Kapitel 27

Davids Herzschlag summte in seinen Ohren, als er an der Haustür auf Nadjas Klingelknopf drückte. Tränen der Wut trübten seinen Blick. Die Teufelin meldete sich über die Sprechanlage. Erst einmal atmete er tief ein und langsam aus, um sich etwas zu beruhigen. „David Landers hier", antwortete er auf ihre Frage, wer da sei.
Nadja lachte höhnisch, der Name sagte ihr durchaus etwas. Während ihrer Recherchen zu Bens neuem Umfeld war er immer wieder aufgetaucht. „Ah! Der Dritte im Bunde!", ätzte sie. „Was wollen Sie?"

„Mich mit Ihnen in Ruhe unterhalten!"
Das Lachen dieser Frau marterte seine Ohren, sein Herz und sein Gehirn. Überrascht nahm er das Summen des Türöffners wahr. „Na! Dann kommen Sie mal rauf."

Sie bot ihm keinen Platz an, er setzte sich aber trotzdem auf den Besucherstuhl an ihrem Schreibtisch, wunderte sich nur kurz, wie leer die Arbeitsfläche war.

Dann zog er sein Handy aus der Jackentasche, suchte in der Galerie nach den Bildern, die er geschossen hatte, als sie Bens Sachen abgeholt hatten, hielt ihr das Gerät vor die Nase.
Nadja grinste ihn nur überheblich an. „Und was wollen Sie damit erreichen?"
„Ich werde diese Bilder veröffentlichen, wenn Sie die Anschuldigungen gegen Ben und Lea nicht zurückziehen."

Nadja lachte noch schriller, kramte wie nebenbei in einer der Schubladen. „Veröffentlichen? Wo? Presse, Rundfunk, Fernsehen?"
David wurde bewusst, wie blöd sein Plan gewesen war.
Naiv!
Kindisch!
Unüberlegt!
Aber er wollte sich noch nicht geschlagen geben. Er musste diese Schlange zum Einlenken bekommen.
Ihr irgendein Geständnis entlocken.
Sie zu irgendetwas zwingen.

„Sie wollen Mia. Wenn ein Familienrichter diese Fotos sieht, werden Sie sie nie bekommen."
„Junger Mann!" Nadjas Stimme war sehr herablassend und selbstbewusst. „Ich will nicht Mia, ich will Ben zurück, und dafür sind mir alle Mittel recht. Das Kind ist ein notwendiges Übel."
Geistesgegenwärtig hatte David auf die Sprachaufnahmetaste seines Handys gedrückt. Triumphierend erhob er sich.

„Alle Mittel?", fragte er sicherheitshalber noch nach. Er brauchte eine klare Aussage von ihr, ein Geständnis. „Auch Zeugenbestechung? Gekaufte Aussagen?"
Nadjas Augen wurden dunkel vor Zorn. Sie durfte sich von dem jungen Kerl nicht provozieren lassen.
„Alle legalen Mittel! Und jetzt gehen Sie bitte!"

„Wenn Sie diese ganzen ungerechtfertigten Anschuldigungen nicht zurücknehmen, werde Sie das bereuen", knallte David ihr noch hin und verließ die kleine Kanzlei, bevor er sich wirklich noch vergaß.
Rasend vor Wut stürzte er die Stufen hinunter, riss die Eingangstür auf, bemerkte den Hünen nicht, der mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kappe an ihm vorbeistürmte.

Viel zu schnell fuhr er durch das Viertel, in dem Nadjas Kanzlei lag, wischte sich die Zornestränen aus den Augen. Er hatte gehofft, die widerliche Frau mit seinen Bildern beeindrucken zu können, aber das war einfach nur dumm gewesen. Schon bei Frau Schnell hatte er nichts damit erreichen können. Möglicherweise schaffte es der Anwalt, die Bild- und Tonaufnahmen zu Gunsten seiner Freunde einzusetzen. Allerdings zweifelte er mittlerweile daran, beides war nicht legal zustande gekommen und würde vor Gericht auch nicht als Beweismittel zugelassen werden.

Noch immer wütend erreichte er das kleine Einkaufszentrum, das auf dem Weg zu Ben lag. Dort wollte er ihm ein Prepaidhandy besorgen, damit er wenigstens mit Lea Kontakt aufnehmen konnte. Im Laden beruhigte er sich wieder etwas, er hatte das Gefühl, etwas tun zu können für die Freunde.

*

Ben hatte sich bei dem langen Spaziergang durch den Vorort, der einmal etwas wie Heimat für ihn gewesen war, ein wenig sammeln können. Mia schien es auch zu genießen, vom Papa getragen zu werden und nicht in dem langweiligen Wagen liegen zu müssen. Da konnte sie wenigstens etwas von der Welt sehen. Ihr fröhliches Glucksen, wenn ein Vogel vor ihnen aufflog oder ein Hund bellte, ließen wieder etwas wie Glück in sein Herz zurückkommen.

Froh war er darüber, dass keine Nachbarn in den Gärten waren - Smalltalk hätte ihn überfordert.

Als er sein Haus wieder erreichte, wartete David schon auf ihn. Ben sah dem Freund sofort an, wie aufgewühlt er war. Er fütterte schnell Mia und legte sie zum Mittagsschlaf nieder.
Dann hörte er sich Davids Bericht über den mehr als unerfreulichen Besuch bei Nadja an. „Die ist eiskalt. An der zerschellt alles. Aber ich glaube, sie ist auch ein wenig verrückt. Auf Dauer kommt sie doch mit ihren Intrigen nicht durch! Und vor allem: Was erhofft sie sich denn von einem erzwungenen Zusammenleben mit dir und Mia?"

Ben konnte Davids Frage auch nur mit einem Kopfschütteln beantworten. Es schien ihm, als hätte Nadja, getrieben von einem vollkommen irrationalen Hass, jeden Bezug zur Realität verloren. Sie riskierte durch ihre Machenschaften – denn die hatte es sicher gegeben - auch noch ihre Zulassung.

Da fiel David das Handy wieder ein. Er legte es vor Ben auf den Tisch und verabschiedete sich. Endlich konnte Ben seine Süße anrufen, konnte versuchen sie zu trösten.

Lea nahm das Gespräch der unbekannten Nummer entgegen, als sie Bens Stimme hörte, begannen Tränen der Erleichterung zu fließen.

„Wie geht es Mia?", fragte sie mit erstickter Stimme, die in Bens Hals einen dicken Kloß wachsen ließ.
„Geschlafen hat sie sehr unruhig, sie vermisst natürlich ihre Mama und ihren Bruder." Dann berichtete er von dem Spaziergang, der die Kleine wieder etwas abgelenkt hatte und fühlte, dass Lea sich etwas beruhigte.
„David hat mir ein Prepaidhandy besorgt, weil Nadja meines mitgenommen hat, wie auch meine Autoschlüssel. David war bei ihr, um mit ihr zu reden, aber er denkt wie ich: Sie ist vollkommen durchgeknallt!"

Lea erzählte vom Telefonat ihres Vater mit der Vorgesetzten von Frau Schnell. Er hatte ihr das kurz zuvor gestanden, auch den Anruf bei einem Anwalt, der ebenfalls Hoffnung hatte, dass sich die schreckliche Angelegenheit sehr bald auflösen lassen würde.
Ben fiel ein Fels mittlerer Größe von der Seele.

Stefano war unglaublich! Mit dem Temperament eines Italieners gepaart mit der Pragmatik und Räson eines pensionierten deutschen Finanzbeamten hatte er die Dinge einfach angepackt.
Alles würde gut werden!
So viele Menschen unterstützten sie, waren auf ihrer Seite.
Der Albtraum würde bald zu Ende sein.
Seine Zuversicht steckte Lea an.
Bald würden die Kinder wieder bei ihnen sein, bald würden sie wieder die glückliche Familie werden, die sie gewesen waren. „Ich liebe dich, meine Süße!" Damit beendete er das Gespräch, weil seine Augen schon wieder überliefen und ein Schluchzen in ihm hochstieg, das ihm die Stimme zu nehmen drohte.


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