in Gewalt

Kapitel 4

Adrian

Adrian wusste, dass er eventuell vorschnell handelte, aber welche Wahl hatte er, wenn Demir seine Frau schon einen ganzen Tag in seiner Gewalt hatte? Noch bevor Quentin die Untersuchung der Geheimgänge beendet hatte, hatte ihn eine Nachricht von seinen Feinden erreicht, die seine Kapitulation verlangten, sonst würde man ihm seine Frau Stück für Stück zurückschicken.

Diese Drohung war lächerlich, angesichts der Tatsache, dass Yassmin einen ihrer Entführer, einen Soldaten aus der Festung, fast tödlich verletzt hatte. Er hatte sich die Wunden des Verräters angesehen.

Es waren die Klauen einer ungespaltenen Fea gewesen. Wenn also jemand zerfetzt wurde, dann wohl Demir, wenn er ihr zu nahe kam. Wobei man allerdings auch bezweifeln konnte, dass das Monster einer so jungen Fea sich lange manifestieren würde. Sie müsste schon Erhebliches erleiden, um diesen Wahnsinn in sich freizusetzen, und er wollte gar nicht erst daran denken, was diese Wache ihr angetan haben musste, damit Yassmin so die Kontrolle verlor.

Die Wunde hatte ihn für Stunden außer Gefecht gesetzt und sogar fast umgebracht. Momentan befand sich der Verräter in einer Zelle und niemand hatte auch nur vor sich um seine halb zerfetzte Kehle zu kümmern. Und so würde es auch vorerst bleiben. Die Folter, fast zu ersticken, würde Adrian ihm auf keinen Fall nehmen.

„Wenn sie das wirklich war, ist sie keine angenehme Gefangene", meinte Quentin lächelnd, während er dabei zusah, wie seine Männer die hautlosen Kreaturen aus der Eiswüste an langen Ketten zu der Grenze des Sumpfes brachten.

„Sie ist auch zu jung, um bereits ein Biest zu besitzen, das aus ihr herausbrechen könnte", überlegte er weiter und betrachtete die stinkenden, bemitleidenswerten Wesen, die unmenschliche Töne von sich gaben und nur unwillig ihren Peinigern an der Kette folgten.

Die meisten seiner eigenen Männer hielten großzügigen Abstand zu diesen ehemaligen Fea, die längst keine Fea mehr waren.

Sie waren nur noch nackte, gehäutete Kreaturen, die wer weiß wie lange durch die eisige Hölle der ehemaligen Königin der Dunklen Fea gewandert waren, bis Adrian sich ihrer bemächtigt hatte. Ab und an hatte selbst er Mitleid mit ihnen, war aber andererseits so fasziniert davon, was aus ihnen geworden war, dass er sie nie erlöst hatte.

Angst war schon immer seine mächtigste Waffe gewesen und er hatte geahnt, dass diese Kreaturen, die direkt aus einem Alptraum hätten stammen können, ihm irgendwann nützlich sein würden. Und dieser Tag war wohl gekommen, auch wenn seine Männer selbst ziemlich nervös wirkten.

„Sie hatte wahrscheinlich Todesangst, da geht so was schnell", versuchte Adrian das Thema zu beenden.

Er wollte Yassmin zurück und nicht hier herumstehen und quatschen in der Hoffnung, dass seine Frau in der Zwischenzeit nicht noch weitergefoltert wurde. Seinem Biest gefiel die Vorstellung gar nicht, dass ein Feind ihrer habhaft geworden war und nun sonst was mit ihr anstellte, und Adrian schwor sich jeden Mann, der sie berührte, auf die grausamste Art und Weise zu quälen, die ihm heute und in Zukunft noch einfallen würde. Aber er würde warten müssen, bis die Sonne sich langsam dem Horizont näherte.

Sie waren in der Unterzahl und brauchten jeden verdammten Vorteil, den sie bekommen konnten.

„Kris hat mir von eurer ersten Begegnung erzählt, du hast ihr fast das Genick gebrochen. Da kam in ihr auch kein Monster zum Vorschein, was war bei dieser Entführung anders?", dachte Quentin laut nach und Adrian warf ihm einen Seitenblick zu, der ihm ziemlich schlimme Dinge androhte, wenn er nicht sofort aufhörte sinnloses Zeug zu reden.

Aber ganz unrecht hatte er nicht.

Yassmin war wie jeder darauf bedacht, ihr Leben nicht vorzeitig zu beenden, aber es zu verlieren, machte ihr nicht so große Angst, dass sie deswegen in Panik geriet.

Irgendwas hatte der Kerl getan, um sie tatsächlich verzweifeln zu lassen. Doch das war etwas, um das er sich später kümmern würde.

Momentan hatte Yassmin selbst Priorität.

Adrian sah dabei zu, wie die Männer die ersten Gefangenen brachten, die sie aus den Grenzgebieten des Lagers entführt hatten.

Pfähle wurden aufgestellt und mit einem Ende in das schlammige Erdreich gesteckt. Das Brüllen der Fea auf der Spitze würde noch kilometerweit zu hören sein und sicherlich nicht ohne Effekt auf die restlichen Soldaten von Demir und seiner Mutter bleiben.

„Das wird riskant, wir haben nicht genug Leute, um einen offenen Kampf zu wagen", warnte Quentin, aber Adrian ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich wünschte auch, wir hätten mehr Zeit, um diesen Leuten zu zeigen, was wahre Angst bedeutet, aber ich kann nicht zulassen, dass sie ihr Schlimmeres antun als das, was sie bereits getan haben."

Sein General nickte und winkte einige Soldaten mit Speeren heran.

Es würde umständlich sein, mit diesen durch den Wald zu spazieren, aber es würde den gewünschten Effekt haben, wenn sie damit ihren ersten Gegner aufspießten. Adrian hatte schließlich einen bestimmten Ruf, den er fördern wollte.

„Was ist mit Haralds Stellung? Haben wir sie mittlerweile ausmachen können?"

„Er ist cleverer als seine Verbündeten, er hat seine Armee nicht ein großes Lager aufschlagen lassen, sondern mehrere kleinere. Dadurch sind sie schwerer von unseren Spähern auszumachen, allerdings auch angreifbarer. Dass Harald selbst unter ihnen ist, bezweifle ich aber", erklärte Quentin schnell und Adrian nickte.

Harald würde nicht so dumm sein, diesseits des Flüsternden Waldes zu ziehen und seinen eh schon wackelnden Thron zurückzulassen. Doch das war egal, denn seine Armee war hier oder ein Teil davon und sie werden jeden Meter, den sie unberechtigterweise auf seinem Land gemacht hatten, mit Blut bezahlen.

„Gut, ich will meine Frau und nicht, dass er sich einmischt, wenn wir Demir zerlegen."

„Das wird kaum passieren. Sie sind Verbündete, aber sie begegnen sich gegenseitig mit Misstrauen. Selbst wenn Harald zur Hilfe bei unserem Überfall eilt, dauert es, bis er sich mobilisiert hat und angekommen ist. Bis dahin sind wir längst wieder in der Festung."

Das waren gute Nachrichten, dennoch würde Adrian nichts riskieren.

Momentan war Yassmin bei Demir, aber wenn sie in den Wirren des Überfalls in Haralds Finger gelangte, würde er sie augenblicklich umbringen. Noch schien er nichts von ihrer Gefangennahme zu wissen, sonst hätte er Demir erklärt, dass diese dumme Drohung Adrian zwar unter Zugzwang setzte, das aber sehr schnell nach hinten losgehen konnte.

Unter Druck handelte Adrian nicht unüberlegter, nur brutaler.

Als die letzten Sonnenstrahlen den Boden trafen, kontrollierte Adrian noch einmal die Lederriemen an seiner Rüstung. Sie waren seit den letzten Kämpfen abgenutzt und speckig und mussten ersetzt werden, genauso wie der Griff seines Schwertes, aber auch das würde warten müssen. Für diese Schlacht würde es ausreichen, diese und vielleicht noch die ein oder andere mehr. Dennoch würde er sich langfristig damit abfinden müssen, eine neue Rüstung tragen zu müssen. Einige Stellen an dieser waren bereits so oft ausgebessert worden, dass das Metall drohte dünn zu werden, und von den prächtigen Verzierungen, die sie einst geschmückt hatten, war nicht mehr viel zu sehen. Aber er hing an ihr, hatte sie ihm doch stets gute Dienste geleistet.

Als die Sonne dann den Horizont endgültig verlassen hatte, setzte Adrian den ersten Schritt in Richtung des Waldes, der dem Eingang seines Palastes Deckung gab.

Als Lord dieses Reiches ging er voran, noch vor ihm die Vorhut, die die Späher von Demir den Tag über ausgedünnt hatten und nun erbarmungslos jeden abschlachteten, den sie entdeckten. Im Gegensatz zu den Truppen seines Gegners kannten Adrians Männer diesen Wald und die Moore darin.

Sie wussten, wo sie hintreten mussten, sie wussten, wie sie am schnellsten die gewaltigen Wurzeln überqueren konnten, und setzten die Kreaturen, die sie an den Ketten hinter sich herzogen, genau an den richtigen Stellen aus, sodass die natürliche Lage sie automatisch in Richtung des Lagers trieb, in dem sich Demir aufhielt und somit wahrscheinlich auch Yassmin.

Ein Lächeln erfüllte Adrians Gesicht, als er das erste Klirren von Schwertern hörte, das erste Krächzen seiner Feinde und die ersten Schreie.

Er vernahm wie die Soldaten Demirs in Panik gerieten, als die Monster, die sie noch nie gesehen hatten und aus den Horrormärchen ihrer Kindheit entsprungen waren, das Lager erreichten. Und als Adrian selbst die Grenze überschritt und seine eigenen Männer an ihm vorbei auf ihre Feinde losgingen, umfasste Adrian diese sinnesschärfende Ruhe, die ihn immer erfasste, wenn er kurz davor war, in die Schlacht zu ziehen.

Er tötete den unbewaffneten Soldaten vor sich auf dem Boden, dessen Augen blanke Panik zeigten. Nicht vor der angreifenden Armee, sondern vor einem der hautlosen Wesen, die auf ihn zu gestolpert kamen.

Dabei waren diese Kreaturen nicht mal besonders aggressiv.

Sie waren verzweifelte Fea, die ohne Verstand vor sich hin stolperten und kaum noch wahrnahmen, was um sie herum passierte. Ihr Fauchen und Jaulen war mehr ein Wimmern, aber ab und an liefen sie auf andere Fea zu, wie Motten, die in das Feuer flogen.

Seine Männer hatten sich an die Wesen besser gewöhnt als gedacht und konzentrierten sich auf den Angriff, auf den seine Gegner nicht vorbereitet gewesen waren.

Aber Adrian selbst hatte andere Prioritäten, als amüsiert dabei zuzusehen, wie ein Teil der feindlichen Soldaten in die Wälder floh, wo sie direkt in die Speerträger liefen, die er dort platziert hatte.

Adrians Männer würden sie damit aufspießen und die Stange mit dem anderen Ende in den Boden stecken, um sie aufzurichten, und somit den Gerüchten um Adrian neues Futter liefern. Andere fliehende Soldaten blickten voller Panik zu ihren Kameraden hinauf und sanken schockiert auf die Knie, bevor sie von seinen Leuten abgeschlachtet wurden. Irgendwo weiter hinten allerdings kämpfte eine Gruppe von Demirs Soldaten ernsthafter und ließ sich von den verstörenden Bildern um sie herum kaum ablenken.

In der Mitte dieses undurchsichtigen Haufens erkannte er hellblondes Haar und die Frau, zu der es gehörte, sofort.

Ashaja, die mit ihrem Sohn in der Mitte von hohen Offizieren stand und für sich kämpfen ließ. Nicht mal ihr Sohn beteiligte sich an dem Kampf, sein Schwert war neu und strahlte rein und sauber im Schein des aufgehenden Mondes.

Anders als seines.

Adrian kämpfte sich den Weg zu dem Kindskönig frei, bis der Blick dessen Mutter den seinen traf und sie ihn breit anlächelte. Warum lächelte sie? Mit den Schultern stieß Adrian einen unerfahrenen Soldaten einfach zu Boden und rammte ihm sein Schwert direkt ins Gesicht, ohne den Blick der Hellen Königin-Regentin loszulassen, doch als er näher trat, sah er den Grund ihres selbstzufriedenen Gebarens.

Yassmin.

Sie hielt seiner Frau eine Klinge an die Kehle, einen Akt, den sie bereuen würde, so wahr ihm die Götter halfen!

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