Kapitel 31

Ben saß auf heißen Kohlen. Wo steckte Nadja? Was bezweckte sie mit diesen verdammten Spielchen? Er telefonierte immer wieder mit Lea und David, die beiden warteten auf eine Antwort des Anwalts.

David tigerte erneut durch die Wohnung, schüttete zu viel Kaffee in sich hinein. Er versuchte, runterzukommen, er musste Lea eine Stütze sein. Die war erstaunlich ruhig. Sie setzte große Hoffnungen in Dr. Kai Neubert und auch in die Vernunft der Vorgesetzten Frau Schnells.

Benedikt war gut untergebracht, davon hatte sie sich zum Glück überzeugen können. Margret Reimann hatte sie heute auch schon angerufen, hatte ihr berichtet, dass das Söhnchen eine ruhige Nacht gehabt hatte.

Da fasste David einen Entschluss. „Ich hole jetzt Ben ab. Da kann uns keiner einen Strick draus drehen. Die Verrückte hat ihn quasi im Haus festgehalten, ohne Telefon und Auto. Diese Spielchen machen wir jetzt nicht mehr mit!"

Lea wollte Bedenken anmelden, fand aber dann, dass der Freund recht hatte. Alles mussten sie sich auch nicht gefallen lassen.

„Leg dich noch ein wenig hin", forderte er seine beste Freundin auf. „In spätestens einer Stunde sind wir wieder da, falls Madame Nadja nicht inzwischen wieder auftaucht. Und dann hoffe ich für sie, dass sie eine gute Ausrede für ihr dämliches Verhalten hat." Er war eigentlich ein total ausgeglichener junger Mann, aber diese irre Geschichte brachte ihn an den Rand seiner Beherrschung, wenn nicht sogar über die Grenze.

Eine halbe Stunde später rief Ben an, seine Stimme klang erleichtert. „Ich komme jetzt mit Mia nach Hause."

Sie atmete auf. Ganz egal, welche Folgen das haben würde, es wäre so gut, Ben und Mia wieder hier zu haben.
Kurz darauf läutete es Sturm, und sie flog zur Türe. Nadja hatte Ben ja seine Schlüssel abgenommen, seine Haus- und Wohnungsschlüssel hingen sicher am Bund. Doch die Stufen herauf kamen nicht Mann, Kind und Freund, sondern vier Polizisten mit schusssicheren Westen und gezogenen Waffen.

Der erste packte Lea unsanft an den Schultern, schob sie an die Wand. „Beine auseinander, Hände über den Kopf!", brüllte er. Die anderen stürmten in die Wohnung, nahmen sich Zimmer für Zimmer vor. „Sicher!", tönte es aus Kinder- und Schlafzimmer sowie aus dem Bad.

Die Waffen verschwanden zu Leas Erleichterung in den Holstern. „Setzen Sie sich!", forderte der erste Beamte sie auf, sein Ton war noch immer äußerst barsch. „Haben Sie Kenntnis über den Aufenthaltsort von Dr. Knüppers und Dr. Landers?"

Das ist aber jetzt ein böser Traum! dachte Lea und hätte um ein Haar hysterisch zu kichern begonnen. Ben und sie liebten ja Kriminalfilme, aber das war jetzt eindeutig zu viel. Absolut surreal.
„Sie ... sie ... sie sind auf dem Weg hierher", stammelte sie.

In diesem Augenblick drehte sich ein Schlüssel in der Wohnungstür. Sofort gingen die Polizisten wieder in Stellung und zogen die Waffen. Lea warf sich vor den Ersten. „Sind Sie verrückt? Sie haben ein kleines Kind bei sich!", brüllte sie.

Doch es waren nicht Ben und David, die hereinkamen, sondern ihre Eltern. Angelika ließ vor Schreck die Dosen mit dem Essen fallen, als sie den bewaffneten Beamten gegenüberstand. Stefano stürzte sich auf seine Tochter, die bleich wie ein Gespenst auf dem Sofa saß.
„Treten Sie zurück!", brüllte einer der Polizisten. „An die Wand!" Ein anderer tastete den Italiener nach Waffen ab. Er tat das nur halbherzig, die ganze Situation schien ihm vollkommen überzogen. Gerry, der Anführer der Gruppe, benahm sich, als ob sie eine Gang ausheben mussten. Die Überzogenheit dieses Einsatzes erschien Marvin ziemlich grotesk.

Mittlerweile hatten sich Angelika und Stefano zu ihrer Tochter setzen dürfen, Marvin hatte die Dosen aufgesammelt, deren Deckel zum Glück gehalten hatten. Leas Vater hatte sich so weit in Griff, dass er fragen konnte: „Was ist eigentlich los? Haben Sie keine Verbrecher zu fangen?"

„Ich darf Ihnen keine Auskunft zu laufenden Ermittlungen geben!", wiegelte Gerry ab.

„Laufende Ermittlungen? Eine rachsüchtige Ehefrau hat es irgendwie fertig gebracht, die zwei Kinder meiner Tochter und ihres Freundes aus der glücklichen Familie reißen zu lassen. Ein Anwalt ist eingeschaltet, die fürchterliche Angelegenheit wird sich bald lösen lassen. Warum ist denn da dieser überzogene Polizeieinsatz nötig?" Er hatte sich ordentlich in Rage geredet, der sanfte Italiener, der bisher an das deutsche Rechtssystem geglaubt hatte.
Gerry wurde einer Antwort enthoben, da wieder Schlüsselgeräusche zu hören waren. „Süße! Wir sind da", hörte Lea einen glücklichen Ben. Dieses Mal blieben die Waffen in den Holstern, Marvin drängte sich an seinem Chef vorbei. Lea folgte ihm, nahm Mia auf ihren Arm und küsste sie ab.

Ben sah sich um, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das Wohnzimmer war überfüllt mit Menschen – und vier davon gehörten definitiv nicht hier her. Mia fing an zu weinen, dann zu brüllen. Sie fühlte die Anspannung. Lea ging mit ihr ins Kinderzimmer, brachte sie in Sicherheit – soweit es die in diesem Augenblick überhaupt noch gab. Was für jeden von ihnen galt.

„Dr. Ben Knüppers? Dr. David Sanders? Ich muss Sie bitten, uns aufs Revier zu begleiten", leierte Gerry seinen Text herunter.

Ben sah den Beamten ungläubig an. „Weil ich meine Tochter nach Hause gebracht habe, nachdem meine hoffentlich bald Ex-Frau einen so fürchterlichen Zirkus veranstaltet hat?"
„Näheres werden Sie in Kürze erfahren. Ich würde Sie bitten, keine Schwierigkeiten zu machen und uns zu folgen."

„Darf ich mich noch von Lea verabschieden?", fragte Ben, und seine Augen drohten überzulaufen. Er brauchte dringend etwas Nähe, etwas Trost. Eine Umarmung, vielleicht sogar einen Kuss, der ihm sagte, dass alles wieder gut werden würde.

Das „Nein" des Beamten zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg, und wieder einmal tauchte dieser Gedanke in seinem Kopf auf, dass er zu einem Mord fähig sein könnte. Mit gesenktem Kopf folgte er den Polizisten, David trottete hinter ihnen her.
Was für ein Wahnsinn! dachte der Freund.

Der Einsatz war im Haus nicht unbemerkt geblieben. Die Alte stand im Treppenhaus, freute sich, dass endlich einmal aufgeräumt wurde in diesem Sodom und Gomorrha.

Die Studenten schlossen schnell die Wohnungstür, als sie die Beamten sahen, damit der Cannabisrauch nicht nach draußen drang.
Die enttäuschte Ehefrau rieb sich die Hände. Endlich bekam mal einer der untreuen Ehemänner die Quittung serviert.
Wolfgang stand unten, verstand die Welt nicht mehr. Das so nette sympathische Pärchen! Was sollten die denn angestellt haben? Er blaffte die Alte an: „Und wer schleppt jetzt deine Schnapsflaschen nach oben?"

Als nächstes war die andere Frau dran. „Und du? Verklemmte Type? Hat dich der Neid auf das Glück anderer noch immer nicht aufgefressen?" Kopfschüttelnd knallte er seine Tür ins Schloss.
Barbara, die Apothekenhelferin, hatte mitbekommen, dass schon wieder mal die Polizei das nette Paar mit den zwei süßen Kindern in die Mangel genommen hatte. Sie musste mal den hübschen David, der ihr ziemlich im Kopf herumspukte, fragen, was da denn los war.

Als sie sah, dass Dr. Knüppers und ihr Schwarm ziemlich unsanft in das Einsatzfahrzeug verfrachtet wurde, stieg etwas wie Panik in ihr hoch.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top