Kapitel 38
Als Frank aus seinem Rausch aufwachte, hatte sich ein Bergwerk in seinem Kopf eingenistet. Fuck! Er war es einfach nicht mehr gewohnt, sich dermaßen abzuschießen. Er torkelte ins Bad, musste Magensäure und Galle unbedingt loswerden. Aufs Essen hatte er vollkommen vergessen gehabt. Natürlich traf er die Schüssel nicht genau, zu sehr schwankte sie vor seinen Augen. Das würde er später in Ordnung bringen, jetzt musste er erst einmal wieder in die Horizontale.
Gefühlte Sekunden später quälte ein schriller Schrei seine Ohren und sein gemartertes Gehirn. „Klaus! Wie eklig! Schau mal, wie es hier aussieht!"
Frank versuchte seine Gedanken zu ordnen. Eine Frauenstimme! Klaus hatte eine Mieze mit nach Hause gebracht, die jetzt im Badezimmer stand und sich über seine Hinterlassenschaft aufregte.
Fuck! Das hatte er doch nicht gewusst, nicht wissen können!
Kurz darauf brüllte Klaus nach ihm und stürmte zeitgleich in sein Zimmer. „Raus hier!" schrie der Kumpel, griff nach Franks Reisetasche, warf sie mehr als unsanft aufs Bett.
Frank rappelte sich, immer noch benommen, hoch, hielt seinen dröhnenden Kopf. Er schlüpfte in seine nicht mehr ganz frischen Klamotten, warf sein Bisschen an Habe in die ziemlich ramponierte Tasche und stolperte aus der Wohnung.
Auf der Straße sank er entlang der Hauswand in die Hocke, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Jetzt hatte er es also geschafft, den letzten Rest an Zuhause kaputtzuschlagen. Es blieb nur noch ein Hoffnungsschimmer, dass Klaus sich wieder einkriegen würde. Doch erst einmal musste er die Reste seines Alkoholexzesses aus seinem Kopf bekommen.
Er schleppte sich durch die Straßen der Stadt, die keinen Platz für ihn zu haben schien, erreichte den kleinen Park in der Nähe des Bahnhofs, suchte nach einer freien Bank. Aber alle waren belegt, mit abgerissenen Gestalten, manche hielten noch die letzten Spritzen in den Händen. Es stimmte wohl, was er gelesen hatte: Hier war ein Problemviertel entstanden, hier waren die gelandet, die nichts mehr hatten außer ihrer Sucht. Das war alles, was ihm noch offen stand. Er suchte sich eine Stelle in dem spärlichen Gebüsch, wo die ersten Strahlen der Frühlingssonne die Nachtkälte vertrieben und den feuchten Boden etwas getrocknet hatten.
Der Schlaf kam natürlich nicht zurück, dafür roch es auch zu streng um ihn herum. Am frühen Vormittag wusste er, dass er tiefer nicht mehr sinken konnte. Er musste mit Ingrid sprechen. Sie musste entweder verzeihen oder ihm ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Er würde sein Auto holen, das noch immer vor Klaus' Tür stand, den Kumpel bitten, ihn wenigstens noch einmal duschen zu lassen, und danach zu seiner Noch-Ehefrau fahren.
Klaus öffnete nicht, es blieb ihm wohl nur übrig, Ingrid anzurufen. Sein Handy hatte lediglich zehn Prozent Speicherkapazität, er hatte sich die halbe Nacht während seiner Sauferei Hardrock reingezogen. Überrascht nahm er wahr, dass sie sich tatsächlich meldete.
„Können wir uns bitte treffen?" fragte er schnell. Natürlich war ihm bewusst, dass das Verbot, sich ihr zu nähern noch galt, aber in seiner Verzweiflung sah er keinen anderen Weg mehr.
Ingrid erschrak, als sie seine Stimme hörte. Sie hatte nicht aufs Display gesehen, sonst hätte sie das Gespräch nicht angenommen. Jetzt fühlte sie sich wie in einer Falle. Andererseits hatte er sich während der letzten Monate strikt an das Annäherungsverbot gehalten. Gut, er hatte immer wieder angerufen, aber sie nie wieder bedrängt. Sie atmete noch einmal tief ein, bevor sie vorschlug: „Komm über den Garten zur Terrassentür. Es muss ja niemand mitbekommen."
Erleichtert machte er sich auf den Weg, stand kurz darauf als der Bittsteller, der er war, vor ihrem Wohnzimmer.
„Du weißt ja, wo das Bad ist!" sagte sie nur und wandte den Kopf – vor allem die Nase – von ihm weg. Zum Glück war Sabrina in der Schule. Ihr war bewusst, dass sie nicht logisch und konsequent handelte, doch sie war so erzogen worden. Sie wollte die Scheidung von Frank, aber sie wollte ihn nicht vernichten. Sie würde ihn auch finanziell unterstützen, wie es das Gesetz vorsah. Schließlich war er der Vater ihrer Tochter, vielleicht schaffte er es ja doch noch, sich zu ändern.
Ihrer Nachbarin Kathrin durfte sie solche Gedanken natürlich nicht mitteilen. Die würde sie in der Luft zerreißen. Durch sie hatte sie auch schon eine Anwältin gefunden, hatte sich nur noch nicht aufraffen können, sie anzurufen.
Als Frank zurückkam, sah er wieder etwas menschlicher aus, roch vor allem so.
„Ich habe dich monatelang nicht erreicht," stellte er fest, versuchte aber, seine Stimme nicht zu vorwurfsvoll klingen zu lassen.
Ingrid wich seinem Blick nicht mehr aus, wie sie es früher immer getan hatte. „Ich musste auch erstmal über alles wegkommen."
Frank nickte nur. Sie klang entgegenkommend. Sollte er hoffen können? Er fasste vorsichtig nach ihrer Hand, die sie ihm aber schnell entriss.
„Nein! Nicht!" rief sie und sprang erregt auf. „Frank, ich werde so bald wie möglich die Scheidung einreichen. Wir versuchen, uns mit Anstand zu trennen. Ich werde für deinen Unterhalt aufkommen, in der Höhe, die das Gericht festsetzt."
Ihre Worte ließen ihn ruhiger werden. Das war mehr, als er erwartet hatte. Irgendwie war sie schon eine tolle Frau – Idiot, der er war, hatte er alles total in den Sand gesetzt.
Er nickte zustimmend, doch ein Problem war noch nicht gelöst. „Ich weiß im Moment nicht, wo ich unterkommen kann."
„Wo warst du denn die letzten Monate?" fragte sie überrascht.
„Bei Klaus. Aber der hat jetzt eine Freundin, da ist kein Platz mehr für mich." beschönigte er die Wahrheit.
Ingrid dachte angestrengt nach. „Da gibt es doch diese Häuser für Wohnungslose." Doch schon, während sie das sagte, hatte sie einen schalen Geschmack im Mund. Das konnte und wollte sie ihm nicht antun, ganz egal, wie er sie behandelt hatte. Rachegefühle hatten etwas so Bitteres, sie wollte ganz einfach ihre Ruhe haben und sich aber auch noch im Spiegel ansehen können. Plötzlich hatte sie eine Idee, die sie aber noch mit ihrem Chef besprechen musste.
Sie rief ihn am besten gleich an. „Hallo, Harald, Ingrid hier!" meldete sie sich.
„Ich habe deine Stimme erkannt und auch deinen Namen auf dem Display gelesen." kam gutgelaunt zurück. Er freute sich wirklich, von seiner Stellvertreterin auch an ihrem freien Tag zu hören. Ihr Herz schlug etwas schneller, ihr Chef war gerade frisch geschieden und zeigte offensichtlich Interesse an ihr – das sie durchaus erwiderte. Lächelnd fuhr sie fort: „Die Bank hat doch dieses Appartement für Geschäftsfreunde, das aber meines Wissens nur sehr selten gebraucht wird, weil die meisten lieber in einem Hotel untergebracht werden wollen. Siehst du eine Möglichkeit, dass mein Noch-Ehemann vorübergehend dort wohnen könnte? Die Miete würde ich schon übernehmen."
Harald schluckte kurz. Noch-Ehemann? Er war noch nicht so lange in Regensburg, war eigentlich davon ausgegangen, dass Ingrid alleinstehend war. „Ja, ich meine, das ginge wohl schon. Hat er bisher bei dir gewohnt?" konnte er sich dann doch nicht verkneifen zu fragen.
„Nein, schon eine Weile nicht mehr!" erklärte sie. „Aber das ist eine lange Geschichte."
„Die du mir hoffentlich bald mal bei einem Glas Wein erzählen wirst?"
Wieder hörte sie das Lächeln in seiner Stimme, was auch sie zum Lächeln brachte. „Wäre möglich!"
„Okay! Da kann ich natürlich nicht mehr Nein sagen zu deinem Plan. Du kannst jederzeit die Schlüssel bei mir abholen."
Frank hatte den offensichtlichen Flirt mitbekommen, und wieder stieg diese Wut in ihm auf, die er immer so schwer kontrollieren konnte. Natürlich hatte sie schon einen Neuen! Eine Frau wie sie brauchte nicht lange zu suchen.
Doch er musste sich beherrschen, endlich einmal musste er diese aufbrausenden Gefühle in Griff bekommen. Das, was er da gehört hatte, klang so vielversprechend. Sie würde dafür sorgen, dass er ein Dach über dem Kopf bekam, und sie würde sogar dafür bezahlen.
Warum, verdammt nochmal, hatte er diese Frau verletzt, geschlagen, verloren?
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