Yassmin ist verschwunden
Kapitel 1
Adrain
Felspalast
„WO IST SIE?", brüllte Adrian durch die Gänge. Die Soldaten um ihn herum sahen sich panisch um und wiederholten alle lediglich, was sie davor schon einmal gesagt hatten. Als würden diese Worte ihren Herren nun weniger wütend machen.
„Wir haben die gesamte Festung durchkämmt, Mylord. Lady Yassmin ist nicht aufzufinden, zudem fehlt ihre Zofe und ..."
„Wir haben auf dem Gang vom Schlafzimmer bis in die unbetretbaren Katakomben ein wenig Blut gefunden, nicht viel, aber es ist frisch", unterbrach einer der etwas jüngeren Männer in Adrians Dienst seinen Mitstreiter. Wohl in der Absicht, dem Herrn dieses Schlosses etwas bieten zu können, damit Adrian ihnen nicht gleich den Kopf vom Schädel riss.
Für gewöhnlich empfand sich Adrian als ein Herrscher, der nicht zu unnötigen Grausamkeiten griff, schon gar nicht bei seinen eigenen Soldaten. Ihnen Furcht einzujagen, war absolut nicht nötig, doch das Monster zog an seinen Fesseln und wollte sich einmal durch den Palast schlachten, bis er seine Frau wiederfand.
Erst als er das mit dem Blut hörte, drängte sich sein rationaler Verstand an die Oberfläche und schob das Monster und seinen blutfordernden Wahnsinn zurück in die Tiefen seines Seins. Adrian erinnerte sich schlagartig an die dutzenden Geheimgänge, die schon lange vor seiner Machtergreifung auf dieser Seite des Flüsternden Waldes in diese Felsen getrieben worden waren.
Er hatte einige davon vor Jahrhunderten versiegeln lassen, einige ausgebaut und natürlich einige auch belassen, um selbst eine Fluchtmöglichkeit zu haben, sollte diese Festung jemals gestürmt werden.
Ein Fehler, den er eigentlich irgendwann hatte beheben wollen, aber nie die Zeit dafür gefunden hatte. Sie waren nirgends kartografiert und da dies hier nie sein Hauptsitz gewesen war, war es niemals eine seiner Prioritäten gewesen.
Verflucht! Nach all den Jahrzehnten, in denen Handwerker und andere Personen hier ein- und ausgegangen waren, war es durchaus möglich, dass einige von diesen Gängen entdeckt worden waren. Doch selbst wenn das so war: Nur jemand von seinen eigenen Leuten hätte ihn nutzen können.
In der Nähe seiner Gemächer gab es nur noch drei Geheimgänge und nur einer davon war ohne Weiteres betretbar. Es war ein kleiner und enger Gang, soweit sich Adrian erinnern konnte, und lediglich durch optische Tricks verborgen. Er endete irgendwo an der Steinwand, wo der Wald am dichtesten war.
„Blut?", fragte Adrian, packte den Arm des jungen Fea und schleifte ihn aus seinem Arbeitszimmer.
„Zeig mir wo!", befahl er ungeduldig. Dass er selbst noch nicht darauf gekommen war, dass Yassmin durch einen dieser Geheimgänge verschwunden sein könnte, schrieb er der Tatsache zu, dass er kaum noch klar denken konnte, seit er hatte feststellen müssen, dass seine Frau plötzlich weg war.
Ebenso wie ihre Zofe.
Der Gedanke, sie könnte geflohen sein, ihn tatsächlich betrogen haben, machte ihn wahnsinnig. Er spürte, wie der Zorn seinen Geist erneut erfasste und er alles in seiner Nähe zerfleischen wollte.
Er hatte gewusst, dass sie es irgendwann tun würde, aber so schnell? Mitten in einem Krieg? Nein. Sie hing zu sehr an ihrem Leben, um das zu riskieren, und wenn da Blut auf dem Boden war – ihr Blut – dann war sie nicht wirklich freiwillig mitgegangen. Könnte diese Zofe seine Frau entführt haben?
Sie hatte gesagt, sie würde ihn lieben und obwohl er es besser wissen sollte, auf Worte so viel Wert zu legen, hatte er ihr geglaubt. Sie könnte gezwungen worden sein. Bedroht. Aber wenn das so gewesen war, hatte diese Zofe das nicht allein und schon gar nicht ohne Informationen über diese Burg getan.
Der junge Soldat ging voran und Adrian folgte ihm mit ausgefahrenen Klauen und Fangzähnen, die sich unaufhörlich in seinen Kiefer bohrten. Nur wenige Fea hatten ihn jemals in diesem Zustand gesehen. Wild, monströs, furchteinflößend. Nun sah ihn der ganze Hofstaat so und sie sollten sich verdammt noch mal fürchten!
„Mylord, einer meiner Soldaten hat sich nicht bei mir zurückgemeldet." Quentin kam ihm entgegen. Nach Yassmins Verschwinden hatte er eine Kontrolle seiner Soldaten vorgenommen, um herauszufinden, ob noch jemand fehlte. Wenn diese Zofe Hilfe gehabt hatte, war ein Soldat am wahrscheinlichsten.
„Wer?"
„Ein Dunkler Fea namens Gil, er gehört zu der dauerhaften Palastwache hier."
„Dann könnte er den Gang entdeckt haben und der Helfer gewesen sein", sagte Adrian und kurz darauf deutete der junge Soldat, der das Blut erwähnt hatte, auf den polierten Stein des Fußbodens.
Dort war tatsächlich Blut.
Ihr Blut. Er roch es genau.
Adrian konnte nicht an sich halten. Er schob den Fea beiseite, hetzte selbst den Gang entlang und blieb vor einer der Schmucksäulen nahe seines Gemachs stehen, hinter der sich einer der Geheimgänge befand.
Er quetschte sich dazwischen und warf einen Blick die grob gehauene Wendeltreppe hinab, wo der Staub auf den Stufen verwischt worden war. Für einen Fea seiner Statur war es schwer hier hindurchzukommen, aber zwei kleine, zierliche Frauen würden es wohl schaffen.
„Untersucht den Gang und den Bereich um den Ausgang herum! Findet meine Frau oder ich töte euch, um mich abzureagieren!", blaffte er ungehalten und die Männer zögerten keine Sekunde, bevor sie losstürmten.
Quentin wusste, wo dieser Gang endete, und würde sie finden. Das musste er auch. Denn sonst würde Adrian dieses ganze Land ohne Rücksicht auf Verluste in Schutt und Asche legen!
Als die Männer ihn allein ließen, legte Adrian eine Hand auf die Mauer und versuchte irgendetwas von Yassmin zu erfühlen, obwohl das natürlich Unsinn war.
Sie musste diesen Stein berührt haben und wenn sie bedroht worden war, hatte sie sicherlich Angst gehabt. Als er sich das vorstellte, löste dieses Wissen etwas in ihm aus, das er nie zuvor gefühlt hatte. Mitgefühl, eigene Trauer und Wut gegenüber denjenigen, die das zu verantworten hatten.
Niemand jagte Yassmin Angst ein, abgesehen von ihm selbst! Wenn sie ihr auch nur ein Haar krümmten, würden sie dafür auf eine Art und Weise büßen, die sie nach ihrem Tod betteln lassen würde, schlimmer als jeder andere vor ihnen.
„Die Räume der Zofe waren sauber, aber das ist auch nicht verwunderlich, sie war erst seit einigen Tagen hier", meinte Kris, der sich vorsichtig seinem Gebieter genähert hatte und blickte neben Adrian in den Gang.
„Sie ist nicht freiwillig gegangen, sie liebt dich. So merkwürdig das auch klingen mag", meinte er und legte Adrian eine Hand auf die Schulter.
Dieser knurrte und der Fea nahm die Hand von seinem Lord wieder fort.
„Erinnerst du dich daran, dass ich dir verboten habe deine Fähigkeiten an meinen Leuten einzusetzen?", fragte Adrian, sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass Kris diesem Gebot nicht immer Folge leistete. Seine Fähigkeit, die Gefühle anderer zu manipulieren, machte es ihm verführerisch, einfach enttäuschte Geliebte zu beruhigen.
„Natürlich", sagte er und Adrian drehte sich leicht zu ihm.
„Du wirst Quentin helfen jeden einzelnen Fea in dieser Festung zu überprüfen, manipuliere sie, wenn es sein muss. Jeder, der auch nur einen Gedanken an Verrat hegt, wird getötet", befahl er und bemerkte deutlich das Zögern in dem Gesicht seines wohl engsten Vertrauten.
„Das ist Wahnsinn, Adrian. Die meisten von ihnen haben Angst vor diesem Krieg und selbst wenn sie dir nicht zu einhundert Prozent vertrauen, heißt es nicht, dass sie dich jemals verraten würden. Wie stellst du dir das vor ..." Weiter kam er allerdings nicht.
Adrian drehte sich ganz zu ihm herum, packte seinen Freund am Hals und drückte ihn gegen die grobe Felswand. Kris keuchte auf und versuchte sich gegen den Griff zu wehren, aber Adrian war älter und stärker als er. Kris hatte nicht die geringste Chance.
„Wenn sie nicht gefunden wird, wird diese Welt das bereuen und in Blut ertrinken. Du und jeder andere, der darin versagt hat, sie mir zurückzubringen, oder Harald und Demir, die dafür verantwortlich sind, dass es so weit überhaupt hatte kommen können. Ich schlachte sie ab! Alle!", verkündete er immer noch voller Zorn. Das war keine Drohung, sondern ein verdammtes Versprechen.
„Wenn Harald sie hat, wird er ihr nichts tun", presste Kris hervor. „Noch nicht zumindest. Er wird sie als Druckmittel benutzen und dann bekommen wir sie zurück", krächzte er weiter und Adrian ließ locker, bevor ihm die Luft ganz ausging.
Kurz blitzten seine Augen auf und gaben diese unheilvolle Fähigkeit preis, die Kris nur hatte, weil er halb gespalten worden war. Noch während des Prozesses hatte seine Mutter es nicht mehr ertragen und war mit ihm geflohen.
Doch als Adrians Griff fester wurde, verlor Kris die Kraft dazu, diese einzusetzen. Sie hatte auf Adrian zwar einen gewissen Effekt, hielt aber nicht lange und tat im Grunde nur eines: Adrians Zorn heraufbeschwören.
„Bete dafür, dass sie lebend zu mir zurückkehrt. Bete für das Reich, für mein und dein Schicksal", erklärte Adrian lediglich und Kris nickte ohne den geringsten Vorwurf in den Augen.
„Das wird sie, Adrian, aber so lange brauchen wir dich bei Verstand, denn wenn Harald oder Demir sie haben, müssen wir clever vorgehen, damit sie nicht noch mehr verletzt wird", meinte er und obwohl alles in Adrian ihm tatsächlich die Kehle zerfetzen wollte, tat er es nicht.
Aus blinder Wut zu töten, war ihm nicht fremd, aber das war selten eine gute Entscheidung gewesen und gerade jetzt konnte er es sich tatsächlich nicht erlauben, dumm zu handeln.
Er musste Yassmin wiederhaben. Sein Monster fühlte sich zerstückelt, alleingelassen und verraten. In diesem Moment hasste er Yassmin so sehr, wie er sie wiederhaben wollte. Dass sie sich einfach entführen ließ, war ihm unbegreiflich.
Wie konnte das passieren?
In seiner Festung? Und warum hatte er dafür noch niemanden umgebracht?
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