1
Tauwunsch verließ den Kriegerbau und streckte sich. Die goldene Sonne wärmte ihren weißen Pelz, als sie sich setzte und begann, sich zu putzen. Ihre schwarzen Ohren zuckten und das schwarze Fell um ihre Augen verlieh ihr ein seltsames Aussehen, fast wie eine Maske. Konzentriert putzte sie sich die Pfoten und leckte sich das Fell an ihrer Schwanzspitze gerade.
"Oh Tauwunsch, du wunderschöne Kätzin, beste Jägerin des Clans..." ertöhnte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Tauwunsch sah auf. Vor ihr stand Rotstreif. Das glatte, rote Fell des Katers wieß einige Narben auf, aber seine gelben Augen strahlten wie eh und je in der Sonne. Nur sein fast abgerissenes linkes Ohr trübte die Erscheinung des hübschen Katers.
Geschmeichelt lauschte die Kätzin nun seinen Worten.
"Du bist die beste Jägerin des Clans, daran kann man gar nicht zweifeln, und es ist eine Ehre, ein von dir erjagtes Beutestück zu essen und..."
Tauwunsch unterbrach seine Lobeshymmne belustigt schnurrend. "Spar dir das Gesäusel, du kannst dir deine Beute wieder selbst fangen! Deine Wunden von dem Fuchsangriff sind längst verheilt, du Faulpelz!"
Rotstreifs Augen blitzten amüsiert. "Dann gehen wir eben gemeinsam jagen."
"Gleich", versprach Tauwunsch. "Ich will nur schnell nach Zweigjunges und Nadeljunges sehen." Sie trabte leichtfüßig bis zu Kinderstube. Beinahe wäre sie dort mit Rosensee zusammengeprallt, die die Höhle gerade verließ. "Ah, Tauwunsch. Deine Jungen haben schon nach dir gefragt", informierte die orangerote Königin freundlich. Tauwunsch nickte ihr zu und betrat die Höhle.
Die beiden weißen Jungen mit den schwarzen Flecken sprangen ihr fröhlich entgegen. "Mama!" rief Zweigjunges, dessen winzige Nase ein schwarzer Fleck zierte, während die schüchterne Kätzin Nadeljunges sich an die großen Pfoten ihrer Mutter schmiegte.
"Na, ihr Kleinen?" Tauwunsch schnurrte liebevoll. "Ist euch langweilig?"
"Ja!" maulte Zweigjunges. "Ganz sehr! Können wir nicht mit jagen? Ich will raus!"
Tauwunsch leckte dem kleinem Kater sanft über die Stirn. "Später, wenn ihr älter seid, nehme ich euch mit." Dann sah sie auf. Rotstreif steckte den Kopf zum Eingang der Höhle herein und beobachtete die Mutter belustigt. "Ich muss jetzt gehen."
"Warum?" beleidigt verzog Zweigjunges das Gesicht und seine Schnurrhaare kräuselten sich.
"Ich muss jagen. Wenn ich wieder da bin, zeige ich euch das Lager, wenn ihr wollt."
"Jaa!" begeistert sprang Zweigjunges um seine Mutter herum und fiel dabei über Nadeljunges, die ruhig dalag und gelauscht hatte. Auch ihre Augen blitzten vorfreudig.
"Bis nachher! Ich bin nicht lange fort", verabschiedete sich Tauwunsch und verließ den Bau schweren Herzens. Sie wäre gern noch bei den beiden geblieben, aber der Clan wollte etwas zu essen haben, und da sie ihre Jungen nicht selbst ernähren konnte, musste sie ihren Pflichten als Kriegerin nachgehen.
Rotstreif machte ihr keine Vorwürfe, weil er warten musste. Stattdessen lief er bereits voran. Tauwunsch folgte ihm gemächlich, und doch holte ihn schnell wieder ein. "Wie ich sehe, bist du immer noch angeschlagen?" fragte sie.
"Ich kann nicht mehr rennen, zumindest nicht lange." Der Kater ließ bedrückt den Kopf hängen. Tauwunsch sah ihn überrascht von der Seite an. Seine bedrückte Miene passte gar nicht zu dem immer gut gelauntem Kater. Aber sie verstand es, schließlich hatte er sich in der Vergangenheit stets als sehr schneller Jäger gerühmt, der Kaninchen ohne Probleme folgen konnte, und das zu recht.
"Das wird bestimmt wieder!", versuchte sie, ihn zu trösten. Die Füchse hatten Rotstreif schwer verletzt, und der Clan hatte es erst erfahren, als seine Schülerin Hummelpfote panisch ins Lager gestürzt kam.
Zu ihrer Überraschung hob Rotstreif den Kopf und schüttelte sich, als wolle er die schlechten Gedanken vertreiben. "Du hast recht." Seine Augen blitzten. "Das Leben ist zu kurz für Bedauern. Man sollte aus jedem Tag das beste machen, denn es könnte immer der letzte sein!"
Tauwunsch nickte anerkennend. "Du hast recht." Sie sog die kühle Waldluft ein und nahm Witterung auf. "Wir sollten jetzt jagen." Rotstreif nickte und witterte ebenfalls.
"Ein Kaninchen!" stieß er plötzlich hervor. "In der Baumhöhle da vorn, drei Fuchslängen entfernt." Schon hetzte er los. Tauwunsch sah ihm verwundert hinterher. Alarmiert folgte sie dem Kater durch den dichten Wald und sah, dass er das Kaninchen aus dem Bau gescheucht hatte. Er jagte es vor sich her, ließ nicht zu, dass es entwischte.
Tauwunsch fiel immer weiter zurück, bis Rotstreif in dem angrenzendem Zweibeinerfeld verschwand. Sie verschnaufte kurz und ging sich dann auf die Suche nach weiteren Beutetieren. Zwar machte sie sich Sorgen, dass Rotstreif wegen seinen einschränkenden Verletzungen Probleme bekam, aber sie beruhigte sich selbst, indem sie laut sagte: "Er weiß, was er tut. Ihm wird schon nichts passieren!"
Schließlich hatte sie fünf Mäuse und zwei Eichhörnchen erbeutet. Sie vergrub die Tiere in der feuchtkalten Erde und lief dann zurück zu der Stelle, an der der dichte Nadelwald in das blassgelbe Zweibeinerfeld überging. Schwere, dunkle Wolken hingen am Himmel und die Luft war stickig, warm und schwül. Tauwunsch konnte nicht sagen, ob die Dämmerung bereits hereingebrochen war oder nicht. Die Wolkentürme verschluckten jegliches Licht.
Plötzlich bemerkte sie ein dumpfes Brummen, das immer näher kam. Es klang wie ein Zweibeinermonster, aber doch irgendwie anders.
Dann sah sie es.
Ein gigantisches Monster rollte heran. Es machte unfassbaren Krach und war so breit wie ein ganzer Donnerweg. Grelle Lichter irrten über das Getreide und vor sich trug es ein Baumstammgroßes Ding, das unsäglich brummte und knackte. Krachend zermalmte das Monster die Getreidehalme vor sich und walzte alles andere nieder.
Dann sah sie ihn.
Rotstreif. Er jagte vor dem Monster her, im Maul das Kaninchen, hetzte eine breite Spur entlang, auf der das Getreide bereits niedergewalzt wurde, kaum größer als ein weit entfernter roter Punkt.
Tauwunsch stieß einen schrillen Schrei aus. "Rotstreif!"
Immer wieder sah er panisch hinter sich, das grelle Licht huschte zwischen den Halmen hindurch und über ihn hinweg, aber das Monster fuhr unbeirrt weiter. Immer näher kamen die schwarfen Klingen dem rotem Kater, inzwischen waren sie so nahe am Wald, dass Tauwunsch sie im Restlicht blitzen sah. Er versuchte, zur Seite auszubrechen, aber das Monster schien unendlich lang zu sein.
Mittlerweile war der Lärm ohrenbetäubend laut, aber Tauwunsch wich nicht von der Stelle. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie Rotstreif immer langsamer wurde. Seine Kräfte verließen ihn, er lahmte deutlich.
Dann geriet er unter die Klingen. Ein ohrenbetäubendes Kreischen erklang und Tauwunsch schrie entsetzt auf.
Ein lautes Krachen ertöhnte und ein blendend heller Blitz schlug direkt in das Monster ein.
"Rotstreif!" gellte Tauwunsch.
Quelle Bild: https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/duerre-eu-getreideertraege-sinken-546744
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top