V
So geschah es auch. Im Morgengrauen brachen wir auf. Anfangs war es still. Ihr Blick war nachdenklich nach vorne gerichtet, während ich mich neugierig im Wald umsah. Die Abende verbrachten wir im Zelt.
Ich versuchte oft ein Gespräch aufzubauen, doch die meisten meiner Versuche blieben ohne Erfolg. Am dritten Tag erfuhr ich vier Dinge über sie: Ihr Name war Kiana, ein schöner Name wie ich fand, sie war gerade einmal zwanzig, trotzdem war ihre Famile bereits verstorben. Sie hingegen wusste meine gesamte Lebensgeschichte. Sie meinte stets, dass ich leise sein sollte, wann immer ich ein Gespräch begann, aber ich wusste, dass sie zuhörte. Ihre Körpersprache verriet sie.
Im Lauf unser Reise zeigte sie mir viele überlebenswichtige Kenntnisse in der Wildnis. Jeden Abend übten wir, Feuer zu entfachen. Anfangs fiel es mir nicht leicht, doch es gelang mir immer besser. Als wir einen Bach passierten, fingen wir gemeinsam Fische. Weil ich meistens aufgrund meines fehlenden Gleichgewichts in die Nässe stürzte, verscheuchte ich die meisten Fische und hielt zum Schluss pitschnass meinen Fang hoch. Kiana verdrehte wegen meiner Reaktion nur die Augen. Im Wald brachte sie mir das Fährtenlesen bei. Dabei sprach sie nur das Nötigste.
Die Sonne ging auf und verschwand wieder. Der Mond und die Sterne erschienen. Irgendwann verlor ich den Überblick über die Tage. Eines Nachts lag ich im Gras und schaute in den Sternenhimmel. Egal wie weit wir gingen, er sah immer gleich aus und das vertraute Gefühl, das dabei in mir entflammte, beruhigte mich.
In dieser Nacht gesellte sich zum ersten Mal Kiana zu mir. Stille umhüllte uns, doch trotzdem genoss ich ihre Gesellschaft. Trotz ihrer abweisenden Haltung war sie langsam ein Teil meines Herzens geworden...
Die Sterne stehen leuchtend hell über uns. Ausgeglichen beobachte ich sie und warte sehnsüchtig auf die nächste Sternschnuppe, die den Nachthimmel erhellt. Plötzlich spricht eine weibliche Stimme. Sie gehört Kiana. ,,Als Kind lag ich oft nachts im Gras mit meinem Vater, der mir die Geschichten hinter den Sternbildern erzählte. Die des kleinen Bärs war meine Liebste. Eines Winters verlor er die Spur seiner Eltern im Schneesturm und suchte sie seitdem verzweifelt. Auf seinem Weg rettete er vielen Tieren das Leben und sie wurden Gefährten. Irgendwann wurde er todkrank. Niemand konnte ihm mehr helfen, weswegen er sich zum Sterben zurückzog. Aus Mitleid über sein Leiden, seine Taten und sein gutes Herz kamen die Sterne herunter, tanzten um ihn herum und holten ihn schließlich zu sich hinauf. Seit diesem Zeitpunkt wandert er über den Sternenhimmel immer auf der Suche nach Hilfsbedürftigen! Mein Vater erzählte mir dies jede Nacht, bis er starb. Es war nicht die Seuche, sondern er fiel bei einer Rettungsaktion in eine Schlucht. Jetzt ist er der kleine Bär, der mich begleitet. Ich fühle mich seitdem niemals wieder alleine. Auch nicht als meine Mutter und mein Bruder starben. Ihre Haut wurde zu Stein. Meine Schwester und ich flüchteten in die Wüste. Dort verlor ich auch sie. Jahrelang suchte ich sie. Aufgeben werde ich sie nie. Seitdem kämpfe ich mich mit der Angst im Hinterkopf durch die Wildnis. Ich habe viele unmenschliche Bedingungen überlebt und habe viele Herausforderungen gemeistert." Geschockt versuche ich, ihre Geschichte zu verarbeiten. Ich spüre ihren Schmerz am ganzen Leibe. Nun habe ich das Gefühl, ihre Art mehr zu verstehen...
Ich umarme sie schließlich, weil ich keine Worte finde, die ihr helfen können. Überraschenderweise zieht sie mich kurz enger an sich. Danach richtet sie sich schnell auf und fordert: ,,Geh schlafen. Morgen müssen wir die Wüste durchqueren." Ich folge ihrem Befehl.
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