#57 Before it gets better
Mein Herz raste, als ich die Treppen herunter sprintete und Jinhwan an der Haustür empfing. Ich wollte Yoongi vertrauen, aber meine Intuition riet mir, es nicht zu tun und mich zu beeilen.
"Wie geht es ihm?", fragte der Ältere, als er mir eine Tüte übergab, in der sich auf den ersten Blick alles wichtige zu befinden schien. "Ist kompliziert", sagte ich, "aber gerade okay. Vielen Dank, dass du gefahren bist. Ich schulde dir etwas."
"Ach was, das hat doch keine Relevanz, wenn es jemandem schlecht geht." Trotz seiner Worte konnte ich den nach Bestätigung fragenden Blick in seinen Augen nicht ungesehen lassen. "Stimmt schon. Aber ich denke, wir kommen jetzt alleine klar. Ich bin ja jetzt bei ihm." Vor Ungeduld quetschte ich die dünnen Riemen des Plastiks in meiner Hand.
Jinhwan steuerte den Weg zu seinem Wagen an. "Na gut, dann sage ich Soomin Bescheid, dass du heute nicht kommen kannst." Das Café hatte ich in der Hektik komplett vergessen. Ob meine Chefin mir weiteres Fehlen überhaupt erlauben würde?
"Vielen Dank", murmelte ich schuldig.
"Gib Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann oder dich doch noch abholen soll und halt mich auf dem Laufenden." Ich nickte und dankte ihm, bis er wieder in seinem Auto saß. Länger konnte ich allerdings nicht warten und hechtete zurück in den ersten Stock. Dort musste ich mit Bedauern feststellen, dass die Wohnungstür geschlossen war. Ich tastete meinen Körper nach dem Zweitschlüssel ab, aber fand nichts, ich musste ihn liegen gelassen haben. "Verdammt", flüsterte ich verzweifelt zu mir selbst und spürte, wie sich die Überforderung in mir bemerkbar machte.
Ich klopfte entschlossen an der Tür, war mir sicher, dass sie nicht einfach zugefallen war und hoffte, dass mein Freund in der Zwischenzeit meiner Abwesenheit keine Dummheiten angestellt hatte. So wie ich ihn kannte, hatte ich dies nicht von ihm erwartet, aber neuen Erkenntnissen nach zu beurteilen, kannte ich ihn kein Stück - oder zumindest nicht genug. "Yoongi, bitte mach die Tür auf." Ich lehnte mich gegen die Tür, meine Stirn an dessen Oberfläche und schloss die Augen, um Ruhe zu bewahren.
"Bitte hass mich", kam es dann von der anderen Seite, "bitte hass mich dafür." Schwach, gebrochen und weinerlich. Mein Herz schmerzte unsäglich.
"Das werde ich nicht", sagte ich so sanft es mir möglich war, "das könnte ich nicht."
"Aber das brauche ich, damit ich weiß, dass es ein Fehler war."
Diesmal achtete ich darauf, dass ich meine Worte weise wählte. "Das weißt du auch so, wahrscheinlich betrinkst und folterst du dich deswegen. Lass mich rein, lass mich dir helfen, lass uns reden."
"Ich will nicht." Er verfiel wieder in seine kalte Defensive, in der es schien, als würde ihm nichts etwas anhaben können.
"Wir müssen auch nicht reden, aber lass mich bitte rein. Ich mache mir Sorgen um dich."
"Dann hör auf, dir Sorgen zu machen."
"Das geht nicht so einfach." Ich lächelte erschöpft über seine kindliche Art, mich los zu werden. Dann holte ich tief Luft und ließ sie wieder frei. "Ich weiß, warum diese Tür zwischen uns ist, ich kenne dich, zumindest diesen Teil von dir." Ich legte meine Hand an die Tür, als würde es die emotionale Bindung zu ihm stärken können. Es machte mich krank, dass ich nicht wusste, wie ich handeln sollte und ob meine bisherigen Versuche überhaupt etwas bezweckten.
"Tust du nicht, das denkst du nur." Wohin sollte das hier führen? Und wie sollte es danach weitergehen? Was hatte das alles für eine Bedeutung?
"Willst du denn nicht, dass ich dich kenne?", fragte ich, daraufhin folgte Stille. Hatte ich das Eis vielleicht gebrochen? Jede Sekunde fühlte sich wie eine Minute an, jede Minute wie eine Stunde, in der meine Haut vor Ungeduld zu jucken begann.
Ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen und kam zu dem Entschluss, dass ich nicht länger warten konnte. "Möchtest du die nächsten Stunden lieber mit mir oder deinen Schuldgefühlen verbringen?", ich schluckte, "Denn ich kann dir versichern, dass Letztere dich nicht trösten werden."
Seine Schuldgefühle würde er durch mich nicht verlieren und ich musste mir klar machen, dass ich ebenso wenig seine negativen Verhaltensweisen ausradieren konnte, aber in mir verbarg sich die Hoffnung, dass ich ihm gerade so viel Willen und Mut abgeben konnte, dass er versuchen würde, daran zu arbeiten. Ich hatte keine Ahnung, womit ich es außer dem Offensichtlichen zu tun hatte. Fest stand nur, dass ich ihn unter keinen Umständen allein lassen würde. Selbst, wenn es mich meinen Lebenswillen kosten würde.
Ich zuckte zusammen, als es klickte und die Tür unter meinem Gewicht nachgab. Ein Funken Aufregung entfachte meine Hoffnung. Yoongi war schnell darin, sich von mir zu entfernen und entfloh somit meiner geplanten Umarmung, aber es war wohl besser so, ich würde ihn zu nichts zwingen wollen. Er trug nun wieder eine Jogginghose, wie ich bemerkte und innerlich kritisierte, wenn ich an seine Wunden dachte. So wie eben ließ er sich auf den Stuhl sinken und zog sich in seine Gedanken zurück.
"Ist es, weil du nicht willst, dass ich sie sehe?" Ein kurzer Blick zu mir verriet Yoongi, dass ich auf seine Hose deutete. "Ja", brummte er. Seine plötzliche Ehrlichkeit brachte mich kurzzeitig aus der Fassung. Ich verstand ihn, so sehr ich das auch nicht wollte, doch damit konnte ich mich nicht abfinden. "Willst du einfach so tun, als wäre das eben nicht passiert?", fragte ich konfrontierend, "Denn das kann ich für meinen Teil nicht und das hast du damals bei mir auch nicht getan." Die Wohnung hätte eine ungemütlichere Atmosphäre nicht füllen können, meine Stimmung durchschneidenden Worte mischten ihr eine raue Note bei. Die Luft fühlte sich verseucht an, als würde mir beim Einatmen Sandpapier die Luftröhre zerkratzen. Es war schwer, mit voller Überzeugung zu reden, wenn die Worte mir fast im Hals stecken blieben. Yoongi hingegen sah aus, als würde es ihm gleich sein, wer vor ihm saß und er schaute Interesse suchend umher, um dies zu unterstreichen, doch ich kannte ihn genug, um zu wissen, dass es ihm mindestens genauso unangenehm war, wie mir.
"Ich weiß, dass du dieser Situation entfliehen möchtest... Ich verstehe das und je schneller wir das hier getan haben, desto schneller entkommst du ihr." Ich stellte die Tüte, die mir Jinhwan übergeben hatte, auf dem winzigen Tisch ab.
"Was hast du vor?" Er wirkte williger, jedoch müde, tat nicht viel mehr, als seine Augen zu bewegen. "Die offenen Wunden zu versorgen, die sahen nicht so gut aus." Ich schaute ihn flehend an, als sich sein Blick hob. Er haderte mit sich selbst, schien innerlich abzuwägen. "Nichts weiter", fügte ich vorsichtig hinzu.
Er schien wohl einzusehen, dass mit dem Strom zu schwimmen ihn schneller an sein Ziel bringen würde. Der Schwarzhaarige stand langsam auf und löste die Schleife seines Hosenbundes. Derzeit packte ich die Tüte aus. Verbandszeug, Salbe, Schmerztabletten - alles da. Ich schätzte es, dass man auf ihn zählen konnte. Als ich das nächste Mal zu meinem Freund schaute, saß er wieder auf dem Stuhl, in Boxershorts, hatte seine Jogginghose in der Hand. Ich schluckte schwer und begab mich zu ihm, kniete mich vor ihm hin und begann, die Haut um die Schnitte herum zu säubern. Mir kam in den Sinn, einen Witz darüber zu machen, dass ich ihm in dieser Position unter anderen Umständen ganz andere Abhilfe hätte leisten können, aber mir war bewusst, dass wir noch lange nicht bereit für Witze waren und die Stimmung mit nichts aufzulockern war. Wir mussten sie wohl oder übel einfach ertragen.
"Warum bist du nicht enttäuscht? Warum verlässt du mich nicht?" Ich trug gerade ein Pflaster auf, als er fragte. Es war seltsam, dass ich diese Frage kannte. "Das habe ich dich damals auch gefragt und warum bist du geblieben?" Ich war dankbar dafür, dass er mit mir redete.
Als wäre es eine Selbstverständlichkeit und ich bei weitem besser als er, sagte er: "Ich bin aber nicht du."
"Deswegen werde ich dich auch nicht für diese Narben hassen." Ich wagte es, ihm in die Augen zu schauen, doch er sah zur Seite und eine weitere Stille brach über uns herein.
Ich verband nur den größten, am stärksten blutenden Schnitt, die anderen - auch ein paar ältere Wunden - konnten guten Gewissens mit Pflastern abgedeckt werden. Yoongi ließ sich den Schmerz nicht ein einziges Mal anmerken und blieb starr in seiner Haltung, obwohl ich ihm gesagt hatte, er solle Bescheid geben, wenn es zu sehr weh tat. "Das war's schon", gab ich bekannt und tätschelte zärtlich sein Knie, "Heute Abend oder morgen früh machen wir die Salbe drauf, mal sehen wie weit sie bis dahin heilen."
"D-Du bleibst? Bis heute Abend oder morgen früh?" Seine Augen waren groß, als er das fragte.
"Ja." Ich hoffte, dass er sich damit nicht zu eingeengt fühlte, doch es kam anders.
"Danke", hauchte er und ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, bevor er das Gesicht in den Händen vergrub.
"Ach, Yoongi." Ich erhob mich und umarmte ihn - oder wohl eher seinen Kopf - was er dankend annahm. "Ich habe doch gesagt, dass ich dich nicht mehr alleine lasse."
"Ich habe einfach solche Angst", offenbarte er.
"Warum frisst du das in dich hinein?" Ich klopfte ihm sachte auf die Schulter.
"Ich will dir nicht noch mehr Leid aufbürden. Ich habe so Angst, uns wieder zu zerstören. Wie soll ich dich richtig lieben? Ich kann nicht mal mich selbst versorgen. Diese Narben sind so hässlich und widerlich."
Ich hockte mich hin, sodass ich meine Hände an seine Wangen legen und ihm in die Augen schauen konnte. "Wenn wir es wollen, dann werden wir es schon schaffen uns richtig zu lieben und einander zu unterstützen anstatt zu verletzen. Und deine Narben... nichts ändert den Fakt, dass ich dich liebe." Ich küsste seine Stirn liebevoll. "Ich liebe dich. Mit allem oder nichts." Yoongi weinte und diesmal war es endlich so weit, dass er seinen Schmerz mit mir teilte, anstatt ihn vor mir zu ertragen. "Du liebst eine gebrochene Person", schniefte er zwischen Schluchzern.
"Du auch", sagte ich traurig, "aber manchmal können sich zwei gebrochene Menschen gegenseitig ergänzen." Endlich teilten wir auch einen Blick und ich konnte erkennen, dass er hoffte, dass dies wahr war, genauso wie ich. Es würde schwer sein, mehr als das, aber ich glaubte daran, dass wir es hinbekommen würden. Denn wer war ich, um ihn an diesem Punkt nicht am meisten zu lieben.
Plötzlich gähnte der Ältere stark, worauf ich traurig lächeln musste. "Du bist übermüdet", stellte ich fest, "Wie viel hast du heute Nacht geschlafen?"
"Ich habe nicht geschlafen." Er hielt sich den Kopf.
"Dann würde ich vorschlagen, dass du dich erst einmal schlafen legst." Er nickte zustimmend, wie ein Kind, das einsah, zu lange aufgeblieben zu sein. "Wann genau hast du den Alkohol getrunken?" Eine letzte Frage noch, dann würde ich ihn in Ruhe lassen.
"Gegen drei, halb vier habe ich aufgehört." Er grummelte ungemütlich.
"Gut, dann kannst du jetzt eine Tablette nehmen." Ich hielt ihm die Verpackung hin und füllte sein Glas auf, während er sich bediente.
Ich unterdrückte jegliche Reaktion auf seine Wohnsituation, während ich sein Bett von einigen Sachen frei räumen musste. Ich, weil er sich einfach ins Bett gelegt hätte. Dieses war nicht allzu groß, ich würde wohl noch hineinpassen, aber in diesem Moment wollte ich ihm nicht zu sehr auf die Pelle rücken. "Wenn du wieder aufwachst, werde ich immer noch hier sein. Vergiss das nicht, damit du dich nicht wunderst." Ich hatte ihn sorgfältig zugedeckt und strich ihm durchs Haar, während er sich bemerkbar versuchte, im Kissen zu verstecken. Jetzt, wo sich die Situation entspannt hatte, verspürte ich den Drang, mich bei ihm zu entschuldigen. Dafür, dass ich es herausgefunden hatte. Dafür, dass er sich nun fühlte, wie ich es damals getan hatte. Entblößt, beobachtet, verurteilt. Aber als ich mich zu ihm herunter beugte, meine Nase in sein mattes Haar grub und ihm einen Kuss auf den Ansatz drückte, verlor ich keine anderen Worte als: "Ich liebe dich." Denn ich wusste nicht, wie schlecht es wirklich um ihn stand und ein paar unangenehme Tage oder gar Wochen waren mir lieb zu Opfern, wenn kein weiterer Tag mit ihm auf dem Spiel stand.
Mein Geständnis schien er nicht mehr zu hören oder es schlichtweg zu ignorieren, doch darauf achtete ich gar nicht, denn ich war froh, wieder eine Wand zwischen uns zu bringen und in der Küche auf den mickrigen Stuhl zu sinken. Denn ich wollte nicht, dass Yoongi mitbekam, dass ich bei vorherigem Gedanken Schwierigkeiten hatte, meine Tränen zurückzuhalten und nun auf seinem kleinen Tisch zusammenbrach, Tränen meine Wangen fluteten und ich bei vorgehaltener Hand mit Mühe meine wehleidigen Schluchzer zu unterdrücken versuchte.
Im Endeffekt waren wir gar nicht so verschieden.
It's got to get worse before it gets better
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[ Danke fürs Kommentieren und Voten ]
hewo
danke fürs Lesen
i hope y'all are doing fine - if not, please don't lose hope
i'm here to remind you dass es wichtig und manchmal notwendig ist, sich die Zeit für eine Pause zu nehmen und euch das jederzeit genehmigt sein sollte. i know, Schule/Arbeit/anythingelse ist stressig und ermüdent und sie verlangt einem manchmal alles bishin zum Lebenswillen ab, aber i want you to know, dass euer Leben nicht nur Schule und Arbeit (oderanythingelse) ist und ihr jegliches Recht dazu habt, dieses zu leben und so zu gestalten wie es euch glücklich macht. Seid nicht zu hart zu euch selbst und behandelt euch selbst, wie ihr eure besten Freunde behandeln würdet, wären sie in eurer Position
danke, ily, tschüss
stay strong, it's all gonna work out <3
also, stream black swan
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