Kapitel 32
„Wie wir es drehen und wenden, Quentin hat verzockt!", seufzte ich und erhob mich von der Bank um in einem der Vorratsschränke nach etwas essbarem für ein schnelles Frühstück zu suchen. Langsam bekam ich Hunger und würde mir wohl auch sobald der Stand des Cafés aufmachte einen Kaffee holen. Helena und ich hatten irgendwann nicht mehr schlafen können. Wir hatten diese Tatsache genutzt um uns auszusprechen und waren dann in einem Gespräch versackt.
Die Decke in die Helena sich eingerollt hatte raschelte. „Absolut!" Sie zog die Nase hoch und richtete sich wieder etwas mehr auf. „Wenn da noch ein Apfel ist bringst du mir den mit?"
„Mhm. Vielleicht sollten wir auch noch Leo wecken. Es sind schließlich seine Pferde, da kann er auch füttern helfen!" Ich unterdrückte ein Gähnen. Die Nacht war eindeutig zu Kurz für meinen Geschmack gewesen und ich wollte vor dem Füttern noch eine Rauchen. Dazu war ich bisher noch nicht gekommen. Die Sucht nagte an mir. Vielleicht war es wirklich an der Zeit endlich aufzuhören und dieses Laster in der Vergangenheit zu lassen.
Helena gähnte und macht keine Anstalten aufzustehen. Die Augen fielen ihr zu. Sie strich sich mit den Händen über das Gesicht. Sie sah genauso durch aus wie ich. Fragte sich nur wie wir den Tag heute überleben würden.
Ich öffnete einen der Schränke und fand tatsächlich noch einen einsamen roten Apfel. Ich warf Helena den Apfel zu, oder vielmehr warf ich sie damit ab.
„Hey! Sag doch was!", beschwerte sie sich und biss dann beherzt in die Frucht. „Oh, der ist schön süß!"
Schmunzelnd suchte ich in dem Schrank nach Keksen oder Zwieback oder Knäckebrot. Hautsache etwas was schnell ging und ich schnell in mich hineinstopfen konnte bevor wir zum Füttern über den halben Platz rennen musste. Ich fragte mich wie vielen Schnapsleichen wir wohl begegnen würden. Die Party gestern musste wild gewesen sein. Ich hatte beim aufstehen einige Gestalten zu den Lkws neben uns wanken sehen.
Ich wurde fündig. Eine Packung Zwieback mit einem Pausbäckigen Kind darauf stand ganz hintern im Schrank hinter mehrere Packungen Tee. Zufrieden mit meiner Beute drehte ich mich wieder zu Helena um.
„Sind die Jungs immer erst morgens zurück wenn sie auf Turnieren feiern?"
Helena sah mit dem Apfel zwischen den Zähnen von ihrem Handy auf. Sie sah so beinahe aus wie ein Spahnferkel. Unweigerlich musste ich grinsen. Zögerlich nickte sie und nahm den Apfel wieder aus dem Mund.
„Joa, Quentin ist eigentlich immer bis kurz vor Start verschollen. Wir haben letztes Jahr auf dem BuCha alles nach ihm absuchen müssen. Er hätte beinahe seinen Start verpasst. Quen kann nur froh sein, dass der Chef nicht dabei war sonst hätte es ärger gegeben. Leo ist eigentlich immer spätestens um drei Uhr zurück. Klara ist auch oft noch länger auf den Partys geblieben und kam häufig erst gegen vier oder fünf. Ab und an auch erst wenn ich gerade losging zum füttern. Inzwischen wissen wir ja warum. Sie muss da schon was mit dem Matchzek gehabt haben."
Ich seufzte und blickte zur Tür. Na hoffentlich würde sich Quentin noch etwas Zeit lassen bis er zurückkam. Helena würd ihm wohl die Meinung geigen wollen und da wollte ich nicht dazwischen geraten. Ich stopfte mir einen Zwieback in den Mund und nahm einen anderen in die Hand. Marmelade wäre jetzt schön, oder noch besser Schokocreme. Ja genau, ganz dick auf dem Zwieback verteilt.
Mit leisen Schritten lief ich zu Leos Schlafplatz. Ich konnte mir vorstellen, dass er wohl einen ziemlichen Kater haben würde. Vielleicht hätte ich ihn schon mit einem Glas Wasser mit einer Kopfschmerztablette wecken sollen. Kurz überlegte ich zurück zu den Schränken zu gehen und nach etwas gegen Kopfschmerzen zu suchen, aber entschied mich dagegen. Er sollte sich mal nicht so anstellen. Wer trinken konnte musste auch mit den Konsequenzen leben.
„Hey Leo, aufstehen!", lugte ich in die ruhige Ecke, aber blickte nur auf ein leeres Bett mit zerwühltem Bettzeug und achtlos drauf geschmissener Wäsche.
Wann war er bitte aufgestanden? Wie hatten wir das bloß nicht mitbekommen können?
Automatisch wanderte mein Blick zu dem kleinen Bad. War er vielleicht dort und wenn ja wie lange schon? Musste ich mir Sorgen machen? Er hatte am Abend so niedergeschlagen gewirkt! Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus, aber ich versuchte mir einzureden, dass er nur im Bad war und mir sofort antworten würde wenn ich an der Tür klopfte. Bestimmt hatte er nur kotzen müssen. Nach der Menge an Alkohol konnte ich das auch verstehen. Dass er überhaupt noch hatte stehen können war ein Wunder gewesen. Quentin hatte ihn auch noch zum trinken ermutigt, der Arsch. Armer Kerl!
Bemüht ruhig und steif ging ich zur Badezimmertür. Kurz lauscht ich in die Stille, aber hörte nichts. Noch einmal verharrte ich vor der Tür mit erhobener Faust. Immer noch nichts. Kräftig klopfte ich und rief, „Leo?"
Keine Antwort.
Panik stieg in mir auf und ich atmete zittrig aus. Das durfte doch nicht wahr sein? Wo war der Idiot? Ich konnte doch jetzt nicht in meinem Job versagen! So konnte ich mir die Stelle bei Roths doch abschminken.
„Fuck!", fluchte ich und raufte mir die etwas fettigen Haare. Ich hatte sie eigentlich nach dem Füttern waschen wollen. Panisch suchte ich mit den Augen nach einem Anhaltspunkt wo Leo sein könnte.
Helena stand plötzlich vor mir. „Ist alles okay?", fragte sie erstaunlich wach. Ihre Augen suchten meinen Blick.
Ich schüttelte den Kopf. Meine Unterlippe zitterte. Warum musste immer mir so eine Scheiße passieren? Ich dachte eigentlich wir wären jetzt Freunde. Warum hatte er nicht gesagt wo er hingegangen war? Hatten wir etwas verpasst? War er doch zu Quentin auf die Afterparty gegangen und wir hatten es einfach nur nicht mitbekommen?
„Leo ist weg!"
Helena riss erstaunt die Augen auf. „Nein! Wie...?" Sie drehte sich um die eigene Achse. Dann hatte sie wohl auch verstanden, dass Leo sich rausgeschlichen hatte. Sie wurde ganz bleich und kramte ihr Handy aus der Hosentasche. Mit fahrigen Bewegungen entsperrte sie es und tippte darauf herum.
Es klingelte auf Leos Bett. Sofort beugte ich mich darüber und fischte Leos Handy aus dem Wäschehaufen. Das Smartphone fühlte sich kalt und schwer in meiner Hand an, beinahe wie ein böses Omen.
Helena wich nun alle Farbe aus dem Gesicht und sie starrte einfach nur regungslos auf das Handy. Auch ihr war wohl klar, dass etwas nicht stimmte. Sofort tippte sie weiter auf ihrem Handy herum und hielt es sich an ihr Ohr. „Quentin", informierte sie mich schlicht.
Stumm nickte ich und betete er würde abnehmen und eine Erklärung haben wohin Leo verschwunden war. Vielleicht war er ja wirklich mit Quentin zu dieser Party, oder war viel mehr nachgekommen, weil er nicht schlafen konnte und mit einem hübschen Mädchen versackt. Beinahe wünschte ich mir das für ihn, weil das auch heißen würde er wäre über seine Ex hinweg.
„Geht nicht dran!", teilte Helena mir kühl mit und schob ihr Handy in die Hosentasche. Alle meine Hoffnungen zersplitterten wieder in ihre Einzelteile. Verzweiflung schwappte in mir hoch.
„Was tun wir jetzt?"
„Fragen mal bei den Nachbarn ob die was wissen? Irgendwer bekommt immer mit wann jemand kommt und geht und vor allem ob derjenige alleine war oder nicht. Kann Quen ein Lied von singen!" Helena klang sie beneidenswert ruhig und pragmatisch.
Stumm schlüpfte ich in meine Schuhe. Diese Anspannung in mir machte mich noch fertig. Inzwischen waren meine Gedanken wieder abgedriftet. War er vielleicht verletzt? War er nur schnell raus um nochmal nach den Pferden zu sehen und hatte sich dabei im dunklen verletzt? Lag er jetzt irgendwo mit gebrochenem Bein und keiner hatte ihn bis jetzt gefunden? Was wenn er die ganze Nacht da gelegen hatte? Ihm musste kalt sein.
Helena schritt vor mir zum Lkw neben uns und hämmerte kräftig an die Tür. Eine Mann mittlerenalters öffnete sie verschlafen und sah zwischen uns hin und her. Er gähnte und fragte etwas unwirsche:, „Parke ich falsch, oder warum holt ihr mich aus dem Bett?"
„Nein. Aber haben sie vielleicht Leonard von Speyer heute morgen unseren Lkw verlassen sehen?" Helena klang so nüchtern, als würde sie nur nach einem entlaufenen Kaninchen fragen.
Der Mann verzog keine Miene und schüttelte den Kopf. „Kindchen, ich habe geschlafen. Da habe ich wohl kaum darauf geachtete wer euren Lkw verlässt! Ihr ward gestern Nacht ja alle nicht gerade leise. Ich gehe jetzt auch wieder ins Bett, wenn es recht ist!" Damit schlug er die Tür zu.
Ernüchtert atmete ich aus und wollte schon blind einfach losrennen, da fasste mich Helena am Ärmel. „Weiter zum nächsten würde ich sagen!"
Selbstbewusst und zielstrebig lief sie zum nächsten Lkw. Wieder hämmerte sie an die Tür. Diesmal dauerte es einen Augenblick ehe sich ein dunkler Haarschopf aus der Tür schob.
„Morgen!" gähnte die junge Frau und streckte sich. „Ist etwas?"
„Morgen, Karin. Hast du vielleicht Leo heute Nacht oder heute Morgen aus unserem Lkw kommen sehen?"
Die junge Frau blinzelte kurz in die Ferne, dann schüttelte sie bedächtig den Kopf. „Nö, glaube nicht. Der war doch eh die ganze Zeit mit euch zusammen? Wenn ihr Quentin trefft sagt ihm er schuldet mir noch nen Fünfziger! Er sollte so besoffen echt keine Wetten abschließen"
„Sage ich ihm. Ich will echt nicht wissen was ihr wieder angestellt habt", knurrt Helena.
Karin grinste schief. „Er hat gewettet, er könne über den Wassergraben springen. Hat glaube ich ein blaues Auge und eine Platzwunde am Kiefer davon getragen"
Helena seufzte. „Verdammter Idiot!" Sie ballte eine Faust und knirscht mit den Zähnen. „Danke trotzdem!"
Karin wollte gerade die Tür wieder schließen, da fiel Helena noch etwas an. „Du weist nicht zufällig wo wir den finden können? Vielleicht ist Leo ja bei ihm"
„Das letzte Mal habe ich ihn mit der Kleinen von Kirschbergs gesehen. War aber so gegen vier Uhr morgens, oder so. Leo war nicht dabei soweit ich mich erinner. Hatte aber auch einiges im Tee."
Helena seufzte und nickte ihr zu. „Danke, dann fragen wir da mal nach!"
„Jo, bis später!" Damit schloss sich auch diese Tür wieder.
Helena knirschte noch lauter mit den Zähnen. „War ja klar!" zischte sie un ihre Augen verdunkelten sich. „Die Kleine ist erst seit letzter Woche achtzehn!"
Sofort verzog ich befremdlich das Gesicht und sparte mir einen Kommentar. Stumm folgte ich Helena durch den Jungel aus Lkws, in dem sie sich mühelos zurechtzufinden schien. Bei einigen hätte ich nicht mal gewusst wo genau sie herkam und wohl auf gut Glück geklopft, aber Helena schien zu wissen wo wir hin mussten.
Die Lippen presste sie fest zusammen, als sie an die Tür des Lkws mit der Aufschrift „Sportpferde Arnold und Sabine Kirschberg" klopfte. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Nichts regte sich. Wütend verengte sie die Augen und klopfte noch einmal, dieses mal eine Spur aggressiver.
Ein Mädchen öffnete die Tür. Die langen blonden Haare waren total verwuschelt und sie hatte noch Spuren von Wimperntusche unter den Augen. „Was?", blaffte sie als sie Helena sah.
„Wo ist Quentin?"
„Was weiß ich, wo das Arschloch ist! Der hat mich jedenfalls einfach sitzen gelassen! Hat den ganzen Abend nur von dir gefaselt. Je besoffener er war, desto schlimmer war es. Kannst ihn meinetwegen haben!"
Da war jemand eindeutig verletzt. Sie wollte die Tür schon zuschlagen, da hielt ich sie auf.
„Leo hast du nicht zufällig gesehen?"
„Nein man! Passt mal besser auf eure Jungs auf, dann müsst ihr sie auch nicht suchen!", schnauzte sie mich an und schlug dann tatschlich die Tür zu.
Ratlos sah ich Helena an. Ihre Gesichtsfarbe war eine komische Mischung aus rot und aschfahl. Um ihre Lippen lag ein wütender Zug und sie ballte die Hände zu Fäusten. Diese Spur war also auch eine Luftnummer gewesen. Was tat man dann in so einem Fall?
Helena entgegnete meinen Blick und wollte gerade zu einem Satz ansetzten, da hastete eine Frau auf uns zu.
„Helena!", rief sie und ihre Stimme überschlug sich aufgeregt.
Jene seufzte entnervt und murmelte etwas was verdächtig nach, „Die hat mir noch gefehlt", anhörte.
Keuchend bleib die junge Frau vor uns stehen. „Leo...", japste sie und deutete in Richtung der Stallzelte. Das war Klara! „Krankenwagen!" warf sie den nächsten Wortfetzen in die Runde.
„Fuck!", brüllte ich und sprintete kopflos einfach zum Stallzelt.
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