Kapitel 11

So vergingen die nächsten Wochen. Ben traf Lea mittags, abends waren sie im Büro, fachsimpelten, machten gemeinsame Entwürfe, manchmal liebten sie sich auch auf seinem Schreibtisch.

Die Situation war auszuhalten. Nadja hatte sich daran gewöhnt, dass er mehr arbeiten musste, zumindest maulte sie nicht mehr.
Zum Glück wollte sie auch keinen Sex mehr.

Ben wurde immer erfinderischer.
Er kaufte ein Sofa fürs Büro, das war bequemer als der Schreibtisch - wenn der auch durchaus seinen Reiz hatte.
Einmal hätte sie beinahe Karin erwischt, die ihr Handy an ihrem Arbeitsplatz vergessen hatte.
Sie wunderte sich, dass die Außentüre nicht abgeschlossen war.
„Chef? Sind Sie noch da?" rief sie und wollte in sein Zimmer. Doch es war versperrt.
„Ja! Ich arbeite noch!" antwortete er und musste einen Lachanfall unterdrücken.

Karin hörte auch ein leises weibliches Kichern.
Sie grinste.
Der Chef!
Schau an!
Sie erinnerte sich an zwei Kondomverpackungen, die sie in seinem Abfalleimer gesehen hatte, war der Meinung gewesen, er hätte seine Hosentasche ausgeräumt.

Sie freute sich, dass er endlich anfing zu leben. Gut, seine Ehefrau zu betrügen, war jetzt nicht gerade ehrenhaft, aber es kam ja auch immer auf die Ehefrau an.

*
Ein paar Tage später musste Ben nach Berlin. Knüppers-Bau hatten bei einem Städtebauwettbewerb einen Entwurf eingereicht, der es unter die besten drei geschafft hatte.
Lea und er freuten sich wahnsinnig auf die drei Tage und zwei Nächte.
Sie musste zwar eine Vorlesung und zwei Seminare schwänzen, aber es wäre das erste Mal, sie war wirklich eine Vorzeige-Studentin.

Da meinte Nadja am Frühstückstisch: „Ich könnte eigentlich mitfahren. Ich habe keine Termine in dieser Woche."
Ben verschluckte sich an seinem Kaffee. „Aber das wird todlangweilig für dich! Was machst du denn da den ganzen Tag?"
„Ach, ich könnte shoppen gehen. Und zu der Preisverleihung wäre es doch gut, wenn deine Frau dabei wäre!" wandte sie ein.
„Na, das ist aber jetzt schon ein wenig kurzfristig. Ich bin auf der Gala nur als Einzelperson angemeldet." Er log um sein Leben.
„Okay! War bloß so ein Gedanke!" gab sie nach, und er atmete erleichtert auf. Das war knapp gewesen.

*

Nadja fühlte von Tag zu Tag mehr, wie Ben ihr entglitt. Alles war anders geworden, seit sie auf dieser Fortbildung gewesen war. Was war in dieser Woche mit ihm geschehen?
Hatte er eine andere kennengelernt? Aber, wo denn und wie, in einer Woche?
Und er war ja wirklich immer im Büro, wenn sie anrief.

Sie versuchte, sich mehr für seinen Job zu interessieren, fragte jeden Tag nach. Er fasste sie nicht mehr an, worüber sie nicht sehr böse war. Er hatte auch vorher schon gemerkt, dass Sex ihr nicht das Wichtigste war. Doch als Tag für Tag verging und er gar keinen Versuch mehr unternahm, war es ihr auch nicht recht.

Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Sie war der Meinung gewesen, wenn man aus Liebe heiratete, war das genug. Wenn man gut miteinander auskam, reichte das.
Gefühle änderten sich eben.
Aus Leidenschaft wurde Liebe.
Doch liebte er sie noch?

Sie dachte an das seltsame Gespräch, als sie den Vorschlag gemacht hatte, mit nach Berlin zu kommen.
Wie oft hatte er sie früher gebeten, ihn auf solche Events zu begleiten.
Aber immer hatte sie dankend abgelehnt.

Sie wusste schon, wie das ausging.
Sie feierten, sie langweilte sich zu Tode, wenn alle nur vom Häuserbauen redeten, wenn sich niemand für ihre Árbeit als Rechstanwältin interessierte.

Er trank ein paar Gläser Wein und wollte anschließend mit ihr ins Bett. Dann war er beleidigt, wenn sie zu müde war nach den langwierigen Veranstaltungen.
Aber dieses Mal wäre sie wirklich gerne mitgefahren.
Sie hatte dieses Gefühl, das sie nicht mehr aus ihrem Kopf bekam: Sie musste etwas für ihre Ehe tun.

Da kam ihr ein Gedanke.
Ein Kind!
Er hatte sich anfangs sehr ein Kind gewünscht.
Doch sie hatte das weit von sich gewiesen. „Ich habe mir etwas aufgebaut. Das kann ich doch nicht wegen eines Kindes aufgeben!" hatte sie immer gesagt.
Doch er schien darunter zu leiden.
Männer tickten so.
Sie mussten sich fortpflanzen, ihre Gene weitergeben.

Na gut!
Das konnte er haben. Dann müsste er sicher bei ihr bleiben.
Dann würde er sie nie verlassen.
Sie würde keine Frau werden wie die, die sie vertrat.
Eine geschiedene Frau.
Sie warf die Pillenschachtel in den Müll.
Aber dann musste sie ihn auch rumkriegen, zumindest an den fruchtbaren Tagen. Sie rechnete. Zwei Wochen, dann müsste es klappen.

Sie hinterfragte ihren Plan keine Sekunde lang. Irgendwie musste sie ihn halten, falls er auf dem Sprung war, sie zu verlassen.
Oder zumindest mit dem Gedanken spielte.

Sie dachte nicht daran, mit ihm zu sprechen, ihn zur Rede zu stellen. Am Ende hätte er ihr etwas gestanden, das sie ganz und gar nicht hören wollte. Lieber wollte sie den Kopf in den Sand stecken. Nicht alles musste sie wissen.

Und wenn es nicht gleich klappte, spielte sie eben noch vier Wochen weiter die nichts ahnende Ehefrau.

*
Ben und Lea verbrachten wundervolle Stunden in Berlin. Er stellte sie als Praktikantin vor, während der Fachdiskussionen waren sie ganz brav.
Gut, die verliebten Blicke, die alle wahrnahmen, die vielen wie zufälligen Berührungen, die nicht zu übersehen waren, bemerkten sie beide nicht.

Er hatte zwei Einzelzimmer gebucht, alle Teilnehmer waren im selben Hotel untergebracht. Am Morgen huschte er immer über den Gang, um sein Bett zu zerwühlen, um in seinem Bad zu duschen.
Doch das Zimmermädchen sah die Kondomverpackungen im Zimmer der jungen Frau, das Bett ihres Chefs war zwar zerwühlt, aber die Laken waren so fest gezogen wie am Tag zuvor.
Aber ihr war das ja egal.
In einem Hotel erlebte man so manches.

*

Zwei Wochen später setzte Nadja es sich in den Kopf, mit ihm zu schlafen. Er suchte nach Ausreden, sie ließ keine gelten.
So hätte ich mich aufführen sollen! dachte er. Ich sollte es ihr einfach sagen!

Jetzt!
Sofort!

Aber noch konnte er nicht alles zerstören, was zwischen ihnen einmal gewesen war.
Vielleicht gab es doch noch eine Chance.
Vielleicht ließ Leas Anziehungskraft irgendwann einmal nach.
Aber das wäre ja das Schlimmste, was ihm passieren könnte
Es musste ein Ende nehmen, er wollte Lea.

In seinem Kopf war nur noch Verwirrung, er war vollkommen zerrissen, wusste, dass er sich endlich entscheiden musste.
Warum schaffte er es denn nicht?
Weil immer noch die Erinnerung an seine Liebe zu Nadja, ihre schöne gemeinsame Zeit, Urlaube, Unternehmungen, Gefühle in ihm verankert war.

So zwang er sich, in Gedanken bei seiner Geliebten, Sex mit seiner Frau zu haben.
Am nächsten Tag gleich noch einmal.
Er wusste nicht, was los war, schwor sich aber, es wäre das letzte Mal gewesen.

In den nächsten Tagen würde er mit Lea sprechen, dann mit Nadja.
Seltsamerweise ließ seine Frau ihn danach wieder in Ruhe.
Hatte sie schon Hormonschwankungen?

Vier Wochen lang schob er die notwendigen Gespräche vor sich her, war zu feige, war auch zufrieden, war aber höchst unzufrieden, war verrückt vor Glück, wenn Lea bei ihm war, war verrückt vor Sehnsucht, wenn sie nicht bei ihm war, war verrückt vor Angst, sich von Nadja zu trennen, und es später zu bereuen, war verrückt vor Angst, Lea zu verlieren.
Er wusste, dass er das nicht mehr lange aushalten konnte.

Dann lag er mit Lea auf dem Sofa im Büro, glücklicher als je in seinem Leben.
Und da war ihm schlagartig klar, dass der Tag gekommen war.
Heute!
Heute würde er es Nadja sagen!
Erst ihr, dann würde er Lea überraschen. Sie sprach ihn nie auf seine Frau an. Sie fragte nie nach der Zukunft für sie beide. Sie setzte ihn nie unter Druck.

Er würde ihr einen Ring kaufen - keinen Verlobungsring, aber einen, der ihr zeigen sollte, dass er sich entschieden hatte, einen, der die Worte, die er ihr sagen wollte, untermauern würde.

Der Gedanke machte ihn verrückt vor Freude. Er konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen, Nadja vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Gleich jetzt musste er los.
„Ich muss nach Hause, Süße!" sagte er, war vor Aufregung fast von Sinnen. „Bitte beeile dich! Kannst du zu Fuß gehen? Ich habe es echt eilig!"

Lea wunderte sich.
Was pressierte denn heute so?
Aber er sah sie so strahlend an.
Was war los?
Was war geschehen?

Sie stapfte alleine durch die Stadt, hing ihren Gedanken nach.

*

Als Ben vollkommen aufgedreht nach Hause kam, fiel ihm Nadja um den Hals, zog ihn ins Esszimmer. Auf dem Tisch lag ein Schwangerschaftstest, dessen Positiv-Zeichen seine Welt zerstörte.

„Liebling, ich bin schwanger! Ich wollte dich überraschen! Ich finde, es ist Zeit! Du hast dir doch immer ein Kind gewünscht!" plapperte sie und sah nicht, oder wollte es nicht sehen, wie kalkweiß er wurde.
Sie hatte ihn reingelegt!
Er war dummtrottelig in die Babyfalle seiner eigenen Frau getappt.

„Das kommt etwas überraschend!" brachte er gerade noch hervor, bevor er ins Bad raste und sich übergab.
„Hast du wieder Fastfood gegessen?" rief sie durch die verschlossene Türe.
Ben saß lange im Bad und ließ die Tränen laufen.
Vorbei!
Aus!
Alles war vorbei!
Ein Kind!
Er konnte keine Frau verlassen, die ein Kind von ihm bekam!
Niemals!
Er war ohne Vater aufgewachsen, niemals würde er seinem Kind so etwas antun.

Sie hatte das genau gewusst!
Er hasste sie in diesem Moment, wie er noch nie jemanden gehasst hatte.
Wie sollte das funktionieren mit ihnen?
Hatte sie etwas geahnt?
Hatte sie den einzigen Trumpf, den sie noch gegen ihn in der Hand hatte, bewusst ausgespielt?

Lea!
Wie sollte er es Lea beibringen?
Konnten sie so weiter machen mit einer schwangeren Ehefrau zu Hause?
Das würde nicht einmal sie akzeptieren.
Er konnte es ihr nicht sagen.
Er durfte sie nie wiedersehen.
Er würde aus ihrem Leben verschwinden, wie er hineingeplatzt war.
Das war jetzt die Strafe für seinen Ehebruch, dass Nadja gewann.

„Geht es dir besser, Schatz?" fragte sie.
„Ja, ich komme gleich!" antwortete er, wusch sich das Gesicht und gurgelte.
„Die Nachricht hat dich jetzt buchstäblich umgehauen, oder?" Sie grinste ihn an.

„War das eine bewusste Entscheidung von dir oder ein Unfall?" Er musste das loswerden. Aber er wusste die Antwort eigentlich, dachte an ihre seltsamen Anfälle von Leidenschaft.
„Nein, ich wollte dich ganz bewusst überraschen! Dich glücklich machen!"

Glücklich! dachte er bitter. Ja, gut ein Kind zu haben, würde ihn schon glücklich machen.
Aber warum jetzt?
Warum nicht vor ein paar Jahren?
Warum nicht vor einem Jahr?
Er brauchte jetzt entweder ein paar Schlaftabletten oder eine Flasche Whiskey.
Er musste schlafen!
Er musste vergessen!
Er musste aufhören, an Lea zu denken!

Er würde sie nie wieder sehen.
Wenn er einfach nicht mehr kam, nicht mehr anrief, würde sie gekränkt sein, ihn für ein Arschloch halten, ihn vergessen können.
Sie würde sich nie bei ihm melden.
Dafür war sie zu stolz.
Sie würde ihm nicht nachlaufen, da war er sicher.

„Na? Wovon träumst du denn, mein Süßer?" fragte Nadja.
Ihm kam schon wieder die Galle hoch.
„Schiebst wohl schon in Gedanken den Kinderwagen?" zog sie ihn auf.
Er zwang sich zu einem Lächeln, hatte keine Ahnung, ob es gelang. Er musste sich mit Nadja arrangieren.
Er zwang sich, sie in den Arm zu nehmen. „Ich freue mich wirklich!" stieß er hervor.
Sie grinste zufrieden.


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