Kapitel 2 (überarbeitet)

Hörbuch-Episode ab 18.07.24 exklusiv auf Patreon verfügbar. www.patreon.com/marina09blue

Die Luft flirrte schon seit dem frühen Morgen. Es war gerade mal kurz nach halb neun und das Fiepsen der Schwalben wurde nur von den aufgeregten Stimmen der Reitschulkinder unterbrochen. 

Meine Reitschulkinder, zu denen ich eher unfreiwillig bei der Morgenbesprechung gekommen war. Meine Chefin Dorothea Holzapfel, ihres Zeichens Koryphäe und Deutschlands bester Coach für fairen Umgang mit Pferden, hatte beschlossen dass sie schlicht und ergreifend keine Lust auf eine Gruppe Kinder im Grundschulalter hatte und das doch viel besser zu mir passte, die schließlich bis vor einem Jahr noch als Au-pair in England gearbeitet hatte. Dass Reitstunden geben nichts mit meinem eigentlich Job, als Pferdepflegerin zu tun hatte, schien sie dabei auszublenden.

„Mara! Mara! Darf ich heute Gallistar reiten?", rannte schon ein kleines Mädchen mit niedlichen kleinen Zöpfen, die vorwitzig unter ihrem beinahe zu groß wirkenden Reithelm hervor lugten, auf mich zu. 

Ich seufzte, das war das schlimmste an diesem Job, „Doro hat euch schon Pferde zugeteilt Melli, aber bestimmt kannst du nächstes Mal wieder Gallistar reiten". Enttäuscht schob Melina die Unterlippe vor und stapfte zurück zu den anderen Kindern und Eltern, die meine Ankunft noch nicht richtig wahrgenommen hatten.

Ich räusperte mich, „Hallo, guten Morgen. Ich habe hier die Pferdeliste. Merkt euch bitte welches Pferd ihr bekommen habt und dann holen wir zusammen die Ponys aus den Boxen. Wäre toll wenn die Eltern dabei etwas mithelfen!" Die Kinder hefteten aufgeregt ihre Augen auf mich und beteten wohl alle, dass sie ihr Lieblingspony bekommen würden. Die Eltern hingegen wirkten etwas enttäuscht, dass ich schon wieder vor ihnen stand und nicht die von ihnen allen so sehr geschätzte Dorothea.

„Melina, du reitest heute Mäxchen. Amelie du hast heute Caramba, Sevja hat Zottel und Toby, du reitest heute Gallistar" verkündete ich mit dem Zettel in der Hand, auf dem Doro handschriftlich niedergekritzelt hatte welches Kind welches Pferd bekam. Sofort ging das Gezeter los. Toby wollte lieber den kleinen grauen Zottel reiten, Melina jammerte dass Mäxchen so viel frecher als die gutmütige Gallistar war und obendrauf beschwerte sich noch eine Mutter schnippisch, „Warum ist Doro nicht hier?"

Es war also alles wie immer. Kurz schloss ich die Augen und sammelte mich etwas. Warum musste Doro auch immer alles auf das sie keine Lust hatte auf mir abwälzen? Ich kann mich nicht erinnern, dass das hier in meinem Arbeitsvertrag stand.

„Doro kommt eventuell später, sie hat heute viel zutun", bot ich eine schnelle Ausrede dar und hoffte die Mutter würde sie schlucken, aber die Frau mit dem flotten Kurzhaarschnitt verzog bloß die Mundwinkel abfällig nach unten. Auch die anderen Eltern guckten nicht glücklicher. Ich konnte sie ja verstehen. Sie bezahlten dafür, dass die große Dorothea Holzapfel ihren Kindern das Reiten nach ihrer bahnbrechenden Philosophie beibrachte, die eigentlich gar nicht so bahnbrechend war, aber sich nun mal so gut verkaufte.

Dorothea war eigentlich gar nicht diese große Koryphäe, als die sie sich gerne Präsentierte. Sie hatte nicht mal eine Ausbildung im Pferdesportbereich und hatte sich ihren Ruf lediglich durch einige glückliche Zufälle und einer beliebten Trick-Show in den 1990er Jahren erarbeitet. Sie betonte immer wie sehr sie das Wohl der Pferde schätzte und förderte, dabei waren die Weiden alle samt zertrampelt, die Boxen gerade so groß genug und kein einziger Sattel passte. Das war nun mal das Resultat wenn man als abgehalfterter Showreiter ohne richtige Pferdekentniss der Meinung war, man könne eine Reitschule mit Pferdeverleih, am Wochenende betreiben.

Ich war hier nur gelandet, weil es die einzige Stelle im Umkreis von 15 Kilometern war, die damals für eine Pferdepflegerin mit FN Prüfung ausgeschrieben war. Anfangs hatte alles auch noch toll geklungen, aber mittlerweile hatte ich den Kaffee auf und bleib nur aus Ermanglung an Alternativen und weil ich die Ponys und Pferde trotzdem irgendwie mochte. Selbst die Bezahlung war unter aller Sau.

Wir liefen also gemeinsam in den Boxengang direkt bei der Reithalle, in dem die Schulponys standen. In den beiden anderen Ställen standen ein paar Einstaller, Doros Privatpferde und noch drei Warmblüter die mit im Verleih und ab und an unter Fortgeschrittenen auch im Reitunterricht gingen.

Die Luft war staubig und das Licht wie immer etwas schummerig, aber was erwartete man von einem Stall der zuletzt 1990 renoviert worden war? Es war als wäre die Zeit einfach stehen geblieben und ich  wäre zurück in meinen Anfängen im Reite .

Die Kinder schafften es alle ihre Ponys mit der Hilfe ihrer Eltern zu holen. In dem Alter hatte ich schon selber alles machen müssen. So hatten sich die Zeiten schon mal geändert. Meine Mutter hätte mir wohl einen Vogel gezeigt hätte sie mit Pferde holen müssen.

„Bist du dir sicher, dass Doro noch kommt?", fragte die Mutter des kleinen Tobi pekiert. Was sollte ich darauf nur antworten? 

Ich hoffe es, ich bin nämlich nicht dafür geeignet ihren Kindern wirklich reiten beizubringen und habe das meiner Chefin auch gesagt. Na das wohl kaum! So lächelte ich freundlich und log ihr frei in Gesicht „Ja, sie wollte kommen sobald sie mit ihrem Pferd fertig ist"

Ich ekelte mich dafür  vor mir selbst. Nie hätte ich gedacht mal als Marionette einer Dorothea Holzapfel zu enden und für sie jede Woche aufs Neue Eltern zu vertrösten, die extra in den Sommerferien an einem Freitagmorgen mit ihren Kindern herkamen damit diese Kinder mit den Werten unseres so geliebten Sportes aufwuchsen. Dass sie diese Werte hier wohl eher nicht lernen würden, muss ich glaube ich nicht erwähnen.

Doro kam tatsächlich. Sie lugte mit erhabenem Blick in die Stallgasse, die Hände in die Seiten gestemmt schritt sie zwischen den Ponys durch und bleib Schnur gerade vor mir stehen, die gerade den Sattel auf Gallistars gepunkteten Rücken wuchtete und dem kleinen Toby erklärte wie man gurtete.

„Du hast alles im Griff Tamara?", säuselte sie und warf einen warnenden Blick zu, dass ich ja nicht erwähnen sollte dass der Sattel überhaupt nicht passte und mir nicht anmerken lassen sollte, dass die kleine Ponymix Stute mich gebissen hatte.

„Mhm" machte ich und versuchte krampfhaft nicht an unser letztes Gespräch zu denken, bei dem ich gerade Gallistars Sattelproblem erläutert hatte und sie mir klipp und klar gesagt hatte, dass sie keines Falls in eines ihrer Schulpferde investieren würde. So lange noch kein Sattelzwang bestand, war alles gut und dann würde die Stute einfach billig an einen Reitschüler verkauft werden, mit der Anmerkung dass sie sonst in die Wurst ging.

Doro war skrupellos und wenn man mich fragte, die einiges mehr mit den Pferden und Ponys zu tun hatte, hatte Gallistar Rückenschmerzen und es war eine Frage der Zeit bis sie irgendwann vor Schmerzen durchdrehen würde. Doro würde ihr wahrscheinlich billige Schmerzmittel füttern und damit hätte sich das Problem für sie von selbst behoben.

Das hatte ich in einem Praktikum am Ende der 10. Kasse schon anders erlebt. Damals war ich bei einem großen Sportstall untergekommen und hatte mich sofort in den Job der Pferdepflegerin verliebt. Leider hatte der Stall damals nicht auf meine initiativ Bewerbung reagiert und Doro war meine einzige Option gewesen, auch wenn ich immer noch davon träumte irgendwann als Pflegerin mit um die Welt zu reisen und an den wichtigen und großen Turnieren teilzunehmen.

„Na dann geht es ja. Ich komme später dazu" lächelte sie gekünstelt und ich wusste anders als die Eltern, dass Doro kommen würde, wenn die Kinder schon längst aus dem Sattel geklettert waren. Mit einem freundlichen Lächeln drehte sich meine Chefin um und verließ wieder den Stall. Ich konnte mir vorstellen, dass sie jetzt eine rauchte. Ein Laster, das ich leider mit ihr teilte. Allerdings rauchte ich bedeutend weniger als sie und bedeutend seltener.

Ich half noch bei den anderen Ponys, dann machten wir uns auf den Weg in die Reithalle. Die Kinder führten ihre Ponys auf der ganzen Bahn warm, dann steigen sie alle an der Mittellinie mit meiner Hilfe auf. Es war wirklich noch sehr wie im Stil der frühen 2000er. Genauso hatte ich früher auch Reiten gelernt und Doro hielt an diesem Prinzip fest, weil es in ihren Augen besser war als dieser neumodisch hyper pädagogische Ansatz, den die meisten Reitschulen jetzt fuhren.

„Okay, alle sitzen, alle sind zufrieden. Dann bilden wir jetzt eine Abteilung. Melli du reitest vorne, dann Sveja, Toby und du Amelie am Schluss". Sofort ging das nächste Drama los. 

„Ich möchte nicht hinten reiten" plärrte Amelie und Toby jammerte, „Aber ich möchte auch mal vorne reiten." 

Sofort stand damit auch Tobys Mutter auf dem Plan „Mein Sohn reitet jetzt vorne!" Beschloss sie einfach und ich hatte gar keine Chance so schnell zu widersprechen, dass ich mir dabei schon etwas gedacht hatte wie die Abteilung sich selbst zusammenstellte und im Schritt los ritt. Perplex stand ich in der Mitte und verfluchte diese Ausgeburt eine Karin.

Manche Mütter glaubten ihre Kinder wären etwas besonderes und damit dazu auserkoren immer das kleine extra Stück vom Kuchen zu bekommen, dass Toby noch nicht so weit war die Abteilung anzuführen und Gallistar auch das kleinste Pony, war für sie nicht ersichtlich und kein Argument ihrem Sohn den Wunsch abzuschlagen. Ich fand ihren Mann angenehmer der bloß mit den Schultern zuckte und meinte „Stell dich nicht so an!", wenn mal wieder etwas nicht so war wie Toby sich das wünschte und der sechsjährige bockig wurde.

Ich hatte mich gerade mit der Situation abgefunden, da schrie Tobys Mutter allen ernstes „Trieb das langsame Vieh doch mal etwas an! Was muss er auch schon wieder so ein kleines Pony reiten!". Ich konnte da doch nun wirklich nichts für und wollte Toby, der auch schnell mal verunsichert wurde gerade zu rufen, dass er es in seinem Tempo machen sollte und wir Melina an die Spritze setzten würden, da boxte der kleine Junge Gallistar so heftig mit den Hacken in die Seite, dass die Stute losrannte. Unkontrolliert und für den unerfahrenen Jungen nicht zu halten raste sie durch die Halle, die anderen Ponys schlossen sich ihr freudig buckelnd an.

Gallistar fühlte sich nur noch mehr befeuert von Toby, der ihr hilflos immer wieder in den Rücken fiel. Den Kopf zog die Stute so plötzlich zwischen die Beine und warf dann heftig ihren Hintern hoch. Ehe ich nach der Stute hätte greifen können flog der kleine Toby im hohen Bogen aus dem Sattel und prallte unsanft auf den Sandboden. Die anderen Ponys hatten sich beruhigt und nur Toby's lautes weinen durchschnitt die Stille der Reithalle.

Schnell machet ich mich daran Gallistar zu fassen zu bekommen, nicht dass sie auch noch über den kleinen Jungen drüber lief.

Seine Mutter stützte blind in die Bahn, achtete dabei nicht auf die anderen Ponys und schrei mich an „Warum hast du nichts gemacht?!" Wie hätte ich denn etwas tun sollen? Ich hatte jetzt ja nicht unschlüssig in der Mitte gestanden und einfach nur dumm rumgebrüllt. Ich hatte ihrem Sohn auch nicht gesagt, dass er die Stute antreiben sollte.

Toby weinte nur noch mehr, als seine Mutter ihn sich den Arm haltend vom Boden zog. Der Arm sah nicht gut aus, der Knochen stand komisch ab und man konnte quasi im Zeitraffer mit verfolgen wie der Arm immer weiter anschwoll und der Junge wollte gar nicht aufhören zu weinen, während seine Mutter mich wütend aus verengten anblitzte. „Das ist nur deine Schuld! Ich mache dich fertig das schwöre ich dir! Glaub ja nicht, dass je wieder Reitunterricht geben wirst. Wenn ich mit dir fertig bin dann bist du froh überhaupt noch Boxen misten zu dürfen", zischte sie und richtete sich etwas auf um Doro ebenfalls ihre Meinung zugeigen.

Seelenruhig stolzierte Doro in die Halle, als wäre nichts passiert und wir alle einfach nur überdramatisch. „Wieso darf so eine Person Unterricht geben?! Schau dir das an! Der Arm muss gebrochen sein!", fuhr die Mutter Doro an und deutete mit zittrigen Fingern auf Gallistar „Und dieses Vieh ist gemeingefährlich! Das gehört in die Wurst und nicht in eine Reitschule!" Doro hob abwehrend die Hände „Das sind nun mal Pferde und keine Maschinen, da kann es zu Unfällen kommen. Ich bin mir sicher Mara hat alles versucht diesen Unfall zu verhindern" wenigstens verteidigte sie mich. „Sie bringen ihren Sohn jetzt ins Krankenhaus. Mara bringt Gallistar weg und ich werde den Unterricht fortführen"

Ein schlechtes Gewissen packte mich, als ich Gallistar an den Zügeln fasste und zum Ausgang ging. Hatte ich wirklich alles getan um den Unfall zu verhindern? Dann hätte ich mich durchgesetzt und Toby am Ende der Abteilung gehen lassen. Stattdessen hatte ich mich von der Mutter übergehen lassen.

Das schlechte Gefühl ließ auch nicht nach, als ich Gallistar absattelte. Die Stute zuckte leicht als ich ihre Sattellage berührte und ich wusste sofort, dass sie wohl nicht mehr lange bei uns im Stall stehen würde. Innerlich hoffte ich ehrlich dass ein netter Reitschüler sich ihrer erbarmte und sie als Spaßpony bei sich aufnahm, aber die meisten wollten nun mal lieber Reitpferde und das war sie nun wirklich nicht mehr. Wahrscheinlich war es auch der Rücken gewesen, der das arme sonst so liebe Ding dazu gebracht hatte den Jungen abzuwerfen. Ich würde lügen, würde ich sagen ich hätte kein Verständnis dafür.

Es dauerte nicht lange ehe die Stunde vorbei war, die Kinder gegangen und Doro alleine mit mir auf der Stallgasse stand.

Verärgert blickte sie mich an „Mara, das hätte nicht sein müssen!" Begann sie und ich fühlte mich wieder ziemlich hilflos. Was hätte ich denn tun sollen? „So verlieren wir Kunden, wenn du nicht besser aufpasst!" Ihr Stimme war schneidend, „Einen neuen Job wirst du damit wohl auch vergessen können. Ich weis doch schon länger dass du weg möchtest, aber wer nicht mal Kindern verantwortungsvoll Reitunterricht geben kann wird sich wohl kaum um teure Sportpferde kümmern können" Das hatte gesessen!

Mein Träume schwammen wie Felle den Wasserfall hinunter und ich fand mich innerlich damit ab mein Leben lang, schlecht bezahlt an dieser schlechten Reitschule mein dasein als Pflegerin und unfreiwillige Aushilfsreitlehrerin zu fristen. Das war doch nicht fair! Alles nur weil sie sich nicht richtig um ihre Pferde kümmerte und eine Mutter glaubte sie hätte mit allem was sie sagt recht. 

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