Kapitel 15.1 - Neue Anfänge bringen neue Probleme

52. Tas' Saru 2146 n.n.O.

Ich sah mich um. Dafür, dass ich eigentlich gar nicht an einer Schwarmversammlung teilnehmen dürfte, war ich erstaunlich oft Teil dieser großen Gedankenverbindung. Schon zum dritten Mal innerhalb von wenigen Zyklen. Und auch wenn die Anlässe jedes Mal prekärer zu werden schienen – langsam verstand ich, warum Zac immer die Augen verdreht hatte, wenn eine Schwarmverbindung anstand zu der ich nicht durfte. Jedes Mal war es ein kleiner Stich gewesen, weil ich mich ausgegrenzt gefühlt hatte. Mittlerweile wurde es nervig. Zac hatte es mit einem schiefen Grinsen prophezeit und ich hatte es nie geglaubt.

Zac. Kurz huschte mein Blick zu ihm herüber, der er da irgendwo auf der anderen Seite des Kreises schwamm. So weit weg von mir wie möglich. Ein kleiner Teil von mir bedauerte das. Der weitaus größere Teil war erleichtert, denn wann immer ich an unser letztes Gespräch dachte, fühlte ich mich als hätte ich ein paar schwere Steine geschluckt. Trotzdem war ich noch nicht bereit, wieder mit ihm zu sprechen. Es wäre sicher genau so ergebnislos, wie meine Gespräche mit Sina über Trell. Dabei war es nicht einmal die Flussfrau, die mauerte, sondern die Tatsache, dass der Schwarm jetzt über die Freilassung von Trell und Lucien entscheiden müsste. Aber immerhin konnte ich sie überreden, im Zweifel für eine Freilassung von Trell zu sprechen, wenn sie vorher noch mal selbst mit ihm gesprochen hatte. Ich würde ihn bei nächster Gelegenheit danach fragen – schließlich unterhielten wir uns ab und zu.

Zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Immerhin war der Anlass heute ein bisschen schöner: Die kleine Agnes wurde in den Schwarm aufgenommen. Wie auch bei meiner eigenen Schwarmeinführung waren nicht nur die Erwachsenen Schwarmmitglieder da, sondern auch die Kinder. Sogar Bars und ihre Eltern waren von der Insel dazugekommen. Die Einzigen, die nicht da waren, waren Lucian, Trell und zwei Dreier-Patroullien, die den See und die Meermündung überwachten.

Gerade schwamm Phia mit der kleinen Quappe im Arm in den Kreis aller. Verwundert beobachtete ich sie. So sanft hatte ich sie nie gesehen. Und schon gar nicht mit diesem verhaltenem Lächeln, wann immer sie dieses kleine Ding in ihren Armen ansah. Kurz spürte ich wieder das Frösteln, das mich verfolgte, wann immer ich an Agnes' erste Verwandlung dachte ...

Vertraute Worte, die ich vor so vielen Zyklen gehört hatte, rissen mich aus meiner Erinnerung: >>Durch Blut getrennt, durch Wasser verbunden, gehört zu uns, was unser ist.<<

Phia hatte mit der Schwarmeinführung ihrer Tochter begonnen.

Ich schaute auf das Baby, dass sich eng an seine Mutter kuschelte. Der Schwarm würde ihr immer zur Seite stehen. Agnes würde immer eine Familie haben, die sie beschützen würde. Ob sie wollte oder nicht.

>>Wir sind eins<<, intonierte ich, zusammen mit allen anderen.

>>Unsere Stärke schenkt es dir, doch auch die Schwächen teilen wir.<<

Ein sanftes Kribbeln durchzog meinen Körper. Ein Echo dessen, was ich gespürt hatte, als Zac mich dem Schwarm angeschlossen hatte. Magie. Magie, die mich für alle Zeiten an den Schwarm band – mich, Agnes und auch jeden anderen in diesem Kreis zusammen schweißte.

>>Wir sind eins<<, antworte ich Phia wieder mit fester Stimme.

>>Niemals gebrochen, niemals entzweit. Ein Versprechen für die Ewigkeit.<<

Es war wie es war. Blieb nur, das Beste draus zu machen.

>>Wir sind eins.<<

Noch während wir alle diesen Satz sprachen, wandte sich Phia mir zu. Verwirrt sah ich sie an. Phia grinste ein geradezu freundliches Haifischgrinsen und winkte mich mit einer Hand heran. Damit wäre ich die erste, die Agnes im Schwarm ‚begrüßte'. Noch vor Koral. Das kam einem Ritterschlag gleich. Aber ich war ja auch die Patentante.

Zögernd schwamm ich näher und fragte mich, ob es nicht doch ein Versehen war. Aber als ich Phias Hand nahm und mich eine Welle aus Freude und Dankbarkeit überrollte, musste ich lächeln. Dann wandte ich mich an Agnes in Phias Armen und nahm ihre kleinen Finger in meine. Als ich bin die großen, schwarzen Augenflächen sah, hätte ich fast gekichert. Definitiv Achs' Enkelin. >>Hallo, kleine Forelle. Wir kennen uns ja schon. Ich bin Tante Senga, weißt du noch? Ich freue mich, dass du da bist."

Noch während ich sprach, hatte ich das Gefühl, dass das Kribbeln, das seit dem Wechselgesang in meinem Körper wohnte, über meine Hände verschwand. Vielleicht war es auf Agnes übergegangen. Ein klitzekleiner Teil von mir zu unserem neuesten Schwarmmitglieg. Ein verstörender und zugleich beruhigender Gedanke. Sie würde niemals alleine sein. Kurz bevor ich Agnes losließ, konnte ich ihren ungefilterteten Geist klar in meinen Gedanken spüren. Eine Mischung aus Neugierde und Müdigkeit. Sie war schon süß.

Hinter mir schwamm Koral ungeduldig und nahm direkt meinen Platz ein, um seine Tochter willkommen zu heißen. Als ich in die Gedankenverbindung des Schwarms zurückkehrte, spürte ich die Überraschung unzähliger Geister über Phias Entscheidung, mich zur Patentante zu machen. Ich sagte nichts von unserem kleinen Abenteuer. Sollten sie doch grübeln.

Nach und nach schwamm jedes Schwarmmitglied zu er kleinen Agnes, um sie zu begrüßen. Zuerst ihre Familie – allen voran Achs, Uhna und Zac – dann die engen Freunde von Phia und Koral, dann die, die ein wenig distanzierter zu der kleinen Familie waren und so weiter und so fort...

Als Ering zusammen mit seinen beiden Söhnen nach vorne schwamm, trug das Wasser einen Ruf von Gropp zu uns – einer der sechs Patroullienschwimmer. >>Senga? Hier oben ist Hannah. Sie besteht darauf mit dir zu sprechen. Und – und vielleicht solltest du das wirklich tun. Wir sind beim Sörans Wrack

Verdattert sah ich mich zu den anderen um. Einen Augenblick war da nichts in der Schwarmversammlung, kein Gedanke, kein Gefühl. Doch dann schlug mir mit einem Mal allgemeine Zustimmung entgegen. Also löste ich mich aus der Gedankenverbindung und schwamm zu Gropp – und Hannah.

Doch bevor ich ankam, holte ein Schatten von hinten auf.

>>Senga!<<

Varon. Innerlich schrie ich frustriert auf. Mit ihm hatte ich in den letzten Tagen auch nicht gesprochen. Mit Absicht. Ich wusste immer noch nicht, wie ich zu ihm stand. >>Was willst du hier?<<, grummelte ich ohne anzuhalten. Er war eh schneller als ich und würde mich schon einholen.

>>Der Schwarm hat beschlossen, dass es gut wäre, wenn du nicht allein bist<<, antwortete Varon vorsichtig.

Innerlich stöhnte ich. >>Ich brauche keinen Anstands-Wau-wau für ein ein Treffen mit Hannah! Außerdem ist Gropp da und noch mindestens zwei Begleiter.<< Ich wusste nur gerade nicht wer.

>>Und wenn es eine Falle ist? Senga, es geht hier vorrangig um deine Sicherheit!<<, erwiderte Varon stur und ich stöhnte wieder – diesmal laut und deutlich. Doch er würde sich offensichtlich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Also gab ich auf und schwamm in der Begleitung meines Anstands-Wau-waus zum Treffpunkt – immerhin hatten sie mir Varon hinterhergeschickt und nicht Zac.

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