Kapitel 13
Ben vegetierte dahin. Er aß, er trank, er schlief manchmal sogar, hin und wieder sprach er auch.
Er litt.
Doch es musste sein, er musste bleiben.
Wie sehr hatte er als Kind darunter gelitten, keinen Vater zu haben.
Als er begonnen hatte, nach einem Papa zu fragen, hatte seine Mutter ihm erzählt, der wäre bei den Engeln. Von da an malte er Bilder von einer Mama, einem kleinen Jungen und einem der Himmelswesen mit einem männlichen Gesicht.
Seinen Freunden erzählte er Geschichten. Er hatte auch einen Papa, aber der war gestorben, verunglückt auf der Autobahn, als er zu ihm und seiner Mama kommen wollte.
Als er er zwölf oder dreizehn war, hatte ihm seine Mutter die Wahrheit erzählt. Sein Erzeuger hatte sie verlassen, als sie schwanger geworden war. Er hatte verlangt, dass sie ihn abtrieb, aber das hatte sie nie in Erwägung gezogen. Von da an war der Engel gestorben für ihn, an seine Stelle war ein Teufel getreten.
Ein Teufel, der ihn nicht hatte haben wollen, der seinen Tod gewollt hatte, noch bevor er leben sollte.
Er war verwirrt gewesen, sein Hass hatte ihn beinahe zerrissen. Das war der Hauptgrund, warum er jetzt bei Nadja blieb, bleiben musste.
Sein Kind sollte nicht empfinden wie er. Sollte sich nicht ungeliebt, unwillkommen fühlen.
Er hatte ein Leben geschaffen, wenn es auch mit eine ungeliebten Frau geschehen war. Aber dieses kleine Wesen sollte nicht bezahlen dafür.
*
Nadja hatte sich den Erfolg ihres Planes anders vorgestellt.
Sie hatte auf einen strahlenden Ben gehofft, der sie auf Händen trug wie früher.
Aber immerhin war er da.
Blieb er bei ihr!
Sie wusste, wie er gelitten hatte, dass sein Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte, dieses Wissen war voll in ihren Plan eingeflossen.
Doch schon bald stiegen leichte Zweifel in ihr hoch.
Außerdem machten die Hormone ihr zu schaffen.
Plötzlich wollte sie Ben, wollte ihn in sich spüren, wollte Sex.
Aber wenn sie ihn im Bett anfasste, schob er ihre Hand weg. „Ich habe Angst, dem Baby zu schaden!" sagte er und erstickte beinahe an seiner Lüge.
Sie ließ nicht locker, fasste ihn an. „Du musst keine Angst haben! Die Ärztin hat gesagt, das ist sogar gut fürs Kind." Sie griff nach ihm.
„Da muss ich wohl das kleine Pimmelmännchen auf Trab bringen!" flüsterte sie.
Er schluckte schwer an der hochsteigenden Galle.
Sie nahm ihn tatsächlich in die Hand, rieb tatsächlich, und er durfte nicht schreien und flüchten.
Irgendwie schaffte sie es rein mechanisch, so etwas wie eine Erektion zustande zu bringen, irgendwie schaffte er es rein mechanisch, in sie einzudringen, ihr stöhnend etwas vorzuspielen.
Ab diesem Tag tat er oft so, als ob er lange im Arbeitszimmer beschäftigt wäre, trank ein Glas Wein, heulte um Lea, hoffte, dass Nadja schlafen würde, bevor er kam.
Manchmal gelang es, manchmal auch nicht.
*
Karin machte sich Sorgen. Was war denn geschehen? Der Chef saß zwar den ganzen Tag vor dem Computer, aber er arbeitete nicht. Nicht einen Entwurf hatte er auf dem Bildschirm, er starrte nur den Bildschirmschoner an.
„Willst du quatschen?" fragte sie ihn nach einer Woche.
Ben dachte nach. Ja, vielleicht wäre das gut.
Er hob die Handflächen. „Ich habe mich in ein sehr junges, wunderbares, begabtes Mädchen verliebt. Nadja hat wohl etwas geahnt und ist urplötzlich schwanger geworden!"
„Vom heiligen Geist?" fragte sie etwas pikiert.
„Nein, schon von mir!" gestand er ein.
„Du bist also zweigleisig gefahren?" Sie war etwas enttäuscht von ihm.
„Ja! Nein! Fuck! Ich war mir doch nicht sicher, ob ich sie wirklich verlasse!" Er hörte sich selbst reden und fand sich zum Kotzen.
„Und du hast es diesem jungen, wunderbaren, begabten Mädchen, in das du verliebt bist, gesagt, und sie hat dich voll zu recht zum Teufel gejagt?"
„Nein, ich habe ihr gar nichts erzählt! Ich habe mich einfach nicht mehr gemeldet!" gestand er. Bei diesen Worten fühlte er selbst die Ungeheuerlichkeit seiner Aussage. Er konnte kaum atmen, seine Lunge schien zu implodieren.
Lea!
Er hatte sich einfach nicht mehr gemeldet!
Hatte sie zu einem Abenteuer, einer nichts bedeutenden Affaire degradiert.
Zu einem Mädchen, das man eben so mal nahm, um es dann fallen zu lassen.
Dabei war sie so viel mehr für ihn gewesen.
Dabei war sie sein Leben gewesen.
Tränen und Galle stiegen gleichzeitig in ihm hoch.
Aber! Er! Musste! Sie! Vergessen!
Wie! Sie! Ihn!
Sie war jung, schön.
Er würde nur eine Episode in ihrem Leben sein.
Er musste daran glauben.
Karin war relativ fassungslos. Ihr Held war ein Feigling, wie er im Buche stand.
„Weiß Nadja von ihr?"
„Nein! Ich habe doch gesagt, sie wird etwas geahnt haben. An dem Tag, als ich es ihr sagen wollte, hat sie mir die freudige Nachricht serviert: Ein positiver Schwangerschaftstest anstelle von Gemüse. Ich werde die Frau nicht verlassen, die mein Kind bekommt. Niemals!" Seine Haare standen schon in alle Richtungen von seinem Kopf ab, so oft war er mit den Händen durchgefahren.
„Und du kannst mit ihr zusammenleben, nach all dem, was geschehen ist?" Die Sekretärin zweifelte sehr daran. „Du weißt, dass es für Kinder schlimmer ist, in einer unglücklichen Ehe aufzuwachsen als bei alleinerziehenden Elternteilen?"
„Wir werden uns schon zusammenraufen. Das Kind ist das Wichtigste!" konstatierte er.
Karin erhob sich. „Na dann! Ich wünsche euch dreien alles Gute!"
An ihrem Schreibtisch grübelte sie weiter. Sie hatte Ben immer für den untadeligen Ehrenmann gehalten. Das Geständnis heute hatte sie an ihrer Meinung etwas zweifeln lassen.
Warum hatte er mit zwei Frauen geschlafen?
Andererseits konnte er ja schlecht irgendwelche Ausreden Nadja gegenüber erfinden, warum er es nicht wollte.
Männer hatten keine Periode und nur selten Migräne. Männer hatten ihren Mann zu stehen, wann immer Frau das wollte.
Langsam begann sie ihn zu verstehen.
Er war in eine Affäre geschlittert, die zu Verliebtheit geführt hatte.
Er konnte sich aber auch nicht sofort von Nadja trennen. Er musste erst Klarheit über seine Gefühle haben.
Und als er diese Klarheit hatte, war es zu spät, hatte Nadja gehandelt.
Wenn sie es darauf angelegt hatte, schwanger zu werden, war das ziemlich hinterhältig.
Das eigentliche Biest war sie.
Ob sie die Kleine kannte? dachte Karin. Wahrscheinlich nicht. Deshalb würde sie auch nichts für Ben tun können.
*
Ben fuhr wieder pünktlich nach Hause. Er wollte an seiner Beziehung arbeiten. Das Kind sollte es gut haben bei ihnen.
Er ging mit Nadja spazieren, lud sie zum Essen ein, ging mit ihr ins Theater, in Konzerte. Es war fast wie früher, in der Zeit vor Lea.
Doch alles, was er tat, machte er aus Pflichterfüllung, zur Wiedergutmachung seines Fehltritts. Nichts geschah, weil er das wollte. Und je länger das so war, desto mehr hatte er das Gefühl, zu verschwinden, sich aufzulösen.
Das Einzige, was er wollte, war Lea.
Mit ihr lachen, planen, sprechen und ja, natürlich auch schlafen. Er wollte ihre Haut fühlen, in ihrem Haar wühlen, sie küssen, sie anturnen und befriedigen.
Er wollte, dass sie ihn anfasste, wie nur sie es konnte, dass sie ihn anturnte und befriedigte.
Er wollte Sex! Heißen, wilden, zärtlichen, liebvollen Sex! Mit Lea! Nur mit Lea!
Doch das war es nicht allein. Es wäre leichter gewesen, wenn nur sein Körper sich nach ihr gesehnt hätte.
Aber da war mehr, viel mehr. Sie bedeutete Leben, Zukunft, Anerkennung, Zusammenarbeit, Austausch, Leichtigkeit, Liebe.
Ja, sie bedeutete ganz einfach Liebe.
An manchen Tagen befürchtete er am Vermissen zu ersticken.
Doch immer wieder aufs Neue biss er die Zähne zusammen. Manchmal joggte er stundenlang um den Baggersee, hoffte seine Atemnot nach einem schnellen Sprint würde die der Sehnsucht ersetzen.
*
Die Schwangerschaft schritt fort. Nadja nahm sehr viel zu, weil sie alles unbeherrscht in sich hineinfutterte. Die Frauenärztin schimpfte mit ihr. „Sie riskieren eine Schwangerschaftsdiabetes, wenn Sie so weiter machen!"
Aber Nadja war unglücklich. Sie wollte dieses Kind eigentlich gar nicht. Sie war absolut kein Muttertier. Sie hatte Ben halten wollen. Wusste aber mittlerweile nicht einmal mehr genau, ob der Preis den Einsatz lohnte.
Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er bemühte sich sehr um sie, aber er bemühte sich eben. Nichts kam aus seinem Herzen, sie fühlte den Unterschied genau.
Dafür hatte sie jetzt dieses Monster in sich, war fett und hässlich, konnte sich kaum bewegen.
Und nach der Geburt würde es ja weitergehen. Sie hätte jahrelang ein Kind an der Backe. Sie bereute ihren Plan mittlerweile bitter. Da hätte sie ihn doch lieber ziehen lassen sollen.
Sie wusste immer noch nicht, ob er sie betrogen hatte oder nicht, und sie würde auch nie fragen.
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