Kapitel 24
Mit ruhigen Schritten führte ich den Wallach aus dem Stall. Gelangweilt kaute er auf seinem Gebiss und die Ohren hatte er gespannt nach vorne gerichtete. Ich fand den Selle Francaise unheimlich hübsch.
Sein Kopf war fast komplett braun, von der breiten Blesse und dem rosafarbenen Maul einmal abgesehen. Die breite muskulöse Brust und der kräftige Hals strahlten weiß und er hatte lediglich einen großen Fleck, der sich über die Hälfte der Brust und den forderen Teil des rechten Vorderbeines zog. Auch der Bauch war weiß und ein großer brauner Fleck zog sich über die mächtige Hinterhand. Die dunklen Augen blickten wach über den Hof und er schnaubte einmal laut.
Leo trat auf der anderen Seite des Anglo-Nomannen auf den Gestütshof. Lässig schirmte er die Augen mit seiner funktionierenden Hand, gegen die tiefstehende Sonne ab und ließ ebenfalls seinen Blick wandern.
„Wir müssen jetzt über den Hof, zum Springplatz und dann auf dem schmalen Sandweg dort ins Wäldchen. Wir gehen dort die kleine Runde und sind dann hoffentlich pünktlich um sieben wieder hier", erläuterte er mir den Plan. Ich kam nicht umhin zu denken, dass Leo wohl ein angenehmer Reiter war, zumindest wenn es darum ging als Pfleger mit ihm zusammenzuarbeiten.
„Das hoffe ich doch sehr!" schallte es vom Hof direkt neben dem großen Baum. Frau von Speyer schlenderte zu uns herüber. Sie nahm den Blick nicht von ihrem Sohn und ihre Augen funkelten in den Strahlen, die zwischen dem Blätterdach hervor lugten.
Wie immer war ich fasziniert von ihrer schier mühelosen Eleganz. Ihre langen Beine und ihr schlankes Antlitz taten wohl ihr übriges dazu, dass sie so wirkte. Die Reithose schien die Länge ihrer Beine nur zu unterstreichen. Automatisch suchte ich mit dem Blick nach dem Markennamen um mir im Kopf zu notieren von welcher Firma man so schmeichelhafte Hosen bekam. Als ich ihn jedoch fand, musste ich sofort feststellen dass so eine Reithose mein Budget wohl bei weitem überschreiten würde. Unter dreihundert Euro würde keine der Reithosen kosten.
Sie lächelte breit und strahlend. Sofort sah ich eine signifikante Ähnlichkeit zu ihrem Sohn. Leo hatte auch diese beinahe verspielt aussehenden Grübchen, wenn er wirklich bis zu den Augen lächelte. Seine Augen funkelten dann auch so. Die Wangenknochen und das eher hart geschnittene Gesicht hatte er eindeutig von seinem Vater, ebenso wie die sportliche und gerade Statur.
„Mama!", rollte Leo augenblicklich mit den Augen. Sie schien ihm heute wohl ganz besonders auf die Nerven zu gehen. Ich fand es eigentlich ganz süß, dass sie wohl beschlossen hatte hin und wieder mal nach ihm zu sehen.
Frau von Speyer bleib stehen und hob abwehrend die Hände. „Ich dachte die Zeit, in der ich dir peinlich bin, wäre nun schon etwas länger vorbei!" Sie lachte gelöst. Sie sah so sympathisch aus. Sie wartete Leos Reaktion ab, dann sprach sie immer noch schmunzelnd weiter. „Ich mag es nur einfach sehr, wenn wir alle zusammen Abendessen."
Leo seufzte. „Das weiß ich doch! Deswegen nehmen wir nur die kleine Runde." Er sah nun beinahe ungeduldig aus endlich gehen zu können. Bumble trat auch schon nervös von einem Huf auf den Anderen.
Leos Mutter lachte wieder auf. „Ich lasse euch gleich gehen. Aber vorher will ich noch Mara sagen, dass wir schon übermorgen unsere Reise nach Italien antreten. In Österreich wird schon ganz gespannt auf uns gewartete. Ich hoffe nur Thomas lässt sich nicht wieder ein Pferd andrehen"
Irritiert sah ich sie an. Sollten sie nicht erst in einer Woche fahren, oder war die Zeit etwa so schnell vergangen, ohne dass ich es gemerkt hatte?
„Wir haben die Reise etwas vorgezogen. Ihr zwei versteht euch so gut. Da haben wir uns entschieden doch schon früher zu fahren. Hier ist ja dann alles im Griff. Trotzdem wollen wir jeden Tag mindestens eine Nachricht und Leo, es wäre schön wenn du die Mails von den Züchtern beantworten könntest. Du weißt ja wo die die Belegung findest für die Deckstation und Passwörter stehen wie immer auf einem Post-It am Bildschirmrand. Aber das können wir beim Abendessen noch besprechen."
Leo machte das eindeutig nicht zum ersten Mal. Ich hatte das Gefühl Leo hatte bei der Hälfte aufgehört zuzuhören. Sofort musste ich grinsen. Das kannte ich doch zugut von meiner eigenen Mutter. Vielleicht waren Mütter einfach so. Sie wollten lieber auf Nummer sicher gehen. Nicht dass etwas passierte. Wobei was sollte schon passieren?! Leo wusste das alles und ich war nur das nervige Anhängsel, das gelangweilt im Büro herumlungerte bis der Herr mit den Pflichten fertig war.
„Sonst noch etwas? Oder dürfen wir jetzt gehen? Sonst sind wir zum Abendessen doch nicht zurück." Da saß jemand aus heißen Kohlen! Ich konnte ihn verstehen. Auch ich sehnte mich unheimlich danach wieder mit einem Pferd durch die Landschaft zu streifen und einfach nur die Seele baumeln zu lassen.
„Nein. Ihr dürft gehen. Es ist auch nicht schlimm wenn du zu spät bist Schatz, aber um den Tatort kommst du nicht herum. Ist Münster! Das fühlt sich doch sehr nach Zuhause an, oder nicht?" Sie schien Leo damit wohl etwas ärgern zu wollen, denn sie lachte danach wieder. Ihr Blick verriet sie. Schalk blitzte in ihren grünen Augen auf und sie winkte, um uns zu signalisieren dass wir gehen sollten.
Bumble ließ entspannt den Kopf hängen und zog zum Sandweg, der direkt neben dem Steinweg verlief. Immer noch war ich beeindruckt davon wie viel Wert die von Speyers auf das Wohlergehen ihrer Pferde legten. Noch nie war ich auf einer so gut geplanten und strukturierten Anlage gewesen. Es beeindruckte mich immer wieder von neuem und ich fragte mich ehrlich wann es aufhören würde mich zu überraschen.
„Ich liebe all diese kleine Details an die deine Eltern gedacht haben", sprach ich meine Gedanken aus.
Leo fuhr sich durch die Haare. „Früher sah es hier anders aus. Mein Vater hat sich viel mit den Forschungsergebnissen aus Stadl Paura beschäftigt, als vor fünf Jahren mit der Modernisierung begonnen wurde."
Wow. Das war spannend. Ich wusste nicht mal dass geforscht wurde. Und schon gar nicht in Paura. Spannend. Ich nahm mir vor Thomas von Speyer bei Zeiten mal darauf anzusprechen.
Auch das würde mir wohl eine positive Beurteilung einbringen und war dazu auch noch lehrreich. Mehr konnte man doch gar nicht wollen, oder? Alleine bei dem Gedanken an den Job bei Roths wurde mir warm ums Herz. Ich würde meinen Traum leben! Das war nur meine Zwischenstation und Leo könnte eventuell ein guter, zugegebener Maßen einflussreicher Freund werden. Das konnte auch nie schaden!
„Wie kommt das eigentlich, dass du Pferdepflegerin geworden bist?", riss Leo mich aus meinen Gedanken. Er sah nachdenklich aus und musterte mich wie ich neben seinem Pferd über den Sandweg schritt.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich mochte Pferde schon immer." Das war zumindest die einzige Erklärung, die ich ihm so locker geben konnte. Alles andere würde eher komplizierter zu erklären. Besonders ihm, der ja augenscheinlich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden war.
Leo nahm es mir auch nicht ab. „Das kann unmöglich alles sein!". Vehement schüttelte er den Kopf und sah mich prüfend an. Dabei hob er misstrauisch eine Augenbraue und sah dabei so witzig aus, dass ich schmunzeln musste.
„Nicht ganz, nein. Sagen wir es so. Ich fand Turniere immer spannend. Die Atmosphäre, die Pferde, die Menschen. Mir machte es einfach Spaß mit Pferden zu arbeiten, für mich gab es nie etwas anderes. Es war immer klar, ich werde mit Pferden arbeiten. In der Grundschule wollte ich noch Tierärztin werden"
„Warum bist du dann nicht Bereiterin geworden oder hast ne Ausbildung zum Pferdewirt gemacht?", hakte er weiter nach. Das hatte mich noch nie jemand gefragt. Alle hatten meinen Job immer nur hingenommen und nicht in Erwägung gezogen, dass es auch andere vielleicht auch etwas professionellere Wege gab mit Pferden zu arbeiten.
Ich atmete tief ein. „Ich habe Probleme mit dem Lernen. Außerdem reite ich viel zu schlecht. Ich kann mich schlecht konzentrieren und behalte gelesenes schlecht. Hat deshalb nicht zu einem guten Abschluss gereicht. Eine Ausbildung die etwas mehr von mir abverlangen habe ich deswegen nicht in Erwägung gezogen. Außerdem bin ich selbst nie Turniere geritten. Wie kann man da Bereiter werden?"
Leo zuckte mit den Schultern. „Mit den richtigen Leuten geht das. Man braucht nur eine Chance, jemanden der etwas in einem sieht. So könnte ich es mir das zumindest vorstellen."
Ich schüttelte den Kopf. „Niemand gibt jemanden so eine Chance, wenn man meine Noten hatte. Außerdem brauch man schon jemanden der wirklich sehr an einen glaubt um das zu schaffen. Ich bin glücklich als Pflegerin, auch wenn das heiß dass ich die Pferde die ich pflege nicht reiten darf und schlechter bezahlt werde."
Leo verzog das Gesicht, beinahe schon ungläubig. Wir kamen einfach aus anderen Welten. War klar dass er mich nicht verstehen konnte. „Wie lange reitest du denn, dass du glaubst keiner würde dich nehmen?"
Jetzt musste ich tatsächlich nachdenken und zwar gründlich. „Vielleicht so 13 Jahre, aber eher so on-off mäßig. Mal mehr, mal weniger. Je nachdem wie viel Geld da war. Manchmal hatte ich Glück und konnte mir meine Reitstunden selber nebenher verdienen in dem ich im Stall ausgeholfen habe.
„Na und? Das sagt nichts darüber aus wie du reitest! Die leichte Tour über reiche Eltern ist keine Garantie dafür, dass man es auch kann. Guck dir Kai Matchzek an, der kann nix."
Ich musste lachen. Natürlich zog er seinen Konkurrenten in die Diskussion.
„Wenn ich den nur reiten sehe komme ich das Kotzen! Der bekommt sein Pferd kaum in die Senkrechte! Dass die überhaupt springen wundert mich!" Er wirkte beinahe einschnappt und schien sich in rage reden zu wollen.
Vor uns baute sich langsam der Wald auf. So lange war ich schon nicht mehr mit einem Pferd im Wald spazieren. Gott hatte ich das vermisst! Ich hatte total vergessen wie sich das anfühlte.
„Reitest du gerne Turniere?", unterbrach ich seinen Redefluss. Ich wollte mir wirklich keine Abhandlung über einen gewissen Kai anhören.
Leo nickte. „Joa, macht schon Spaß. Mal mehr, mal weniger. Was am meisten daran liebe ist ganz klar Zeit mit meinen Freunden zu verbringen. Obwohl das war vielleicht mal. Keine Ahnung ob Quentin und Helena unsere Freundschaft noch was bedeutet!" Er klang betrübt und sah zum Boden. Es schien ihn echt sehr zu belasten.
Nun schien richtige Moment zu sein mehr über einen absolut sexy Quentin Behring in Erfahrung zu bringen. „Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit der Blutsbrüderschaft?"
Leo lachte. „Oh Gott!". Er schob die Hand in seine Hosentasche und ein nostalgischer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „Ich schöre es dir wir waren hacke voll!".
So fingen doch die besten Turniergeschichten an. Alle waren an irgendeinem Punkt immer besoffen und machten immer irgendeine Scheiße, die in den meisten Fällen immer ziemlich witzig war.
„Das BuCha lief echt gut. Drei Pferde, drei gute Urteile. Daher haben wir uns auch die Kante gegeben. Klara war wer weiß wo und Helli noch mal bei den Pferden. Wir saßen also alleine beim LKW. Nur mal so am Rande, mich und Quen alleine zu lassen wenn wir besoffen sind ist dumm. Wir haben dann so ein bissen rumgeflackst und Witze gemacht, dass wir mindestens genauso Brüder sind wie Old Shatterhand und Winnetou. Irgendwer kam dann auf die glorreiche Idee ein Messer zu holen. Long story short, wir haben uns beide in die Handfläche geschnitten, geblutet wie sau und Helena hat uns in Grund und Boden gebrüllt, während sie uns verarztet hatte. Die Story meinem Vater zu erklären was passiert war und warum er für mindestens zwei Wochen auf zwei seiner besten Leute verzichten musste hat sie aber echt gut hinbekommen." Er musste kichern.
Das klang echt noch eine Chaosstory und als ob man beide Jungs besoffen echt nicht alleine lassen sollte. Ich grinste in mich hinein. Wie gerne wäre ich da dabei gewesen!
„Quen und ich haben schon so viel Mist gemacht! Gott, wie ich das vermisse!"
Tief inhalierte ich die würzige Waldluft. Tat das gut! Die Hufe schlugen gedämpft auf dem Waldboden und auch Bumble schien es zu genießen. „Und mit dem da zu fliegen vermisse ich auch!" er wies grinsen auf sein Pferd. In seinen Augen konnte man eine klare Sehnsucht lesen. Egal was passieren sollte. Ich würde bei seinem ersten Turnier nach dem Unfall da sein, selbst wenn ich mir Urlaub nehmen müsste. Es fühlte sich an als müsste ich da sein!
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