Kapitel 13

Ich saß am Fenster, wie so oft. Die Nacht hatte sich über das Gestüt geneigt, und man sah nur noch die Außenbeleuchtung, der Ställe in der Ferne schimmern. Mein Blick galt dem Sternenhimmel, und eine Sehnsucht packte mich.

Konnte man die Zeit wirklich nicht zurück drehen? Nur ein kleines bisschen. Bis zum dem Tag, an dem ich vor wenigen Wochen, noch fest überzeugt von einer gemeinsamen Zukunft mit Klara auf dem Heuboden gelegen und in die Sterne geschaut hatte.

Hatte sie da wohl schon etwas mit Kai? Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Hatte ich einen Fehler gemacht? War ich ihr zu langweilig geworden?

Ich seufzte und blickte auf mein Handy. Der Bildschirm war schwarz und hatte schon seit Tagen keine Nachricht mehr angezeigt, als hätte die Außenwelt mich einfach vergessen. Noch nicht mal Quentin schrieb mir, oder Helena. Vor kurzem hätte sie angerufen, sobald sie wieder etwas organisierte und mich herzlich dazu eingeladen. Sei es nur, dass sie draußen zusammensaßen und redeten. Unter Garantie taten sie es auch heute. Die laue Sommernacht lud dazu ein, aber sie taten es ohne mich.

Ich war vergessen. Die Einzigen, die mich noch nicht abgeschrieben hatten, waren meine Eltern und langsam fragte ich mich echt warum sie mich nicht einfach genauso behandelten, wie der Rest es tat.

Der Skandal war verraucht. In der sportlichen Öffentlichkeit konnte ich mich jetzt wieder zeigen. Mein Körper war nur noch zu ramponiert. Mir hätte ruhig mal jemand sagen können wie unnötig und scheiße Schlüsselbeinbrüche, selbst wenn es kein ganzer Bruch war, doch waren.

Wieder seufzte ich und dachte daran, bei meinem ersten Turnier, nach der Verletzung, Kai und Klara wieder unter die Augen treten zu müssen. Verdammt! Ich wollte das nicht. In meinem Kopf klang es wie eine Kampfansage, dass Kai mir Klara genommen hatte. Wahrscheinlich sogar mit Freude.

Er war immer noch angefressen, dass ich ihm vor Jahren den Meistertitel weggeschnappt hatte und die Pferdezucht meiner Eltern, um einiges besser lief, als das was seine Eltern, gerne Zuchthof nennen wollten. Kai brauchte es wohl irgendwie für sein Ego mich leiden zu sehen. Das musste ein Fest für ihn gewesen sein, als er hörte ich hätte versucht mir das Leben zu nehmen.

Ich versuchte den kleinen Waagen am Himmelszelt auszumachen und mein Herz wurde augenblicklich ganz schwer. Zuletzt hatte ich das mit Klara gemacht und wir hatten rumgeblödelt, wie nun welches Sternbild hieß. Wir hatten uns Phantasienamen ausgedacht, gelacht über die dumme Idee des Anderen und ansonsten einfach dagelegen, in die Sterne geschaut und...

Das wollte ich nicht zuendedenken! Da war der Stich in meinem Herzen, direkt in dem Loch, dass Klara so schmerzlich in ihm hinterlassen hatte. Dieses Loch fraß sich kalt und dunkel immer weiter in mich, und plötzlich waren auch die Sterne wieder scheiße. Ich wollte sie nicht mehr sehen!

Den Kopf hängen lassend, stand ich von meiner Fensterbank auf, und schmiss mich einfach aufs Bett. Wenn ich die Augen schloss und mir die Decke über den Kopf zog, wär alles vielleicht wieder so wie vorher, oder ich könnte zumindest vergessen was war.

Vielleicht ja auch meine neue Aufpasserin.

Tamara. Schlecht gefärbte Haare, schrecklicher Stil und ganz klar niemand mit dem ich gerne Zeit verbrachte. Sie hatte mich einfach nicht in Ruhe lassen können. Warum auch immer! Ich hatte da sitzen wollen, und darauf warten dass die Welt aufhörte sich zu drehen!

Das sollte alles weggehen, und mit ihm ganz klar auch Tamara! Ich musste sie loswerden! Eindeutig! Die Frage war nur, wie?

Ich könnte so tun als würden endlich diese Tabletten anschlagen, die ich nehmen sollte, aber nicht tat. Dann wäre ich happy, alles in Ordnung, meine Eltern müssten sich keine Sorgen mehr machen, und bye bye, Tamara.

Nur was würde ich dann tun, wenn meine Eltern weg waren?

Ich hatte immer noch den Wunsch zu sterben. Einfach gehen. Wer würde mich schon vermissen? Auf meiner Beerdigung, würden sie dann alle weinen, aber hatten sie mich alleine gelassen. Getan als wäre ich ein Niemand, und hätte in ihrem Leben nie etwas bedeute. Klara würde auch da sein, wahrscheinlich eine große Nummer abziehen, und beteuern wie sehr sie mich doch geliebt hatte.

Ich vermisste sie. Ihr Lachen, ihre Stimme, ihren Geruch! Sie hatte immer auf eine ganz bestimmte Weise "Oh, Leo!" gesagt, wenn ich etwas dummes getan hatte. Selbst das fehlte mir, dabei hatte es mich ab und an wirklich gestört. Ihr Lachen hatte ich hingegen schon immer gemocht, genauso wie ihre Stimme.

Wäre mein Leben wohl anders gelaufen, hätte ich sie damals nicht, in der Oberstufe, kennengelernt?

Der Morgen dämmerte und tauchte das Zimmer in ein zartes rosafarbenes Licht, als es an meine Zimmertür hämmerte.

Verschlafen hob ich den Kopf. Ich hatte noch lange wachgelegen. Wahrscheinlich hatte ich höchstens vier Stunden geschlafen, und das auch eher mäßig. Mein ganzer Körper lechzte nach mehr Schlaf, vielleicht auch mal zur Abwechslung erholsamen.

Keine Minute später steckte Papa den Kopf zur Tür herein. "Stehst du auf? Wir wollen frühstücken und du hast in drei Stunden einen Termin bei der Physiotherapie, danach beim Arzt, und dann bei Frau Doktor Gibbens"

Scheiße! Zwei von drei Terminen klangen nach Schmerz, und der letzte einfach nur nach Schweigen, in der Hoffnung es wäre so schneller vorbei. Ich fragte mich langsam echt wie lange es dauern würde, bis Frau Gibbens mich als untherapierbar abschloss. Wir waren schon bei Sitzung vier, und sie war dazu übergegangen in meiner Gegenwart zu lesen. Also hatte sie mich schon mal etwas aufgegeben. Vielleicht saß sie auch nur die Sitzungen ab, um trotzdem ihr Geld zu bekommen.

Mit bleischweren Gliedern schälte ich mich aus meinem Bett. Wenn Mama Papa schickte, war liegenbleiben echt keine Option. So gerne ich mich auch wieder in mein warmes und weiches Bett kuscheln wollte. Da war schließlich alles in Ordnung.

Mama saß schon am Frühstückstisch. Wie jeden Morgen die Zeitung in der Hand, die sie nur überflog, und dann an Papa weiter gab. Ein Brötchen lag schon aufgeschnitten und geschmiert auf meinem Teller.

Ich hatte vergessen, dass Messer anfassen für mich ja nicht mehr erlaubt war. Zugegebenermaßen, war es ab und an wirklich reizvoll die Nähte einfach wieder zu durchtrennen, und damit hatte sich dann die Sache namens "Leonard von Speyer". Eigentlich eine sehr gute Idee. Nur wie könnte ich das unbemerkt angehen? Gedankenverloren betrachtete ich mein Brötchen.

Um diese Idee umzusetzen brauchte ich doch eigentlich nur ein Messer oder etwas anderweitig scharfes. Eine Rasierklinge würde es wohl auch wieder tun.

Dann müsste ich nur die Verbände irgendwie loswerden und...

"Leo?" Mamas Stimme durchkreuzte meine Gedanken, und klang alles andere als geduldig.

Ich blickte fragend von meinem Teller auf, sah ihr direkt in die grünen Augen. Meine Augenfarbe hatte ich eindeutig von ihr, genauso wie die gerade eher schmale Nase. Letztere kräuselte sie leicht und sagte dann:, "Du musst was essen."

Darüber hatte ich auch noch nicht nachgedacht. Wäre nicht auch das Aufhören mit dem Essen, ein guter Weg von dieser Welt zu verschwinden. Zugegeben, nicht sonderlich effektiv, aber eine Möglichkeit.

"Wenn du weiterhin nur isst, wie ein Spatz, muss ich wohl die Tage Apfelkuchen backen" seufzte sie und langte über den Tisch um mir die Hand zu tätscheln. Ihr Lächeln war mild, liebevoll, als müsse sie mir ganz dringend beweisen, dass ich ihr noch etwas bedeutete.

Apfelkuchen war leider wirklich ein ziemlich gutes Argument. Wenn ich eins, blechweise in mich hineinschaufeln konnte, dann der Apfelkuchen nach dem Rezept meiner Oma. Alles schmeckte einfach so sehr nach Kindheit, langen Tagen draußen auf dem Hof mit den Ponys und erfolgreichen Turnierwochenenden. Mit einem Wort: Positiv.

"Tamara fährt dich heute zu deinen Terminen. Ich habe noch einiges auf dem Hof zutun. Vielleicht tut euch das ja auch ganz gut, um euch etwas mehr anzufreunden"

Ganz sicher nicht! Da müsste ich meine Mutter wohl enttäuschen. Gestern hatte ich ja noch überlegt, wie ich Tamara das Leben schwer machen konnte, dass sie freiwillig ihre Sachen packen würde und verschwinden. Heute, hatte ich schon die erste gute Gelegenheit dazu...

Sie kennt sie unter Garantier nicht in der Stadt aus, und ich könnte ihr ganz leicht einfach flöten gehen, ohne dass sie es bemerken würde. Als würde das nicht reichen könnte ich ihr auch noch immer wieder Abkürzungen vorschlagen, die keine wären und oh... das waren unendliche Möglichkeiten sie an den Rand der Verzweiflung zu bringen.

"Ich finde sie sehr freundlich und kompetent" schaltete sich nun auch Papa ein. "Versuch doch wenigstens ihr etwas offener gegenüber zu treten"

Er hatte leicht reden! Ihm war nicht einfach jemand vor die Nase gesetzt worden, ohne den er keinen Schritt machen konnte! Kompetent, fand ich sie jetzt nicht umbedingt ,und freundlich, auch nicht.

"Über ihr Aussehen lässt sich streiten, aber sie scheint den Job ernst zunehmen. Sie gestern zu versuchen bei uns in Ungnade fallen zu lassen, war nun wirklich nicht nötig, Leo. Sei einfach nett zu ihr und ihr freundet euch schon irgendwie an. Mit Helena kommt sie zumindest schon hervorragend aus und auch Quentin fand sie nicht unfreundlich" natürlich hatte Mama mit den Menschen gesprochen, die sich meine Freunde schimpften.

Helena kam mit jedem aus. Sie war die unkomplizierteste Person, die ich kenne, und das einzige, was sie eine Person nicht mehr mögen lassen würde, wäre wenn sie mit Quentin zusammen wäre. Woher auch immer diese Obsession mit ihm kam.

Und Quentin? Er fand alles erstmal nicht unfreundlich was weiblich war! Wie oft hatte ich ihn in den letzten Jahren, auf einem Turnier, suchen müssen und er war noch reichlich verkatert, aber mit nem breiten Grinse aus einem fremden LKW gestolpert. Er könnte alle fünf bis zehn Minuten, auf einem Turnier, eine Neue haben. Und das wusste er!

"Wie kommst du darauf, dass ich mich mit ihr anfreunden will?!" maulte ich, weiterhin eher auf mein Brötchen starrend, als es endlich mal zu essen.

Mama seufzte und füllte sich Kaffee, aus der großen minigrünen Kanne auf dem Tisch nach:, "Sie passt in eure Gruppe, glaub es mir! Besser als Klara es je getan hat. Ich würde beinahe vorschlagen ihr geht alle vier sobald deine Schulter wieder okay ist ausreiten. Ihr hättet bestimmt eine ganze menge Spaß."

Da war er wieder, der Stich. Klara hatte sehr wohl in unsere Gruppe gepasst! Sie war vielleicht nicht sooo Pferdebegeistert gewesen, wie wir anderen, hatte auch eher selten und unwillig bei uns mit im Stall gestanden, aber trotzdem war sie ein Teil von uns gewesen. Zumindest meistens.

Scheiße ich vermisste sie!

"Das kann ich mir auch gut vorstellen. Das wäre mal was für ein Wochenende. Schicken wir die Jugendlichen alle mal zu unserer Hütte im Wald,mit den Oldies. Dann kommen die auch mal raus und die Kinder können mal wieder ungestört Zeit miteinander verbringen. Haben wir in meiner Jugend auch gemacht. Das waren, wenn ich ehrlich bin, immer die besten Wochenenden des Jahres.", stimmte Papa ihr zu allem Überfluss auch noch zu, und geriet auch noch ins schwärmen.

Mama musste kichern und wurde etwas rot. Sie hatte beinahe etwas von einem verliebten Schulmädchen. Mit ihren grünen Augen suchte sie Papas Blick. "Da erinnere ich mich auch noch dran. Besonders an die Abende am Kamin" kicherte sie wieder und ich wusste sofort, dass ich dazu eindeutig nicht mehr Informationen haben wollte!

"Hmh", machte Papa nachdenklich und schmierte sich Honig auf die noch frei Brötchenhälfte:, "Da konnten wir tatsächlich mal wieder hin"

Bitte lasst das nicht in einem Geschwisterchen enden, so wie sie sich dabei ansahen. Für den Scheiß war ich nun eindeutig zu alt! Dieses Bild würde ich echt nicht mehr aus dem Kopf bekommen, und ein Wochenende da verbringen, jetzt erstrecht nicht mehr.

Ich konnte mir eh besseres vorstellen, als mit zwei Mädchen und Quentin, in einer einsamen Hütte im Wald zu hocken. Zickenkrieg war da doch eigentlich vorprogrammiert. Die Mädels würden sich um Quentin streiten, und der würde unbeteiligt da sitzen und die Show genießen, während ich wohl versuchen würde zu schlichten. Nein, da gab es entspannenderes und vor allem würde mich das noch eher dazu verleiten meinem Leben ein Ende zu setzten. So viel Stress brauchte nun wirklich niemand.

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