In Blut

Kapitel 5

Yassmin

Yassmin spürte, wie ihr fast das Herz aus der Brust sprang, und zwar nicht, weil ihre Fast-Schwiegermutter ihr einen ziemlich hübschen Dolch aus Obsidian an die Kehle hielt oder weil Demirs brutale Art, sie aus ihrem Versteck zu schleifen, ihr weitere Schmerzen bereitet hatte.

Nicht mal das Gewirr, dass um sie herrschte erschreckte sie, auch wenn sie zugeben musste, dass sie nie gewusst hatte, wie dreckig eine Schlacht sein konnte, wie übel die Leichen rochen oder wie sehr sich ihr, angesichts der Brutalität, der Magen umdrehen konnte.

Es war der Moment, als Adrians Blick auf sie fiel, der ihren Puls in die Höhe schnellen ließ.

Sie musste zugeben, dass sie sich ihn nie anders hätte vorstellen können. Selbst mit schlammigen Stiefeln, blutverschmierter Rüstung und Schwert sah er wahrlich herrschaftlich aus, während sein Anblick alle anderen um sie herum in Angst und Schrecken versetzte.

Seine Augen waren pechschwarz, seine Fänge zeigten sich, als er sie entdeckte und die Klinge an ihrem Hals registrierte. Er war wunderschön, selbst jetzt, wo sie nur das Monster sah. Ein Monster, das sie so sehr liebte.

„ADRIAN!", rief die Frau hinter ihr und Yassmin hatte das Gefühl, als würden ihr die Ohren abfallen.

Weitere Soldaten rannten auf ihren Mann zu. Doch er wehrte sie ab, brachte sie mit bloßer Kraft zu Fall und rammte ihnen effektiv und schnell die Klinge durch die Brust. Dabei trieb er sein Schwert quasi direkt durch die Brustpanzer, was mehr als nur ein wenig demonstrierte, wie viel Kraft ihrem Mann innewohnte. Es war geradezu unheimlich.

„Ashaja", erwiderte Adrian und durchbohrte die Königin-Regentin mit einem Blick, der ihr die schlimmsten Schmerzen androhte, die sie sich auszumalen vermochte. Doch die Königin-Regentin wankte nicht eine Sekunde und blieb selbstsicher stehen, während sie Yassmin weiter diese Klinge an den Hals hielt.

„Gib sie mir zurück, dann töte ich dich und deinen Bengel schnell", kommentierte er, aber die Frau hinter Yassmin schien diese Drohung kaum ernst zu nehmen. Sie lachte sogar leise, allerdings nicht laut genug, dass es jemand anderes als Yassmin wahrgenommen hätte. Für einen Moment versuchte Yassmin die Wut in sich erneut hervorzurufen, um sich von Ashaja losmachen zu können, aber es war anstrengend, dieses Etwas in ihrem Inneren überhaupt ausfindig zu machen, um es an die Oberfläche zu ziehen. Und egal wie sehr sich Yassmin auch bemühte, sie ahnte, dass es nicht schnell genug gehen würde.

„Bereust du es, Adrian?", fragte Ashaja und Yassmin hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, aber es war ihr auch egal. Sie versuchte sich umzusehen und einen Weg zu finden, sich aus dieser Lage zu befreien.

Irgendwo zwischen all den feindlichen Soldaten sah sie Makkovic, der einen festen Blick auf sie hatte. Gott, wie gerne würde sie ihn aufgespießt auf einem Pfahl sehen. Aber sein durchdringender Blick machte es ihr unmöglich, etwas auszuhecken.

„Nein, Ashaja. Deinen Antrag abzulehnen war das Beste, was ich je getan habe. Gleich nach der Entscheidung, sie zu heiraten!", lächelte Adrian ironisch und sah Yassmin tief in die Augen. Da sie auf ihrer linken Gesichtshälfte außer Schmerzen nichts spürte, war es schwer, die Liebe zum Ausdruck zu bringen, die sie in diesem Moment empfand.

Eine Liebe, die alles übertönte, auch die Überraschung, dass Ashaja Adrian einmal einen Antrag gemacht hatte. War sie einst die Geliebte ihres Mannes gewesen, oder hatte sie schlicht wie viele Adlige Fea gehofft das Herz des mächtigen Lords erobern zu können?

„Dumme Antwort, wo ich sie doch sofort töten könnte", lachte Ashaja, aber Yassmin verstand, dass die Königin eigentlich verloren hatte. Der gesamte Feldzug war seit Beginn dem Untergang geweiht, denn in diesem Wald nutzte ihnen ihre Übermacht nur wenig, schon gar nicht, wenn sich die Hälfte der Soldaten vor Angst einnässte.

Und dem war sich auch Adrian sicherlich bewusst.

„Du wirst sie nicht töten. Sonst werde ich deinen Sohn bei lebendigem Leib häuten und dich dazu zwingen zuzusehen", meinte Adrian ganz natürlich, als wäre es nichts Besonderes, eine Mutter dazu zu zwingen, bei der Folterung ihres Kindes in der ersten Reihe zu sitzen.

„Noch bevor du meinen Sohn anfassen kannst, habe ich die Kehle deiner Frau aufgeschlitzt."

Doch diese Worte lösten bei Adrian lediglich ein Lächeln aus.

Yassmin wollte sich gerade darüber wundern, als neben ihr Quentin auftauchte, der in einem ganz eleganten Schwerthieb Makkovic den Kopf abschlug und dann seine Klinge an Demirs Kehle hielt.

„NEIN!", heulte Ashaja auf und sah dabei zu, wie der Kopf ihres Geliebten über den Boden kullerte.

Yassmin nutzte die Chance. Ihre Klauen waren zwar nicht sehr lang, doch das war alles, was sie mit ihrem bloßen Willen zu Tage befördern konnte, und bevor sie wieder verschwanden, rammte Yassmin ihre Klauen in Ashajas Unterarm, was sie erneut aufschreien ließ.

Der Dolch streifte ihre Wange, als Adrian die wenigen Meter zu ihr überbrückte, nach ihr griff und Yassmin gegen seinen harten Brustpanzer prallte.

Ashaja fing sich schnell, doch sie kam zu nichts, denn Quentins Schwert spaltete ihren Kopf in zwei Hälften und ihre Leiche prallte gegen den Körper ihres Sohnes.

Voller Entsetzen warf Yassmin einen Blick zurück.

Demir schrie, fluchte und ihm schien alles in dem Moment egal zu sein, als seine Mutter leblos in seinen Armen zusammensank.

Yassmin krallte sich an Adrian fest, als sie den Halt verlor und mit Tränen in den Augen zu ihm aufblickte. Ihr Mann hielt sie zwar sicher in seinen Armen, aber seine Aufmerksamkeit galt seiner Umgebung.

Denn das Kampfgetümmel war noch im vollen Gange.

Entschlossen zeigte Adrian mit der Spitze seines Schwertes auf Demirs Gesicht, das so viel Hass und Entschlossenheit demonstrierte, dass es ihr eine Warnung hätte sein sollen. Doch der Stein des Anstoßes lieferte Adrian selbst.

„Demir, König des Reiches der Hellen Fea, ich freue mich sehr Euch als Gefangenen bei mir in der Festung willkommen zu heißen. Dort werde ich über Euch richten!", meinte Adrian und wartete darauf, dass einige seiner Soldaten den jungen König entwaffneten. Doch da bäumte sich der König des größten Reiches der Hellen Fea auf, griff nach dem Obsidiandolch seiner Mutter, verletzte einen von Adrians Soldaten und griff Yassmin an.

Adrian reagierte zu langsam, die Klinge streifte Yassmins Schulter, bevor sie sich in Adrians Unterarm bohrte und dabei zufällig zwischen zwei Platten seiner Rüstung gelangte.

Dennoch zog Adrian sie aus seiner Reichweite, holte mit seinem Schwert aus und schlug Demir die Hand mit dem Dolch ab, bevor der Rest seiner Leute den gegnerischen König zu Boden reißen konnte.

Yassmin verkniff sich einen Schmerzenslaut. Das war nicht die erste Verletzung, die sie heute hier erlitten hatte, und sie würde verheilen, aber sie bemerkte, wie warmes Blut ihr verdrecktes Nachthemd durchtränkte. Adrian schien tief getroffen zu sein.

„Zieht euch zurück!", brüllte Adrian mit einer tiefen Stimme voller Befehlsgewalt.

Yassmin wollte gerade ihre Sorge über Adrians Verletzung zum Ausdruck bringen, da steckte ihr Gemahl bereits sein Schwert zurück in die Scheide und nahm Yassmin auf die Arme.

„Nein, du bist verletzt!", entgegnete sie, aber niemand schien auch nur einen Moment Zeit zu haben, sich um ihre Worte zu kümmern.

Am liebsten hätte sich Yassmin weiter dagegen gewehrt. Aber jetzt, wo sie sich in seiner Nähe wieder sicher fühlte, waren da nur noch Schmerzen in ihrem gesamten Körper. Sie hatte keine Kraft mehr in ihren Beinen, ihr war kalt und ihr Kopf schmerzte mehr als alles andere. Sie ahnte, dass auch er selbst Ähnliches erleiden musste und wollte ehrlich tapfer bleiben, auch ihm die Stärke demonstrieren, die sie dazu gebracht hatte, sowohl Makkovic als auch Demir die Stirn zu bieten, aber es floss einfach alles aus ihr heraus, was sie eigentlich nicht zeigen wollte.

Die Angst, die sie gehabt hatte, die Schmerzen, die sie erlitten hatte, das schlechte Gewissen, das sie quälte, weil sie nicht auf Adrian gehört hatte und ... Ihr fiel noch ein weiterer Punkt ein: Yassmin hatte Adrian nicht gesagt, dass Isabel offenbar Kontakte zu Adligen des Hofes der Dunklen Fea gehabt hatte. Sie war so eine Närrin gewesen!

Sie konnte kaum die Tränen in ihren Augen zurückhalten, also ließ sie sich letztendlich gegen Adrian sinken, um sich von ihm nach Hause tragen zu lassen. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, wieder bei ihm zu sein, und obwohl seine Nähe wegen der Rüstung keine besondere Wärme ausstrahlte, war es dennoch einfach perfekt. Sein Geruch allein genügte, um sie in eine heilsame halbe Ohnmacht zu tragen, aber wirklich Ruhe finden konnte sie nicht und würde sie auch nicht, solange sie nicht wieder hinter den schützenden Mauern der Festung waren.

„Yassmin, bleib wach!", befahl er streng und als sie sich tatsächlich dazu aufraffte, ihre schweren Lider zu heben, sah sie, dass sein Blick gar nicht auf ihr, sondern immer noch auf seiner Umgebung lag. Er war noch immer angespannt, während Quentin ihm entgegenkam und Yassmin ebenfalls nur flüchtig betrachtete. Noch immer schien Adrian die Verletzung an seinem Arm unwichtig zu sein. Obwohl Yassmin es schrecklich fand ihn verletzt zu wissen, besonders jetzt, wo er sie durch die Gegend trug wie eine geraubte Prinzessin. Irgendwie war sie das ja auch.

„Wir haben eine Menge Männer verloren, dieses Unterfangen hat uns viel gekostet, wir sollten uns nicht mit allzu vielen Gefangenen aufhalten. Die Späher melden Bewegung in den zerstreuten Lagern von Harald und ich befürchte, nur wenige würden reichen, um uns auszulöschen", sagte Quentin schnell und Adrian nickte steif.

„Okay, nehmen wir unsere Verletzten und dann verschwinden wir hier. Die Kreaturen bleiben hier, vielleicht haben wir Glück und sie verteilen sich, um mit ihrem Gejaule Haralds Armee etwas zu verängstigen. Was ist mit den Teilen von Demirs Truppen, die geflohen sind?"

„Wahrscheinlich zu ihren Verbündeten gegangen, alle konnten wir nicht aufhalten und es war gut, dass so viele die Beine in die Hand genommen haben, sonst hätten wir kaum Erfolg gehabt. Der schnelle Zugriff hat uns den Sieg verschafft, nichts anderes."

Das klang nicht sehr gut, dachte Yassmin. Aber der Ablauf des Krieges war ihr herzlich egal, sie wollte einfach nur keine Schmerzen mehr haben. Nie mehr. Und sie wollte, dass Adrian sie endlich absetzte, um sich seiner eigenen Verletzung anzunehmen.

Doch sie wagte es nicht, sich einzumischen, und ließ es zu, dass Adrian mit ihr im Arm durch den Sumpf marschierte. Und zwar wesentlich trittsicherer und schneller, als sie es alleine getan hatte.

Während Yassmin völlige Dunkelheit umgab, drohte sie erneut die Ohnmacht zu fallen, aber wieder war Adrians Befehlston nicht zu ignorieren.

„Ich sagte, du sollst wach bleiben, Frau!"

Sie schmunzelte und ein Schmerz zuckte über ihr gesamtes Gesicht. Wie sie zuvor mit Demir und den Soldaten hatte reden können, verstand sie nicht.

„Ich bin müde und du bist verletzt. Du solltest mich nicht herumtragen", hauchte sie ihm entgegen und hob eine Hand, um seinen Kiefer zu berühren. Sein goldener Blick bohrte sich in ihren und selbst hier im tiefsten Schatten schien er einfach alles zu sehen.

„Du kannst schlafen, wenn ein Medicus dich untersucht hat. Dein Gesicht sieht schlimm aus", meinte er, immer noch in dieser strengen Tonlage, die keinen Widerspruch duldete.

Sie nickte lediglich, sagte aber nichts weiter und rieb mit den Fingern über sein Kinn. Da war Blut in seinem Gesicht, aber ihre Finger waren auch nicht sauberer, also war das in Ordnung.

Er sah sie wieder kurz an und verlagerte ihr Gewicht ein bisschen mehr auf seinen gesunden Arm. Sie hatte ja gewusst, dass sie ihm damit Schmerzen aufbürdete, aber dennoch klagte er nicht.

Als der Mond dann Yassmins Augen blendete, die sich gerade so gut an die Dunkelheit angepasst hatten, fiel auch etwas von Adrians Anspannung ab und er sah sich nur kurz nach seinen Soldaten um, während er durch den Bruch im Stein zum Haupttor der Festung ging. Am liebsten hätte sich Yassmin ebenfalls umgesehen. Sie wollte wissen, ob sie Demir tatsächlich mitgenommen oder letztendlich doch getötet hatten, aber da erschien Quentin wieder an ihrer Seite.

„Es haben alle den Wald verlassen und die Medici wissen, dass wir mit Verwundeten kommen. Aber die Vorhut hat gemeldet, dass kein weiblicher Medicus zur Verfügung steht für die Lady", meinte er und wagte es nicht, Yassmin anzusehen.

„Egal, dann eben den besten Mann, den ihr finden könnt. Ich will wissen, ob ihr Schädel verletzt wurde und ich sehe Schnitte einer Obsidianklinge an ihr."

„Ja, Mylord", nahm Quentin die Befehle seines Herren entgegen und lief wieder voraus. Yassmin war froh, die Blicke der anderen Soldaten und die der einfachen Fea nicht zu sehen, als sie das kleine Tal betraten, das von dem Felsen umschlossen war.

Yassmin wollte tatsächlich einfach nur schlafen und nicht darüber nachdenken, welchen Anblick sie bot, aber erspart würde ihr das nicht bleiben. Alles, was ihr in diesem Moment wichtig war, war der Klang des schweren Tores hinter ihr, welches die schmale Schlucht verschloss, und die Tatsache, dass sie nun tatsächlich wieder zu Hause war.

Bei Adrian. Ihrem Ehemann.

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ENDE der Leseprobe

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