Kapitel 47
Die kommenden Tage wurden hektisch. Ihr letzter Auftraggeber hatte kräftig die Werbetrommel gerührt, Karin kam kaum noch vom Telefon weg. Ben merkte, dass ihm die Arbeit etwas über den Kopf wuchs, beschloss, sich von dem Firmenteil, der sich mit Hochbau beschäftigte, zu trennen.
Zwei seiner fähigsten Ingenieure, die ein Paar zu sein schienen, auch wenn sie das vor den anderen Mitarbeitern noch immer verbergen wollten, könnte er einstweilen als allein verantwortliche Geschäftsführer anstellen. Sobald er Luft hatte, würden sie die Übergabe notariell regeln. Ingo und Björn fielen aus allen Wolken, als er ihnen diesen Vorschlag – nach Rücksprache mit Lea - unterbreitete.
Ihr Lebenstraum würde Wahrheit werden. Sie kamen beide aus nicht mit Reichtümern gesegneten Familien, hatte sich beim Studium kennen und lieben gelernt. In dieser doch noch immer von Männern dominierten Branche war es ihnen bisher als unmöglich erschienen, sich zu outen. Ben grinste die zwei Kerle an. „Nun küsst euch schon!" forderte er sie auf. Ingo, der Mutigere von ihnen, ließ sich das nicht zweimal sage, riss Björn in seine Arme. Ben zog sich diskret zurück.
Als er Lea davon erzählte, klatschte sie vor Freude in die Hände. „Supi! Noch ein Liebespaar!"
Dann kam zu all der Arbeit auch noch die Ausschreibung der Stadt, die wieder in den sozialen Wohnungsbau einsteigen wollte. Ben suchte dringend neue Leute, Bauzeichner wie auch Architekten, doch der Markt war leergefegt. Eines Abends bei einem gemeinsamen Essen bemerkte Wolfgang die Erschöpfung seines Sohnes und seiner Partnerin.
„Braucht ihr Hilfe?" fragte er geradeheraus. Die Beiden starrten ihn an. Hatten sie ein Brett vor dem Kopf gehabt!
„Ja, klar! Morgen fängst du an," war Bens knappe Antwort.
„Das wollte ich hören," kam von Wolfgang ebenso lapidar zurück.
Ab dem nächsten Tag gehörte sein Vater also zum Team. Anfangs hatte Ben ein wenig Bedenken, dass der den weltberühmten, erfahrenen Architekten herauskehren würde, aber für Wolfgang war sein Sohn vom ersten Tag an der Chef, und so blieb es. Mit der neuesten Technik war der Ältere nicht mehr so vertraut, aber er hatte fantastische Ideen, konnte hervorragend und blitzschnell zeichnen. Für die Umsetzung am Computer hatten sie ja Lea und David.
Sie gewannen die Ausschreibung der Stadt, feierten den Erfolg wie immer am Imbisswagen. An diesem Tag fand Wolfgang dann auch den Mut, Karin zu einem Treffen einzuladen. Dabei war der werbende Mann deutlich unbegabter als der Architekt.
„Wir könnten doch mal essen gehen, oder?" schlug er wie nebenbei vor.
Karin musste innerlich lächeln, war aber zu aufgekratzt, um einen kleinen Spaß zu lassen und es ihm leicht zu machen.
„Wir essen doch gerade!" entgegnete sie todernst.
„Na, ich meine, so richtig. Mal abends oder so. In einem Lokal," haspelte er herum.
Ben, der alles mithörte, lief gerade Gefahr, sich an den Pommes zu verschlucken. Lea stieß ihm in die Rippen. „Du bist fies!" flüsterte sie.
„Fies sein ist schön und macht eine Menge Spaß!" hielt er dagegen.
Währenddessen sah Karin Wolfgang noch immer gespielt verständnislos an. „Schmeckt es dir hier nicht?"
Er suchte in seinen Erinnerungen. Wie war das doch früher mal gegangen mit dem Anbaggern?
„Kino wäre auch eine Möglichkeit!"
Da hatte Karin dann doch Mitleid, hatte auch etwas Angst, er würde aufgeben. „Ich glaube fast, du möchtest ein Date mit mir ausmachen," kam sie ihm etwas entgegen. Wolfgang lächelte erleichtert. „Ja! Ja, ich glaube, heute nennt man das so."
Ein paar Tage später, als auf Karins Arbeitstisch eine Vase mit roten Rosen stand, hatte Lea wieder einen Grund, sich zu freuen. „Noch ein Liebespaar! Wen verkuppeln wir als nächstes?"
Ben musste seinen Sonnenschein in die Arme nehmen. Sie hatte all das Schlimme, das ihnen widerfahren war, verbannt, ließ nur noch Freude und Glück zu. Der Kuss wurde gerade sehr heiß, Ben wollte nach hinten greifen, um die Tür zuzudrücken und abzuschließen, da kam Benedikt mit Mia an der Hand ins Zimmer. Der Junge stand schon sehr sicher auf seinen Beinchen, achtete stets darauf, dass er seiner Schwester Halt gab.
Ben schielte hoffnungsvoll zu Karins Schreibtisch, doch ihr Platz war leer. Er hörte leises Lachen aus dem Arbeitsraum seines Vaters. Sauber! dachte er. Da haben wir wohl mal eine Sekretärin und Babysitterin gehabt.
Aber der süße, strahlende Blick seines Sohnes entschädigt ihn ganz und gar für eine verpasste Liebesrunde auf dem Sofa. Als sein Töchterchen sich an sein Bein schmiegte, zerfloss er vor Glück beinahe. In Leas Herz brannte sich dieser Anblick für immer und ewig ein.
Als es in der Firma etwas ruhiger wurde, wollte sich Ben an einem Nachmittag abseilen. Er hatte Wichtiges zu erledigen. „Ich muss mal auf der Baustelle vorbeischauen," erklärte er und wich Leas Blick aus.
„Ui! Da komme ich mit!" Sie liebte Baustellen über alles. Wenn diese schweren Bagger den Boden aushoben, wenn die ersten Fundamente gegossen wurden, wenn Stein auf Stein gesetzt wurde, wenn ein Plan vom Computer zu einem Bauwerk wurde.
Ben wusste, dass ihr Herz auch so sehr am Hochbau hing, dass sie jedes Gebäude, das sie geplant hatten, mit Liebe beim Wachsen begleitet hatte.
Da er das Leuchten ihrer Augen nicht ignorieren konnte, änderte er seine Pläne spontan. Was konnte so wichtig sein, wie Lea glücklich zu machen?
Die kleine Mia hatte das Wort Baustelle gehört, kam angetapst, baute sich vor ihrem Vater in voller Größe auf. „Mit!" bestimmte sie. Natürlich folgte Benedikt ihr auf dem Fuß. „Auch!"
So wurde ein wunderschöner Familienausflug aus einer Ausrede. Lea wundert sich zwar ein wenig, weil Ben bei dem Neubau eigentlich gar nichts zu tun hatte, vergaß aber schnell ihre Gedanken. Zu viel Spaß hatten sie und die Kinder.
Ein paar Tage später musste Ben seinen Vater in seinen Plan einweihen. Der sollte Lea beschäftigen, damit er sich kurz wegschleichen konnte. Es gelang Wolfgang perfekt. „Komm, Mädel! Erklär mir mal das am Computer!"
Karin kümmerte sich um die Kinder, die einen siebten Sinn entwickelt hatten, wenn es etwas zu erleben gab. Aufatmend verließ Ben die Firma. Heute würde er es endlich mal schaffen, einen Verlobungsring für seine Süße zu besorgen. Lächelnd lief er durch die Gassen der Altstadt zu dem kleinen Laden eines Goldschmieds. Den hatte er einmal während eines Stadtbummels entdeckt. Er wollte keinen Ring aus der Massenproduktion einer Juwelierkette.
Den Ring, den er der Liebe seines Lebens an ihren schönen Finger streifen wollte, sollte es nur einmal auf der Welt geben. Lange saßen der Goldschmied und er zusammen, planten, verwarfen, sahen sich Entwürfe an, bis sie das perfekte Ergebnis hatten. Der Ring, der das Meisterstück des jungen Mannes gewesen war, in den er sein ganzes Herzblut gelegt hatte, war genau das, was Ben sich vorgestellt hatte.
Nicht billig, ganz und gar nicht, aber vollkommen. Der Geschäftsinhaber hatte zwar nicht vorgehabt, dieses Schmuckstück je zu verkaufen – es hatte einen Platz in einer besonders gesicherten Vitrine gefunden – aber nun wusste er, dass er es genau für dieses Paar entworfen hatte.
Bens Ring war schnell gewählt, ein schlichter Weißgoldreif mit einem kleinen Brillanten. Er bezahlte mit seiner Kreditkarte, verstaute die Kostbarkeiten in seiner Jackentasche und hoffte, dass Wolfgang seine Süße ausreichend hatte beschäftigen können.
Als er die Firmenräume wieder betrat, war er erleichtert, als er die Beiden mit hochroten Köpfen vor dem Monitor vorfand. Lea hatte nichts mitbekommen, stellte er aufatmend fest.
Dann begann er zu überlegen, wo, wann und wie er sie um ihre Hand bitten wollte. So viele Gedanken rasten dabei durch seinen Kopf. Eine Reise an ein exotisches Ziel? Ein Luxusdinner in einem Nobelrestaurant? Eine Wandertour auf einen Berggipfel? Ein romantischer Abend am Donauufer?
Doch urplötzlich wusste er, was ohne jeden Zweifel der perfekte Ort wäre – für Lea und ihn.
Als sein Entschluss gefasst war, wollte er keine Minute länger warten, um ihn in die Tat umzusetzen.
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