Kapitel 20


Die nächsten Tage wurden hektisch, aber wundervoll.
Die Kinder waren nicht zu überzeugen, getrennt zu schlafen. Alle Versuche, sie in zwei Bettchen zu legen, scheiterten an langem Gemaule von Sohn und Tochter. Sie hielten sich an den Händchen, es war ein herzerfüllender Anblick.
Ben kaufte Lea ein Auto, denn sie musste zwischen Uni und Firma pendeln, um zu stillen.

Am Morgen versorgten sie die beiden zusammen, tagsüber Ben im Büro. Hin und wieder sprang auch Karin ein, die so unverhofft zu zwei Enkelkindern gekommen war und das sehr genoss. Wenn die Kinder quengelten, fand sich immer jemand, der sie herumtrug.

Einmal pro Woche brachten ihre Eltern Abendessen, zwei Portionen frisch, die anderen gefrierfertig portioniert.
Hin und wieder kam auch David vorbei, kochte für alle drei. Einkäufe erledigte eine junge Praktikantin, die sich ein paar Euro damit verdiente. Ben lagerte alles im Kühlschrank im Büro, sie nahmen es abends mit nach Hause.
Nur für Kondome mussten sie selbst sorgen, die sie abwechselnd in der Apotheke oder im Drogeriemarkt kauften.

Zum Putzen kam die Perle, die er für die Geschäftsräume angestellt hatte.

Ben verschwendete keinen einzigen Gedanken mehr an sein früheres Leben. Ihm war, als hätte es nie stattgefunden. Als wäre er schon immer Familienvater und Leas Mann gewesen.

Er hatte einen Anwalt mit der Scheidung beauftragt und gleich danach Nadja wieder vergessen.
Als er seinen Kontostand nach zwei Wochen überprüfte, sah er, dass sie ordentlich Kohle umgebucht hatte.
Lachend erzählte er es Lea. „Passt schon! Dann muss ich ihr es später nicht mehr geben!" Doch dann sperrte er seine Konten für sie und dachte nicht mehr daran. Es war nicht wichtig genug.
Wichtig waren Lea, Mia und Benedikt. Danach kam ganz lange nichts.


Ihr Leben war perfekt durchorganisiert. Sie hatten auch noch Zeit für sich als Paar und als Familie.
An den Wochenenden zogen sie manchmal durch die Stadt, glückliche Eltern von Zwillingen, die immer hübscher wurden.

Nur Leas Gewicht machte Ben große Sorgen. Sie wurde immer dünner. Auch die Frauenärztin schimpfte mit ihr. „Frau Trattoni, Sie können nicht zwei Kinder voll stillen! Nicht bei Ihrer Größe und Ihrem geringen Gewicht!"

Da sie nicht wollte, dass ein Kind Muttermilch bekam und das andere fertige Babynahrung, stillte sie nach fünf Monaten ab.
Von da an wurde Leas Leben auch etwas ruhiger. Die Babys gewöhnten sich problemlos an die Fertignahrung aus dem Fläschchen.
Sie schliefen die Nächte praktisch durch, wurden aber dafür tagsüber lebhafter.
Nach sechs Monaten legte Lea zwei 1,00 Examen hin.
Ihr Professor überreichte ihr die Diplome, David erhielt am gleichen Tag seine Doktorurkunde.
Am nächsten Tag fingen beide an, bei Knüppers-Bau zu arbeiten.

Ein mehr als stolzer Ben nahm sie bei der kleinen Feier in die Arme. Der Prof schlug ihm auf die Schulter. „Und es musste sein, Knüppers, dass Sie meine beiden besten Leute klauen? Der Lehrstuhl hätte die zwei auch gut brauchen können!"

Ben lachte nur. „Dumm gelaufen, oder?" Er hatte bei dem gleichen Dozenten studiert, war Doktorand bei ihm gewesen. Der Prof hatte Bens Riesentalent erkannt, hatte ihn sehr gefördert, seine Doktorarbeit als Lehrwerk in seiner Fakultät eingeführt.
„Na, ihr zwei habt euch halt gesucht und gefunden!" freute sich der Professor. Lea und Ben sahen sich an und fingen gleichzeitig zu lachen an.
„Und gleich ein paar Mal!" kicherte sie.

Am ersten Arbeitstag von Lea und David lud Ben alle Mitarbeiter zum Mittagessen ein. Die gutgelaunte Truppe zog durch die Stadt, vorneweg Ben und Lea mit je einem Kinderwagen. Plötzlich bremste Ben ab, suchte nach einem Fluchtweg.

****

Nadja war erst einmal froh gewesen, dass Ben weg war, und vor allem, dass das Kind weg war! Sie war frei, konnte ihr Leben in die eigenen Hände nehmen.
Sie brauchte seine vorwurfsvollen Blicke nicht mehr auf sich zu spüren, wenn sie etwas aß oder ein Glas zu viel trank.
Nach einer Woche wollte sie in die Kanzlei, fand aber nichts anzuziehen, in das sie halbwegs hineingepasst hätte. Sie bestellte im Internet etwas in einer Größe, die sie abschätzte.

Es war immer noch ziemlich knapp, aber so konnte sie wenigstens wieder aus dem Haus. Sie musste abnehmen! So konnte sie nicht unter die Leute, so konnte sie nicht in ihre Kanzlei zurück.

Sie entsorgte alle Süßigkeiten, leerte die Weinflaschen in den Abfluss.
Dann ging sie einkaufen. Gemüse, Magermilchprodukte, Diätgetränke.
Zum ersten Mal dachte sie wieder an Ben.
Sie hatte gern für ihn gekocht, es hatte ihr gefallen, wenn sie etwas für ihn tun konnte, wenn es ihm schmeckte.

Auch das hatte die Hure ihr genommen! Und der Hurenbock hatte alles, was sie verbunden hatte aufgegeben, für ein junges Ding, das ihm doch intellektuell gar nicht gewachsen war!
Aber, andererseits war es gut, dass er weg war, dass das Kind weg war!

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, sie war zwiegespalten.

Hoffentlich ging es den beiden richtig dreckig! Das war ihr größter Wunsch.

Bestimmt stritten sie den ganzen Tag, weil die Bitch überfordert war mit den beiden Bälgern.
Er würde zu der Nutte nach Hause kommen, die Wohnung wäre ein einziger Saustall, sie säße vor dem Fernseher, sähe irgendeine Doku-Soap.

Sie merkte gar nicht, wie sie von sich auf die andere schloss.
Dann betrat sie zum ersten Mal nach Monaten wieder ihre Praxisräume. Sie stellte den Anrufbeantworter ab, der Mandanten an einen Kollegen von ihr verwiesen hatte.
Sie änderte den Text, rief dann bei Karl an.

„Hallo! Ich bin wieder zurück! War viel los?" fragte sie.
„Nein, gar nicht! Drei Scheidungsfälle, deine Beteiligung hab ich dir überwiesen!" Der Kollege war wenig erfreut über ihren Anruf. Sie hatte so getan, als sei sie die meistbeschäftigte Anwältin der Stadt, könnte ihre Klienten nicht einen Tag unversorgt lassen.

„Drei bloß? Bist du dir sicher?" Nadja war verwundert.
„Unterstellst du mir da gerade etwas?" fragte er scharf.
„Nein! Natürlich nicht! Aber das ist schon wenig!" fuhr sie zurück.
Vielleicht solltest du etwas an deiner Art ändern, wie du dich Klienten gegenüber benimmst! dachte er. Man hatte ihm so einiges zugetragen.

Laut sagte er: „Schalte doch mal wieder eine Anzeige. Die Konkurrenz schläft nicht."
Nadja legte nach einem knappen Abschiedsgruß auf. Ja! Das sollte sie tun! Die Arbeit war wirklich immer weniger geworden. Es war nicht so wichtig gewesen, Ben hatte immer sehr gut verdient. Aber er würde wohl sein Konto für sie sperren lassen, wenn er es nicht schon getan hatte.

Sie öffnete das Bankprogramm, überwies sich von ihm so viel Geld, wie das Limit für einen Tag zuließ. Zum Glück funktionierte noch alles.

Dann setzte sie eine Annonce in die Tageszeitung. Sie staubte die Tische und Schränke ab, ging zu Fuß nach Hause, Bewegung würde beim Abnehmen helfen.

Ein paar Tage später kamen die Scheidungspapiere von Bens Anwalt. Sie lachte nur, warf alles ins Altpapier.
Vergiss es! dachte sie.
An diesem Abend hatte sie eine Fress- und Saufattacke, zerlegte das halbe Wohnzimmer.

Sie räumte ein paar Tage lang sein Konto ab, dann war ihr Passwort nicht mehr gültig. Er war ihr auf die Schliche gekommen.
Ein paar Mandanten trudelten ein, aber auf Dauer würde nicht reichen, was sie verdiente.

Bens Anwalt meldete sich telefonisch, sie legte wortlos auf.
Mails von ihm löschte sie ungelesen, Post warf sie weg.
Hin und wieder dachte sie daran, dass sie vielleicht einen Batzen Geld zugesprochen bekäme, aber sie hatte sich ja schon ordentlich bedient, und das Haus schien sie ja auch behalten zu können.

In ihrem Kopf drehte sich wieder einmal alles, sie brauchte Kalorien und Hochprozentiges.
Ein paar Kilo hatte sie schon abgenommen, die neuen Klamotten saßen etwas lockerer, aber sie war noch gut dreißig Kilo von ihrem Gewicht vor der Schwangerschaft entfernt, und da war sie auch nicht gerade eine Gazelle gewesen.

Nicht mehr.
Als sie Ben kennengelernt hatte, hatte sie eine tolle Figur gehabt. Die Männer waren in Scharen hinter ihr her gewesen. Aber sie hatte sich den Bestaussehenden geschnappt.
Hatte ihn ihrer Freundin ausgespannt!
Die Ehe hatte sie dann etwas pummelig werden lassen, jedes zweite Jahr eine Kleidergröße war sie in die Breite gegangen.
Aber Ben liebte sie so, wie sie war!
Bis die Bitch aufgetaucht war!
Aber die würde schon ihre Figur auch bald ruiniert haben!
Italienerinnen neigten ja eh etwas zur Fülle!

Nach einem Gerichtstermin, der nach langer Zeit mal wieder gut für ihre Partei ausgegangen war, hatte sie Lust, durch die Stadt zu bummeln.
Sie war lange nicht mehr unter Menschen gewesen. Ihr gesellschaftliches Leben hatte mit Bens Auszug geendet.

Sie würde das ändern. Sie hatte immer noch ein hübsches Gesicht, ihre Figur würde sie wieder hinkriegen, sie war erst 33, sie würde sich einen neuen Mann suchen.
Im Café bestellte sie ein Mineralwasser, ließ ihre Augen schweifen.
Na! Da saß doch ein ansehnliches Exemplar ein paar Tische von ihr entfernt. Sie lächelte dem gutaussehenden jungen Mann zu.
Der sah sie verblüfft an, sah sich um, ob hinter ihm jemand säße, der gemeint war, dann verschanzte er sich hinter seiner Zeitung.

Oh! Ein Schüchterner! dachte Nadja. Na ja! Muss ja nicht beim ersten Mal klappen.

Sie stand auf, ging weiter durch die Stadt.
Der Mann sah ihr nach. Hat die Tonne mich jetzt wirklich angemacht? fragte er sich. Hat die keinen Spiegel zu Hause?

Ein paar Straßen weiter kam eine Gruppe gutgelaunter Menschen auf sie zu. Vorneweg schoben ein Mann und eine Frau je einen Kinderwagen.
Ihr Herz blieb einen Augenblick lang stehen.
Ben! Das war eindeutig ihr Mann! Und neben ihm eine wunderschöne Frau mit langen, blonden Haaren.

Er stand auf lange Haare, damals waren ihre auch so gewesen, nur dunkelblond. Aber bald hatte sie sie abschneiden lassen, sie hatten  zu viel Arbeit gemacht. Er hatte sie immer überreden wollen, sie wieder wachsen zu lassen.
Als ob die Haare einen Menschen ausmachen würden! Komischerweise kam ihr das jetzt in den Sinn, als sie weiter auf die Gruppe zuging.
Na! Italienisch sah die Kleine nicht gerade aus! Ob das schon wieder eine Neue war?
Dann stand sie vor ihrem Ehemann, der ihr vor Jahren ewige Treue geschworen hatte.
Vor Gott und den Menschen!
Wut packte sie.


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