gewidmet Creativity_Square,
weil es ohne euch Zac nicht gäbe. <3
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28. Tas'Saru 2146 n.n.O.
„Wir sind bald da." Varonas leise Worte durchbrachen die angespannte Stille, die unsere kleine Gruppe umgab, seit wir uns auf den Weg zu meinem Vater gemacht hatten. Genauso wie Achs und Ricco vor mir, nickte ich die Worte der Earis einfach nur ab. Zu meiner Überraschung hatte der Schwarm meinem Vorschlag zugestimmt, nachdem ich Uhna überzeugt hatte. Offenbar hatte der Gedanke, dass ich ein Gespür für Zac hatte, viele beruhigt.
Während ich noch einmal an diesen seltsamen Moment der Abstimmung dachte, beobachtete ich, wie sich Suriki von Varonas Schultern abstieß und sich an den grünen Baumkronen vorbei in den Himmel schwang. Einen Augenblick lang sah ich dem kleinen Drachen hinterher, dessen weiße Schuppen in den letzten roten Strahlen der Morgensonne in einem wunderschönen Rosa funkelten. Der Anblick nahm mich absolut gefangen. Dann zwang ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den sandigen Waldweg vor uns, versuchte mich irgendwie zu sammeln und zu konzentrieren. Denn einmal mehr fragte ich mich, was ich tun sollte, was ich mir eigentlich bei diesem Vorschlag gedacht hatte und was ich Papa sagen sollte. Oder wollte. Oder konnte.
Ich wusste ja noch nicht einmal, woher Zac überhaupt gewusst hatte, dass wir uns treffen wollten, oder wo. Gab es überhaupt etwas, das ich sagen konnte, dass Papa davon abhalten würde, den Schwarm weiter zu bedrängen? Wollte ich das überhaupt? Oder wollte ich, dass Papa noch mehr Druck aufbaute, damit sie mich frei ließen? Aber das würden sie nicht tun. Varona war da deutlich gewesen. Und so wie sie dachten viele. Nicht einmal ich konnte ihre Angst vor noch mehr Angriffen von der Hand weisen. Nicht, wenn ich es schon erlebt hatte.
War mir meine Freiheit das wirklich wert?
Konnte und wollte ich überhaupt so viel Mitgefühl für die Leute aufbringen, die meine Entführung niemals wirklich in Frage gestellt hatten – egal, ob sie es nun als richtig oder falsch empfanden? Waren sie deshalb „böse Menschen", die Leid und Kummer verdienten? Und ihre Kinder?
Die Zweifel fraßen mich auf und mit jedem Tag fühlte ich mich leerer, hilfloser.
Ein bedrohliches Summen an meinem Ohr riss mich aus meinen kreisenden Gedanken. Instinktiv zuckte ich zurück. Wespen. Das Schlimmste am Sommer waren diese Viecher.
„Bist Du allergisch?", fragte Achs milde besorgt wegen meiner hastigen Reaktion, während er seinerseits die Wespe nur träge mit der Hand beiseite wedelte, hin zu Ricco.
Ich schüttelte den Kopf, ohne dieses Mistvieh aus den Augen zu lassen. „Nein. Ich mag sie trotzdem nicht."
Plötzlich klatschte es und ich zuckte zusammen.
Da, wo eben noch die Wespe gewesen war, waren nun Riccos dunkle Hände. Fassungslos starrten wir anderen den Krieger an, der munter in die Runde grinste, während er die Finger auseinanderzog und eine undefinierbare, klebrige Suppe von seinen Handflächen tropfte. „Geht mir auch so", schaltete sich Ricco in das Gespräch mit ein, als würde es das Normalste der Welt sein, eine Wespe aus der Luft heraus zu zu zerquetschen. „Ich habe den tieferliegenden Sinn dieser Monster auch nie verstanden."
Während ich ihn dabei beobachtete, wie er die wenigen Schritte zur Wasserkante des Sees schlenderte, um sich dort die Hände zu waschen, kam ich nicht umhin zu überlegen, ob das in Faramas vielleicht wirklich normal war. Schließlich lag seine Heimat weiter südlich. Vielleicht hatten sie da ein größeres Wespenproblem als hier und man musste einfach etwas rabiater sein?
„Danke", murmelte ich leise und starrte auf die verschlungenen schwarzen Muster, die auf die dunkle Haut seines Hinterkopfes eintätowiert waren. Es war das erste Wort, das ich zu Ricco sagte, seit der Katastrophe mit Zac.
Kurz blickte er über die Schulter und nickte in meine Richtung. „Nicht dafür. Wespen sind wirklich eine Plage."
Einen Augenblick lang war ich versucht, seiner Gesprächseinladung zu folgen. Doch noch während ich Luft holte, um Ricco tatsächlich anzusprechen, verließ mich der Wille wieder. Erschöpft ließ ich den Blick sinken. Es hatte keinen Sinn. Jedes Gespräch würde nur zu weiteren Diskussionen führen. Über Zac. Über meinen Vater. Über mein Verhalten. Ich kniff die Lippen zusammen. Die Gedanken taten weh. Besser nicht dran denken.
Doch es ging nicht. Jetzt, wo mein Kopf einmal damit angefangen hatte, konnte ich nicht anders, als an all die Male zu denken, an denen Zac und die anderen mich abgeschmettert hatten. Meine Flehen, nach Hause zu kommen. Meine Bitte, wenigstens Papa einmal einen Brief zu schreiben oder auch nur mal an Land zu gehen. Und ich hatte mich trotzdem integriert. Wieso konnte- Neben mir blieb Varona stehen und zog meine Gedanken damit ins Hier und Jetzt zurück. Eine Ablenkung, die ich dankbar annahm.
Vorsichtshalber hielt ich auch an, ebenso wie Achs und Ricco wenige Schritte vor mir, während wir alle Varona anstarrten. Doch die Earis schien es nicht zu bemerken. Nicht ein Muskelzucken erschütterte die unzähligen kleinen und großen filigranen, insektenartigen Flügel, die ihren Körper bedeckten. Mit deren Hilfe hatte ich sie schon unglaubliche Sprünge schaffen sehen, durch die sie sich problemlos zwischen den Baumkronen bewegen konnte – der bevorzugte Lebensraum der Earis, wie sie mir einmal verraten hatte. „Direkt auf dem Weg stehen einige Menschen. Sie sehen aufgebracht aus", murmelte sie schließlich leise, aber deutlich.
Ich sah nach vorne. Da war nichts. Nur die letzte Biegung, die uns von der Wasserkante, an der wir bisher entlang gegangen waren, wegbringen würde, hin zu Fizwitz, dem kleinen Dorf, wo Papa seine Verletzung ausheilte. Aber weder ich, noch Achs oder Ricco stellten Varonas Vorhersage in Frage.
„Vielleicht sollten wir vorsichtig sein", schlug die Earis schließlich in unsere beständige Stille hinein vor. Noch während sie sprach, landete Suriki auf ihrem ausgestreckten Arm, schwankte einen Moment, ehe er sein Gleichgewicht wieder fand und krabbelte dann zurück auf seinen Stammplatz auf ihrer Schulter, wo er sich wie eine Schlange um ihren Hals herum wickelte. Jetzt sahen Varonas Augen wieder klarer aus. Manchmal fragte ich mich noch immer, in welcher Verbindung die zwei zueinander standen, doch bisher hatte die Earis jede Frage dazu konsequent abgeblockt.
„Und wie sind dann die Vorschläge?", murrte Ricco angespannt, wobei seine Hand unruhig mit dem lederumwickelten Griff des langen, schlichten Messers spielte, das an seinem Gürtel hing.
„Vielleicht sollten wir einen kleinen Bogen laufen?", antwortete Achs bedächtig.
Ich konnte nicht aufhören, Riccos Finger an seinem Messergriff anzustarren, während er Achs' Einwand mit der anderen Hand bei Seite wischte. „Ich will mich nicht an jemandem vorbei stehlen, als wäre ich ein Dieb."
Es war nicht einmal ungewöhnlich, dass gerade Bauern für ihre Arbeit so ein relativ unauffälliges Werkzeug mit sich führten. Aber ich hatte Ricco in Trainingsstunden damit gesehen. So sehr ich auch versuchte, es herunter zu spielen – ich wurde das flaue Gefühl im Magen einfach nicht los. Mühsam zwang ich mich dazu, Achs anzusehen, der sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen konnte. „Vorsicht ist besser als Nachsicht."
Ricco verzog abfällig die Mundwinkel. „Aber wir haben nichts falsch gemacht!"
„Möglicherweise sehen diese Menschen das anders", mischte sich Varona wieder ein und streichelte abwesend mit ihren langen, geschuppten Fingern über Surikis kleinen, weißen Kopf. „Was sagst du dazu, Senga?"
Plötzlich sahen mich alle an. Als ob ich eine Lösung parat hätte! Ich wusste nicht einmal, wo ich in all dem stand und sollte jetzt irgendwas Schlaues sagen?! Unwillkürlich fuhr ich mir durch die Haare. Erst als ich Achs irritierten Blick sah, fiel mir auf, dass es die gleiche Geste war, die Zac manchmal tat, wenn ihn eine Situation überforderte. Sofort ließ ich die Hand wieder sinken. „Wenn wir uns wie Diebe verhalten, werden wir auch wie solche behandelt", murmelte ich schließlich, weil mir nichts besseres einfiel.
Alle sahen mich perplex an und ich sah ebenso perplex zurück. Dann ging ein allgemeines Nicken durch die Runde. Irgendwie schien mein Argument den Ausschlag gegeben zu haben, sodass wir dem Weg weiter folgten – geradewegs auf die kleine Menschentraube zu, die nun langsam in unser Sichtfeld rückte.
Es waren gar nicht so viele, wie befürchtet. Trotzdem fragte ich mich, was diese sieben oder acht Leute an diesem Morgen dazu trieb, so lautstark zu diskutieren.
„Du brauchst mir nicht alles noch einmal vorzubeten!", knurrte eine alte, gereizte Stimme. „Ich habe deine Argumente schon beim ersten Mal verstanden. Und ich sage dir immer noch: Es ist Unfug, was ihr da treibt!"
„Ist dem so?", die Antwort war so leise, dass ich sie fast nicht hörte, doch wirkte sie nicht minder gereizt. „Wann hast du denn das letzte Mal Tiane und deine Enkel gesehen? Weiß sie überhaupt schon, dass ihr Bruder mittlerweile einen Sohn hat?"
Ich stockte. Diese Stimme zog mich an, wie Fliegen die Fische. Kannte ich sie?
„Das kann ich dir genau sagen", schnappte der Alte bissig zurück. „Nein. Und: Kurz bevor ihr diesen Wahnsinn hier losgetreten habt. Ich würde sie ja auch weiterhin sehen, wenn ihr euch nicht wie tollwütige Hunde benehmen würdet!"
Ich schaffte es nicht, die kleine Gruppe länger anzusehen – nicht, wenn ich den Schmerz so deutlich aus der Stimme des Mannes heraushören konnte. Ob er Tianes Vater war? Ich kannte sie, wenn auch nur flüchtig. Sollte ich ihm sagen, dass ich sie erst gestern noch bei der Schwarmversammlung hatte? Am liebsten würde ich das tun, aber irgendwie glaubte ich nicht, dass es die Sache besser machen würde. Trotzdem würde ich Tiane von ihrem Neffen berichten.
„Willst du mir etwa sagen, dass wir jetzt Schuld sind, dass diese Monster-"
Doch. Ich kannte die Stimme. Mit zusammengekniffenen Augen, musterte ich die Leute vor mir.
„Komm Senga", murmelte Achs und schob seine Hand unauffällig an dem langen Ärmel meiner Bluse vorbei, sodass er mit seinen Fingerspitzen direkten Hautkontakt hatte. Instinktiv zog ich eine Mauer, damit ich meine Gedanken gegen Achs abschirmen konnte. >>Hab keine Angst vor ihnen<<, flüsterte er leise in meinen Gedanken, da er meine Unruhe anders gedeutet hatte. >>Wir gehen einfach vorbei.<<
Mein Nicken sah er nicht, als er sich neu positionierte, um mich noch ein wenig mehr vor den Blicken der dort versammelten Menschen abzuschirmen. Doch er spürte meine Bestätigung in unserer Gedankenverbindung und lotste mich vorsichtig weiter.
„Ja. Genau das sage ich. Es ist wahr, dass es nicht immer einfach ist – aber euer Einmischen macht es schlimmer für uns alle, nicht besser!"
Wieder beobachtete ich die kleine Menschenansammlung, in die gerade Bewegung kam. Jetzt erhaschte ich auch einen Blick auf die beiden Sprecher. Mit einem Mal blieb ich wie angewurzelt stehen, als ich die hochgewachsene Gestalt mit dem blonden Schopf ausmachte. Mein erster Instinkt war Flucht. Aber da hatten seine dunklen Augen schon meinen Blick eingefangen und überraschtes Erkennen leuchtete in ihnen auf.
„Guten Morgen, Senga."
Ich wollte schlucken, doch mein Mund war so trocken, als hätte ich eine Hand voll Staub geschluckt. Augenblicklich fühlte ich mich nach Hause zurückversetzt. Damals, vor Ewigkeiten, als er fast jeden Morgen vor meiner Zimmertür stand, um mir einen ‚Guten Morgen' zu wünschen, sobald ich diese öffnete.
Ich hatte solche Angst vor ihm gehabt.
Und jetzt sollte er meine Rettung sein?
„Guten Morgen, Trell", antwortete ich so leise, dass es selbst in meinen Ohren schwach klang, ehe ich den Blickkontakt brach und versuchte, überall anders hin zu sehen.
>>Du kennst diesen jungen Mann?<<, fragte Achs' Stimme diskret in meinen Gedanken.
>>Ja<<, antwortete ich knapp ohne eine Miene zu verziehen, >>Er war ein Tischlergeselle auf Wanderschaft. Er lebte und arbeitete schon seit einigen Zyklen bei uns – also bei meinem Vater – als Zac dazu kam.<<
>>Und wie verstanden sich die beiden?<<, hakte Achs interessiert nach.
Ehe ich ihm mit einem ‚Ging so' antworten konnte, zog eine weitere Stimme meine volle Aufmerksamkeit auf sich. Vor allem, weil die Abfälligkeit mit der sie sprach, schon mehr als unverhohlene Abneigung war. „Kennst du dieses Fischweib?"
Perplex starrte ich den vielleicht 16-Jährigen Jungen an. Ich hatte ihn bisher zwischen all den Erwachsenen gar nicht richtig registriert. Trell jedoch runzelte missbilligend die Stirn. „Zügle dich, Lucien. Das ist Markus' Tochter."
Augenblicklich spürte ich wie sich Achs Konzentration bündelte. Lucien. Das war ein Name, der den ganzen Schwarm umtrieb. Zum einen löste er still brodelnde Wut aus, weil er an den Angriffen auf Gropp, Cana und auch Zac beteiligt war. Auf der anderen Seite, hatte Zac ihm einen Wasserkuss gegeben. Er gehörte also fast zur Familie. Und der Schwarm schützte die Seinen.
Der pickelige Junge hingegen schien kaum weiter beeindruckt zu sein. Stattdessen musterte er mich so intensiv, dass ich nicht einmal in seine Richtung blicken wollte. Plötzlich hörte ich ein leises Rascheln neben mir. Einen Augenblick später hatte Ricco den Abstand zwischen uns überwunden und stand an meiner Seite. Erleichtert schloss ich die Augen. So ungern ich es zugab – aber allein durch die Anwesenheit der Mitglieder meines Schwarms fühlte ich mich sicherer.
Lucien öffnete den Mund und schloss ihn wieder, während sein Gesichtsausdruck zunehmend verächtlicher wurde, als er Achs, Ricco und schließlich Varona genau musterte. „Sieh mal einer an, sie haben sogar ihre Earis mitgebracht."
Es klang, als würde er von einem Hund sprechen. Wütend biss ich die Zähne zusammen. Und auch in Achs Geist spürte ich, wie sich der Ärger weiter zusammenbraute. Varona zu beleidigen glich einem Vergehen.
„Lucien!" Dieses Mal klang Trells Stimme noch schärfer. „Geh doch bitte und kündige unseren überraschenden Besuch bei Markus an."
„Aber-"
„Geh!"
Er trollte sich. Als wäre mit ihm ein böser Geist verschwunden, löste sich auch die kleine Menschengruppe auf, nur Trell blieb zurück und musterte uns – nein, er musterte mich und Achs' Finger, die unauffällig mein Handgelenk streiften– interessiert. „Was macht ihr hier?", fragte er schließlich, weitaus höflicher als er eben noch mit Lucien gesprochen hatte.
Intuitiv zog ich meine Hand beiseite und löste die Verbindung zu Achs. Trotzdem spürte ich, wie sich Ricco neben mir anspannte. Doch ehe er sich zu einer womöglich dummen Antwort hinreißen lassen konnte, kam ich ihm zuvor. „Wir möchten mit Papa reden."
Wieder warf Trell mir einen langen, unergründlichen Blick zu. Dann nickte er langsam. „Na dann – lasst mich euch das Stück begleiten."
Papa. Ich würde ihn endlich treffen. Ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht, als sich nun doch eine zaghafte Freude einstellte.
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