Kapitel 1


Lea

Lea war sauer. Jetzt war sie extra aufgestanden, mit dem total überfüllten Stadtbus zur Uni gefahren, nur um dann am Hörsaal den Anschlag zu lesen: „Vorlesung entfällt wegen Krankheit des Dozenten."

Es wäre nett gewesen, wenn man die Studierenden mit einer Textnachricht verständigt hätte! dachte sie wütend.
Es sollte ja so etwas wie neue Informationsmedien geben. Doch die Sekretärin des Profs war eindeutig noch nicht in diesem Jahrtausend angekommen.

Kurz überlegte sie, ob sie im Büro vorbeischauen sollte, um sich zu beschweren, ließ es aber dann sein. Sie machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle, fuhr wieder zurück in die Stadt.
Oliver würde sie auslachen, die brave Studentin, die Streberin! Er hatte heute wieder einmal keine Lust gehabt aufzustehen.
Kein Wunder, wenn man sich die halbe Nacht irgendwelche idiotischen Ballerspiele am Computer reinzog.
Und die dumme Lea würde ihm ja alle Skripten schön brav mitbringen.

Auf dem Heimweg kam sie an einem Wäschegeschäft vorbei. Heiße Teile lagen da im Schaufenster.
Lea musste grinsen.
Ob sie Oliver damit anmachen könnte? Er war in den letzten Wochen ein ziemlicher Sexmuffel geworden.
Lea mochte Sex - also den, den sie anfangs gehabt hatten. Als sie die Finger kaum voneinander hatten lassen können.
Dann war alles ruhiger geworden, in letzter Zeit schien die Erotik, das Prickeln eindeutig einzuschlafen.
„Das ist normal!" hatte er erklärt. „Nach einem Jahr lässt die Anziehungskraft nach!"

Na toll! hatte Lea gedacht. Ich bin 22, das heißt dann ungefähr 50 enthaltsame Jahre.
Kurzentschlossen betrat sie den Laden und kaufte sich drei ultratolle Garnituren. Wenn die auch nichts halfen, musste sie wohl nachdenken, ob die Beziehung noch das Richtige war für sie.
Wollte sie wirklich noch mit ihm zusammen sein?

Der fröhliche Kerl, der sie vor zwei Jahren so angemacht hatte, der ihr die Welt zu Füßen gelegt hatte, der riesengroße Pläne für sein Leben gehabt hatte, war zu einem Nerd mutiert.
Den Sport hatte er auch ganz und gar aufgegeben, ein leichter Schwimmgürtel um seine Körpermitte war der Beweis dafür.

Er studierte eher unregelmäßig, hinkte ihr, was Noten anbetraf, kräftig hinterher. Er hatte sich in ihrer Wohnung, die ihre Eltern gekauft hatten, breitgemacht, lebte von ihrem Geld, dachte nicht daran, etwas zu den Haushaltkosten beizutragen, stellte aber hohe Ansprüche.
Lea blieb stehen.
Wollte sie das noch?
Wo waren die Vorteile für sie, wenn sie bei ihm blieb?

Eine Woche werde ich ihm geben! beschloss sie. Ich werde mit ihm reden. Wenn er nicht bereit war, sich zu ändern, muss er seine Sachen packen.

Kurz, nachdem sie die Wohnungstüre aufgesperrt hatte, merkte sie, dass das Gespräch überflüssig sein würde. Die Laute aus dem kleinen Schlafzimmer waren eindeutig.
Sie stürzte hinein und blieb wie angewurzelt stehen.

Dolly, die eigentlich Dagmar hieß, die diesen Spitznamen ihrer üppigen Oberweite verdankte, ritt ihren Freund, der vor lauter Ekstase gar nicht bemerkte, dass Lea in der Türe stand.
Die musste grinsen. Es sah zu blöd aus, wie die Titten der falschen Blondine auf und ab hüpften, gegen seinen Schwabbelbauch klatschten.

Dann begann sie zu lachen. Endlich nahmen die beiden Lea wahr. Oliver sprang erschrocken hoch, warf Dolly dabei aus dem Bett.
„Eine tolle Vorstellung!" lobte Lea süffisant und klatschte in die Hände. „Da spare ich mir heute den Porno!"

Dolly versuchte, schnell irgendwelche Kleidungsstücke überzuziehen, Oliver schlüpfte in seine Jeans.
„Vergiss nicht, das Kondom abzuziehen! Könnte peinlich werden, wenn Mami deine Wäsche macht!" erinnerte sie ihn. Dann sah sie auf die Uhr. „In zwei Stunden bist du weg, Schlüssel in den Briefkasten!" sagte sie nur und ging.

Sie lief lachend durch die Straßen. Das war ja ein Ding! Dolly und Oliver!
Lea hatte er immer gebeten, sich nicht zu schminken, weil sie ihm natürlich besser gefiel.
Sie sollte keine kurzen Röcke oder ausgeschnittenen Shirts tragen, weil das billig aussehen würde.

Und jetzt lag dieses aufgetakelte Pin-Up-Girl in seinem Bett, also eigentlich in ihrem Bett.

Sie setzte sich in ein Straßencafé, lachte immer noch leise vor sich hin. Der Ober kannte sie. „Na, Lea? So gut drauf heute?" fragte er.
Sie grinste ihn an. „Yep! Ich bin gerade Oliver losgeworden!"

Er setzte sich zu ihr. „Ein weiser Entschluss! Wie wärs dann mit uns beiden Hübschen?" Er schmunzelte zwar, aber im Grunde war es ihm schon ernst mit der Frage. Sie war ein verdammt schönes Mädchen. Aber er ahnte, dass er wohl keine Chancen bei ihr haben würde.

„Jetzt genieße ich erst einmal mein Singleleben! Frag mich in zehn Jahren noch mal!" wehrte sie seine Anmache charmant ab.
„Da bist du eine alte Frau! Dann mag ich dich auch nicht mehr!" kaschierte er seine Niederlage, und beide lachten.

Zwei Stunden später betrat sie ihre Wohnung, schwer bepackt mit Fastfood und einer Flasche Wein.
Heute würde sie eine Party mit sich selbst feiern, würde essen, was ihr schmeckte, ohne Olivers missbilligende Blicke, weil sie nicht gekocht hatte.

Kochen!
Sie musste wieder lachen.
Ob Dolly heute sein Abendessen machte? Die musste nur aufpassen, dass ihre Möpse nicht ins Nudelwasser purzelten.
Sie legte ihre Lieblings-CD auf, drehte die Lautstärke hoch. Kein Oliver würde aus dem Arbeitszimmer stürzen und sie fragen, ob sie verrückt sei!
Wunderbar!
Sie war frei!
So frei!
Sie war 22, sie war jung und frei!

Sie aß Burger, Tacos, Frühlingsrollen, bis partout nichts mehr hineinpasste.

Mit einem Glas Rotwein spülte sie nach, und, um die Dekadenz auf den Gipfel zu treiben, rauchte sie auf dem Balkon eine Zigarette, die sie noch in einer Schublade aufgehoben hatte.
Das Rauchen hatte sie auch ihm zuliebe aufgegeben, einer der positiveren Aspekte der Beziehung.

Sie lächelte vor sich hin.
Da am Imbiss hatte sie ein toller Typ angeguckt.
Ein Mann, kein halbfertiger Junge.
Ein ausgesprochen attraktiver Mann.
Natürlich verheiratet, aber das waren sie in diesem Alter ja alle. Aber geguckt hatte er schon.
Den würde sie nicht von der Bettkannte stoßen.
Aber der würde da wohl auch nicht hinwollen.

Seufzend machte sie den Fernseher an, ein anspruchsvoller Film hatte begonnen. Ungestört könnte sie ihn ansehen, keine Kommentare würden sie stören, auch kein Gefluche von nebenan, wenn sein Alter Ego ein Match verlor.
Um zehn brannte sie vor Lebenslust, brauchte ein Ventil.

Tanzen!
Sie würde tanzen gehen!
In den Club, in dem sie Oliver kennengelernt hatte.
In dem er ihr gesagt hatte, dass er verknallt war in sie, damals, als er noch lebendig war.
Als sie auch verknallt war in ihn, weil er so lebendig war.

Sie sah ihre Klamotten durch.
Lauter brave Sachen.
Alles nach dem Motto: Das gefällt Oliver.

Doch ganz hinten entdeckte sie ein Kleid, das sie lange nicht getragen hatte. Schwarz, kurz, eng!
Yep! Das war es! Es passte wie angegossen. Dazu die Highheels, die er verabscheut hatte, aber scheinbar nur bei ihr.
Sie versuchte zu laufen, es funktionierte noch. Etwas schminkte sie sich, viel Makeup hatte sie ja nie verwendet, aber selbst ein bisschen Lidschatten oder Lipgloss hatte er abgelehnt.

Schließlich bürstete sie ihre blonde Mähne, ewiger Streitpunkt während ihrer Beziehung.
„Schneid doch endlich diese unpraktischen Haare ab!" hatte er stets gefordert, doch da hatte sie nicht klein beigegeben. Sie trug sie dann immer zum Zopf geflochten oder hochgezwirbelt.
Aber heute durften sie, frei wie sie selbst, in leichten Wellen fast bis zur Taille fallen.

Noch die Bikerjacke übergezogen, die ihre Mutter ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, weil sie es nicht mitansehen konnte, in welch braven Klamotten ihr hübsches Töchterchen in letzter Zeit herumlief, die kleine Clutch unter den Arm – und los ging's.

Der Club war ziemlich voll, ein paar der Gäste kannte sie noch von früher, der Zeit vor Oliver. Denn kaum hatte er sie im Bett gehabt, kaum war er bei ihr eingezogen, hatte er die Lust am Tanzen schlagartig verloren.

Der Discjockey winkte ihr zu. Sie erinnerte sich, dass er mal ganz schön auf sie gestanden war.

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