Kapitel 39
Noch am gleichen Tag konnte Frank das Appartement beziehen. Die erste Nacht in einem sauberen, bequemen Bett fühlte sich himmlisch an. Er widerstand sogar der Versuchung, sich an der großzügig ausgestatteten Hausbar zu bedienen. Nachdem sie den Schlüssel in der Bank abgeholt hatte, hatte Ingrid noch ein paar Grundnahrungsmittel für ihn eingekauft und ihm einen Hunderter zugesteckt.
Es gab einen modernen Fernsehapparat und eine Musikanlage. Er wollte eine Dosensuppe heiß machen und sich dann auf das riesige Sofa lümmeln, um sich einen Film reinzuziehen. Einige Wochen lang lebte er zufrieden in diesen luxuriösen Räumen, ignorierte die schiefen Blicke der anderen Hausbewohner, wenn sie sich im Treppenhaus oder Lift trafen. Er fand Arbeit in einer Gasthaus-Küche, meldete sich ordnungsgemäß auf dem Amt als Arbeitssuchender ab. Sein Leben hatte sich zum Besseren hin gedreht.
Dann geschahen zwei Dinge ziemlich zeitgleich.
Seine Chefin, eine unattraktive Frau – nicht nur äußerlich, sondern vor allem charakterlich – baggerte ihn vehement an. Anfangs versuchte er, ihre Annäherungsversuche zu ignorieren, doch, als sie immer eindeutiger wurden, beschloss er, mit ihr zu sprechen - sie grinste ihn allerdings nur dämlich an. „Ich an deiner Stelle würde mich nicht so anstellen." Ihre Stimme war deutlich warnend, wenn nicht sogar drohend. „Du brauchst doch deinen Job, oder?" Sehr bestimmt griff sie ihm in den Schritt. Die gefährlichen roten Kreise begannen vor Franks Augen zu tanzen, rasende Wut stieg wieder einmal in ihm hoch. Er versuchte dagegen anzuatmen – ein, aus, ein, aus – dann hatte er sich so weit in Griff, dass er durch seine zusammengepressten Lippen hervorstoßen konnte: „Fass mich nie wieder an!"
Doch sie schien nicht im Geringsten beeindruckt, kam ihm sogar noch näher. „Sonst was?" flüsterte sie nah an seinen Lippen. Er schubste sie von sich, sie kam überrascht ins Stolpern, landete auf ihrem gut gepolsterten Hinterteil. Ihre blitzenden Augen schienen ihn zu durchbohren. „Pack deine Sachen zusammen!" fauchte sie. „Deine Papiere schicke ich dir zu!"
„Vergiss es!" schoss er zurück. „Ich habe Rechte!"
„Willst du es darauf ankommen lassen? Wenn ich aussage, dass du mich sexuell bedrängt hast, wem, meinst du, werden sie glauben?"
Da wusste Frank, dass er verloren hatte – wieder einmal. Bei seiner Vorgeschichte hätte er keine Chance.
An diesem Tag musste wieder einmal die Schnapsflasche sein Freund werden, ihn trösten.
Als er sich nach einer durchsoffenen Nacht einigermaßen gefasst hatte, fand er im Briefkasten einen Umschlag, was überraschend war, da er noch nie Post bekommen hatte, seit er hier lebte.
Absender war eine Anwältin für Familienrecht. Er zog das Schreiben heraus und las.
„Sehr geehrter Herr Hofmeister,
hiermit informiere ich Sie darüber, dass ich Frau Ingrid Hofmeister bei ihrer Scheidungsklage gegen Sie vertrete. Sie können einen eigenen Anwalt beauftragen, müssen das aber nicht. Allerdings möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass ich meiner Mandantin und dem Gericht raten werde, Unterhaltszahlungen für Sie abzulehnen. Nach deutschem Recht muss dieser Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen nicht nachgekommen werden, wenn häusliche Gewalt der Hauptgrund für die Trennung ist."
Das „Mit freundlichen Grüßen" klang in seinem Kopf laut und hämisch. Sofort drückte er auf Ingrids Kontakt, die das Gespräch aber nicht annahm.
Klar! Die weiß schon, warum ich anrufe! Die Wut, der lodernde Zorn ließen ihn vergessen, was seine Frau alles für ihn getan hatte - und dass sie wahrscheinlich in der Arbeit war.
Vollkommen aufgebracht wählte er die Nummer der Anwältin. Sicher war es nicht sehr klug, sie gleich anzubrüllen, nachdem sie sich gemeldet hatte, doch er hatte sich zu wenig in Griff.
Nadja hörte sich die Tiraden des Typen, der seine Frau mehr als einmal verprügelt hatte, eine Weile an, dann legte sie grinsend auf.
Frank rastete vollkommen aus. Die verdammten Weiber! Alle wollten ihn systematisch fertig machen. Aber nicht mit ihm!
Er raste - alles andere als fahrtüchtig - zu der angegebenen Adresse. An der Eingangstür entdeckte er im letzten Moment die Überwachungskamera, zog seine Kappe tief in die Stirn, wandte den Kopf ab. Ein ziemlich aufgeregter Typ verließ gerade das Haus, Frank konnte die Tür noch abfangen, bevor sie ins Schloss fiel.
Noch immer außer sich hetzte er die Stufen in den ersten Stock, trommelte mit den Fäusten gegen die Tür, an dem das Schild mit der Aufschrift hing: Nadja Knüppers, Fachanwältin für Familienrecht.
Es dauerte nicht lang, bis eine schimpfende Furie öffnete und kurz erstarrte. Frank schob die Frau zur Seite und in ihr Büro, nachdem er die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss getreten hatte.
„Setz dich, verdammte Bitch!" brüllte er. Sie gehorchte, doch ihre Finger wollten irgendetwas in der Schublade des Schreibtisches fassen. „Hände auf den Tisch!" befahl er. Dann legte er los, schrie sein ganzes Elend über die Situation in seinem Leben heraus, all die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren waren. „Ich habe jahrelang das Balg großgezogen, das sie unbedingt haben wollte. Ich habe den braven Hausmann gespielt, damit Madame Karriere machen konnte! Und jetzt soll ich ohne einen Cent abserviert werden?" Er musste nach Luft schnappen, so sehr hatte er sich in Rage geredet.
Da sah er das Grinsen auf dem Gesicht der Anwältin. Sie würde ihn vernichten, das erkannte er innerhalb von Sekunden. „Sie haben Ihre Frau geschlagen! Mehrmals! Sie waren als Ehemann ein einziger Albtraum!" schoss sie zurück, blieb aber erstaunlich gelassen. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass irgendjemand diese tapfere Frau zwingen kann, für Ihren Lebensunterhalt aufzukommen? Sie hat schon viel zu viel für Sie getan. Ich werde sie sicher davon überzeugen können, dass sie diese blödsinnigen Mietzahlungen für das Appartement einstelltl."
Frank sank ein wenig in sich zusammen. Es würde also noch schlimmer kommen! „Das können Sie nicht machen!" Seine Stimme klang verzweifelt, beinahe etwas unterwürfig.
Doch diese herzlose Anwältin lachte ihn nur aus. „Ich kann, und ich werde." Dieser Satz war Nadjas Todesurteil. Frank konnte die rasende Wut nicht mehr in Griff bekommen, ohne eine Sekunde nachzudenken, griff er nach dem schweren, gläsernen Blumenübertopf, in dem ein Kaktus steckte und knallte ihn der Frau an den Schädel. Ihr Kopf sackte auf den Schreibtisch, Blut sickerte aus einer tiefen Stirnwunde. Doch Frank konnte nicht von ihr ablassen. Wie im Rausch hob er das Gefäß auf und knallte es wieder und wieder auf seine Feindin.
Irgendwann tauchte er aus dem Nebel der Wut auf. Halbwegs wieder bei Sinnen sah er auf seine blutigen Hände, auf sein besudeltes Shirt. Panisch verließ er die Wohnung, das Haus, dachte gerade noch daran, sein Gesicht vor der Kamera zu verbergen.
In seinem Auto kam er wieder ganz zu sich. Was hatte er getan? Doch wie immer rechtfertigte er sich vor sich selbst. Die Bitch hatte nichts anderes verdient! Sie hatte sein Leben vollkommen zerstören, ihn endgültig in die Gosse stürzen wollen.
Ingrid war auch immer schuld gewesen, wenn sie sich Ohrfeigen eingefangen hatte. Hätte sie ihre Klappe gehalten, wenn er eh schon auf hundert gewesen war. Doch irgendwann konnte er die Stimme in seinem Kopf nicht mehr ignorieren, die ihm vehement widersprach.
Mit dir stimmt etwas nicht!
Mit dir stimmt etwas nicht!
Mit dir stimmt etwas nicht! brüllte sie zunehmend lauter.
Er drosch auf das Lenkrad ein. Und jetzt? Wohin? Ins Appartement zurück konnte er nicht! Dort würden sie ihn finden und wegsperren! In seinem Kopf drehte sich alles. Er brauchte Schnaps, musste etwas gegen dieses Gedankenkarussell tun, er konnte nicht mehr.
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