Kapitel 4

Ben und Lea

Ben wischte sich übers Gesicht, um die Gedanken zu vertreiben. Vor allem die, die von Verliebtsein handelten.
„Okay! Dann mach's gut!" sagte sie fröhlich und wollte los.
„Willst du allein durch die Stadt laufen?" fragte er.

Mein Gott, jetzt ist der auch noch ein Gentleman! dachte sie.
„Ich hab's nicht weit! Nur ein paar Straßen!" wehrte sie ab.
„Du kannst an der nächsten Ecke eins über den Schädel bekommen!" argumentierte er.

„Du auch!" hielt sie dagegen.
„Ich hab ja dich zu meinem Schutz dabei!" gab er zurück.
„Ah ja!" Mehr fiel ihr nicht ein  - im Moment.

Sie gingen nebeneinander her.
„Studierst du?" fragte Ben.
„Ja, Architektur und Hochbau!" antwortete sie.
Er schüttelte den Kopf.
Nein, Gott! Nicht auch das noch! dachte er.
„Und was machst du?" wollte sie wissen. Das waren doch unverfängliche Themen. Darüber durfte man auch mit einem verheirateten Mann sprechen.

„Ich habe eine Firma für Architektur und Hochbau!" erklärte er lachend.

Sie sah ihn ungläubig an. „Das hast du jetzt erfunden!"
„Nein! Echt! Ben Knüppers - Knüppers-Bau!" erläuterte er.

Sie blieb stehen. „Ben Knüppers? Der Gott? Der Gott der Architektur?" Sie war fassungslos. „Ich büffle täglich aus deinem Buch! Ich habe gedacht, du bist mindestens hundert!"
Er lachte Tränen über ihren Ausbruch. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe!"
„Enttäuscht? Enttäuscht? Du hast mein Weltbild zerstört! Mein allergrößtes Vorbild kann kein attraktiver, dreißigjähriger Mann sein! Das muss ein altes, graues Hutzelmännchen sein!"

Und da war es schlagartig vorbei mit seiner Zurückhaltung. Er riss sie in seine Arme. Nicht, weil sie ihn bewunderte, nicht, weil sie ihm geschmeichelt hatte, sondern weil ihre Schönheit, ihr Lachen, ihr Lächeln ihn so anmachten, dass er nicht mehr anders konnte.

Fuck! dachte er, bevor er wieder in dieser zarten Berührung versank, die ganz schnell sehr leidenschaftlich wurde.
Fuck! Ich will das nicht! Ich darf das nicht!
Aber was, um Gottes Willen, soll ich dagegen tun?
Schweratmend trennten sie sich voneinander.

Lea sah ihn an. „Wir sollten das nicht tun, oder?" flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf.
„Wir sollten das nicht tun, weil du deine Frau liebst, und weil du sie nicht betrügen willst?"
„Ja!" brachte er nur hervor.
„Wir sollten das nicht tun, obwohl wir uns anziehen wie zwei Magnete!" Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Lea, bitte!" Seine Stimme flehte sie an.

Sie sah ihn offen an.

„Bitte, schick mich weg? Oder: Bitte, lass mich dich lieben? Vielleicht auch: Bitte, schenk mir eine Nacht?" Ihre Stimme wurde immer leiser.
Sie wusste nicht, warum sie das alles sagte.
Warum sie sich nicht einfach umdrehte und ging!
Warum sie ihn so herausforderte!
Warum sie seine Beherrschung brechen wollte!

Oder doch, sie wusste es ganz genau. Sie wollte diesen Mann haben. Ihr Körper reagierte auf ihn wie noch nie auf einen Mann. Sie wollte mit ihm schlafen.
Die andere bekam ihn morgen zurück, aber heute musste er ihr gehören.

Ben sah sie ernst an. Sein Widerstand hatte sich aufgelöst. „Bitte, Lea! Schenk mir eine Nacht!" sagte er so leise, dass sie es kaum verstand.

Sie taumelten die letzten Schritte bis zu dem Haus, in dem sie wohnte.
Sie taumelten die Stufen hinauf.
Sie taumelten durch den Flur ins Wohnzimmer.

Während sie taumelten, küssten sie sich, und sie wussten beide, dass sie so noch nie geküsst hatten, so noch nie geküsst worden waren.

Sie hielten sich fest, drängten sich aneinander, ihre hungrigen Hände suchten Haut. Sein Hemd flog, und er stöhnte unter ihren zärtlichen Händen auf.

Seine suchten den Reißverschluss ihres Kleides, rissen ungeduldig daran. Schließlich konnte er den Hauch von Stoff nach unten schieben, sie herausheben.
Sie nestelte an den Knöpfen seiner Jeans, hatte sie endlich geöffnet, er streifte die Hose ab. Sie standen voreinander, er in schwarzen Boxershorts, sie in einer der Spitzengarnituren, die sie heute gekauft hatte, um ihren Sexmuffel von Freund anzumachen.

Sie hielten inne, nahmen die Schönheit ihrer Körper in sich auf. Seine Hände begannen, sie zu streicheln, sie stöhnte unter seinen Berührungen.
Er fasste sie an, fasste sie überall an und genoss es unglaublich.
Sie zahlte es ihm zurück, ihre Hände waren nicht schüchterner als seine.
Sie sprachen kein Wort, hätten auch keinen Atem übriggehabt, um zu sprechen.

Seine Hände taten ihr so verdammt gut, seine Lippen noch besser.
Er ist gut! Er kennt sich aus! dachte sie in einem weniger benebelten Moment.

Plötzlich löste er sich von ihr. Er sank vor ihren Augen förmlich in sich zusammen. „Ich habe nichts dabei! Keinen Gummi! Kein Kondom!" stöhnte er.

Lea zog es einen Moment lang den Boden unter den Füßen weg.
Verdammt! Warum hatte sie denn nicht daran gedacht!
„Ich... ich habe welche im Bad!" hauchte sie, und dann bekam sie einen fast hysterischen Lachanfall.
„Aber .... aber ich glaube nicht, dass... dass die Größe passt!"
Oliver war mehr der Medium-Typ, und was sich da unter seinen Shorts abzeichnete, war eher die Kategorie L.
Doch da schoss ein Gedanke durch ihren Kopf. „Die Apotheke! Unten im Haus! Hat heute Nachtdienst!" stammelte sie.

Nun begann Ben zu lachen.
Gut! Dann würde er eben die Apothekerin oder den Apotheker herausklingeln, um Kondome zu kaufen.
Nicht fair, aber menschlich.
Er schlüpfte wortlos in seine Jeans, zog das Hemd über, knöpfte es schief zu, aber das war ihm egal.

Lea gab ihm den Schlüssel, er raste nach unten.
Die Helferin, die Dienst hatte, ahnte schon, was er wollte, als sie ihn in deutlich derangiertem Zustand an der Pforte stehen sah. Achtzig Prozent der Kunden, die in der Nacht zur Apotheke mitten in der Stadt kamen, brauchten Gummis. Sie versuchte schon seit langem, den Chef davon zu überzeugen, einen Automaten anzubringen.

„Größe? Marke?" fragte sie deshalb nur.
„Natural Feeling in L, bitte!" antwortete Ben und war dankbar für die Coolness der jungen Frau.
„Drei, fünf oder zehn Stück?" fragte die nach.
„Fünf" antwortete Ben und grinste leicht vor sich hin.
Na, da hast du ja was vor, alter Schwede.

An Nadja dachte er keine Sekunde.
Er bezahlte und flitzte nach oben in Leas Arme. Sie lachten sich erst einmal aus, doch bald wurde das Lachen erstickt von hemmungslosem Stöhnen.
Beide hatten noch nie auch nur annähernd diese Wahnsinnserregung gefühlt, beide hatten nicht die geringste Ahnung davon gehabt, welche Lust sich eine Frau und ein Mann gegenseitig bereiten konnten, wenn sie es wollten.
Wenn sie bereit waren, zu geben und zu nehmen.

Befriedigt lagen sie schließlich nebeneinander, knutschten sich ab, kuschelten und merkten, wie die Leidenschaft sie wieder packte. Sie bekamen nicht genug an Zärtlichkeit, an Erregung, an Erfüllung.
Sie taumelten von einem lustvollen Erlebnis ins nächste.
Irgendwann schliefen sie engumschlungen vollkommen erschöpft ein.
Irgendwann wachten sie engumschlungen vollkommen heiß aufeinander wieder auf.

Einen solchen Rausch der Gefühle hatten beide noch nie erlebt. Nicht annähernd.
Gegen Mittag tauchten sie in der Realität auf.
Sie hatte eine Vorlesung versäumt, er einen wichtigen Termin mit einem Vertreter der Stadt, und es war ihnen beiden so was von egal.

Doch nach dem späten Frühstück meldete sich Bens schlechtes Gewissen. Eine Nacht hatte er von Lea haben wollen.
Eine Nacht hatte sie ihm geschenkt.
Doch jetzt musste er zurück in sein Leben.
In das Leben, in dem er einen Beruf hatte und eine Ehefrau.

„Ich muss los, Lea!" sagte er leise. „Und wir werden uns nicht wiedersehen. Aber diese Nacht werde ich nie vergessen, schönes Mädchen."

Lea hielt dem Blick seiner blauen Augen stand. Heulen konnte sie später! Jetzt musste sie lächeln, lächeln, lächeln.
„Okay!" sagte sie nur. „Mach es gut!" Sie drehte sich weg, er verließ die Wohnung.



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