Kapitel 8.1 - Seeschlacht

Gewidmet @lifeofme14977,

weil ich mich freue, dass Du auch wirklich alles bis hierher gelesen hast! Und das, obwohl Du Zac nicht einmal leiden kannst! :D

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40. Tas'Saru 2146 n.n.O.

Ritsch ratsch.

Mein geliehenes Schnitzmesser machte ein paar gezielte Schnitte und kleine Holzstückchen schwebten im Wasser langsam zu Boden, gesellten sich zu den anderen, die dort bereits lagen. Ich hatte nach meinem Gespräch mit Ivory angefangen, mein „Regal" zu verschönern. Oder besser: zu bearbeiten. Es war beruhigend. Vor allem, weil ich das nur für mich tat und der Schwarm keinerlei Mehrwert von diesem Zeitvertreib hatte. Gegen die Leere in mir konnte es trotzdem nur wenig ausrichten.

Ritssch ratsch.

Das dumpfe Gefühl in meinem Innern ignorierend schaute ich missbilligend auf das, was ein kleiner Fisch werden sollte. Papa hatte mir früher zwar die Techniken dazu beigebracht, doch mangels Übung waren meine Schnitzfähigkeiten arg begrenzt. Der Widerstand des Wassers in den Bewegungen, machte es nicht leichter. Und die Tatsache, dass das „Regal" eigentlich ein stabiler Ast war, der normalerweise mit kleinen Netzen oder Beuteln als Aufbewahrungsorte bestückt wurde, auch nicht. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das Ding von Zac zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

Ritsch ratsch. Kracks.

Ich war abgerutscht und dem Fisch fehlte jetzt ein Schwanz. Wütend starrte ich das geschändete Abbild an, als wäre es seine Schuld, nicht meine, dass es verstümmelt war. Mühsam zwang ich mich dazu, den Stock und das Messer sinken zu lassen. Um Zacs Geschenk war es wohl nicht schade.

Aber für heute war es wohl genug. Also bohrte ich den Ast zurück in das dafür vorgesehene Loch und hing die mit Steinen beschwerten Netze mit meinen wenigen Habseligkeiten wieder an ihren Platz – fertig war das Regal nach Art der Flussmenschen. Unzufrieden warf ich einen Blick durch den Rest meines kleinen Zimmers, hob die dünne, unordentlich gewordene Decke aus Seetang, legte sie zusammen und dann wieder zurück in meine kleine Schlafkuhle. Dank der vielen glatt geschliffenen Kieselsteine, die in ihrem Rand verwebt waren, blieb sie sogar an ihrem Platz, ohne vom Wasser durcheinander gebracht zu werden.

Außer das Einsammeln der paar heruntergefallenen Holzstückchen gab es nicht mehr zu ordnen – ich besaß ja ohnehin nicht viel, musste es auch gar nicht. Dank der "alles gehörte allen"-Regel des Schwarms wurde jeder mit allem versorgt, was er zum Leben und Arbeiten brauchte, solange es vorrätig war. Auch mein Schnitzmesser war nur aus diesen Vorräten geliehen. Also schob ich die blickdichte Wand aus sorgfältig gepflegtem, hoch wachsendem Seegras, die mein Zimmer gegen des Rest des Sees abgrenzte, bei Seite und schlüpfte nach draußen ohne zu wissen, was ich dort zu finden hoffte.

Doch noch während ich zum Herzplatz schwamm, wurde ich nervös. Es dauerte einen Moment, ehe es mir wie Schuppen von den Flossen fiel, was schon die ganze Zeit fehlte: Es war zu still. Normalerweise waberten wild durcheinander gerufene Gespräche durch meine Gedanken. Ich schenkte ihnen meist kaum Aufmerksamkeit, schließlich hörte ich ja auch nicht zu, wenn sich beim Bäcker zwei Klatschweiber unterhielten oder sich Kinder im Spiel etwas zuschrieen. Aber jetzt war es absolut still. Das war nie ein gutes Zeichen. Irgendwas hatte ich verpasst.

Besorgt schwamm ich weiter.


Am Herzplatz fand ich das Bild vor, das die Stille erklärte: Kleine Grüppchen verteilten sich rund um den Loreschrein, das Zentrum des Herzplatzes. Fast der gesamte Schwarm schien versammelt zu sein, hielt sich bei den Händen und bildete so kreisförmige Beratungsrunden, über die anscheinend die neuesten Neuigkeiten diskutiert wurden.

Aber was waren die neuesten Neuigkeiten?

Unschlüssig näherte ich mich einer Gruppe, als ich Sina darin sah, die gerade in meine Richtung blickte. Es war zwar nicht so, dass wir beste Freundinnen waren, aber wir hatten uns ganz gut verstanden – zumindest vor meinem Fluchtversuch. Zögernd hob ich die Hand zum Gruß, den sie ebenso zögerlich erwiderte. Einen Moment lang starrte ich sie nahezu penetrant an, ehe sie meine stumme Bitte verstand und zu mir herüber schwamm. Einladend streckte sie mir ihre Hand entgegen. Erleichtert nahm ich das Angebot an und legte meine Finger auf ihre, froh, dass ich nicht erst mit lautem Rufen diese gespenstische Ruhe in den Gedanken störte.

Sofort spürte ich die Verbindung zu ihrem Geist. >>Hallo<<, begann ich vorsichtig. >>Ich ... Ich wollte fragen, was los ist? Alle wirken so besorgt.<<

Das Gegenstück zu einem abfälligen Schnauben glitt durch Sinas Gedanken. >>Sie haben auch Grund dazu. Tianes Bruder ist schwimmen gegangen und wurde aufgegriffen.<< Bei der Art wie sie das sagte, zog sich alles in mir zusammen. Ob sie ihm etwas angetan hatten? Bei den Göttern – er war doch gerade erst Vater geworden! Doch Sina bekam nichts von diesen Gedanken mit, als sie weitersprach: >>Er erzählte, dass Markus und einige andere oben bei den Schlummertiefen sind und die Seegrasfelder mähen.<<

Einen Moment lang überflutete mich mein schlechtes Gewissen, dass ich so einen Generalverdacht aufgestellt hatte und einmal mehr war ich dankbar, dass ich endlich über eine stabile Gedankenwand verfügte. Dann wurde mir klar, was sie gesagt hatte.

Ungläubig sah ich sie an. >>Diese Pflanzen produzieren unseren Sauerstoff!<<

Durch Sinas Gedankenwand drang nichts, außer ihre monotone Antwort: >>Genau. Einige von uns sind ausgerückt, um dem ein Ende zu bereiten.<<


Nein, nein, nein! Das durfte nicht wahr sein!

Das ging zu weit. Das war zu viel.

Seit Sina mir davon berichtet hatte, war ich am schwimmen und versuchte, so schnell wie möglich zu dem abgelegenen Flussstück zu kommen. Das durfte nicht wahr sein. Bei dem bloßen Gedanken über die Ungeheuerlichkeit dieser Tat spürte ich, wie sich heiße Tränen in meinen Augen sammelten. Doch das Wasser spülte sie unbeeindruckt fort, während ich verbissen weiter schwamm und so gut wie möglich die Tatsache ignorierte, dass es trotz des frühen Nachmittags immer dunkler wurde. Ich wusste woran es lag. Ich sollte nicht überrascht sein. Und trotzdem zog sich alles in mir zusammen, als ich mich endlich dazu durchrang einen Blick nach oben zu werfen.

Wie Leichenfetzten...', schoss es mir durch den Kopf, als ich auf das abgeschnittene Seegras sah. In Knäueln trieb es auf der Wasseroberfläche und warf lange Schatten, während es langsam flussabwärts getragen wurde. Umso weiter ich schwamm, desto dichter wurden die Überreste bis sie eine fast durchgehende Decke bildeten, die alles in ein finsteres Zwielicht tauchte, das alle Lebensfreude zu schlucken schien. Kaum ein Fisch kam mir entgegen. Und die wenigen, die ich sah, schossen an mir vorbei, als wären sie auf der Flucht. Vielleicht waren sie das auch. Ich für meinen Teil hätte mich ihnen gern angeschlossen – spätestens, als ich die erste Klinge am Flussgrund entdeckte.

Bei den Göttern – dieses Ding war länger als ich! Schwer lag der schmucklose Holzkörper mit der flachen, stählernen Kante im Sand des Grundes. Zwei dicke Seile, die an ihren Enden befestigt waren, trieben wie träge Peitschen in der Strömung. Sicher waren sie vor kurzem noch an einem Boot befestigt, damit es die Klinge durch das Wasser schleifen konnten, um das Seegras zu mähen. Nun hatten scharfe Messer sie von dem Schleppschiff abgeschnitten. Doch das Monstrum schien wie eine Grenze zu sein: Vor ihm wog sich der Teppich aus Seegras in sanften Wellen in der Strömung. Hinter ihr tat sich eine Schneise aus aufgewühlter Erde und einiger, verdrehter, abgeknickter Pflanzenreste auf.

Mein Herz raste. Instinktiv glitt meine Hand zu dem Dolch, den ich mir mit straffen Bändern nach Flussmenschenmanier an den Oberschenkel gebunden hatte, nachdem Sina mich dazu genötigt hatte. Jetzt war ich froh drum, selbst wenn ich nicht wusste, was dieses Stück Metall gegen eine solche Klinge ausrichten könnte – oder gegen die Menschen, die auf solche Ideen kamen.

Umso länger ich es anstarrte, desto übler wurde mir. Hatte Papa das gemeint, als er sagte, dass er bald eine Lösung haben werde? Und konnte das eine Lösung sein? Was konnte eine Klinge schon ausrichten? Aber zehn? Zwanzig? Wie viel hatte Papa davon in den Fluss gebracht? Ich hatte nicht lange Zeit, mich das zu fragen. Noch während ich weiter schwamm, hörte ich Echo ferner Gedankenrufe leise in meinem Kopf widerhallen.

>>Elende Bastarde!<<

>>Hab es!<<

>>Ering! Vorsicht!<<

>>Aaaaaaaa!<<

Ich zuckte zusammen. Versuchte noch das letzte bisschen Energie aus meinen lahmen Paddelfüßen herauszuholen. Während das Wirrwarr an Stimmen in meinem Kopf immer wilder wurde, verfluchte ich mich dafür, dass ich so wenig Zeit ins Ausdauerschwimmen investiert hatte. Doch am schlimmsten waren immer noch diese monströsen Klingen, die wie verendete Kadaver auf dem Grund des Flussbettes lagen. Hinter jeder von ihnen zog sich eine Schneise der Verwüstung, deren Anblick mir die Luft abzudrücken schien. Ich hoffte wirklich, dass ich mir das nur einbildete.

Bisher zählte ich fünf.


Noch ein Stück weiter und ich bekam ein nicht minder wüstes Bild zu dem Stimmenchaos in meinem Kopf. Zögernd hielt ich inne, schwebte reglos im Wasser, während meine Muskeln zitterten und mein Blick hin und her hetzte. Doch wo ich auch hinsah, da war nichts als trübe Suppe und vage Schemen. Die Decke aus abgerissenem Seetang schloss nun fast vollkommen, sodass das düstere Zwielicht noch dunkler geworden war. Nur da, wo die vier Boote im Wasser lagen, hatte das Licht die Chance, sich an den Überresten vorbeizustehlen. Dort sah ich auch die meiste Bewegung.

Schatten von Flussmenschen, die ich nicht unterscheiden konnte, huschten umher, schwammen zur Oberfläche und tauchten wieder herab. Doch vor allem schwirrten sie scheinbar kreisförmig um andere Schemen, die sich nahe am Boot aufhielten, wohl um sie vor Angriffen zu schützen, während ein lautes asynchrones Pochen immer wieder dumpf durch das Wasser schallte. Ich musste erst genauer hinsehen ehe ich begriff, dass einige daran arbeiteten, die Boote zu versenken.

In genau diesem Moment sank das Ruder des einen Bootes schwer auf den Grund des Flusses, begleitet von den zufriedenen Ausrufen meines Schwarms. Doch das schien die Menschen auf dem Boot nur noch mehr anzustacheln. Immer wieder sah ich Netze, Harpunen und Speere durch die Oberfläche brechen, ehe sie an langen Seilen zurückgezogen wurden – oft stießen sie ins Leere. Aber auch nicht immer.

Starr blickte ich auf diese grausige Darbietung, rührte mich kein Stück. Wo sollte ich hinschwimmen? Was sollte ich tun? Gab es überhaupt etwas, das ich tun konnte?

Warum konnten sie nicht mit diesem Wahnsinn aufhören?

Da erst fiel mir ein Schemen ganz in meiner Nähe auf, der fast reglos im Wasser zu treiben schien und dessen Arm wie im Wahn immer wieder ruckartig von links nach rechts zuckte. Links, rechts, links, rechts, links, recht.

War das da Orell? Oder Koral?

Links, rechts, links, rechts, links recht.

Was tat er da? Oder sie? Unsicher schwamm ich näher heran, ignorierte das Rauschen meines Blutes in den Ohren und das hämmernde Schlagen meines Herzens in der Brust. Endlich schälte sich die Gestalt deutlicher aus der Trübe des Wassers um uns herum heraus und ich erkannte, wer es war. >>Ering?<<

Ruckartig unterbrach Tianes Mann seine Bewegungen und sah sich um. Schließlich blieb sein Kopf in meine Richtung gewandt. >>Senga? Bist du das?<<

Ich nickte, doch noch während mir bewusst wurde, dass er mich wohl fast so schlecht sehen konnte, wie ich ihn, winkte er mich schon zu sich heran. >>Gut. Komm her. Kannst du das für mich weiter machen?<<

Ganz automatisch überbrückte ich das letzte Stück zu ihm und ehe ich etwas rufen konnte, hatte er mir ein langes Messer in die Hand gedrückt und noch in der gleichen Bewegung, einen kurzen, harpunenartigen Speer von seinem Rücken gelöst. >>Wenn du fertig bist, mach bei dem anderen Seil weiter. Ich geh nach den anderen sehen.<<

Erst als er davonschwamm sah ich die dunklen Schlieren, die beständig aus seiner Flanke quellten und in der ruhigen Strömung langsam wie tanzende Schleier zu Boden sanken.

Blut ist dicker als Wasser.


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Lichtis Quatschecke:

Joar... was soll ich sagen? Ich hatte Lust dazu, dieses Kapitel endlich einmal zu veröffentlichen, weil... ja. Es geht rund, ne? xD


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