghostly glory







DER MANN MIT DEM NERVÖSEN Blick und der geduckten Haltung, der vor Alethea beinahe kauerte wie ein Arbeiter vor seinem Herren, erinnerte sie an eine der verfluchten Puppen, die hinter dicken und gesegnetem Glas verschlossen, im Raum für die Verteidigung gegen die dunklen Mächte hingen. Blondes Haar und ein porzellanes Gesicht, mit zu weichen Zügen, die ihm etwas Mädchenhaftes verleihen.

»Ich bin Clarence Owen und arbeite für die Gringotts Bank.«, sagte er mit einer Stimme, die ebenfalls zu hoch war, um von einem Mann zu stammen.

Alethea korrigierte ihre Position unter dem eisernen Schwert ihres Erbes und warf einen Seitenblick auf Professor Dippet, der mit auf dem Rücken verschlungenen Händen der Unterhaltung zuhörte.

Sie hatten alle gesagt, dass Dippet keine gute Wahl für den Posten des Schulleiters war und Alethea erkannte in den Augen des Mannes, dass er zu alt war, um eine solche Akademie zu zusammenzuhalten.

Als Alethea an diesem grauen Morgen in sein Büro bestellt wurde, hatte sie auf dem Weg durch die Gemäuer des Schlosses beinahe vergessen, dass sie einen Pakt des Schweigens mit Professor Riddle geschlossen hatte und ihr nichts passieren konnte.

Der Gedanke, dass sie verwiesen werden könnte, hatte sie mit jedem weiteren Schritt, mit dem sie durch das sich ewig verändernde Labyrinth geschritten war, mehr gelähmt.

Eine Erleichterung war es gewesen, als nur die Gringotts Angestellten auf sie gewartet haben, um mit ihr das Erbe zu besprechen, das ihr seit Jahren verwehrt wurde.

Alethea schluckte, vergrub ihre eigentliche Unbehaglichkeit unter ihrer Wut und richtete ihre Augen wieder auf den kleinen Mann; richtete über ihn, wie es nur den Göttern vorbehalten war. »Ich weiß, wer Sie sind. Sie haben mir vor zwei Jahren mein Erbe verweigert. Sie sagten, ich hätte nicht die emotionale Klarheit eine solche Menge an Gold und Eigentümer zu verwalten.«, fasste sie den seitenlangen Brief zusammen, den sie zwei Wochen nach dem Tod ihrer Mutter bekommen hatte.

Mister Owen räusperte sich peinlich berührt und rückte seine Krawatte zurecht, offensichtlich eingeschüchtert aus einem ihr sehr wohl bekannten Grund.

Gringotts hatte nach einem männlichen Erbe der Desmonds gesucht; nach einem Mann, der auch nur einen Tropfen Blut mit ihren Eltern teilte. Als ebenfalls ihr entfernter Onkel vor einem Jahr starb, bevor ihm das Vermögen und die Titel gegeben werden konnten, blieb nur noch Alethea.

Ihre Verwandten, die alle nur mit Töchtern gesegnet waren und verwitwet ihr Schicksal erlitten haben, sprachen nur zu oft von dem Fluch, der sich bei Aletheas Geburt nieder auf das Haus Desmond gelegt hatte. Das Mädchen, das niemals das Tageslicht hätte sehen dürfen.

»Schließlich waren Sie damals noch ein Kind. Wir sprechen hier von einem Vermögen, das... ähm, sehr schwer mit einem anderen zu vergleichen ist. Wir sprechen hier über Titel, Stipendien, Forschungen, einen Sitz im hohen Rat und Sie waren ein Mädchen.« Seine Augen huschten durch den Raum, während er sprach, und mehrere Male musste er mitten im Satz stoppen, um seine Gedanken zu sortieren.

»Ich nehme an, Sie sind nun hier damit ich die Papiere unterzeichnen kann, die mir die Berechtigung über all mein Eigentum geben?« Aletheas blickte mit Desinteresse in ihren Augen durch den Raum, kopierte die Haltung, die sie als Kind bei ihrer Mutter beobachtet hatte, wenn diese sich um die Geschäfte gekümmert hatte. Zeige Löwen niemals deine wahren Emotionen; verstecke sie selbst vor den Schwachen.

»Das sind wir. Verzeihen Sie die Verzögerung und die Umstände.«, ertönte es mit greller Stimme von dem Kobold und er schob sich an Owen vorbei. Kaum reichte er dem sonst schon zu kleinen Mann an seinen Bauch und Alethea erinnerte sich daran, wie sehr sie Kobolde hasste.

Die Wesen, die von den Staubgeborenen in Märchen verankert waren, hatten kaum eine Ähnlichkeit mit den Dämonen der Erde. Halbwesen, die — wenn sie nicht blutige Kriege führen, um Reichtum zu erobern, die nicht ihre sind — ihre Schulden den düstersten Kreaturen gegenüber mit dem Blut Unschuldiger bezahlen.

Der Kobold ging zu dem großen Schreibtisch, sobald Dippet es mit einem Nicken genehmigte. Sie spürte die Augen jedes Anwesenden auf sich, als sie näher trat und glaubte selbst, dass die starren Gemälde die Aufmerksamkeit ihr widmeten.

Das rote Siegel löste sich und die Pergamentrolle wurde auf dem dunklen Holz ausgebreitet, die Feder bereits in einem Tintenfass daneben stehend. Bald würde alles ihr gehören.

Ihre granitgrauen Augen huschten über das Schreiben, sammelten so viele Informationen wie es ihnen möglich war, um einem Schicksal der ewigen Unterdrückung zu entkommen. Kobolde waren nicht für ihre sauberen Geschäfte bekannt und ein Moment der Hastigkeit konnte ein Leben als Sklave zufolge haben.

»Hier steht nichts davon, dass ich die Forschungen meines Vaters erhalte. Ja, ich bekomme die Rechte an ihnen, doch nicht die konvertierten Mitschriften und Notizbücher. Nicht die Experimente.«

Sie drehte sich zu Mister Owen und dieser räusperte sich erneut, zerknüllte den Hut in seinen Händen. Kleine Schweißtropfen rannen über seine Stirn, lieferten sich ein Wettrennen. »Diese sind im Gewahrsam des Ministeriums, Miss. Was mit den Forschungen geschieht, ist außerhalb des Einflussbereichs der Bank. Nun... eigentlich hätte man Sie bereits darüber unterrichten sollen.«

»Eigentlich?«, wiederholte sie seine Worte scharf, »Ich wurde nicht davon unterrichtet. Ich vertraue darauf, dass Sie es schaffen Ihren Job zu machen und Sie mir mein Eigentum zurückbringen, damit Ihr Versagen wieder ausgeglichen ist.«

Die Ähnlichkeit zwischen Alethea und ihrer Mutter waren in diesem so groß, dass sie beinahe komplett identische Personen waren. Ihr herrisches Auftreten glich dem ihrer Mutter; sie besaß denselben Blick, der bei ihrem gegenüber Unbehagen auslöste. Mister Owen glich einem verängstigen Hündchen, was darauf schließen ließ, dass er das Unglück besessen hatte Aletheas Mutter nach dem Tod von ihrem Mann kennengelernt zu haben.

»Natürlich, Ma'am. Wir werden uns darum kümmern.«, stotterte er und der Kobold verdrehte nur seine vergilbten Augen gehässig. Mit seinem langen, von Dreck verfärbten Fingernagel, tippte er auf den kleinen Strich am Ende des Vertrages.

Zwei Jahre lang hatte sie nichts besessen; nichts außer ihren Namen, der nur noch Kummer in ihrem Herzen pflanzte. Zwei Jahre lang hatte sie bei Verwandten gewohnt, die Alethea als nichts anderes ansahen, als eine stumme Missgeburt.

Eine Schande der Familie, weil sie das Blut ihrer Mutter teilte. Weil sie es gewagt hatte, bei der Geburt nicht zu sterben, so wie es hätte sein sollen.

Alethea nahm die schwarze Feder zwischen ihre Finger — die Fackeln im Raum hielten ihren Atem an, während sie dem Gesehen zusahen — und sie setzte die Spitze auf das Pergament; überlegte einen Moment lang, ob sie dies tatsächlich machen wollte. Jetzt würde ihr alles gehören. Alles, was niemals ihr gehörte, würde in ihre Arme fallen. Alles, was niemals ihr hätte gehören sollen.

Mit ihrer ausladenden und geschwungenen Schrift unterschrieb sie mit ihrem Familiennamen. Mutter hatte ihre Schrift nie gemocht, während Alethea Stunden in ihrem Zimmer mit den Notizbüchern ihres Vaters verbracht hatte, um seine Schrift zu kopieren, damit sie für immer einen Teil von ihm bei sich hatte.

Als Alethea sich wieder erhob, verschwanden das Schreiben und die Feder aus ihrer Hand. Es fühlte sich nichts anders an. Sie hatte überlegt, ob vielleicht ein Gefühl sie überkommen würde. Eine Genugtuung. Sagte nicht die ganze Welt Reichtum sei alles?

»Alles gehört nun Ihnen. Die Forschungen werden Ihnen zugeschickt, sobald das Ministerium diese freigibt.«, sagte Mister Owen und Dippet, der stillschweigend nur zugesehen hatte, schenkte ihm ein Lächeln; versuchte die Nervosität des Mannes zu glätten.

Der Kobold reichte ihr einen schweren Umschlag und Alethea war konzentriert darauf, nicht seine Hand zu berühren, an der so viel Blut schon geklebt haben musste. »Alle benötigten Schlüssel, Dokumente und Eigentumszertifizierungen.«

Obwohl ein Dank auf ihren Lippen lag, ließ sie es nicht los. Mutter hatte sich nie bedankt; die Welt und ihre Freundlichkeiten als selbstverständlich gehalten. Und ein Kobold verdiente diese Worte auch nicht.

»Darf ich nun zu meinem Unterricht?« Die Fragte war nicht an Owen oder den Kobold gerichtet, der aufgrund ihren mangelnden Respekts und offensichtlicher Abneigung grimmig schaute, sondern alleine an den Schulleiter.

Dippets leicht milchige Augen richteten sich auf die Schülerin und sie konnte die Abwesenheit in ihren nicht übersehen; konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie eng der Tod seine Arme bereits um den alten Mann gelegt hatte.

»Natürlich. Sie sind doch fertig?« Der Kobold nickte und ohne ein weiteres Wort, hob Alethea ihre Tasche von dem Boden auf, verstaute den Umschlag darin und verließ das Büro.

Eine Last fiel von ihren Schultern, die sie beinahe auf die Knie gezwungen hatte. Endlich konnte sie alles abschütteln, das sie an ihre Mutter erinnerte. Alethea nahm sich vor Professor Dumbledore erneut zu Rate zu ziehen. Der Mann, der eng mit ihrer Familie befreundet gewesen war, hatte ihr nur allzu oft geholfen, sich in einem System zurechtzufinden, das nicht für junge, unverheiratete Frauen errichtet wurde.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen lief sie durch die leeren Gänge, denen jegliches Leben fehlte. Nicht ein Mucks vernahm sie, während sie die großen Treppen hinab stieg und sie fragte sich, ob nun alles so war, wie es hätte sein sollen.

Ungewöhnlich, dachte sie sich und blickte über ihre Schulter hinweg in die von Spinnenweben bedeckten Korridore, als ein unangenehmes Gefühl in ihr wach wurde.

Die absolute Stille in den Korridoren der Akademie war keine Seltenheit; die Fackeln wirken an manchen Tagen mehr wie ein stummes Gemälde, als wie eine knisternden und gleißenden Lichtquelle. Doch nun konnte Alethea nicht einmal den Schall ihrer eigenen Schritte hören und wäre dort nicht ihr eigener Atem in ihren Ohren, wäre sie davon überzeugt, dass sie ihren Gehörsinn verloren hatte.

Sie überlegte kurz, ob sie rennen sollte; behielt aber ihren kontrollierten Schritt bei, trotz der zermürbenden Stille, mit der sie konfrontiert wurde.

Plötzlich überkam Wellen des endlosen Schreckens sie. So furchtbar und intensiv war das Gefühl, das ihren Körper ergriff und sie zwang, stehen zu bleiben. Bittere Kälte, ungewöhnlich für die des Herbstes, schlug sich um ihre Gestalt mit der Zärtlichkeit eines Eissturms, der sie küssen wollte. Es war eine Art tödlicher Kälte, die sie von innen heraus verzehren und deren fester Griff ihr Herz zum Stoppen überreden wollte.

Gänsehaut bildete sich an ihrem gesamten Körper und mit zittrigen Hände packte sie das Band ihrer Tasche. Ohne ihren Blick nach rechts oder links schweifen zu lassen, begann sie wieder geradeaus zu laufen. Ihre Schritte waren nun langsam und ihr Atem leise, als versuchte bereits ihr Unterbewusstsein, kein Geräusch zu machen und sich dem Schweigen des Ortes anzuschließen.

Ihre eigene Stimme drängte sie zu rennen, aber Alethea tat es nicht. Sie ging mit gleichmäßigen Schritten den Gang entlang, bis sie an der Tür des Klassenzimmers angelangt war, wurde Taub von dem lauten Schlagen ihres Herzens. Gehetzt umfasste sie den Knauf und drehte ihn, ohne vorher zu klopfen.

So schnellst wie möglich wollte sie aus diesem Gang hinaus; nahm selbst in Kauf, dass ihre Klasse sie anstarrte und Professor Dumbledore sie ermahnte. Das laute Schließen der Tür brummte noch immer in ihren Ohren, vermählte sich mit ihrem Herzschlag.

»Miss Desmond, selbst wenn Sie eine Entschuldigung besaßen, um zu spät zu meinem Unterricht zu kommen, gehört sich das Klopfen trotzdem. Es zeugt von einem gewissen Anstand.«, ertönte nicht die Stimme, die sie erwartet hatte. Langsam drehte sie sich herum und blickte direkt auf die Nacht, die mit ihrer Schönheit lockte.

Er sollte nicht hier sein. Es ist nicht sein Unterricht. Sie wollte ihn nicht noch einmal sehen, vor allem nicht nach den gemischten Gefühlen, die sie in den vergangenen Tagen wegen ihm gehabt hatte. Seit der Ablösung von Professor Binns, sollte Dumbledore diesen Kurs unterrichten.

Er sollte nicht hier sein.

»Wo ist Professor Dumbledore?«, rutschte ihr anstatt einer Entschuldigung über die dunklen Lippen und erntete einen empörten Blick, den sie nur zu gut verstand. Höflichkeit war ihr auf keinen Fall fremd, doch eine gewisse Hektik in ihren Adern ließ sie unüberlegt handeln.

»Aufgrund der körperlichen Verfassung des Professors übernehme ich einige Kurse und jetzt setzen Sie sich hin, bevor ich Sie aufgrund Ihrer Respektlosigkeit Nachsitzen lasse.« Riddles Blick war fern der Wärme des seligen Kaminfeuers, das in der Herbstzeit nur zu oft in den Klassenzimmer brannte.

Alethea fragte sich, ob das grausige Gefühl, das sie im Gang heimgesucht hatte, eine Warnung vor ihm gewesen war. Eine Warnung von den alten Gemäuern vor etwas Schlimmerem.

Demütig senkte sie ihren Kopf und setzte sich neben Delilah, die hinter einem Lächeln ihr Erstaunen versteckten zu versuchte. Ebenso wie Alethea war sie es nicht gewöhnt, dass sie sich so respektlos einem Professor gegenüber verhielt.

Doch würde sie nur verstehen, wie und was Riddle tatsächlich war, könnte sie in der Perplexität gegenüber Alethea ein Bild der berechtigten Logik erkennen.

»Warum musstest du zu Dippet?«, fragte sie sofort, nachdem Alethea sich setzte, da die Neugierde sie zerfressen musste. »Gringotts. Mein Erbe gehört nun mir.«, flüsterte sie ihrer Freundin zu und packte ihre Tasche aus. Der Umschlag grinste ihr entgegen; erinnerte sie, dass sie niemals die Erbin hätte sein sollen.

Delilahs Gesicht hellte sich bei den Neuigkeiten auf oder vielleicht war es auch Erleichterung, da Alethea nichts Schlimmes in dem Büro des Schulleiters passiert war. »Im Namen von Circe. Es wird auch Zeit! Ich habe bereits eine Liste von Dingen geschrieben, die du mir nun kaufen musst. Endlich habe ich auch etwas davon, mit dir befreundet zu sein. Meine Rufschädigung, die dadurch entstanden ist, dass ich mich mit einer seltsamen Einzelgängerin abgegeben habe, musst du nun mit Gold und Schmuck ausgleichen.«

»Das erste, was ich mir von meinem Geld kaufe, soll etwas besonderes sein.«, antwortet Alethea und empört öffnete ihr Freundin den Mund, schien mit ihren Augen ›Wie kannst du es wagen?‹ zu sagen. »Etwas für deine Freundin zu kaufen, ist also nichts besonderes?«

Sie wollte widersprechen und offenbaren, dass sie seit Jahren schon etwas im Blick hatte, doch dann hallte bereits die wütende Stimme von Riddle durch das Klassenzimmer und Alethea konnte es nicht verhindern, bei seinem Ton zusammenzuzucken.

»Sie kommen zu spät, weder klopfen noch entschuldigen Sie sich und trotzdem besitzen Sie die Dreistigkeit und unterhalten sich über unterrichtsfremde Themen?«

Seine schwarzen Augen bohrten sich in Alethea; zerstörten jeden Versuch der Rechtfertigung oder Lügen. »Ich habe ihr nur erklärt, wo wir gerade sind, Sir.«, versuchte es Delilah, doch Riddles Blick blieb unverändert hart. Er schaute sie nicht einmal an, hatte sich alleine auf Alethea fixiert. »Ich nehme Ihre Loyalität Ihrer Freundin gegenüber zu schätzen, Miss Haworth, doch Sie bekommen beide eine Abmahnung.«

»Sir, Sie können doch nicht des ern—«

»Ich kann und ich habe. Nun passen Sie auf.«, unterbrach Professor Riddle Delilah kühl und wandte sich wieder den wenigen Schülern ihres Kurses zu, die dieses Jahr Geschichte der Magie gewählt hatten.

Alethea hätte es der Mehrheit gleichmachen sollen und dieses Fach abwählen sollen, doch waren ihre Noten zu fürchterlich dafür. Es war schwer, sich auf den Stoff zu konzentrieren, unterrichtete ein Geist diesen, dessen Anblick die Fähigkeit besaß, einen vor Angst starr werden zu lassen.

Ungeachtet seiner Ermahnung schaffte Alethea es nicht, ihm zuzuhören. Sie konnte ihn nicht einmal richtig ansehen und malte konzentrierte Kreise auf ihr Notizbuch, während Riddle über die Vergehen längst verstorbener Persönlichkeiten sprach. Ankündigte, wie sie bald über den Fall von Satans Einfluss sprechen würden.

Am Ende des Unterrichts erhoben sich die Schüler, während Alethea sitzen blieb. »Geh schon einmal vor, ich muss noch einmal mit Riddle über den verpassten Stoff reden.«, sagte sie, als Delilah ungeduldig zu ihr herunter sah. Die blonde Hexe blickte zu dem Professor, der durch seine Aufzeichnungen ging, und nickte dann, verließ mit den anderen Schülern das Zimmer.

Sie wartete, bis alle verschwunden waren und die Tür sich zum letzten Mal schloss, bevor sie ihre Tasche schulterte und zu Riddles Pult lief. Es war zu einem Ritual geworden, dass Alethea nach jeder Stunde zu ihm kam. Wie ein Uhrwerk geschah immer dasselbe.

»Ich werde Ihre Abmahnung nicht zurückziehen, also versuchen Sie es nicht erst, Miss Desmond.«, sagte er, ohne aufzusehen oder überhaupt aufzuhören, sich mit seinen Büchern und Aufzeichnungen zu beschäftigen. In all dem sortierten Chaos erkannte sie die Schriften des Teufels auf altem Pergament; fragte sich, ob der die Sprache ebenfalls sprach.

»Sie sind wütend.«, kam es von ihr, und Riddle hob nun doch seinen Blick, sah sie desinteressiert an. Als wäre sie eine beliebige Schülerin, die ihn anflehte, ihr bessere Noten zu geben, obwohl sie sich weigerte zu lernen.

»Sie stören meinen Unterricht.«

»Sir, wir sprachen so leise, dass nicht einmal die Nachtwächter uns hätten hören können.«, rechtfertigte sie sich und um ihren Händen eine Aufgabe zu geben, vergrub sie sie in ihrem schwarzen Rock.

»Wollen Sie mir etwas unterstellen, Miss Desmond?«, fragte er und stützte seine Hände auf dem Schreibtisch ab, beugte sich etwas vor. Sein herber Geruch stieg ihr in die Nase und erneut überkam sie die unverständlichen Gefühle der vergangenen Unterrichtsstunde.

Ihre Kehle schnürte sich zusammen und kein Wort kam über ihre Lippen, während sie gegen das Kribbeln ankämpfte. Sie wusste noch immer nicht ob es Angst oder etwas anderes war und sie wollte nicht daran denken.

Alethea wollte nicht mit der gleichen Naivität wie Ikarus zu nah an die Sonne heranfliegen, nur um dann erst zu spät zu erkennen, dass das Wachs ihrer Flügel langsam schmolz und der Tod seine Finger um sie legte, während sie in die Tiefe fiel.

Am Ende waren Naivität und Leichtsinn aber doch nicht das gleiche.

»Haben Sie die Fähigkeit des Sprechens verlernt? Etwas eher und Sie hätten keine Ermahnung bekommen.« Von seiner Stimme tropfte Spott und Alethea schluckte, als ihr Blick auf seine blassen Hände fiel. Angespannt tippte er mit seinem Zeigefinger auf das Holz. Schien einen Rhythmus zu verfolgen, den sie irgendwoher kannte.

»Wenn Sie nichts mehr sagen werden, können Sie gehen.«

Die Wahrheit war, dass sie nicht mehr wusste, was genau sie sagen wollte. Ob sie überhaupt etwas geplant hatte, als sie sich dazu entschied, nach dem Unterricht noch länger zu bleiben und nicht mit Delilah zum Mittagessen zu gehen.

Und selbst wenn sie eine Idee gehabt hatte, schon geformte Worte auf ihrer Zunge, waren sie nun weg. Leere in ihrem Kopf und Frustration, die durch ihre Adern floss, weil sie etwas verloren hatte und es nicht mehr finden würde.

»Wie geht es Professor Dumbledore?«, fragte sie stattdessen, und Riddles Finger stoppten in ihrer Bewegung. »Wenn er nicht in der Lage ist zu unterrichten, muss es doch gewiss schlimm sein. Ich habe gehofft er würde mir bei etwas helfen.«

Sein Blick veränderte sich und sie konnte nicht sagen, was genau es war, aber sie wich einen kleinen Schritt zurück. Eine Reaktion auf ihn, die sie nur zu oft mitbekommen hatte. Seine Angespanntheit verschwand und eine Maske der vollkommenen Gelassenheit, vielleicht sogar falsche Freundlichkeit, übernahm ihn. »Ich sprach nicht persönlich mit ihm und weiß es daher nicht.«

Alethea nickte und drehte sich um, blieb aber stehen, noch bevor sie drei Schritte gemacht hatte. »Gibt es Geister in Hogwarts?« Sie wandte sich ihm wieder zu. »Ich meine nicht die manifestierten, für immer verdammten, sondern die verirrten Seelen.«

Jugendliche Neugier begann ihn zu umfassen und er wirkte weniger wie etwas Furchteinflößendes. In seinen Augen erkannte sie sofort, dass er nun verstand. Er war schlau genug, um ihr hastiges Hereinplatzen in den Unterricht und ihre Frage zu verbinden. »Verirrte Seelen sind keine Geister, Miss Desmond.«

»Ich weiß, dass sie für die Dinge verantwortlich sind, die den Geistern zugesprochen werden. Heimsuchung. Veränderung der Temperatur. Besitzergreifung eines Lebenden. Sie sind nicht da, doch aber auch.«

»Ein zu komplexes Thema, um es in so kurzer Zeit zu besprechen. Sie haben recht, doch wiederum auch nicht.«

»Und gib es welche in der Akademie? Gibt es etwas in diesen Gängen, das es niemals geschafft hat, in das Jenseits zu entkommen? Sind sie der Grund, warum wir bei Nacht unsere Zimmer nicht verlassen dürfen und mit offenen Wunden durch die Korridore wandeln dürfen?«

Riddle schwieg einen langen Moment, bevor er antwortete, und in diesen wenigen Sekunden wussten sie beide die Antwort. Sie beide wussten, dass die Akademie der falsche Ort war, um Kinder zu unterrichten.

»Ein altes Schloss, mit einer noch älteren Geschichte. Es wäre ein Wunder, gebe es keine.«
























[ . . . ] Sternchen nicht vergessen <3

words: 3,310k

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