Kapitel 36

Kriminalrat Holger Hansen war mehr als unzufrieden mit seinem Team.

„Sind Sie jetzt von allen guten Geistern verlassen?", brüllte er Antje Kammer und Boris Helmbrechts an. „Wir haben einen Sorgerechtsstreit vom Feinsten, eine tote Ehefrau und Mutter! Und Sie lassen den Ehemann und seinen Freund laufen? Laden die Geliebte des Ehemannes gar nicht erst vor?" Er hatte schon sehr früh am Morgen die Berichte gelesen, war fassungslos gewesen.

Diese Oberpfälzer hatten wirklich keine Ahnung von Polizeiarbeit. Das würde ein Stück an harter Arbeit werden, denen die Grundsätze einer sauberen Ermittlung beizubringen. Zeit war es wohl geworden, dass er von Hamburg hierher versetzt worden war. Entwicklungshilfe der anderen Art war wohl angesagt.

„Der Ehemann hat ein Alibi von seiner Nachbarin bekommen, ohne dass wir danach gefragt hatten. Er war den ganzen Tag mit seiner Tochter zu Hause, außer einem kleinen Spaziergang." versuchte Antje zu erklären. Der blonde arrogante Riese aus dem hohen Norden war ihr vom ersten Tag an unsympathisch gewesen, hatte sich von der ersten Minute an überheblich gezeigt. Dabei wusste sie von einer Kollegin, die sie mal auf einer Fortbildung kennengelernt hatte, dass er in ihre idyllische kleine Großstadt strafversetzt worden war, weil er sich einige grobe Verstöße bei Verhören erlaubt hatte.

„Papperlapapp!", fuhr der Chef ihr über den Mund. „Alibi! Das ist ja lächerlich! Die hängt da sicher auch mit drin, ist verknallt in den Typen oder was auch immer. Er hätte sicher das Haus auch durch die Terrassentür verlassen können."

„Das sind Kettenhäuser, es gibt keinen Weg vom Garten zur Straße, ohne andere Gärten zu durchqueren!", wandte die Kollegin betont ruhig ein.

Der Chef fand im Augenblick kein Argument mehr, nahm sich Boris vor. „Und der Freund der Familie? Der ja offensichtlich die Tote aufgesucht hat? Warum haben Sie den nicht festgenagelt? Zumindest eine Nacht hierbehalten, um ihn mürbe zu machen?"

Der junge Kommissar war versucht, die Augen zu verdrehen. Doch er atmete nur tief ein und aus, erklärte, was auch schon im Bericht stand. „Das Aufnahmegerät war ausgeschaltet worden. Es hatte das Gespräch zwischen Dr. Landers und Frau Knüppers aufgezeichnet."

„Das kann auch ein perfider Trick sein", hielt der Kriminalrat dagegen. „Auf den Sie natürlich reingefallen sind."

Boris' Puls stieg in schwindelnde Höhen. „Es wurden nur Fingerabdrücke von Frau Knüppers gefunden."

„Handschuhe? Hat man in Bayern davon schon mal was gehört?"

Antje kam Boris zu Hilfe. Sie waren nicht immer einer Meinung, rieben sich auch oft aneinander, aber sie waren ein Team. Beide konnten sich zu hundert Prozent aufeinander verlassen, und ihre Diskussionen waren meisten sehr fruchtbar.

„Auf dem Schreibtisch und dem Besucherstuhl waren Fingerabdrücke von Dr. Landers zu finden, neben einer Reihe von anderen. Er ist einfach nicht der Typ, der eine Frau erschlägt, sie eigentlich übertötet, dann Handschuhe anzieht, die er zufällig dabei hat und anschließend das Gerät ausschaltet."

Doch Holger ließ auch diese Argumente nicht gelten. „Nicht der Typ!", blaffte er die Untergebene an. Frauen und ihre Gefühle! In der Kriminalistik galten Fakten, Fakten, Fakten! Und mit etwas Härte würden die beiden Männer schon einknicken und gestehen. Davon war er vollkommen überzeugt, auch wenn ihm diese Einstellung an seiner alten Dienstelle beinahe das Genick gebrochen hatte. Schmusekurs bei Verdächtigen war nicht sein Ding.

Das war ein Familiendrama!

Aus!

Basta!

„Bestellen Sie die beiden Herren noch einmal ein. Ich werde sie mir selbst vornehmen!", ordnete er an.

„Und der andere Typ, der auf den Kameraaufzeichnungen zu sehen ist?", fragte Boris.

„Mein Gott! Irgendein Lieferant, ein Bote. Suchen Sie die Nadel im Heuhaufen. Ich halte mich an das, was wahrscheinlich ist!", erhielt er als Antwort.

Antje und ihr Kollege blieben etwas belämmert zurück, nachdem ihr Chef den Raum verlassen hatte.

„Puh! Da haben wir ja einen Fang gemacht!", seufzte die Hauptkommissarin. „Keiner wollte ihn, aber wir haben ihn gleich bekommen."

Sie rief nach Susi, der Sekretärin. „Kannst du bitte Dr. Knüppers und Dr. Landers noch einmal herbitten? Der Chef will sie persönlich verhören."

Susi klimperte mit den langen künstlichen Wimpern. Die beiden Herren waren schon etwas für Frauenaugen! „Aber natürlich! Von Herzen gern!", zwitscherte sie lachend.

Boris lächelte vor sich hin. Susi stand kurz vor der Rente, aber schöne Männer waren eindeutig eine Schwäche von ihr.

Ben und Lea hatten versucht, etwas Schlaf zu finden, nachdem David gefahren war und auch Barbara sich verabschiedet hatte. Ben hielt sie in den Armen, streichelte sanft ihren Rücken, bis sie die nötige Ruhe gefunden hatte.

Der Anruf auf seinem Handy riss beide aus unruhigen Träumen, und sie waren fast froh, dass der Klingelton sie befreite.

Heiser meldete sich Ben, eine freundliche Frauenstimme informierte ihn, dass ein Kriminalrat ihn noch einmal zu sprechen wünschte.

„In einer Stunde kann ich da sein", brummte er.

„Eine halbe Stunde würde sicher hilfreich sein", erwiderte die Dame.

Er wand sich aus Leas Umklammerung, sprang aus dem Bett. „Gut! Dann muss mich der Herr Kriminalrat aber ungeduscht und mit knurrendem Magen ertragen", gab er zu bedenken.

Das Gespräch mit David lief ähnlich ab, nur, dass ihm die Stunde zugestanden wurde, weil er seinen Anwalt verständigen musste. Das hatte Susi auf ihre eigene Kappe genommen, der neue Chef konnte die Herren ja nur hintereinander befragen. Sie wusste schon, wie sie mit diesen polternden Männern umgehen musste - er war der achte Leiter der Mordkommission, seit sie dort arbeitete.

Holger Hansen ließ den Ehemann etwas zappeln, bevor er den Verhörraum betrat. Susi hatte dem gutaussehenden Mann inzwischen Kaffee und einen Donut gebracht, ein dankbares Lächeln dafür geerntet und einen Traum für die nächste einsame Nacht gewonnen.

„Sie haben Ihren Freund, Dr. David Landers angestiftet, Ihre Ehefrau Nadja Knüppers zu erschlagen, wenn sie sich nicht dazu bereit erklärte, ihre Anschuldigungen gegen Sie und Ihre Freundin, Lea Trattoni, zurückzunehmen. Ziel der Tat war, das Sorgerecht für Ihre Tochter Mia zu bekommen. Inwieweit Frau Trattoni involviert war, wird noch zu klären sein.", knallte Holger Ben hin.

Der verschluckte sich am letzten Schluck Kaffee aus dem Pappbecher. „Lassen Sie Lea da raus!", fauchte er. „Sie hat genug mitgemacht in den letzten Tagen!"

„Dann gestehen Sie einfach Ihren Plan, und Ihre Geliebte bleibt unbehelligt." Der Kriminalrat lehnte sich in seinem Stuhl zurück, zeigte ein zufriedenes Grinsen.

Doch der Stararchitekt war nicht so leicht zu knacken, wurde wieder ganz ruhig. „Weder ich noch David haben Nadja auch nur das Geringste angetan. Warum schießen Sie sich denn so auf uns ein? Dr. Landers hat mit erzählt, dass es eine Kameraaufnahme von einem Mann gibt, der sich verdächtig benommen hat. Warum suchen Sie den nicht?"

Ein arrogantes Grinsen erschien auf dem Gesicht des Beamten. „Wollen Sie meinen Job machen?"

Ben schluckte eine Antwort hinunter. Es wäre sicher besser, dem Typen nicht zu erklären, dass er selbst ihn sicher besser erledigen würde.

„Also, Herr Knüppers, dann erzählen Sie mir doch ausführlich, was Sie am Tattag getan haben", bat Holger überfreundlich.

Den Verdächtigen in Sicherheit wiegen und dann zubeißen wie eine Kobra. Das war seine normale Vorgehensweise.

Also begann Ben, über den ganzen Tag minutiös zu berichten. Immer wieder fiel ihm der Kriminalrat ins Wort, verdrehte Inhalt und Sinn, versuchte ihn in Widersprüche zu verwickeln. Doch er kam keinen Schritt weiter, dieser Knüppers war ein harter Brocken – dazu noch intelligent und wortgewandt.

Nach einer Stunde sprang er auf, war genervt, brauchte eine Zigarette und einen Schluck aus seinem Flachmann, den er in einer Schreibtischschublade unter Verschluss hielt. Ohne Erklärung ließ er Ben einfach sitzen.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top