4. Kapitel

Die Kreatur wand sich dem Gehen und schwarze Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen. Der Schmerz geriet in den Hintergrund und alles wurde taub, während meine Augen nach denen von Emma suchten. Das Wesen schliff Emma hinter sich her über den trockenen Boden. Ich sah sie schreien, doch ich hörte nichts, als säße ich hinter einer dicken Glaswand. In ihren Augen lag Angst und Schmerz, so viel, dass es mir im Herzen weh tat. "Halt durch, ich werd dich finden, versprochen", versuchte ich ihr hinterherzurufen, doch mir fehlte die Kraft meine Lippen zu bewegen. Alles verschwamm und wurde dunkel. Mein Kopf pochte und ich sackte in mich zusammen, während ich noch spürte, wie das dickflüssige Blut von meinem Kopf auf den Boden tropfte. Dann verlor ich das Bewusstsein.

"Lia, wach auf", hörte ich entfernt jemanden rufen. Die Stimme war so weit weg, dass ich sie nicht zuordnen konnte. "Lia." Mein Kopf pochte unangenehm und ich fühlte mich erschöpfter und kraftloser denn je. Langsam öffnete ich blinzelnd die Augen und kniff sie geblendet sofort wieder zusammen. Es war hell, viel zu hell.

"Sie ist wach", hörte ich die Stimme erleichtert verkünden und Schritte näherten sich mir. Inzwischen konnt ich die Stimme eindeutig zuordnen. Es war mein Vater. "Papa?", murmelte ich leise und spürte sogleich eine große Hand auf meinem Unterarm. "Ja, ich bin bei dir. Alles wird gut." Erleichterung durchströmte mich und umhüllte mich wie eine weiche Decke, wodurch die Müdigkeit sofort wieder präsenter wurde.

"Oh mein Gott, bin ich froh, dass du wieder aufgewacht bist", hörte ich meinen Vater sagen, währen seine Hand beruhigend über meinen Arm fuhr. Etwas weiter entfernt begann jemand zu reden, eine tiefe, mir unbekannte Stimme, die dennoch so beruhigend wirkte, dass mein Körper mit jedem Wort schwerer wurde. "Es ist alles in Ordnung, sie..." Die Worte des Fremden wurden wieder undeutlich und verschwommener, als würden sie ineinander zusammenlaufen und ich merkte, wie ich erneut in einen traumlosen Schlaf fiel.

Als ich das zweite Mal aufwachte, fühlte sich mein ganzer Körper erholter an und ohne Mühe schlug ich die Augen auf. Das Zimmer, in dem ich lag, war in ein dämmriges Licht gehüllt, sodass ich nicht geblendet wurde und aus dem ich schloss, dass es abends sein musste. Mein Bett war weiß mit einem zusammenpassendem Nachtischen, auf dem allerlei Arzneimittel und Instrumente lagen.

Ich schluckte und ließ meinen Blick weiter schweifen. Außer meinem Bett gab es hier noch eine Couch, auf der jemand schlief, sowie ein riesiges Fenster, ein kleiner Tisch mit Stühlen und ein Schrank, neben dem einige per Hand gezeichneten Bilder hingen. Einige waren eingerahmt, andere nicht.

Langsam, um mich nicht zu überanstrengen, setzte ich mich auf und spürte sofort ein unangenehmes Ziehen an meinem Unterschenkel. Ich kniff die Augen zusammen und schlug die Decke zur Seite, um einen dicken, weißen Verband zu entblößen. Sofort sprudelten Erinnerungen auf mich ein. Von der Kreatur, die mich gepackt hatte, den leeren Augenhöhlen und Emma, die sie mitgenommen hatten. Scheiße, Emma!

Ruckartig versuchte ich aus dem Bett aufzustehen, doch sofort begann mein Kopf zu dröhnen und mein Arm, um den ebenfalls eine Mullbinde gewickelt worden war, zu pochen. Schmerzerfüllt zischte ich auf und hörte, wie die schlafende Person aufwachte und sich aufrichtete.

"Bist du wach, Lia?", hörte ich meinen Vater flüstern und nickte sofort. Augenblicklich war auch er hellwach und rappelte sich von der Couch auf, um sich zu mir zu setzen. "Gott sei dank geht es dir gut", murmelte er und drückte meinen Oberkörper sanft gegen seine durchtrainierte Brust. Ich genoss für einen Moment die Wärme, bevor ich mich von ihm löste. "Habt ihr Emma gefunden?" Irritiert sah mich mein Vater an. "Was ist mit Emma?" Das hieß, sie hatten sie nicht gefunden. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es der Rothaarigen wohl gerade ging.

"Die Kreaturen, die mich angefallen haben, haben sie entführt", erklärte ich meinem Vater knapp alles, "Du musst nach ihr suchen lassen!" Mein Atem wurde mit jedem Wort hektische, bis mein Vater mir die Hand auf den Rücken legte und mich ermahnte ruhig zu bleiben. "Ganz langsam, was für Kreaturen?", erkundigte er sich dann vollkommen ruhig bei mir und auch ich versuchte mich selbst wieder unter Kontrolle zu bringen.

"Sie hatten keine Augen und ewig lange Krallen. Und einen riesigen Mund. Und sie waren riesig und nackt", ich überlegte, doch mehr fiel mir nicht mehr ein. "Bist du sicher, dass du dir das nicht nur eingebildet hast?", mein Vater musterte mich mitfühlend und fügte etwas leiser hinzu: "Du hast dir schließlich ziemlich schlimm den Kopf gestoßen."

Augenblicklich begann die Wut in mir zu kochen. "Ich habe sie gesehen!", beharrte ich lauter. "Und außerdem würde ich ohne ihnen nicht hier liegen." Mein Vater seufzte laut auf, als würde er mir nicht glauben. Als wäre ich irgendein geistig verwirrter Pflegefall. "Lia", setzte der Grauhaarige an und sah mich ernst an, "bist du sicher, dass du hier wegen einem Wesen liegst und nicht vielleicht eher wegen Emma?"

Entgeistert starrte ich ihn an. "Wegen Emma?" Was sollte das denn heißen? Meine Vater strich sich verlegen über das bärtige Kinn, bevor er mit weicher Stimme wieder zu reden begann: "Nun ja, an deinem Arm befinden sich Kratzspuren, die eindeutig von eindeutig Menschen sind und die Verletzung an deinem Kopf deutet auf einen Stoß hin. Außerdem war Emma ja schon immer ein bisschen... temperamentvoll." Ich stockte. Das hatte er nicht allen ernstes gesagt?

"Emma würde mir sowas niemals antun", zischte ich ihn wütend an. "Und wie erklärst du dir die Wunde an meinem Bein?" "Ein Waffe, wir sind noch dran, was es genau war." Fassungslos starrte ich ihn an. "Wie kommst du auf so einen Scheiß?" Mein Vater zuckte mit den Schultern. "Es ist die einzige logische Erklärung oder was denkst du, was passiert ist?"

Ich holte tief Luft und versuchte die Wut zu unterdrücken. "Emma und ich sind raus gegangen, als wir einen Schrei gehört haben. Wir wollten nachschauen und haben dann dieses Wesen gesehen, dass sich Emma geschnappt hat und mich gegen einen Felsen geschleudert hat." Trotzig starrte ich ihn an und versuchte in seinen Gesichtszügen zu lesen, ob er mir glaubte.

"Und wieso sollten diese Wesen dann dich nicht mitnehmen?", fragte mein Vater mit ruhiger Stimme und ich wusste sofort, dass er das alles für ein Hirngespinst meinerseits hielt. "Woher soll ich das denn wissen, denkst du ich hätte es gefragt?", motzte ich ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. Wieso konnte er mir nicht einfach glauben? Emma war meine beste Freundin hier, nebenbei auch meine einzige, und ich wusste genau, dass sie so etwas niemals tun würde, vor allem, da ich ja die Kreatur gesehen hatte.

"Lia", mein Vater zog mich ein bisschen an sich, doch ich löste mich von ihm, "der Arzt meinte, deine Gehirnerschütterung könnte dazu führen, dass du Geschehnisse durcheinander bringst. Vielleicht hast du das alles ja nur geträumt?" Augenblicklich verfinsterte sich meine Miene wieder. "Ich habe das nicht geträumt, es ist wirklich passiert."

Mein Vater nickte langsam. "Okay... dann glaube ich dir." Irritiert sah ich ihn an. "Und du suchst nach Emma?", wollte ich noch wissen und sah ihn flehend an. Mein Vater nickte sofort. "Natürlich suche ich nach Emma." Seine Tonlage rutschte ins sarkastische und ich funkelte ihn zornig an. "Hör auf mich zu verarschen." Der Mann seufzte auf und schüttelte in Gedanken den Kopf.

"Was ist denn, wenn Emma einfach abgehauen ist, um eine Auszeit zu haben? Sie kommt schon wieder und außerdem habe ich keine Zeit sie zu suchen", erklärte er mir jetzt leise aber bestimmt. "Warum hast du bitteschön keine Zeit sie zu suchen? Sie gehört schließlich zu deiner Gruppe!"

Mein Vater seufzte auf und rutschte ein wenig auf seinem Sitzplatz an meinem Bettende herum. "Wir stehen kurz vor dem vierten Weltkrieg und der wird über vieles entscheiden. Ich kann keine Wache abziehen, um nach Emma zu suchen und dadurch das Leben Hunderter riskieren. Aber bald wird es alles vorbei sein und ich bin mir sicher, wir werden gewinnen."

Ich schüttelte leicht den Kopf. Noch ein Krieg, es würde tatsächlich noch einen Krieg geben. Ich erinnerte mich noch zu gut an die panischen Menschenmassen, an die verzweifelte Suche nach lebenswichtigen Produkten, die vielen Toten überall und die Angst in den Augen aller. Und jetzt sollte es sich wiederholen und alle, die mit Müh und Not den dritten Weltkrieg überstanden hatten sollten sich den gleichen Strapazen wieder stellen müssen. Das war nicht fair.

"Das dürft ihr doch nicht machen", entfuhr es mir und für einen Moment verdrängte ich sogar Emma. "Was?" Entgeistert starrte ich den Mann vor mir an. "Einen Weltkrieg provozieren! Weißt du, wie viele Menschen sterben werden?" Er seufzte auf und strich mir sanft durch die langen, braunen Haare. "Ich weiß, und ich wünschte es ginge anders, aber wir haben keine Wahl."

Sofort schüttelte ich den Kopf. "Man hat immer eine Wahl." Ich starrte in die dunkelblauen Augen meines Vaters, die im Dämmerlicht fast schwarz wirkten. "Aber dir ist das egal, Hauptsache du bekommst das, was du willst, nicht?" Ich hörte meinen Vater aufstöhnen und meine Augen verengten sich. "Weißt du was, geh einfach, ich will dich gerade echt nicht sehen!"

Ich schloss die Augen und ließ mich wieder in das weiche Bett zurücksinken, während mein Vater aufstand und sich mit schweren Schritte entfernten. "Ich komme später nochmal", hörte ich ihn noch flüstern, dann schloss sich die Tür hinter ihm und ich lag alleine in dem dämmrigen Licht.

Eine Weile überlegte ich, wie ich meinen Vater von den Kreaturen überzeugen und von dem Weltkrieg abhalten konnte, doch ich kam zu keiner Lösung und bekam zu allem Überfluss nur Kopfschmerzen vom vielen Nachdenken. Langsam schlief ich wieder ein und merkte erst, wie viel Anstrengung mich der Streit mit meinem Vater gekostet hatte , als ich bereits in den endlosen Tiefen der Traumwelt versank.

"Lia", rief mich jemand und rüttelte an meinem Oberarm. Blinzelnd schlug ich die Augen auf und starrte in das makellose Gesicht von Rosa. Seit sie mich vor ein paar Monaten als Merediths Pflegekraft ausgegeben hatte, um mich für die PSE zu observieren, hatte ich die Brünette einige Male gesehen. Sie lebte schließlich auch in dem Hauptquartier der PSE, da sie genau wie ich die Tochter einer der Chefs war.

Ich hatte mich genau einmal mit ihr unterhalten, als ich ihr durch Zufall auf dem Gang begegnet war und hatte feststellen müssen, dass sich meine Meinung über sie kein bisschen geändert hatte. Sie war verzogen und selbstverliebt, woran ihr bierbäuchiger Vater Aman, mit dem ich ebenfalls bereits das Vergnügen hatte, nicht ganz unschuldig war. Er trug seine kleine Prinzessin auf Händen und laß ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er war so ziemlich der fürsorglichste Vater, dem ich jemals begegnet war, trotz seiner Position als kaltblütiger Foltermeister.

Emma hatte einmal erzählt, man müsse ihm nur einen Namen nennen und er würde die Person finden und sie zum Reden bringen. Der selbstverliebte Aman behauptete sogar, dass seine Opfer schon bei seinem Anblick zu winseln beginnen würden, was ich nach meiner persönlichen Begegnung mit ihm an meinem zweiten Tag hier nicht behaupten würde. Der glatzköpfige Mann mit Vollbart hatte vielleicht einen irren Blick und furchteinflößende Narben an seinen orange beharrten Armen, aber ansonsten erinnerte er eher an einen zu dicken, kleingewachsenen Zwerg. Das Doppelkinn und der starke österreichische Akzent, mit dem er mir erklärte, dass mein Vater leider momentan auswärts benötigt würde und erst in einigen Wochen zurückkehren würde, machte das auch nicht besser.

Rosa dagegen hatte recht wenig von ihrem Vater, bis auf die irren, grünen Augen und die Selbstüberschätzung. Sie war auch nicht sonderlich trainiert, wie die meisten hier, sondern eher zierlich, fast wie Emma. Und sie war immer schön gekleidet und besaß die neusten Technologien, von Aman verstand sich.

"Endlich bist du wach", stellte Rosa fest und warf einen kurzen Blick auf ihr Handy, bevor sie es wegsteckte. "Ich muss mit dir reden." Irritiert blinzelte ich sie an und brummte verschlafen in mich hinein, während ich versuchte mich an das helle, künstliche Licht zu gewöhnen. Draußen wurde es bereits wieder hell und ein wolkenloser Himmel lag über der weiten Steppe.

"Ich muss alles wissen", erklärte Rosa in einem Befehlston und ich hatte schon eine bissige Antwort auf den Lippen, als sie hinzufügte: "Vor allem, was mit Emma ist." Für einen Moment starrte ich sie wortlos an, bevor sie den Kopf schief legte. "Also?"

"Emma und ich waren auf der Steppe", berichtete ich ihr leise, "als uns plötzlich so komische Kreaturen angegriffen haben. Sie haben mich bewusstlos geschlagen und Emma mitgenommen." In Gedanken machte ich mich schon auf Gelächter des Mädchens bereit, doch es blieb aus. Stattdessen lag etwas erschrockenes in ihren sonst funkelnden Augen.

"Es ist also wahr", hauchte sie kaum hörbar und ich erschauderte bei ihren Worten. "Was ist wahr?" Sie schluckte und fuhr sich sichtlich durcheinander durch die dünnen Haare. "Die Geschichten, die sich die Soldaten erzählen." Mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich das hörte. "Was erzählen sie denn?"

Rosa zögerte kurz. "Sie reden von den Kannibalen der Steppe. Riesige Kreaturen ohne Augen und mit Zähnen lang wie Arme. Man sagt, sie würden immer wieder Menschen verschleppen, um sie zu fressen, aber mein Vater hält es für Aberglaube. Waren es wirklich diese... Dinger?"

Leicht nickte ich, während ihre Worte noch immer in meinem Kopf widerhallten. "Du glaubst mir?", fragte ich mit erstickter Stimme und beobachtete, wie Rosa ihren Kopf langsam hob und senkte. Ein warmer Schauer überkam mich, als ich erkannte, dass sie es ernst meinte. "Dann bist du vermutlich die einzige", flüsterte ich und wischte mir über die Augen, in denen sich noch Sand vom Schlafen befand, "Mein Vater denkt nämlich ich hätte mir zu fest den Kopf gestoßen und weigert sich nach Emma zu suchen."

Ich sah wie Rosa erstarrte. "Sie suchen nicht?" Tränen traten in ihrer giftgrünen Augen, während sie sie versuchte mit dem Handrücken wegzuwischen. Leise verneinte ich, wobei wieder Emmas Gesicht vor meinem geistigen Auge auftauchte. Schmerzverzerrte und voller Angst. Ich lass dich nicht los, hatte ich versprochen und dennoch war ihre Hand meiner entglitten. Ich hatte sie nicht halten können. Auch meine Augen wurden wieder feucht.

"Woher kennst du Emma?", erkundigte ich mich mit tränenerstickter Stimme bei der Brünetten vor mir, deren Figur zusammengekrümmt rund hilfloser denn je wirkte. "Sie ist meine beste Freundin, du?" Verwundert riss ich die Augen auf. Das hatte ich gar nicht gewusst. Insgesamt hatte Emma mir nicht viel über sich selbst erzählt. "Auch 'ne Freundin", nuschelte ich leise und fast beschämt, dass ich das über meine beste Freundin hier nicht gewusst hatte.

Rosa hob den Kopf ein Stück und unsere Blicke trafen sich. Entschlossenheit funkelte in ihren Augen auf. "Dann müssen wir sie suchen", stellte sie ernst fest und ich starrte sie irritiert an. "Wie willst du das denn machen?" Rosas zarte Lippen verzogen sich zu einem wissenden Grinsen. "Ich hab da schon eine Idee."

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2510 Wörter

Ja, ich lebe auch noch😅

Hab dank michelle162000 meine Motivation wiedergefunden☺️

Ich wünsche euch allen nachträglich Frohe Weihnachten (ignoriert, dass schon der 27. ist :))🎄☃️

Habt ihr schön gefeiert und was habt ihr so bekommen?🎁🎀

Geschrieben am 27.12.17

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