Kapitel 25

Es hatte gut getan einfach durch den Wald zu streifen. Den altbekannten Routen zu folgen, die ich schon seit meiner frühsten Kindheit auch mit geschlossen Augen laufen oder reiten könnte. Die Nähe von Bumble hatte gut getan und mich wieder daran erinnert wie viel mir Pferde doch bedeuteten. Die Art wie sie mit nur einem Blick und einer herzlichen Berührung über die Seele streichelten, war rührend und ich hatte mich bemühen müssen nicht los zu heulen, als Bumble sich mit einem Stupser gegen meine Schulter verabschiedete. Er, Iris, die Anderen, sie brauchten mich und ich brauchte sie. Das in meinem Blut, das was mich antrieb und immer mehr wog als alles andere, das war der Pferdesport und nichts anderes. Obwohl noch nicht mal umbedingt der Sport, es war die Art wie ich mit Pferden verbunden war. Dieses unsichtbare und so einnehmende, dass ich mich in ihrer Gegenwart manchmal so gebrechlich fühlte, als könnte meine Fassade jeden Moment fallen. Genau das, das hatte ich vermisst! Ein Pferd sah einem direkt in die Seele und bewegte jeden Partikel in ihr so sehr dass man danach beinahe ein neuer Mensch war, allerdings mit den immer noch gleichen Problemen.

Tief atmete ich ein, als ich vor unserer Haustür ankam. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so geerdet gefühlt und war Mara dankbar dafür, dass sie diesen Einfall gehabt hatte. Sofort drehte ich mich noch einmal auf dem Absatz zur Haustür nach ihr um.

Lächelnd stand sie am Treppenaufgang und winkte mir zu. Die Ärmel ihres Flanellhemdes hatte sie wieder herunter gezogen. Ich fand die Dinger immer noch schrecklich, da half es auch nicht dass ich Mara heute besser kennengelernt hatte als ich anfangs je für möglich gehalten hätte.

„Danke", sagte ich aufrichtig. Dabei konnte ein Dankeschön gar nicht ausdrücken was für ein Geschenk sie mir mit dieser Idee gemacht hatte. Es fühlte sich beinahe heuchlerisch an. Dieser Spaziergang war mehr wert als ein einfaches ‚Danke'.

Mara blinzelte nur. Sie zog die Nase kraus und die Sommersprossen auf ihrer Nase tanzten, wobei das beinahe schon nicht mehr zu erkennen war im spärlichen letzten Sonnenlicht des Tages. „Wofür? Dass ich dich und dein Pferd durch den Wald begleitete habe?", fragte sie belustigt und ich konnte sie wie sie in ihrer Jackentasche schon wieder an ihrer Zigarettenschachtel herum fingerte. Sie musste wohl wieder eine rauchen, so eine komische Sucht. Nachzuvollziehen fand ich so zumindest nicht, besonders nach dem was ich ich im Biologieunterricht darüber gehört hatte.

Ich hielt inne. Langsam und mit einem Grinsen im Gesicht, wie ich es schon lange nicht mehr hatte zeigen können, schüttelte ich den Kopf. „Das war mehr. So viel mehr. Mehr als du dir vorstellen kannst!"

Mara musste unweigerlich lachen. Sie dachte bestimmt ich würde übertreiben. Dabei hatte sie doch bloß keine Ahnung davon. Der Schalter in meinem Kopf war wie umgelegt. Diese innere Ruhe hatte ich vermisst!

„Komm geh rein, sonst gibt's nur ärger von deiner Mutter!", schmunzelte sie. Ihre Hand hatte sie wieder aus ihrer Jackentasche genommen, trotzdem konnte man genau sehen, dass sie gerne Eine rauchen würde.

„Pff", machte ich gespielt arrogant, „Du willst nur Eine rauchen und dir dabei keinen Vortrag darüber anhören müssen wie ungesund das ist" Den würde ich ihr wirklich halten. Dafür mochte ich sie jetzt zu gerne und hasste diesen schalen Geruch nach Rauch. Vielleicht war meine Nase einfach nur überempfindlich, aber es gab doch eigentlich fast nichts abartigeres.

Mara zückte nun doch ihre Zigarettenschachtel und grinste breit:, „Gut kombiniert Sherlock. Wann fahren wir nach Baskerville zum Geisterhunde zähmen?"

Auf diesen Scherz ging ich nur zu gerne ein. „Ich werde sehen was mein Terminkalender sagt, Watson."

Wir mussten beide lachen und es fühlte sich so wunderbar leicht und befreiend an, wieder so mit jemandem Lachen zu können. Auch dafür hätte ich ihr gerade von Herzen danken können. Wie hatte sie in so kurzer Zeit nur mehr erreichen können, als seine Therapeutin in den ganzen Sitzungen die sie zusammen gehabt hatten?

„Und jetzt hau ab, du Spinner!", scheuchte sie mich kichernd weg. Sofort hob ich abwehrend die Hände und huschte hinter die Haustür.

„Gute Nacht", wünschte ich lediglich noch ehe die Haustür ins Schloss fiel und ich aus den ausgetreten Senkern schlüpfte. In der Küche brannte schon Licht und ich konnte Mama deutlich mit dem Geschirr handtieren hören.

„Leo?", schallte es auch kurz darauf. Mit wenigen Schritten lief ich zur Küchentür und lehnte mich entspannt in den Rahmen, der wie immer sperrangelweit geöffneten Holztür. „Hast du noch Schuhe an und könntest eben deinen Vater aus dem Büro holen? Ich glaube der versackt schon wieder über irgendwelchen Unterlagen." Sie redete einfach weiter ohne vom Tisch aufzusehen, auf dem sie wie jeden Abend ordentlich drei Teller platzierte und neben jedem noch ein Messer legte.

„Gerade ausgezogen und bis ich die wieder anhabe, ist Papa bestimmt schon hier und schläft wieder vor dem Tatort ein." Es tat mir etwas leid sie so enttäuschen zu müssen.

Blinzelnd sah sie auf und ihr Blick blieb an meiner Scheine hängen. „Ach ja...", kam es ihr gedehnt über die Lippen und sie wies auf meinen Platz am Tisch. „Dann setzt dich doch schon mal! Den bekommen wie schon irgendwie hier her"

Mir war ihr Pragmatismus nie aufgefallen. Aber gerade brachte er mich zum grinsen. Wann war meine Mutter bloß so geworden? Wie lange schon hatte ich sie schon nicht mehr so bewusst wahrgenommen?

„Wen wollt ihr irgendwie hier her bekommen?", hörte ich da schon meinen Vater neugierig aus dem Flur fragen. Wenn man vom Teufel sprach. Dann musste Mama es also nicht mit dem Telefonterror anfangen, bis er endlich den Hintern hoch bekam und die Papiere, Papiere sein lassen konnte.

„Das hat sich gerade schon erledigt. Wenn du dich dann auch mal an den Tisch bequemen würdest", lachte Mama und sah dabei wieder unheimlich liebevoll aus. Sie strahlte wieder einmal eine solche Wärme aus, dass mir nur mal wieder deutlich klar wurde, dass ihr diese Familie alles bedeutete und ich eigentlich dankbar sein konnte. Nicht jeder Mensch hatte wohl so eine Familie.

Papa schob sich in die Küche und ließ sich wortlos an den Tisch sinken. Müde fuhr er sich über die Augen und erschien mir plötzlich älter als sonst.

„Alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig. In meinem Kopf türmte sich ein Horrorszenario auf das nächste un in allen verloren wir das Gestüt innerhalb der nächsten Monate. Damit unsere ganze existent, einen großen Teil unserer Familiengeschichte und das Vermächtnis meiner Eltern, Großeltern und was weiß ich wem noch.

„Heute war einfach nur viel los. Wir brauchen immer noch einen neuen Pferdepfleger und ich hatte zwei Leute zum Bewerbungsgespräch da. Leider sehr ernüchternd. Mit verklärten Mädchenträumen können wir hier nichts anfangen. Aber wem erzähle ich das" Sofort fiel mir ein Stein vom Herzen. Nichts bedrohte unser Leben hier und es ging nur um die Momentan etwas schlechte Personalsituation.

Mama lächelte aufmunternd und fuhr ihm über die Schulter, als sie das Brot auf den Tisch stellte. „Das wird schon! Die neuen Auszubilden kommen auch bald und dann ist hier wieder mehr als genug Personal. Freuen wir und doch lieber einmal auf unsere Reise. Evi hat mir heute schon viele Fotos von ihren drei neuen Jährlingen geschickt. Ganz schicke Jungs!"

Papa griff über den Tisch nach einer Scheibe von dem Vollkornbrot. „Dann darf ich mir von Walter wieder anhören wie viel Geld er bezahlt hat und dass die Züchter Halsabschneider waren, dabei waren es gute und faire Preise."

Ich musste grinsen. Das klang ja sehr begeistert.

„Evi hat heute schon den Strudel vorbereitet. Ich muss auch zugeben, ich habe ihn etwas vermisst. Wobei die Pasta in diesem kleinen süßen Restaurant in Italien, du weißt schon das mitten in der Stadt, ist mein eigentliches kulinarisches Highlight." Mama seufzte auf.

„Die Pferde finde ich um einiges Interessanter, als das zugeben gute Essen!", wie zur Bestätigung biss Papa in seine Scheibe Brot mit dick Frischkäse. Ein Teil des Aufstriches blieb ihm im Mundwinkel hängen und sorgte bei Mama für ein leises Lachen.

Ich fühlte mich eher wie ein Gast oder ein stummer Zuhörer und genoss es irgendwie.

Den Tatort sparte ich mir. Ich war müde und seit langem Mal wieder ziemlich glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Ich hatte den kompletten Überblick über es verloren und damit nur noch das schlechteste in ihm gesehen. Wie schön es eigentlich war schien ich verdrängt zu haben. Ich hatte tolle Pferde, tolle Eltern und eigentlich ganz gute Freunde. Was konnte sich eine Person mehr wünschen? Warum hatte ich bloß je daran gedacht mir das Leben zu nehmen? Das war doch verrückt!

Fast so verrückt wie meine plötzlich auf gebrühte Freundschaft mit Mara. Ich dachte eigentlich wir zwei würden und so lange sie bei uns arbeiten würde auf die Nerven gehen und würde irgendwann einfach gehen. Aber jetzt fühlte ich mich als würde es mir unheimlich weh tun wenn sue einfach gehen würde. Es fühlte sich einfach an als müsste sie da sein und als würde sie irgendwie hier her gehören. Und vor allem als könnte sie zu unserer Truppe gehören. Mama und Papa hatte in dem Punkt irgendwie recht gehabt.

Im Halbschlaf tastete ich noch einmal nach meinem Handy. Es fühlte sich an als müsste ich noch einmal Instagram checken. Das hatte ich seit Tagen, ach, seit Wochen, nicht mehr getan. Irgendwie war ich neugierig was sich im Leben von Bekannte und solchen, die mal Freunde gewesen waren getan hatte.

Direkt das erste Bild was mir angezeigt wurde waren Klara und Kai in seinem viel zu protzigen und dekadenten Sportwagen, den sich seine Eltern auch nur mit Ach und Krach hatten leisten können. Ich verstand eh nicht was an so einem Auto so toll sein sollte.

Als ich das Bild sah wurde mir klar, dass Klara mich entblockiert hatte. Sofort suchte ich auf dem Bild nach Hinweisen, dass etwas nicht stimmte. Sie lächelte zwar, aber nicht mit den Augen. Ich kannte dieses Lächeln. Es war das Lächeln, das sie auch in der Schule so oft getragen hatte, wenn ihr jemand erzählen wollte, dass sie doch glücklich sein sollte. Klara war nur hier wirklich glücklich gewesen. Mit ihren Eltern hatte sie oft stress gehabt und in der Schule war auch nicht oft alles Rund gelaufen.

Mein Blick heftete sich auf die Bild Unterschrift. „Good for now- maybe forever?" Kryptisch. Kryptisch genug um mir Hoffnungen zu machen. Mein Herz schlug schneller und ich klickte auf meine DM's.

„Alles okay bei dir?", tippte ich und stellte direkt nach dem Absenden fest, dass sie noch online war. Das musste alles ein Zeichen sein. Sagte man nicht immer alles würde an seinen Platz fallen? Vielleicht war das auch einer dieser Momente in denen sich alles fügte.

Sie tippte, und tippte, und tippte. Die Punkte schienen nicht verschwinden zu wollen. Ungeduldig kaute ich auf meiner Unterlippe herum und betete, dass sie Neuigkeiten hatte, die mir nur noch mehr Hoffnung für uns geben würde. Oder sogar konkret machte dass sie noch eine Chance für uns sah. Sie musste einfach. Sie gehörte einfach so sehr in mein Leben!

„Jein. Wie kommst du darauf?" blinkte die Nachricht plötzlich auf. Was für eine dumme Frage.

„Ich kenne dich zu gut. Du lachst auf dem Foto nicht wirklich. Was ist los?" meine Finger flogen nur so über die Tasten. Wieder pochte mein Herz lauter und schneller. Tief atmete ich ein und schickte die Nachricht mit zitternden Fingern ab, nachdem ich sie noch einmal durchgelesen hatte. Ich hatte sicher gehen müssen, dass ich keine Fehler eingebaut hatte. Das war mir plötzlich wieder so wichtig wie früher, als ich gerade erst angefangen hatte mit ihr zu schrieben.

„Können wir uns treffen? Bitte Leo. Ich weiß ich habe dir unheimlich wehgetan, aber ich brauche dich! Ich will dir alles erklären. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich das bereue. Ich kann auch verstehen, wenn du nein sagst."

Kurz hielt ich die Luft an, ehe ich scharf ausatmete und fieberhaft überlegte was ich zurückschreiben sollte. Ob ich überhaupt heute noch zurückschreiben sollte. Aber wie könnte ich da nein sagen. „Wann? Wo? Gib mir etwas Zeit. Ich bin momentan kaum alleine zusprechen. Vielleicht in vier Wochen." 

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