4. Kapitel - Ein Blick zurück

Hallo zusammen, da sind wir mal wieder mit einem neuen Kapitel. Anstatt die ganze Zeit nur rumzunörgeln möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich für zwei Kommentare von piano_girl24 bedanken!

Und jetzt viel Spaß beim Lesen,

Taudir und Annaeru

***

4. Kapitel – Ein Blick zurück

Beravor stand völlig regungslos da. Sie sah nichts, die Lagerfeuer brannten kaum noch und wenn, dann nicht am Rande der Lichtung. Kein Geräusch erklang, selbst der Wind schwieg.

Dann kam der Mond hinter einer Wolke hervor und tauchte die Lichtung in sein silbrig-blasses Licht. Endlich war Beravor nicht mehr blind, sondern konnte Schemen im Unterholz ausmachen. Plötzlich ertönte ein lauter Schrei und ein Haufen Orks stürzte sich aus dem dichten Wald auf die Waldläufer. Sie hatten kaum Zeit, zu reagieren. Ein Ork nach dem anderen sprang aus dem Dickicht, sie waren mit gezackten Schwertern bewaffnet, die im fahlen Mondlicht gespenstisch zu leuchten schienen.

Die Taktik der Ungetüme war aufgegangen: Sie hatten die vierzig Waldläufer im Schlaf überrascht, sodass vielen keine Möglichkeit zur Verteidigung blieb. Mehrere waren bereits von den Orks getötet worden. Beravor hingegen, die noch rechtzeitig geweckt worden war, griff nach ihrem Bogen. Ihre Hand, die noch müde war, zitterte, als sie einen neben sich liegenden Pfeil einlegte. Beravor wusste, sie durfte sich keinen Fehler erlauben, doch ihr Kopf war noch vom Schlaf benebelt, und nur mühsam konnte sie ihr Ziel anpeilen. Sie bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, war jedoch noch zusätzlich von den Schreien von Orks und Waldläufern abgelenkt. In ihrem Kopf schien die ganze Szene zu Nebel zu zerfließen, doch immer noch wollte sie ihren Kameraden helfen. Im Augenwinkel sah sie, wie ein Waldläufer im Zweikampf fiel. Immer mehr Orks schienen es zu werden, oder ihr Kopf fügte sie hinzu. Beravor biss die Zähne zusammen, suchte nach einem geeigneten Ziel. Der Nebel vor ihren Augen begann sich langsam zu lichten. Sie ließ los, die Sehne flirrte, der Pfeil suchte sich seinen Weg durch die Mengen von Körpern und – traf!

Mit einem Mal, als wäre dieser Pfeil der Weckruf gewesen, fiel alle Müdigkeit von Beravor ab. Ein weiterer Pfeil traf einen Ork, der sofort leblos zu Boden sank; viele weitere folgten ihm. Als sie keine Pfeile mehr hatte, zog Beravor ihr Schwert. Der Blutdurst hatte sie gepackt. Sie spürte keinen Schmerz mehr, hörte die Schrei der verwundeten und sterbenden Waldläufer und Orks nicht mehr. Ihr Schwert schnitt sich durch die Körper von Orks wie ein heißes Messer durch Butter. Beravor fühlte, dass der Sieg nah war, als ein gleißender Schmerz an ihrer Seite explodierte. Das Schwert fiel ihr aus der Hand, und um sie herum wurde es schwarz. Warmes Blut befleckte ihre Kleidung.

Ein alter Mann kniete vor Beravor. Er streckt seine Hand aus und zog sie auf die Beine. „Folge mir!", sagte er mit rauer, trauriger Stimme. Während des Weges hielt er immer ihre Hand. Er murmelte etwas von „tapfer sein; sehr tapfer...", doch es schien, als sage er es zu sich selbst. Er führte sie immer tiefer in den Wald, fort von den vertrauten Lichtungen, die ihr Zuhause waren. Die Wälder der Trollhöhen reichten tief, bis in das alte Land Rhudaur.

Schließlich hielt der alte Mann an. Vor ihnen lag eine Leiche. Die Leiche eines Orks. Voll Schrecken stieg Beravor darüber hinweg. Eine weitere Leiche lag ihnen im Weg. Mehr folgten, bis sie endlich dorthin kamen, wohin der alte Mann sie zu bringen gedacht hatte. Auf einer kleinen Lichtung lagen, neben einander auf Moos gebettet, zwei Waldläufer. Vor ihnen stand ein dritter, mit traurigem Blick, das Schwert, das er hielt, war voll von Blut. Genauso wie die Körper der Liegenden.

„Bist du Beravor?", fragte der Mann. „Ja", antwortete sie leise und trat näher an den Waldläufer heran. „Wieso?" Der Waldläufer deutete auf die Verwundeten. „Sie sagten deinen Namen, und wo wir dich finden würden. Ich weiß nicht, wer sie sind, aber es sind Waldläufer. Tritt näher." Langsam bewegte sich das Mädchen auf die Verletzte zu. Wieso hatte man sie hier her geholt?

Als sie die beiden sah, wusste sie, warum. Die beiden, die dort lagen, waren ihre Eltern. Tränen stiegen ihr in die Augen. Obwohl sie erst vor kurzem das Licht Ardas erblickt hatte, wusste sie, was passieren würde. Sie sank auf ihre kleinen Knie. Die salzigen Tränen tropften auf die blutenden Wunden. „Mutter, Vater..." Sie konnte nicht weiter sprechen, die Trauer ließ sie innehalten. Da öffneten sich die blutenden Lippen ihrer Mutter, um leise zu sprechen: „Beravor, meine Kleine. Es ist schön, dich noch einmal zu sehen." Sie lächelte. Ein Blutstropfen löste sich von ihren Lippen und hinterließ einen dunklen Fleck auf ihrer grünen Kleidung.

Ihr Mann drehte seinen Kopf leicht zu ihr. Seine Stimme war gebrochen, aber voll Stolz: „Halbarad wird sich gut um dich kümmern. Mach uns stolz, und mit uns alle Dúnedain." Er hustete, Blut kam aus seinem Mund. Der Atem ihrer Eltern ging immer schwerer, bis er zu einem leisen Röcheln geworden war. Ein letztes Mal wandten beide den Blick zu ihrer Tochter, voll Liebe und Freude. Danach sah Beravor nur noch ihre kalten, leblosen, gebrochenen Augen.

In diesem Moment schienen die Grundfesten Ardas unter Beravor zu zittern. Ihr Blick wurde getrübt von unzähligen Tränen. Unfähig, sich zu bewegen, kniete sie neben den Leichnamen ihrer Eltern. In diesem Moment brachen die Grundfesten, und Beravor stürzte in ein tiefes Nichts. Sie spürte, wie ihr kleiner Körper von starken Armen emporgehoben wurde. Eine leise Stimme sagte: „Sie haben sie deiner Obhut übergeben, Halbarad." Sie wurde weggetragen, fort von dem Ort, an dem ihre Eltern gestorben waren.

Langsam klärte sich der Schleier, der um ihre Augen gelegen hatte. Das sanfte Gesicht Halbarads erschien vor ihr. Langsam strich er ihr durchs Haar. „Alles wird gut werden", flüsterte er, doch Beravor konnte ihm nicht glauben. Wie konnte alles gut werden, wenn ihre Eltern tot waren? Wie konnte die Welt wieder so schön und sorgenfrei werden, wie sie es einst gewesen war? Am liebsten wäre sie gestorben, mit ihren Eltern. Halbarad wollte sie hochheben, doch Beravor wich zurück und kroch in die Ecke des Raumes, in den sie gebracht worden war. Was wollte er von ihr? Was würde nun geschehen? „Deine Eltern wollen, dass du eine gute Waldläuferin wirst", sagte Halbarad „Ich werde dich alles lehren, was ich kann."

***

Beravors Hände waren nass von Schweiß. Atemlos steckte sie ihr Schwert zurück in dessen Scheide. Halbarads Blick verriet ihr, wie sehr er ihre raschen Fortschritte bewunderte. „Du wirst immer besser", keuchte er, sichtlich angestrengt vom langen Kampf mit seiner Schülerin. Auch im Bogenschießen hatte sie inzwischen fast mit ihm gleichgezogen. „Du bist nun alt genug, um die Geschenke deines Vaters zu empfangen, denn bald wirst du deine eigenen Wege gehen. Warte hier auf mich." Damit ging er fort, und bald hatte Beravor seine Gestalt hinter Büschen und Bäumen im Zwielicht des frühen Herbstabends aus den Augen verloren. Also setzte sie sich auf den feuchten Waldboden und wartete. Bald ging ihr Atem wieder normal. Langsam begann sie etwas zu frösteln, und sie hoffte, dass Halbarad bald zurückkehren würde. Auch war sie gespannt, was wohl die Geschenke ihres Vaters waren. Nach einer Ewigkeit, wie es sich für sie angefühlt hatte, kehrte Halbarad schließlich zurück, in seinen Händen hielt er ein langes Stoffbündel. Bedächtig legte er es auf den Boden und wickelte es langsam aus. Beravor traute ihren Augen nicht, als sie sah, was da in den unscheinbaren Stoff eingewickelt gewesen war. Vor ihr lagen ein Bogen, aus feinem Holz meisterhaft geschnitzt, größer und besser als der Bogen, den sie bisher zur Übung und zur Jagd benutzt hatte, daneben lagen glänzende lederne Armschienen, von viel besserer Beschaffenheit als diejenigen, die sie bisher benutzt hatte. Etwas vom Bogen verdeckt lag dort noch ein Schwert in einer Scheide aus beschlagenem Leder.

„Diese Waffen gehörten einst deinem Vater, Beravor", begann Halbarad leise zu sprechen, „und er gab sie mir, bevor er verstarb. Ich wusste, ich konnte ihm vertrauen, obwohl ich weder seinen Namen, noch den seiner Frau kannte. Doch sie waren Waldläufer, und so tat ich, worum er mich gebeten hatte. Und nun gebe ich diese Dinge dir. Mögen sie dir nützlich sein in mancherlei Gefahren." Er machte eine lange Pause. Dann seufzte er: „Du warst für mich wie eine Tochter. Doch jede Tochter muss eines Tages ihren eigenen Weg gehen. Dies ist der Tag unserer Trennung. Und doch hoffe ich, dass sich unsere Wege in Mittelerde noch oft kreuzen werden."

Als Beravor ihre Erbstücke an sich nahm, wusste sie, dass der Mann, der für sie zu einem Vater geworden war, recht hatte. Sie gab ihm die Ausrüstungsgegenstände zurück, die sie bisher benutzt hatte, und behielt nur den Köcher mit den Pfeilen. Dann gürtete sie sich ihr neues Schwert um, schulterte ihren neuen Bogen und ging auf Halbarad zu. „Cuio vae, Halbarad. Leb wohl." Dann umarmten sie sich, und beide konnten nur schwer ihre Tränen zurückhalten.

Ohne sich noch ein weiteres Mal umzudrehen gingen beide ihrer Wege; auch wenn ihnen der Abschied sehr schwer gefallen war, so wussten sie doch, dass es das Beste war, die Vergangenheit so schnell wie möglich ruhen zu lassen. Beravor folgte einem ausgetretenen Pfad, der leicht anstieg und zu den höher gelegenen Hügeln der Trollhöhen führte. Sie wusste allerdings nicht, wie lange sie in dem Wald bleiben würde, in dem sie geboren und aufgewachsen war. Sie überlegte, in den näher am Auenland und an Bree gelegenen, dafür weiter von Bruchtal entfernten Chetwald zu ziehen, um ihre Vergangenheit (so gut es ging) hinter sich zu lassen.

Schließlich hatte sie den höchsten Hügel der Trollhöhen erreicht. Sie ging ihn wieder ein Stück hinab und suchte sich eine möglichst baumfreie Stelle, an der sie ihre Decke, die sie immer bei sich trug, ausbreitete und sich zum Schlafen hinlegte, in der Hoffnung, keine Orks würden sie entdecken. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

In ihrem Traum sah sie, wie Halbarad, von einem Schwerthieb getroffen zu Boden sank. Um sie herum hörte sie die Geräusche einer großen Schlacht. Mit wachsender Verzweiflung sah sie, wie Halbarad zu Boden sank und sich eine blutverschmierte Hand gegen den Bauch presste. Atemlos musste Beravor zusehen, wie der Mann, der für sie wie ein Vater gewesen war, starb. Im Schlaf schrie sie seinen Namen.

Als sie die Augen aufschlug, sah sie Halbarads besorgtes Gesicht über sich. „Sie ist aufgewacht!", rief er, und Beravor war erleichtert, das ihr Traum nur ein Traum gewesen war. Als sie sich aufsetzte, merkte sie, dass ihre rechte Seite verbunden worden war. Um sie herum lagen weitere verwundete Waldläufer.

Langsam kehrte bei ihr die Erinnerung an die Geschehnisse vor ihrer Ohnmacht zurück. Wie sie später erfuhr, waren neun ihrer Gefährten bei dem Überfall getötet worden.

***

So, das war es auch schon wieder mit einem kleinen Blick in die Vergangenheit Beravors. Das nächste Kapitel handelt dann wahrscheinlich wieder von ihrem Marsch. Wir beeilen uns wie immer (so gut es geht) und freuen uns über alle möglichen Reviews.

LG,

Annaeru und Taudir

zim9W

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top