~ Kapitel 14 ~

Ich habe es zuerst gar nicht gemerkt. Ich habe nicht gemerkt, wann genau ich anfing zu weinen. Es ist schließlich einfach nur ein Weinen. Ein stummes Weinen, das allein durch Worte ausgelöst wurde. Verletztende Worte. Worte, die ich aus dem Mund einer Person gehört habe, von der ich es niemals erwartet habe. Meinem Freund habe ich so etwas nicht einmal annähernd zugetraut.

Doch jetzt ist er weg und ich sitze hier. Weinend und alleine inmitten von einem Parkplatz. In einer versteckten Ecke zwischen zwei Autos auf dem Randstein. Meinen Kopf habe ich auf meine Füße gelegt. Ich bin dabei meine Außenwelt um mich herum völlig auszublenden, als ich plötzlich eine Stimme höre.

"Ashley?" ein einziges Wort. Doch allein dadurch weiß ich wer es ist. Ich kann diese Stimme sofort zuordnen. "Hau ab" sage ich jedoch. Völlig ausdruckslos. Ohne auch nur für einen Moment nach oben zu schauen. Ich will ihn jetzt nicht sehen. Nicht ihn. Gerade ihn.

"Du wirst sonst krank" meint er daraufhin jedoch einfach nur. "Und was interessiert das dich?" eigentlich will ich, dass meine Stimme laut, veständlich und klar herauskommt, aber ich weiß das dem nicht so ist. Nicht wenn ich nebenbei am Weinen bin und meinen Kopf auf meinen Knien abgestützt habe.

"Komm jetzt, bitte" sagt er daraufhin. Und dies ist der Moment in dem ich meinen Kopf hebe. Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn an. Er steht einfach nur da und sieht mich an. Er sieht mich in dem Moment an, in dem ich völlig verheult vor ihm sitze und wahrscheinlich wie eine Vogelscheuche aussehe.

Doch nicht nur die Tatsache, dass er heute mit mir geredet hat und mich vor meinem Freund sogar verteidigt hat, macht ihn für mich zu einem bisschen besseren Menschen. Nein auch die Tatsache, dass er jetzt hier ist. Bei mir und mir hilft. Es ist bewundernswert. Ich weiß nämlich nicht warum er dies überhaupt macht.

"Komm" sagt er daraufhin noch einmal und hält mir seine Hand hin. Ich zögere einen Moment, doch schlussendlich nehme ich sie
und lasse mir beim Aufstehen helfen. In dem Moment, als ich meine Hand in Lukes lege, damit ich aufstehen kann, durchfährt mich ein Schauder. So etwas habe ich noch nie gespürt, aber ich schiebe es einfach mal auf die Kälte. Schließlich bin ich einige Minuten einfach nur auf dem kalten Boden gesessen.

"Danke" sage ich leise, als ich nun vor ihm stehe. Er sieht mich immer noch genau an. Und ich will nicht wissen, was im Moment in seinem Kopf herumgeht.

~~~

"Ich nehm einfach den nächsten Bus" sage ich nach einer Weile. Luke und ich sind die letzten Sekunden einfach nur wortlos nebeneinander gelaufen. So lange bis wir wieder an dem Eingang des Hotelparkplatzes angekommen sind. "Alleine, um diese Uhrzeit?" hackt er nach und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.

"Warum nicht?" entgegne ich schulterzuckend und wische mir meine verlaufene Wimperntusche etwas weg. Auch wenn es dies wahrscheinlich nur noch schlimmer macht. "Das ist viel zu gefährlich" meint Luke daraufhin und sieht mich genau an. Diese blauen Augen. Ich weiß nicht, was ich in ihnen so finde. Aber irgendetwas ist es.

"Du bist heute viel zu nett zu mir" sage ich leise, da ich diesen Gedanken einfach nicht für mich behalten kann. "Ich kann, wenn ich will" entgegnet Luke knapp. Und auch wenn ich mir in diesem Moment so sehr gewünscht habe, dass er einfach nur ein einziges Mal lächelt, tut er dies nicht. Er tut es eigentlich nie. Ich habe ihn noch nie richtig lächeln sehen.

"Weißt du wann der nächste Bus kommt?" will ich daraufhin von ihm wissen. "Ich habe in einer viertel Stunde Feierabend, dann bring ich dich nach Hause" bietet Luke mir an. Ich zucke lediglich mit den Schultern. Ich bin im Moment einfach nicht in der Lage zu widersprechen.

Denn alles, was mir im Moment durch den Kopf schwirrt sind Alex und Luke. Der eine mein Freund, der mich heute Abend wie Dreck behandelt hat, der andere mein neuer Nachhilfelehrer, der zu Beginn den Eindruck gemacht hat, mich zu hassen und nun dennoch für mich da ist. Und das, was mich an der ganzen Sache am meisten überrascht ist, das Luke und Alex sich kennen. Und die beiden scheinen sich wirklich zu hassen.

So viele unbeantwortete Fragen und ich weiß, dass ich so schnell auch keine Antworten auf all meine Fragen bekommen würde. Es würde eine gewisse Zeit dauern.

~~~

"Komm mit" sagt Luke an diesem Tag schon zum dritten Mal zu mir. "Wieso soll ich dir vertrauen?" frage ich ihn daraufhin. Da er schon vorausgelaufen ist, dreht er sich um. "Weil ich dich niemals verletzten würde. Nicht absichtlich" antwortet er mir. Und zum ersten Mal hören sich Lukes Worte nicht völlig emotionslos und kalt an. Sie hören sich einfach nur ehrlich an.

Und ich weiß nicht warum, aber ich folge ihm wortlos. Ohne etwas weiteres zu sagen, laufe ich nun neben ihm. Ich weiß zuerst nicht wohin wir laufen, doch als wir den Parkplatz verlassen und immer weiter in Richtung einer sehr nahgelegenen Bushaltestelle gehen, wird es mir klar. Damit hat sich meine Vermutung, dass Luke kein Auto hat, bestätigt. Aber dies ist
mir völlig gleichgültig. Ich habe schließlich selbst auch keins. Ich brauche auch keins.

"Der nächste Bus kommt in 5 Minuten" sind Luke Worte, nachdem wir an der Bushaltestelle stehen geblieben sind. Er sieht mich nicht an, aber dennoch ist klar, dass er mit mir spricht. "Luke?" frage ich allerdings daraufhin leise. Und in diesem Moment dreht er sich zu mir um und schaut mir in die Augen. Als er mich fragend ansieht, sage ich einfach nur "Dankeschön". Doch anstatt eine Antwort von ihm zu bekommen, nickt er mir lediglich zu bevor er sich wieder von mir abwendet und sein Handy aus der Hosentasche holt.

Und es dauert nicht lange, bis er wieder einmal in dieses vertieft ist. Doch anstatt meinen Blick von ihm abzuwenden, beobachte ich ihn einfach. Und dies genau so lange bis der Bus langsam an die Bushaltestelle heranfährt.

~~~

"Wo wohnst du?" fragt mich Luke kurz bevor der Bus hält. Nachdem ich ihm meine Adresse genannt habe, steigen wir in den Bus ein. Luke legt dem Busfahrer seine Busfahrkarte vor, wahrscheinlich eine Monats oder Jahreskarte, wenn er immer mit dem Bus fährt. Und gerade als ich mir selbst eine Karte kaufen will, da ich meine Busfahrkarte nicht mitgenommen habe, hat Luke schon für mich bezahlt.

"Danke" sage ich leise und behalte das Geld in meiner Hand um es ihm gleich zurückzugeben. Und als wir uns schließlich ganz nach hinten in den so gut wie leeren Bus gesetzt haben, will ich genau dies tun. Ich strecke meine Hand aus und will Luke das Geld geben, als er einfach nur seinen Kopf schüttelt. "Passt schon" sagt er lediglich und sieht daraufhin aus dem Fenster.

Eine Sache war klar. Ich wurde aus diesem Jungen einfach nicht schlau.

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