Entdeckt

Kapitel 2

Yassmin

Yassmin spürte die Kälte kaum noch, während sie sich durch den Wald kämpfte, der so durchsetzt von Mooren war, dass sie immer wieder die Richtung wechseln musste. Es war schwer, eine konstante Richtung zu halten, die Wege waren verschlungen und es fiel kaum Licht durch das dichte Blätterdach der riesigen Moorbäume. Sie wusste, dass sie längst die Orientierung verloren hatte, und hatte versucht zumindest die riesige Felswand ausfindig zu machen, wo sie hergekommen war. Aber es war fast unmöglich, überhaupt etwas zu sehen, und so begann die Verzweiflung ihr die Kehle zuzuschnüren.

Yassmin war einiges an Hoffnungslosigkeit gewohnt, aber es war besonders niederschmetternd, weil sie das Gefühl hatte, ganz kurz davor gewesen zu sein, glücklich zu werden.

Mit Adrian.

Bei der Erinnerung lachte sie kurz auf und stützte sich an der rauen Rinde eines der Ungetüme ab, die den Sumpf dominierten. Ausgerechnet der Mann, dessen Geschichten und Taten ihr als Kind Albträume bereitet hatten, der ihre Mutter getötet hatte. Ausgerechnet mit ihm hätte sie glücklich werden können, wenn sie nur nicht so naiv gewesen wäre und auf ihr Herz gehört hätte. Was sagte so etwas über sie aus? Konnte sie ihren Gefühlen gegenüber Adrian überhaupt trauen?

Sie wusste es nicht und würde es sicher nicht herausbekommen, wenn sie hier weiter einfach umherirrte.

Yassmin legte den Kopf weit in den Nacken und versuchte sich anhand der Monde zu orientieren, die mittlerweile hoch am Himmel stehen mussten. Lediglich der große perlweiße Mond sandte seine Strahlen herab und spendete hier und da etwas Licht, das sie dringend benötigte. Sie konnte vielleicht nicht so gut in der Nacht sehen wie die Dunklen Fea, aber wesentlich besser als so manch tagaktives Tier.

Verzweifelt suchte sie ihren geliebten Goldmond, musste aber feststellen, dass er sich ihr nicht offenbaren wollte. Er hätte sie zurück in Richtung Steinfestung geführt. Zurück zu Adrian. Aber sie sah ihn nicht.

Entschlossen jetzt aber dennoch dieses Herumirren zu beenden, behielt sie den Perlmond im Blick und entschied sich für eine Richtung. Ihre Chancen, die richtige zu wählen, waren nicht groß, aber es war besser, als im Kreis zu gehen.

Als sie dann nach einer ihr unendlich lang vorkommenden Zeit eine freie Fläche erreichte und sich darauf bewegende Lichter wahrnahm, wusste sie, dass sie die falsche Richtung gewählt hatte. Es waren Fackeln von Wachposten.

Anstatt auf die Felswand zuzulaufen, hatte sie sich davon entfernt und war der feindlichen Armee so nahe gekommen, dass es definitiv gefährlich werden könnte.

Sie sah Zelte und Standarten neben gefällten Bäumen, Feuerstellen und Unmengen von Versorgungskisten in diesem provisorischen Lager.

Ihr ehemaliger Verlobter und der mysteriöse König von der anderen Seite des Flüsternden Waldes schienen sich tatsächlich auf eine längere Belagerung vorbereitet zu haben, was das allerdings bringen sollte, konnte sie sich nicht vorstellen. Schließlich war Adrians Festung vollständig autark. Doch das wussten die Fea hier nicht.

Oder sie hatten einen anderen Plan. Einen, der ihre Entführung enthielt.

Einmal mehr schalt sich Yassmin selbst für ihre Dummheit, schüttelte es aber schnell wieder ab. Sich in Selbstvorwürfen zu suhlen, würde sie nicht retten.

Von der Welle ihres analytischen Verstandes geleitet, der ihre Angst und ihre Verzweiflung wegspülte wie ein reißender Fluss das fallende Laub, verbarg sie sich so gut wie möglich, ohne diese Chance verstreichen zu lassen.

Schließlich wusste sie nun, in welche Richtung sie gehen musste, um zurück zu ihrem Mann zu kommen. Sofern sie sich nicht wieder verlief, könnte sie bald wieder zu Hause sein und ... Isabel!

Als Yassmin die unverkennbare Gestalt ihrer Zofe wahrnahm, die gerade durch das Lager ging, als würde sie schon sehr lange dazugehören, packte sie wieder diese Welle von Wut und kleine Klauen bohrten sich in die Rinde des Baumes, an den sie sich gelehnt hatte. Erschrocken über diese Reaktion zuckte Yassmin zusammen und zwang sich dazu, ihre Gefühle so weit zu beherrschen, dass diese Klauen sich zurückzogen.

Sie hatte noch nie so etwas wie Klauen gehabt und fragte sich ehrlich, wo diese plötzlich hergekommen waren, schüttelte diese Fragen aber schnell wieder ab, weil sie dafür keine Zeit hatte. Zumindest hatte sie das vorgehabt, aber diese dunkle Stimme, aus ihrem Inneren, ließ ihr keine Ruhe.

Wie viel Verrat würde sie noch aushalten müssen?

Und wann würde sie endlich verstehen, dass es nie klug war, Gnade zu erweisen?

Adrian hatte recht gehabt! Grausamkeit war alles, was man anderen Fea erweisen sollte.

Die Welle von Wut und blankem Hass machte es Yassmin schwer, sich endlich umzudrehen und zu gehen.

Als sie dann auch noch eine Delegation der Dunklen Fea bemerkte, die sie auf diesem Fest gesehen hatte, schwor sie sich, dass es das letzte Mal gewesen war, dass sie Verständnis gezeigt hatte. Sie konnte nicht fassen, wie viel Heuchelei in diesen Fea gesteckt hatte.

Sie erkannte Lord Tallin, der das Fest für Meister Kalinda ausgerichtet hatte. Adrian hatte diesen angeblichen Helden wegen einiger Kriegsverbrechen hingerichtet.

Und nun musste Yassmin erkennen, dass er auch den Rest dieser Fea hätte töten sollen. Die Fea, die behauptet hatten ihr als Thronerbin treu zu sein.

Innerlich spuckte sie das Wort nur so heraus. Treue. Pah!

Diese Fea waren keine Getreuen! Sie hatten sie entführt und sich nun mit dem Feind verbündet. Ausgerechnet mit Demir, der sie jahrelang gequält hatte und nun vorhatte sie weiter zu entehren. Nein, diese Adligen kannten keine Treue. Sie drehten sich wie ein Blatt im Wind!

Wenn sie diese Leute in die Finger bekommen würde, würde sie persönlich das Todesurteil fällen!

Es reichte! Yassmin hatte genug Verrat für mehrere Leben erlebt, aber zum Glück war sie seit dem, was ihr Mirael angetan hatte, abgehärtet. Ihre Kinderfrau hatte ihr das Herz zerrissen und ihr klargemacht, dass tatsächlich jeder sie verraten konnte. Dass so etwas wie Liebe nicht existierte, wenn der eigene Vorteil oder die Ideologie dazwischenkam.

Sie suchten alle immer nur ihren eigenen Vorteil und Yassmin und ihr Titel wurden nur als Mittel zum Zweck betrachtet, um diesen Vorteil zu nutzen!

Yassmin trauerte nicht mehr, das verdienten diese Leute nicht. Da war nichts weiter als Wut und Verlangen nach Rache!

Und der Wunsch, nach Hause zu kommen. Zu Adrian.

Mag sein, dass auch er nur seinen eigenen Vorteil in ihr sah, aber zumindest waren ihre Vorhaben dieselben: Überleben.

Gerade wollte Yassmin sich von all dem abwenden, da entdeckte sie noch ein Gesicht in der Ferne: Makkovic.

Sie erstarrte wieder und ein ihr wohlbekanntes Gefühl der Furcht kroch ihren Nacken herauf, als sie Demirs besten Freund und den aktuellen Liebhaber von dessen Mutter sah.

Er trug eine prächtige, glänzende Rüstung, die so neu erschien, dass sie sicherlich nie die Schlacht gesehen hatte. Dennoch wäre es ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Er war wahnsinnig und die Drohungen, mit denen er sie jahrelang belegt hatte, waren nicht nur heiße Luft gewesen. Wenn er die Gelegenheit bekommen hätte, hätte er sie missbraucht und er hätte jeden ihrer Schreie genossen.

Es sollte sie nicht verwundern, ihn hier zu sehen, schließlich führte sein König diesen Krieg mit an und er war ebenfalls auf den Feierlichkeiten gewesen, welche die Dunklen Fea gegeben hatten zur Ehre eines Mannes, den Adrian fast direkt nach dessen Erscheinen getötet hatte.

Damals war Yassmin über die Taten ihres Mannes entsetzt gewesen, doch jetzt?

Wieder nahm sie sich vor zu gehen. Yassmin wandte sich von dem Anblick ab und von dem Gespräch, das Makkovic mit den adligen Dunklen Fea und ihrer ehemaligen, in naher Zukunft sehr toten Zofe führte, doch da packte eine Hand ihr Haar, zog sie nach hinten, bis ihre Schultern gegen eine Brustplatte knallten, und sie vernahm eine gedämpfte Männerstimme.

„Eine Spionin, was sagt man dazu? Ziemlich mutig in diesem Aufzug!", meinte sie und Yassmin legte ihre Hand an die Faust in ihrem Haar und bohrte ihre Klauen hinein, doch anstatt warmes Blut spürte sie nur glattes Metall.

„Elende Hure!", schrie der Fea, drehte sie um und schlug ihr im selben Moment so fest mit der metallenen Hand ins Gesicht, dass Yassmin etwas in ihrem Gesicht brechen hörte, bevor sie hart auf dem Boden aufkam.

Zweige drückten sich gegen ihre nackten Arme, ihr sowieso bereits am Saum zerfetztes Nachtkleid wurde zusätzlich beschädigt und irgendetwas drückte sich in ihre Seite, genau in die Wunde, die Isabels Dolch hinterlassen hatte, und riss diese erneut auf. Sie schrie.

„Steh auf, Schlampe! Du wirst dir noch wünschen nie geboren worden zu sein!", meinte er und noch während Yassmins Ohr klingelte und sie darum kämpfte, dass sie wieder klar sehen konnte, wurde sie mit einer Leichtigkeit auf die Beine gezogen, die sie erschreckte.

Sie war wegen des Schlages einer Ohnmacht nahe, aber die Bedrohlichkeit der Situation hielt sie wach, als sie bemerkte, dass der Mann, eine Wache des Lagers vermutlich, sie direkt auf die Lichtung schleifte.

Bevor sie dann tatsächlich nur noch schwer sehen konnte, bemerkte sie noch, wie Makkovic sein unbenutztes Schwert mit dem Blut ihrer Zofe einweihte.

Nein!

Er konnte Isabel nicht töten! Yassmin hatte dieses verräterische Miststück doch bestrafen wollen! Sie hatte ihre Zofe töten wollen!

Dennoch fühlte sie neben dieser Enttäuschung tatsächlich kein Mitleid, was sie irgendwie auch stolz machte. Ihr törichtes Herz lernte tatsächlich.

Aus Isabels Körper ragte die pechschwarze Obsidianklinge, die definitiv ihr Ende bedeutete, bevor Makkovics kalte blaue Augen sich auf sie richteten und er so breit grinste, dass Yassmin sich tatsächlich wünschte nie geboren worden zu sein.

Doch sie versuchte sich von dieser Angst nicht beherrschen zu lassen! Makkovic war ein beängstigender Bastard, aber selbst wenn er sie missbrauchte: Sie würde ihm nicht die Genugtuung gönnen zu schreien!

Für einen Moment erlaubte sich Yassmin sich von Szenarien, die sie nun wohl erwarten würden, Angst einflößen zu lassen. Allerdings nur, um sie in blanken Zorn umzuwandeln und Makkovic fest in die Augen zu sehen.

Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das sich von ihm einschüchtern lassen würde, sondern die Frau eines Mannes, der brutaler und angsteinflößender war als es dieser kleine Wicht je sein würde.

Es war fast unheimlich, wie gut sie die schlechten Aussichten verdrängen konnte, um sich nun zu erheben und den Männern, die sie hergezerrt hatten, königlich gegenüberzutreten. Der Soldat der sie geschlagen hatte, betrachtete sie etwas verwirrt, als sie ihre Schultern straffte und ihn anblickte wie der Wurm, der er war.

„Ihr werdet überleben, aber es wird Euch nicht gefallen", versprach sie ihm und kurz sah sie, dass der Fea etwas erwidern wollte, aber sie unterbrach ihn schnell. „Ich freue mich darauf zu sehen, was Adrian mit Euch anstellen wird, wenn er erfährt, dass Ihr die Hand mir gegenüber erhoben habt. Er ist gerade so furchtbar rastlos, weil er in diesem Palast sitzt und nicht so über Euch herfallen kann, wie er wollte. Habt Ihr die Gekreuzigten auf eurem Weg hierher gesehen? Das ist erst der Anfang", entgegnete sie voller Selbstsicherheit, denn egal was diese Männer ihr jetzt antun würden: Ihr Mann würde sie rächen und zwar auf eine Art und Weise, die sich sogar ihrer Fantasie entzog. Sie hatte seine Grausamkeit bereits hautnah erlebt und wusste, wie ungehalten ihr Ehemann sein konnte. Dann drehte sie sich zu Makkovic herum, der gerade mit großen Schritten auf sie zukam und den ihre zur Schau gestellte Hochnäsigkeit alles andere als erfreute.

Ja, einst war Makkovic ihr Alptraum gewesen. Damals, als sie noch nicht das Bett mit einem wahrhaft grausamen Mann geteilt hatte. Sie würde aushalten, was er ihr antat, in dem Wissen, dass der Sieg letztendlich ihr gehören würde.

„Makkovic. Du bist auf meinem Land, welch eine unsäglich enttäuschende Gesellschaft du abgibst. Deine Rüstung glänzt so schön, nicht einen Klumpen Dreck daran. Hast du überhaupt je eine Schlacht geschlagen oder überlässt du das den Fea, die mehr Mut besitzen als du?", fragte sie absolut provokant und wusste, dass dieser Moment darüber entschied, wie sie hier behandelt werden würde.

Wie eine Kriegsbeute, mit der man machen konnte, was man wollte, oder wie eine wertvolle Geisel. Und wenn sie Ersteres nicht werden wollte, durfte sie auch nicht wie eine wirken.

„Wie es aussieht, hat sie doch ihren Zweck erfüllt, jetzt bedauere ich es fast, sie umgebracht zu haben. Sie hätte zumindest einigen Männern die Langeweile vertreiben können", erklärte Makkovic in der vollen Absicht, Yassmin zu treffen, aber die zuckte nur mit den Schultern.

„Ihr Tod war gnädig. Stell dir vor, was mein Gatte mit ihr getan hätte, wenn er ihrer habhaft geworden wäre. Was für ein bedauerliches Schicksal. Du wirst sie noch beneiden", warf Yassmin zurück und schaffte es tatsächlich, amüsiert auszusehen.

Eine Einstellung, die Makkovic verwirrte. Sehr sogar. So kannte er sie nicht. Er war es gewohnt, dass Yassmin zusammenzuckte, vor ihm weglief und panisch wurde, wenn sie ihn auch nur aus der Ferne sah. Und wenn Yassmin in sich ging, schlotterte sie vor Angst, aber sie war auch die Lady dieses Landes und keine thronlose, hilfsbedürftige Prinzessin mehr, die auf Almosen angewiesen war, und ihre Predigt und ihre unverblümte Darlegung davon, wie grausam Adrian sein konnte, zeigte Wirkung.

Sie sah es in den Augen der Soldaten um sie herum.

Besonders als sie verstanden, wen sie da gerade gefangen genommen hatten, war nicht die kleinste Spur von Triumph in ihren Augen. Niemand von ihnen freute sich ehrlich Yassmin zu sehen. Sie hatten Angst vor dem, was sich ereignen würde, was Adrian mit ihnen nun machen würde, wenn er kam, um sie zu befreien.

Auch Makkovic. Er versuchte es nicht zu zeigen, aber normalerweise war er nicht so wortkarg und sie nicht so selbstsicher wie gerade. Doch er riss sich schnell zusammen, kam auf sie zu und packte ihren Arm mit Brutalität, von der sie befürchtete, dass es noch mehr Knochen von ihr in Mitleidenschaft ziehen würde.

Die Männer um sie herum waren ruhig und traten sogar einen Schritt zurück, als Yassmin sich mit erhobenem Kinn von Makkovic mitzerren ließ. Etwas anderes hatte sie auch nicht erwartet. Die Frage war nur, ob sie das hier tatsächlich lange überleben würde.

Harald wollte sie tot sehen, aber warum dann der Aufwand, sie zu entführen? Nein, Demir und seine Mutter hatten sich zwar mit diesem König von der anderen Seite des Flüsternden Waldes verbündet, aber teilten scheinbar nicht dasselbe Ziel. Zumindest nicht komplett.

Niemand hatte ernsthaft versucht sie umzubringen und das war ein gutes Zeichen.

Auch, dass Makkovic sie zu keinem der Hauptzelte brachte, sondern zu einem, das am Rand stand und eher zur Versorgung diente, deutete daraufhin, dass niemand ihre Gefangennahme an die große Glocke hängen wollte. Wieso?

Was hatten sie mit ihr vor?

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Diese Leseprobe wird insgesamt 5 Kapitel beinhalten. 

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