Kapitel 49
Lea gingen Bens Worte und Gedanken an ihrem Verlobungstag nicht mehr aus dem Kopf.
Eine Familien- und Freundes-Kommune?
Oder eher eine WG?
Auch nicht wirklich.
Aber, so alle unter einem Dach?
Eigene Wohnungen, an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst?
Ein Gemeinschaftsgarten oder -hof?
Ben und sie waren als Einzelkinder aufgewachsen. Sehnten sie sich vielleicht nach einer großen Familie?
Konnte man die nicht jetzt einfach noch gründen?
Gut, David hatte diese Luxuswohnung. Aber er hing sehr an den Kindern, und die beiden an ihm.
Während ihre Gedanken Saltos schlugen, während sie sich Fragen stellte und Antworten darauf fand, spielten ihre Finger bei den Entwürfen ihres Hauses im Computerprogramm herum. Es brauchte gar nicht viele Veränderungen. Hier und da ein paar Wände eingezogen oder versetzt, die Grundfläche um einige Quadratmeter vergrößert, ein Stockwerk mehr, - der Bebauungsplan ließ das ohne weiteres zu - , einen Keller anstatt nur einer Bodenplatte.
Sie plante sich in einen regelrechten Schaffensrausch, vergaß die Welt um sich herum komplett. Nach ein paar Stunden hatte sie das perfekte Haus in Aufriss und 3-D-Ansicht auf dem Bildschirm.
Im Parterre befanden sich zwei Drei-Zimmer-Wohnungen für ihre Eltern und Wolfgang mit oder ohne Karin. Es konnten auch vier Zimmer daraus gemacht werden, wenn sie die Räume verkleinerte.
Im ersten und im zweiten Stock gab es je eine Fünf-Zimmer-Wohnung für David und Barbara und ihre eigene Familie. Jede Einheit hatte einen Balkon oder eine Terrasse, nicht einsehbar von den anderen. Auch genügend Garagen hatte sie untergebracht, für Autos und Fahrräder, im Anschluss daran einen Geräteraum.
Im Keller bekamen die Parteien abgeschlossene Abteile, daneben fand sie noch Platz für einen Gemeinschaftsfitnessraum mit Sauna und Dusche.
Kurz überlegte sie, ob sie die Firmenräume in zwei weiteren Stockwerken unterbringen sollte, doch dort, wo das Grundstück lag, war ein reines Wohngebiet ausgewiesen. Für eine geschäftliche Nutzung müsste es ein Mischgebiet sein, und das würden sie beim Bauausschuss der Stadt nicht durchbringen. Außerdem gäbe es sicher ein Problem mit den erforderlichen Stellplätzen. Und zum dritten schadete es auch nicht, wenn Wohnen und Arbeiten sich nicht in einem Haus abspielten.
Wolfgang, David und sie beide hatten je ein großzügiges Arbeitszimmer zur Verfügung, dort konnten sie sich in Ausnahmenfällen auch einmal mit wichtigen Projekten auseinandersetzen.
Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf, sah ihr Werk zufrieden mit sich selbst an. Gut, es war wohl eine Spielerei gewesen, wahrscheinlich erklärten die anderen sie für verrückt, dass sie so über ihr Leben entscheiden wollte. Aber es hatte Spaß gemacht, ihre Gedanken und Träume in diese Planungen zu stecken.
So sehr war sie vertieft gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass Ben den Raum betreten und sich hinter sie gestellt hatte. Erst als er seine Arme um sie schlang und ihren Scheitel küsste, fand sie in die Wirklichkeit zurück. „Na? So fleißig?" fragte er, und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme – das Lächeln und die Liebe.
Eine Weile hingen seine Blicke am Bildschirm fest, dann griff er über sie weg nach der Maus, klickte die nächste Ebene an. Sein Atem wurde schneller, als er verstand, was diese unglaubliche Frau hier entwickelt hatte. Noch eine Mausklick, und vor ihm erschien das Bild eines Traumes von ihm, den er aber nicht so recht zu träumen gewagt hatte.
„Ein Haus für uns alle?" fragte er leise und etwas heiser.
„Ich habe nur etwas herumgespielt," antwortete sie und ahnte mit klopfendem Herzen etwas Wundervolles. „Wie findest du es?"
„Zu schön, um wahr zu sein. Vor allem, weil du meine Seele lesen kannst wie ein Buch."
„Ich hatte gehofft, dass ich deine Worte richtig verstanden hatte." Ihr wurde so wunderbar leicht ums Herz. Sie hatte sich nicht getäuscht.
„Dann wollen wir mal allen deine Planung und meinen Traum erklären, oder? Heute Abend?" Noch immer etwas fassungslos über ihr Einfühlungsvermögen in ihn zog er sie hoch in seine Arme, hielt sie eine ganze Weile einfach nur fest.
Anschließend setzte er sich an seinen Computer und schickte eine Nachricht an David, Wolfgang und das Ehepaar Trattoni. Wir würden uns sehr freuen, euch heute gegen neun Uhr in unserer Wohnung begrüßen zu können. Lea und Ben.
Kurz darauf klopfte es, und David betrat den Arbeitsraum. „Kann ich Barbara mitbringen?" fragte er etwas verunsichert, weil die Einladung nur an ihn gerichtet gewesen war. Ben überlegte, Lea war für Offenheit. „Wie ernst ist es zwischen euch?"
Der Freund sah sie etwas verwundert an. „So ernst wie zwischen dir und Ben! Genügt das?"
„Habt ihr vor, zusammen zu ziehen?"
„Ich arbeite schwer daran, aber sie hat noch Probleme, ihre Familie allein zu lassen," erklärte David schulterzuckend. Ben kratzte sich etwas unsicher am Kopf, beschloss aber dann, ihn einzuweihen.
Über Davids Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. Das wäre wirklich fantastisch!
Dann könnte er seine Wohnung für eine kleine Miete Barbaras Eltern zur Verfügung stellen. Sie lag total günstig in der Nähe eines medizinischen Therapiezentrums, war auch behindertengerecht ausgebaut und mit einem Aufzug gut zu erreichen. Seine Gedanken sprudelten nur so aus ihm heraus. „Jetzt muss ich nur noch sie überzeugen!"
Lea grinste ihn an. „Zusammen werden wir das schon schaffen!"
Der Abend wurde ein voller Erfolg für alle. Wolfgang heulte wie ein Schlosshund vor Freude, dass sein Sohn und Lea ihn in ihrer Nähe behalten wollten, Angelika und Stefano waren mehr als gerührt, dass sie in das Haus mit einziehen sollten.
Barbara hatte anfangs ein kleines Problem mit Davids Vorschlag. Sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, eine Glücksritterin zu sein, die auf das Geld ihres Freundes aus war.
Doch natürlich fand Lea die richtigen Worte: „Mit Geld ist es wie mit Glück. Es ist schal und sinnlos, wenn man es nicht teilen darf." Damit hatte sie ihre Freundin natürlich eiskalt erwischt, hatte alle Argumente entkräftet, die die noch hätte finden können. Barbara streckte die Waffen, ergab sich vollkommen. Für ihre Familie wäre all das natürlich ein Lotteriehauptgewinn.
David hielt sie glücklich im Arm, bewunderte sie für ihre Einstellung - anzunehmen, was er ihr bieten konnte - vor allem natürlich Liebe.
In den nächsten Tagen arbeiteten sie in der Firma mit Hochdruck an der Feinplanung der Räumlichkeiten. Alle zukünftigen Mitbewohner brachten kleine Verbesserungsvorschläge ein, die Lea sofort umsetzte.
Ihre Eltern wollten lieber eine abgeschlossene Küche, Barbara hätte das fünfte Zimmer gerne in zwei kleine getrennt. Den Grund dafür hatte sie David erklärt. „Vielleicht schaffe ich es ja noch, ein Studium zu beginnen, dann hätte ich gern ein eigenes Arbeitszimmer, weil ich mich beim Lernen immer sehr leicht ablenken lasse." Sie zwinkerte ihm zu. „Vor allem von einem gewissen jungen Mann. Außerdem könnte der Raum dann mein Behandlungszimmer werden, ein eigener Eingang wäre leicht zu realisieren"
Ihre Worte hatten David sehr glücklich gemacht. Die Gedanken, die weit in die Zukunft gingen, zeigten ihm, wie sehr sie auf diese Zukunft mit ihm zusammen vertraute.
„Ich baue im Garten einen Kletterturm mit Rutsche für meine Enkelkinder," beschloss Wolfgang und freute sich diebisch, als Lea das Gesicht verzog.
„Diese hässlichen Holzbauwerke, die genau einen halben Tag für Kinder interessant sind? Außerdem ziemlich gefährlich!" wandte sie stirnrunzelnd ein. Ihr zukünftiger Schwiegervater grinste sie an, und sie begriff, dass er sie nur aufgezogen hatte. Oft hatten sich beide darüber mokiert, wenn in den Gärten von Wohnsiedlungen diese nutzlosen Bauten aus dem Boden sprossen wie Pilze - kaum, dass ein Kind das Licht der Welt erblickt hatte.
„Willst du Karin in unsere Planungen einbeziehen?" fragte Ben seinen Vater etwas später.
Doch der schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. In meinem Alter mit einer Frau zusammenziehen? Nach all den Jahren als einsamer Wolf?" Seine Lippen lächelten zwar, aber seine Augen nicht. Sie blickten den Sohn etwas traurig, etwas resigniert an. „Und ich glaube, Karin ist auch nicht bereit, ihre Freiheit ganz aufzugeben. Lassen wir es erst einmal so, wie es ist."
Ben war seiner Meinung, aber es war ja nichts in Stein gemeißelt. Ansichten konnten sich ändern. Wenn es bei Wolfgang dazu käme, wäre Karin auf alle Fälle willkommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top