Kapitel 31
Es war noch dunkel als ich die Augen aufschlug. Mein Schädel dröhnte und ich hatte einen ekeligen Geschmack im Mund. Ich hätte eindeutig weniger trinken sollen! Bemüht leise richtete ich mich auf und spähte zur Sitzecke herüber. Vielleicht hatte ich ja Glück und alle würden noch schlafen, dann könnte ich zumindest in Ruhe einmal bei den Pferden sitzen und nachdenken.
Ich wurde enttäuscht. Helena und Mara schienen sich wieder blendend zu Verstehen und saßen gemeinsam mit dem Rücken zum Fenster und redeten im fahlen Schein, der kleinen Laterne, die meine Mutter dort irgendwann einmal hingestellt hatte und eigentlich nachdraußen gehörte.
„Ich verstehe es echt nicht!", hörte ich Helena klar sagen und die Decke unter der sie lag rascheln.
Mara seufzte. „Wer versteht schon Männer!" Ich konnte deutlich hören wie sie ein Glas auf dem Tisch abstellte. Die Kekspackung raschelte. Leise sein hielten die beiden wohl nicht für nötig.
Helena zog die Nase hoch. „Verdammtes Arschloch. Ich will gar nicht wissen wo er die Nacht verbracht hat und vor allem mit wem. Vielleicht ist es ganz gut, dass er so ein verdammter Feigling ist. Wer seinen Schwanz nicht in der Hose lassen kann, kann mir gestohlen bleiben. Man sieht ja an Leo wie einen das kaputt machen kann, wenn der Partner eine treulose Tomate ist."
Da war er der Stich in meinem Herzen und das Bild von Klara und Kai schob sich wieder vor mein inneres Auge. Das Arschgesicht hatte mich auch noch frech angegrinst, bevor er Klara die Zunge in den Hals gesteckt hatte. Und sie?! Sie war das Letzte!
Erst sagt sie, sie liebe mich noch und bla bla bla und dann knutscht sie schon wieder mit Kai herum. Was sollte ich davon bitte halten? Mara würde wohl sagen Abstand. Quentin meinte ja auch sie hätte mich nur benutzt. War ich etwa wirklich nur durch Kai ersetzte worden? Das widerte mich an. Kai war doch wohl ein Downgrade im Vergleich zu mir!
„Kann dich da vollkommen verstehen!", pflichtete Mara ihr bei. „Hast du mitbekommen, dass diese Plastik Barbie ihm schon wieder was von der großen Liebe erzählen wollte?"
Helena prustete los. „Klara, war schon immer so. Leo hat sie schöne Augen gemacht und sich eigentlich sobald er sich mal umdrehte nach einem Anderen mit mehr Erfolg und mehr Geld umgesehen. Ich weiß echt nicht was er an ihr fand."
Das tat weh. Sie hatten die ganze Zeit schon so über sie gedacht, aber mir kein Sterbenswörtchen davon gesagt?! Tolle Freunde. Wirklich toll!
„Sie hat ja sogar Quentin mal angebaggert. Aber schnell verstanden, dass außer seinem Aussehen, wenig Erfolg und gerade mal etwas mehr Geld als der Durchschnitt dahinter ist. Er eignet sich leider nur optisch zum Angeben auf Instagram.", Helena lachte bitter auf.
Mara musste kichern. „Die hellste Kerze ist er auch nicht!"
Da lachte Helena schallend los. „Nein, aber ab und an ganz süß! Das muss man ihm leider lassen."
Ich wollte gerade aufstehen, als wieder Stille herrschte da hörte ich Mara sagen.
„Du, du bist die Erste der ich davon erzähle, aber ich gehe wieder. Ich habe ein Angebot von einem Stall bei dem ich mal gearbeitete habe für meinen Traumjob." Sie klang kleinlaut, beinahe unsicher.
Sie wollte gehen?! Sie durfte nicht gehen! Sie war doch jetzt Teil unserer Truppe! Was machte ich nur ohne sie? Meine Welt zersplitterte genau in dem Moment wieder in zehntausend Teile. Wenn sie ging war ich wieder alleine. Wenn sie ging, dann... dann konnte ich das alles nicht mehr! Sie hatte mich in den letzten Wochen so aufgebaut und ich vertraute ihr mehr als allen anderen. Sie würde eine unheimliche Leere hinterlassen und ich wollte gar nicht daran denken, wie es wohl wäre an der Einfahrt zustehen und zu wissen, dass ich sie so schnell nicht wieder sehen würde.
„Okay. Bist du sicher, dass du gehen willst? Von Speyers würden dich bestimmt auch behalten. Ich glaube Leo würde es das Herz brechen. Trotz eurer Startschwierigkeiten hat er sich ja sehr an dich gewöhnt und dich auch ziemlich in sein Leben gelassen." Helena klang ehrlich besorgt und ich war erleichtert, dass sie mich so gut kannte.
„Deswegen erzähle ich dir auch davon. Vielleicht kannst du ihn etwas auffangen. Ich weiß nicht ob von Speyers mich übernehmen würden. Mir ist das auch zu riskant. Ich kann es mir nicht erlauben ohne Job dazustehen. Noch habe ich nicht angenommen, aber morgen muss ich es spätestens gemacht haben."
„Ich würde es nicht tun. Thomas und Regina halten große Stücke auf dich sonst wären sie erst vor zwei Wochen gefahren und nicht schon früher. Ich glaube schon dass sie dich übernehmen würden. Der Stall wird dir wohl kaum mehr bieten!" Gutes Argument Helena. Gespannt hielt ich die Luft an und wagte es nicht mich zu bewegen. Sie sollte bitte sagen, dass sie das Angebot ablehnen würde.
Mara atmete tief ein. „Ich könnte direkt mit nach Belgien. Ich wollte schon immer zu internationalen Turnieren. Direkt nach Peelbergen ist einfach zu verlockend. Ich hätte meine paar Pferde und würde überall mit ihnen hin wo auch sie hingehen. Am Ende des Jahres eventuell sogar ins Wintertraining in die USA, nach Wellington."
„Scheiße, das klingt echt gut! Aber überleg auch was du hier zurücklässt. Hier kannst du mit uns auf Turniere fahren. Vielleicht nächsten Jahr auch nach Oliva und du kannst bei Regina weiter reiten lernen, vielleicht auch noch eine Ausbildung machen. Gestüt Speyer ist wie Familie, bist du dir sicher dass du das bei dem Stall auch hast? Gerade wenn durch die Welt geflogen wird?"
Helena sah uns echt alle als Familie an. Mein Herz wurde weich und ich musste an mich halten nicht aus dem Bett zu springen um ihr um den Hals zufallen.
„Familie ist schön und gut, aber ich wollte das immer. Etwas von der Welt sehen mit Pferden und die großen Reiter begleiten. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal Babysitter für, einen zwar guten, aber eher erfolglosen Springreiter spielen würde"
Das hatte gesessen. Mir wurde noch schlechter als mir eh schon war. So dacht sie also über mich! Wie hatte ich nur je glauben können dass sie mich mag! Sie war nicht besser als Klara. Sie wollte mich auch nur austauschen.
„Aber Leo und auch Quentin haben Potential. Gib ihnen noch zwei Jahre und die spielen nicht nur hier im Nationalen Gewirr mit."
Wenigstens Helli glaubte an mich. Wie konnte Quentin diese gute Seele nur so behandeln? Sie hatte etwas besseres verdient als ihn!
„Die zwei Jahre habe ich nicht. Ich bin jetzt jung, ich will jetzt leben und nicht erst in zwei Jahren."
Leise glitt ich aus meinem Bett, schnappte mir meine achtlos in die Ecke geworfene Jeans und ein T-shirt. Ich wollte das nicht mehr hören! Sie sollte aufhören mir wehzutun! Dann sollte sie gehen und ich würde es ihr einfach machen!
Die beiden Mädchen hatten mich nicht bemerkt wie ich aus der Lkw Tür glitt und in die kühle, dämmrige Morgenluft verschwand. Sie würden wohl in spätestens zwei Stunden füttern gehen. Bis dahin war ich schon Geschichte.
„Leo! Leo, jetzt warte doch!", rief jemand hinter mir, als ich zum Stallzelt trottete. Wenigstens Bumble und Iris würden mich nicht anlügen oder anderweitig hintergehen. Niemals.
Ich blieb natürlich nicht stehen und die Schritte hinter mir wurden schneller.
Klara schob sich vor mich. Die Haare etwas wirr und nur mit einer Jogginghose und einem zu großen T-shirt bekleidet. „Gut, dass ich dich sehe", säuselte sie und klimperte mit den langen Wimpern.
„Warum bist du schon wach? Hat Kai dich rausgeschmissen?", kurz glomm Hoffnung in mir auf. Vielleicht würde sie mich über Maras Weggang hinweg trösten.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich musste nachdenken!" Ja sicher hatte sie das gemusst. Wo war bitte der Punkt zum nachdenken. Sie hatte es gestern Abend doch deutlich gemacht, dass sie Kai und nicht mich wollte. „Leo, bitte! Du musst das verstehen. Ich liebe dich, aber kann Kai nicht verlassen!" Dieselbe Leier wie gestern und das sollte ich ihr abnehmen? Verdammt ich war doch nicht blöd!
„Du hast dich entschieden!", murmelte ich matt und wollte mich an ihr vorbei schieben, da griff sie nach meiner Hand und blickte mir direkt in die Augen. Alle alten Gefühle für sie schienen wieder hochkommen zu wollen und mit ihnen das Bild von ihr und Kai im Festzelt gestern. Ich musste schwer schlucken und fühlte mich komplett bewegungsunfähig.
Sie schüttelte den Kopf. „Habe ich nicht! Und wenn ich mich jetzt entschieden müsse, dann würde die Wahl eindeutig auf dich fallen!" Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Vertrauensvoll, charismatisch und falsch.
Sie log mich schon wieder an. Klara führte etwas im Schilde und ich sollte für irgendetwas herhalten. Nicht mit mir! Eher beendete ich alles. Sie liebte mich doch eh nicht und mein Herz wollte sie einfach nicht los lassen.
Erwartungsvoll blinzelte sie mich an und schien nur so darauf zu hoffen, dass ich endlich etwas sagen würde. Ihr vielleicht sagte wie sehr ich sie immer noch liebte, wie ich mich nach ihr verzehrte und dass ich alles für sie tun würde. Aber stattdessen atmete ich tief durch.
„Weißt du was? Lass mich einfach in Ruhe. Wir zwei das war mal!", kam mir über die Lippen was ich vor Monaten schon hätte sagen sollen. Verlogene Bitch! Helena und Quentin hatten sie schon vor Monaten durchschaut und mir kein Wort gesagt. Wie konnte ich bloß so dumm sein?!
Irritiert blinzelte sie mich an und öffnete den Mund. Sie sah aus als würde sie mich für verrückt halten und als wenn die kein Wort von dem was ich gesagt habe verstanden. Ihre langen dunklen Wimpern schlugen sich nieder und sie schloss ihren Mund wieder. Wortlos trat sie beiseite und ich schob mich an ihr vorbei.
Mit ruhigen Schritten betrat ich das Stallzelt und atmete tief ein. Die würzige Geruch nach Heu stieg mir in die Nase und die Pferde schauten mir neugierig entgegen. Sofort stellte sich eine innere Ruhe in mir ein und ich war plötzlich wieder ganz klar.
Ich musste all das nicht ertragen. Ich musste nicht damit Leben, dass Quentin und Helena nicht den Arsch in der Hose gehabt hatten mir zu sagen, dass Klara mich benutzte. Ich musste nicht damit leben, dass Mara ging und mich in einem Scherbenhaufen alleine lassen wollte. Vor allem aber musste ich nicht damit leben, dass Klara mich in einer Tour nur belogen und betrogen hatte um sich zu bereichern oder was auch immer sie von mir gehabt hatte. Es klang wahrscheinlich nur gut, wenn sie Leuten erklärte, dass ihr Freund ein Adeliger war und dazu noch ein Gestüt erbte. Fuck! Wie hatte ich nur so blind sein können!
Kraftlos ließ ich mich zu Iris ins Stroh fallen. Sofort schob die Stute ihren Kopf an meine Schulter und pustete mir ihren warmen Atem ins Gesicht. Fest presste ich die Lippen aufeinander und kämpfte mit den Tränen.
Ich würde es beenden und zwar dieses Mal richtig! Es tat mir so leid. Leid für meine Eltern. Leid für meine Pferd, leid für mich selbst. Aber ich hielt diese ganzen Veränderungen, Erkenntnisse und Druck nicht aus. Es war zu viel. Mein Kopf wollte weg und dieser Ausweg schien der Beste zu sein, wenn nicht sogar der Einzige.
„Sorry Mäuschen. Ich habe dich lieb!", schniefte ich fertig mit den Nerven. Iris drückte ihre Nase noch fester an meine Schulter, als wollte sie mir alle meine Schmerzen nehmen, aber ich würde sie mir selbst nehmen. „Du bist die Beste, die Größte und die Verrückteste. Du wirst noch viel erreichen, aber nicht mit mir. Glaub mir das ist nicht leicht für mich. Bitte gib immer dein Bestes und wo auch immer du landen wirst, alles wird gut werden und du wirst wieder so geliebt werden." Zumindest redete ich mir das ein.
Tief atmete ich ein und blickte auf das Messer in meiner Hand. Ich hatte es aus dem Turnierschrank geklaut. Ich wusste dass wir dort immer eins hatten für den Fall der Fälle, dass etwas nicht aufging und ich wusste auch wie scharf es war. Ich warf noch einen letzten Blick auf Iris, die nervös mit den Ohren spielte, dann setzte ich das Messer an und zog.
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