#28 It's too cold outside
"Haben Sie je etwas begangen, für dass Sie Ihre gerechte Strafe noch nicht bekommen haben?"
"Wissen Sie, was ich an Ihnen so interessant finde? Normalerweise stelle ich hier die Fragen."
"Ich rede nicht gerne über mich selbst, deswegen war ich auch nicht von einer Therapie überzeugt."
"Aber Sie haben sich trotzdem für eine entschieden, weshalb?"
"Ich habe keine Lust, mich umzubringen. Das würde irgendwie meinem Ruf schaden, oder nicht? Ich will es nicht als schwach bezeichnen, denn ich kannte mal eine Person, die es tun wollte, ich aber nicht als schwach ansehe. Ich bin einfach nicht der Typ dafür, wissen Sie? Durch Leid still und heimlich dahin vegetieren und zwischendurch ein paar Menschen verärgern, mit der furchtbaren Person, die ich bin, der Typ bin ich."
"Das hat nicht ganz meine Frage beantwortet."
"An meine haben sie ja nicht mal einen Gedanken verschwendet."
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Pov Jimin
Früher hatte ich immer gedacht, Autoren würden in ihren Geschichten übertreiben, eine Szene bis zum Erbrechen in ihre Details zerlegen, damit alles schöner wirkte. Aber ich realisierte, dass das, was Autoren in mehreren Absätzen beschrieben, in Wirklichkeit in ein paar Sekunden passierte, wenn ich ihm gegenüber lag und sich unsere Blicke trafen. Die Farbe seiner Augen, die so viel mehr ausstrahlte, als ein einfaches, warmes Braun. Man sagte, das Auge sei das Fenster zur Seele und irgendwo machte es Sinn. Unsere Seele saß hinter glasigen Mauern und beobachtete die Außenwelt, das, was wir Leben nannten. Komisch, wenn man darüber nachdachte, dass ich in diesem Moment seine Seele betrachtete und nicht nur einen schwarzen Kreis umrundet von einem weiteren, farbigen Kreis. Noch seltsamer, dass ich dies ebenfalls mein Zuhause nannte. Ihn generell. Seine Arme bildeten ein süßes Gefängnis um meine zerbrechliche Figur und nie wollte ich irgendwo auf Ewigkeit so gefangen sein. Ich fühlte mich am sichersten, wenn er mich bei sich hielt. Ich offenbarte ihm so viele Arten und Weisen mich zu brechen, auszunehmen und zu zerstören, alles gehalten von den hauchdünnen Fäden des Vertrauens.
Wie war es überhaupt so weit gekommen? Wann war ich gefallen und warum hatte ich es nicht gemerkt? Wie war es passiert, dass sich ein Engel in den Fängen des Teufels wohler fühlte, als im paradiesischen Himmel? Wie konnte er sich in den Teufel verguckt haben? Wie waren sie, zwei Welten, die das Wort Gegensatz definierten, in Kontakt getreten und kollidiert?
Früher hatte ich mich immer gefragt, warum der Teufel mich bei sich in der Hölle gefangen hielt, dort, wo ich Tag für Tag den Qualen seines eigenen Leides ausgesetzt war. Heute, wo ich wusste, dass er mich geliebt hatte, fragte ich mich, warum er mich freigelassen hatte. Ich würde ihn wohl immer in Frage stellen.
"Ich therapiere dich zwar noch nicht lange, aber so still warst du bisher noch nie."
Der Therapeut zog mich an die Oberfläche, als wäre ich ein Karpfen, der aus dem Teich seiner Gedanken gefischt wurde. Er hatte recht, ich war recht nachdenklich heute. Meine Gedanken drehten sich hauptsächlich um einen älteren Mann, der mich vor drei Jahren verlassen hatte und ich konnte sie nicht stoppen, sie kamen und gingen wann immer sie wollten.
"Haben sie schon mal jemanden geheilt?", fragte ich, Herrn Park forsch betrachtend. Der Therapeut schaute mich an, als würde ich ihm weiß machen wollen, dir Erde wäre eine Scheibe, bis er begriff. "Ich bin nicht in der Lage Menschen zu heilen, ich bin höchstens da um ihnen zu helfen."
"Aber ich möchte, dass er geheilt wird." murmelte ich bedauernd und schlang meine Arme um meine eigenen Beine.
"Über wen redest du, Jimin?", fragte er, als wäre es ihm nicht schon mehr als bewusst. "Yoongi." Ich antwortete ihm trotzdem in unter einer Sekunde. "Ich weiß ja nicht, ob er immer noch mit sich selbst kämpft und ob es überhaupt wahr ist, dass er das tut, aber ich hoffe, dass er sich Hilfe sucht und dass er geheilt wird. Ich will, dass er gesund ist."
"Woher weißt du, dass er auch diesen Kampf führt?"
"Es ist ein Krieg", korrigierte ich ihn. "Hoseok hat es mir gesagt."
"Und das ist...?"
"Ein alter Freund." Ich war noch nicht bereit dazu, ihm von der Sache zu erzählen, die vor drei Jahren passiert war. Es war derselbe Monat, im November fühlte sich das Erlebnis immer so nah an. Generell setzte mir die Kälte des eintretenden Winters mehr zu, als sie sollte. Sie umhüllte mich, wie ein Netz, gespinnt aus all den schmerzvollen Ereignissen aus der kalten Jahreszeit und würde ich über die Vergewaltigung sprechen, würde es sich zuziehen und mir die Luft abdrehen, während ich mich in den Strängen verhedderte.
"Er hat mich besucht vor ein paar Wochen und mir davon erzählt. Yoongi soll dieselben Probleme wie ich haben und es soll auch ein Grund gewesen sein, warum er mich verlassen hat, deswegen hoffe ich, dass seine Wunden verheilt sind. Irgendwie will das aber noch nicht bei mir ankommen, Hoseok hat zwar keinen Grund mich anzulügen, aber aus unerklärlichen Gründen will ich Yoongi glauben. Selbst wenn er mich verlassen hat, weil er denkt, er hätte mir nur geschadet, er hat mich trotzdem zusätzlich betrogen und mir diese Karte hinterlassen. Das macht doch keinen Sinn, oder?"
Herr Park wusste nicht, was er sagen sollte, saß mit großen Augen dort und sah mich an, fast schon so, als würde etwas in seinem Kopf arbeiten und arbeiten, aber nicht zu einem Ergebnis kommen. Vieles von dem, was ich erwähnte, hatte er noch nicht gewusst, womöglich war es deswegen. Darauf nahm er das Notizbuch von dem kleinen Tisch zwischen uns und kritzelte einige Stichpunkte auf das weiße Papier. "Nein, das macht keinen Sinn", sagte er dann entschlossen, was ich lustig fand und belächelte. "Weißt du, was ihn geplagt hat? War es auch Selbsthass?"
"Ja, soweit ich es verstanden habe."
"Menschen, die sich selbst mit geringem Wert sehen, tendieren oft dazu, jemanden von ihrer eigenen Ansicht von sich selbst zu überzeugen, wenn dieser ihm das Gegenteil weiß machen will. Vielleicht wollte er dir einen Grund geben, ihn auch zu hassen."
Ein Schauer rannte mein Rückgrat hinunter, was sich unheimlich anfühlte. "Es ist gruselig, dass das Sinn machen könnte", gab ich an, "aber ich könnte ihn nie hassen." Der Therapeut legte den Kopf schief, was nur ein Folgen meiner Bewegung war, als ich mich zur Seite kippen ließ und meine Wange das kalte Leder begrüßte. "Ich bereue ja auch nichts, was ihn angeht. Ich bereue ihn nicht, egal, was er getan hat. Von den Zeiten, in denen er am Rande der Verzweiflung stand und getrunken hat bis zu der Art, wie er uns beendet hat. Ich weiß, wie wir angefangen haben und wie wir verlaufen sind und wie glücklich er mich gemacht hat. Ich werde ihn nie bereuen."
"Das ist schon mal eine gute Einstellung", fand Herr Park.
"Finden Sie?", fragte ich und er nickte. "Ich meine, sie ist ja nicht falsch. Er war nicht falsch. Nun gut, das ist Ansichtssache", gab ich zu, "aber er hat mich wirklich sehr glücklich gemacht. Ich habe letzte Woche mit Jungkook über ihn geredet und wir sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ich nicht von ihm loskomme, weil ich nicht von ihm loskommen will. Ich meine, das hatte ich schon irgendwo gewusst, aber anscheinend wollte ich diesen Fakt noch nicht annehmen."
"Wahrscheinlich weil du nie wirklich abgeschlossen hast", sagte Herr Park. "Er hat dich einfach verlassen, ohne dass du es kommen sehen konntest und es tut weh, wenn die Geschichte noch nicht zu Ende ist, aber jemand aufgehört hat, sie zu schreiben."
"Er hat aufgehört, sie zu schreiben", legte ich fest, obwohl es genau so gut das Schicksal gewesen sein hätte können, um uns beide weiter für eine verbotene Liebe zu bestrafen. "Aber so aus dem nichts kam das gar nicht, zumindest nicht für ihn, kann ich mir vorstellen. Er hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können. In diesem Stadtteil war alles neu, die Gegend, die Wohnung, selbst die Wohnsituation. Ohne ihn ist es als würde eine neue Geschichte beginnen, so etwas wie eine Fortsetzung."
Ich drehte mich auf den Rücken, richtete meinen Blick auf die Decke des Zimmers. "Aber warum kann ich dann nicht fliegen? Sagen Sie, kennen Sie das Lied The A Team?"
"Ich... denke nicht", kam es von Herrn Park.
"Dort wird gesagt, dass es zu kalt ist für Engel, um zu fliegen, aber ich frage mich, warum? Warum können Engel nicht fliegen, wenn es kalt ist? Warum kann ich nicht fliegen?"
"Weil du nur einen Flügel hast." Ich drehte meinen Kopf in Richtung des Therapeuten. "Wie bitte?"
"An deiner Kette hängt nur ein Flügel, wo ist der andere?"
Plötzlich machte alles Sinn und ich brachte nur ein "verloren." hervor, während ich den Anhänger meiner Kette umfasste, so wie ich es tagtäglich machte, um sicherzugehen, dass er noch da war. Es war mir unangenehm, dass ich nicht selbst darauf gekommen war.
Mir offenbarte sich eine neue, aber vollkommen offensichtliche Erkenntnis. Den anderen Flügel hatte ich Yoongi in die Jackentasche gesteckt, als wir uns das letzte mal umarmt hatten. Aber mit nur einem Flügel konnte ich nicht fliegen, er war nicht mehr als ein Teil eines kaputten Paares schöner Federn. Mir blieben also nur zwei Optionen, um etwas mit meinem Leben anzufangen: den zweiten Flügel irgendwie wiedererlangen, damit die Leere in meinem Herzen füllen und ein wichtiges Teil dem Puzzle meiner selbst hinzufügen oder mich auch vom zweiten Flügel trennen, ihn abzulegen und dem Engel Dasein vollkommen den Rücken zukehren. Vielleicht würde mir der Himmel verzeihen, würde ich mich auf der Erde auch endlich wie ein Mensch verhalten. Rational, unmenschlich und immer auf der Suche nach Veränderung. Aber ich musste mich entscheiden, was mir nicht schwer viel, weil eine von beiden Möglichkeiten unmöglich war.
"Haben Sie ihn nach seinem Namen gefragt?", fragte ich auf einmal laut und bestimmt.
"Wen?"
"Den Patienten, an den ich Sie erinnert habe letzte Woche, können Sie mir seinen Namen sagen?" Ich setzte mich aufrecht hin und schaute den Therapeuten an.
"Nim Jiwon", sagte er dann mit einem Lächeln. Ich zögerte zunächst, dieser Name war mir unbekannt und ich wusste nicht, welcher Mensch dahinter steckte. "Fragen Sie ihn bitte, ob Sie mir über ihn erzählen dürfen."
"Ist notiert." Der Mann lächelte und schrieb es sich tatsächlich auf, was mir ein gutes Gefühl gab. Er nahm mich ernst.
"Damit ist die Stunde auch schon wieder rum", bedauerte ich, "vergeht immer wie im Flug." Ich mochte es hier tatsächlich, ich fühlte mich wohl. "Bis nächste Woche, pass auf dich auf", das Lächeln von Herrn Park war groß, als wir uns voneinander verabschiedeten. Ich verließ den Raum und betrat den großen Flur. Jin würde draußen auf mich warten, er hatte mir angeboten, mich ins Café zu fahren, was mich trotz meiner Bescheidenheit erleichterte. Gefahren zu werden war viel angenehmer, als zwei mal umzusteigen und zwischen Bus und Bahn hin und her zu springen.
Ich trat meinen Weg also mit einem gutem Gefühl an, schaute mich um, bis zwei meiner Sinne etwas bekanntes auffingen. Mich durchfuhr plötzlich ein elektrischer Stoß, der mich intuitiv anhalten und meinen Kopf in die Richtung schnellen ließ, in der ich meinte, jemanden gesehen zu haben. Ich starrte den Flur hinunter, aber er war nicht mehr da, musste weitergegangen sein.
Für einen Moment dachte ich, seine zierliche Statur wiedergesehen zu haben. Ich meinte, seine unverwechselbare Stimme nach so vielen Jahren wieder gehört zu haben. Und ich dachte, das Lächeln wiedererkannt zu haben, dem ich damals verfallen war.
Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und behielt sie dort, fühlte mich komplett verloren und zurückgeworfen in einem Flur voller Menschen und stellte meine Sinne in Frage. Aber für mich gab es keinen Zweifel. Der Teufel war mir wieder über den Weg gelaufen.
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[Danke fürs Voten und Kommentieren]
Noch ungefähr 3 Kapitel sjdksjk ich freue mich so uwu
Habt einen schönen Tag und morgen einen guten Start in die Woche, ich hoffe sie wird schmerzfrei für euch verlaufen♡
{260818}
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