Kapitel 12

Lea machte sich keine großen Gedanken über Bens Verhalten.
Es war ihm halt was durch den Kopf gegangen.

Sie hatten so wunderbare Tage hinter sich, er würde bei ihr bleiben.
Mit der Tatsache, dass es da eine Ehefrau gab, kam sie zurecht.

Am nächsten Mittag wartete sie freudig auf ihn, und am Abend wollten sie an dem Computermodell weiterarbeiten.
Sie konnte viel bei ihm lernen, er war fantastisch.
Er war wunderbar, er war großartig!

Sie dachte an Berlin.
Seine Firma hatte den ersten Preis gewonnen, er hatte so toll ausgesehen, als er nach vorne ging. Und er war stolz auf sie gewesen, weil sie auch eine Reihe von Ideen gehabt hatte, wie das Gebäude perfekt werden würde.

In den Semesterferien würden sie wieder ein paar Tage wegfahren, hatte er vorgeschlagen. Er müsste sich nur eine Ausrede für seine Frau einfallen lassen.
Alles war so wundervoll!

Er verspätete sich.
Es ging schon auf eins.
Schade!
Um zwei musste sie an der Uni sein.
Schließlich machte sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle.

Am Abend wurde es sechs, sieben, acht.
Keine Nachricht, kein Anruf.
Ihr wurde mulmig, dann wurde ihr schlecht.

War es das?
War es vorbei?
Wenn ihm nun etwas passiert war?
Aber so etwas geschah nur in Filmen!
Der Geliebte verunglückte auf dem Weg nach Hause.

Er war aber so seltsam gewesen gestern Abend.
Er hatte sie weggeschickt, wollte schnell nach Hause.
Sie hatte sich nichts dabei gedacht, sie hatten sich so zärtlich geliebt, was sollte da schon zu befürchten gewesen sein?

Doch mittlerweile kroch die Angst in ihr hoch.
Kein Anruf.
Keine Nachricht.

Was war geschehen?
Vielleicht hatte sie Geburtstag, oder es war Hochzeitstag.
Sie hatten sich wieder versöhnt!

Die Angst wurde zur Panik.

Er hatte seiner Frau von seinem Fehltritt erzählt, und sie hatte ihm verziehen.
Deshalb war er so aufgekratzt.
Er hatte beschlossen, noch einmal im Büro mit ihr zu schlafen und dann seiner Frau alles zu erzählen. Reinen Tisch zu machen.
Vielleicht waren sie sich in den letzten Tagen näher gekommen, er hatte gewusst, dass sie zu ihm halten würde.

Nach einer schlaflosen Nacht glaubte sie, verstanden zu haben. Ihr Gehirn hatte alle möglichen Szenarien immer wieder durchgespielt.

Und jetzt lagen sie wahrscheinlich im Bett, lachten über die dumme Studentin, die sich sonst was eingebildet hatte.
Sie war so blöd gewesen!
Sie hatte gedacht, dass......!
Dass was? höhnte die Stimme in ihrem Kopf. Dass er dich liebt? Dass ein Mann wie er ein Gänschen wie dich liebt?
Wahrscheinlich warst du nicht die Erste und auch nicht die Letzte!


Der Trick mit dem verheirateten Mann, der die Ehefrau nicht betrügen will, war cool gewesen!

Das musste sie ihm lassen. Sie wartete auf die Tränen, aber sie kamen nicht. Stattdessen stieg ein Lachkrampf in ihr hoch. Da war sie einem ja ganz schön auf die Schippe gesprungen! Sie lachte, bis sie keine Luft mehr bekam.

Irgendwie brachte sie den Tag an der Uni hinter sich, spürte Olivers Blicke auf sich, verbiss sich den nächsten Lachanfall.
Da hatte sie gedacht, mit einem erwachsenen Mann würde alles besser klappen!

Sie verbot sich nach dem zehnten Blick auf ihr Handy jeden weiteren, schaltete das Gerät aus, ignorierte auch David, der sie besorgt ansah.
Männer! dachte sie. Rutscht mir doch alle den Buckel runter.

Am Abend saß sie auf dem kleinen Balkon, winkte Wolfgang zu, der unten im Hof saß und zu ihr hinauf sah. Sie stand auf, ging nach innen. Er sollte ihre Tränen nicht sehen.

Sie öffnete eine Flasche Wein, die Ben einmal mitgebracht hatte. Das erste Glas trank sie auf ihr Wohl, das zweite und das dritte auch. Das vierte auf seins und das fünfte auf Nadjas. Dann war die Flasche leer, und sie war hacke-dicht.
Sie torkelte ins Bett, musste kurz darauf noch mal raus, um den Wein wieder loszuwerden.
Sie brach die halbe Nacht und die ganze nächste Woche.

Dann brachte ihre besorgte Mutter sie zum Arzt.
„Also!" begann der, nachdem er Blut und Urin untersucht hatte. „Einen Virus schließe ich mal aus. Aber zu einem Baby kann ich gratulieren!"

Lea fiel aus allen Wolken!
Ein Baby?
Ein Kind?
Ein Kind von Ben?
Niemals!
Wie soll das denn gegangen sein?

Sie nahm zwar die Pille nicht, da sie sie in der Vergangenheit schlecht vertragen hatte. Zum Einsetzen einer Spirale war sie noch nicht gekommen. Aber Ben war immer sehr zuverlässig bei der Verhütung gewesen.

Da erinnerte sie sich an Berlin, ein einziges Mal hatten sie den Gummi vergessen!
Na gut! dachte sie sarkastisch. Einmal reicht ja auch!

Sie begann zu kichern, zu lachen, zu heulen, wieder zu kichern.

Der Arzt sah sie etwas verunsichert an. „Aber Sie wollen das Kind schon, oder?"
„Wollen? Na ja, wenn's nicht da wäre, wäre es mir lieber. Aber es ist halt da! Dann muss ich es auch nehmen!" versuchte sie einen Scherz. Die ganze Situation kam ihr einfach nur unwirklich vor.
„Und der Vater?" fragte der Arzt vorsichtig nach. Lea machte die Bewegung von Vogelflügeln. „Ist wieder weitergeflogen!"

Der Doktor schrieb ihr etwas gegen die Übelkeit auf, gab ihr eine Überweisung für eine Frauenärztin mit.

Noch immer benommen taumelte sie zu ihrer Mutter ins Wartezimmer.
„Und? Was fehlt dir?" fragte die besorgt.
„Nichts! Fehlen tut mir gar nichts! Aber du wirst Oma!"

Am Nachmittag setzte sich die Familie Trattoni zusammen. Der italienische Vater war natürlich überglücklich über das Bambino, die Mutter versprach Lea alle Unterstützung, die sie brauchen würde.

Nach dem Vater fragten sie nicht. Sie hatten mitbekommen, dass es nach dem Loser Oliver einen neuen Mann im Leben der Tochter gab, aber die hatte keine Informationen preisgeben wollen.

David blickte sie vor dem Seminarraum prüfend an. Sie war eine Woche krank gewesen, sah nicht besonders gut aus.
„Na? Alle okay?" fragte er besorgt.
„Ja! Alles wunderbar! Ben ist weg, dafür ist sein künftiges Kind da!" antwortete sie zynisch.

„La...la..langsam!" stotterte er. „Wie? Ben ist weg?"
Sie machte mit den Händen eine startende Rakete nach. „Weg! Auf und davon! Hat genug von mir!"

David schüttelte verständnislos den Kopf. „Hattet ihr Streit?"
„Nein! Seit einer Woche meldet er sich nicht mehr!" erklärte sie.

„Ja und du? Hast du angerufen? Hast du ihn gefragt, was los ist?"
„Pf! Wer bin ich denn! Ich lauf ihm doch nicht nach!" versicherte sie.

„Aber er muss dir doch wenigstens eine Erklärung geben!" David verstand sie nicht.
„Nö! Muss er nicht! Hat halt die Nase voll von seinem Betthäschen. Spielt eine Weile wieder den liebevollen Ehemann und sucht sich dann ein neues!"

„Nein, Lea! So einer ist das nicht! Ich kenne ihn ein wenig. Ich hab da mal ein paar Wochen recherchiert für die Doktorarbeit!" versicherte der junge Mann. „Ja, und weiter im Text. Du bist schwanger?"
„Yep!" sagte sie nur.
„Und das willst du ihm auch nicht sagen?"
„Never!"

Die Studenten sahen schon zur Türe heraus, wo David blieb. „Wir reden nachher weiter!" kündigte er an.

Lea zuckte nur mit den Schultern. Oliver winkte sie zu einem freien Platz neben sich. Stoisch setzte sie sich. Sie konnte nichts mehr erschüttern.
„Warst du krank letzte Woche?" fragte er besorgt. Er hatte mit Dolly Schluss gemacht, wollte jetzt unbedingt Lea wieder zurück.

„Nein! Ich bin schwanger!" haute sie ihm hin.

Oliver fing an zu husten.
Sie zog ihn wohl nur auf.
Sie würden das nachher besprechen.


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