32. Kapitel - Aufbruch ins Ungewisse

Wäre Beravor nicht von Rovaldil geweckt worden, so hätte sie wahrscheinlich den ganzen Vormittag verschlafen; der vergangene Tag hatte sie körperlich wie geistig vollkommen ausgelaugt. Als sie die Augen aufschlug, sah sie in das Gesicht Rovaldils. Es war ihm sichtlich unangenehm, sie geweckt zu haben, und sie hätte auch gerne noch ein wenig weitergeschlafen, auch wenn sie eher unangenehme Träume gehabt hatte, von Schlachten und Blut und gefallenen Freunden; doch der Schlaf tat ihr trotzdem so gut, dass sie sich nur ungern erhob.
„Es tut mir sehr leid, dass ich Euch geweckt habe", sagte Rovaldil, „aber ich befürchtete, dass Ihr das Essen schon wieder verpassen würdet, und diesmal wollten Euch unsere Gefährten nichts übriglassen." Beravor antwortete ihm nicht, denn wirklich aufgewacht war sie immer noch nicht; sie hatte zwar gelernt und auch oft genug zu hören bekommen, dass sie als Waldläuferin stets von einem Augenblick auf den anderen ganz wach sein können müsse, doch bei dem, was ihr der gestrige Tag abverlangt hatte, fand sie, dass man ihr ihre morgendliche Müdigkeit gut verzeihen könne. Sie atmete mehrmals tief ein, sog die noch kühle Morgenluft des nahenden Frühlings auf und blickte über die weiten Felder des Pelennor. Vor wenigen Stunden hatte sie noch irgendwo dort in nicht allzu weiter Entfernung gegen Orks und Haradrim gekämpft, hatte Halbarad verloren und betrauert, und irgendwo dort hatte sie mit Aragorn gesprochen, ein Gespräch, das ihr Leben, wie sie sich nun sicher war, für immer verändert hatte. Sie war selbst darüber erstaunt, dass sie nicht immer noch in düsterer Trauer gefangen war, darüber, dass der Mensch, den sie am meisten geliebt hatte, tot war; sie spürte den Schmerz noch immer, zusammen mit vielen anderen Sorgen, aber seit dem Gespräch mit Aragorn, ihrem König, war die andere Hälfte ihres Herzens mit einem merkwürdigen Licht erfüllt, das gänzlich neu und gleichzeitig sehr alt war, denn es hatte schon immer tief in ihrer Seele geschlummert. Endlich konnte sie auch sehen, was sie alles nicht verloren hatte, ihr eigenes Leben und Istavor, und Rovaldil; und sie musste sich eingestehen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Lichtes von ihm kam, dem letzten und am wenigsten erwarteten Freund, der ihr noch geblieben war. Seine Dankbarkeit, als sie ihm auf den Pelennor-Feldern zur Seite gestanden hatte, seine Sorge um sie und Istavor; wie er sich am Abend um alles gekümmert hatte, damit sie zu Istavor hatte gehen können, sein Gebaren und seine Worte ihr gegenüber erfüllten sie mit einer unerklärlichen Freude; und sie konnte in Rovaldils Augen sehen, dass er ähnlich über sie dachte wie sie über ihn.

Noch einmal genoss sie die Kühle des Frühlingsmorgens und ließ ihren Blick über die Felder schweifen, die vor ihr lagen, und die Sonne beschien sie schon mit dem goldenen Licht des Morgens. Sie war gerade über die höchsten Gipfel der Ephel Dúath gestiegen, dem Schutzwall Mordors, der wie ein drohender Schatten vor dem Horizont aufragte und ihn völlig verdeckte, schwarz und scheinbar unbezwingbar. Dahinter, viele Meilen von Beravor entfernt, doch zu nah, wie es ihr vorkam, war der Schicksalsberg, und Barad-dûr, der Schwarze Turm, wo Sauron seinen Sitz hatte. Beravor konnte sich nicht vorstellen, wie es in Mordor aussehen mochte, und sie wollte es auch nicht: Sie hatte die Hoffnung, dass sie dieses Land niemals aus der Nähe würde sehen müssen, und noch glaubte sie, Grund zu dieser Hoffnung zu haben. Sie richtete ihren Blick lieber auf das, was vor ihr lag, und ab von den finsteren Schemen jenseits von Licht und Freude. Sie sah die große Mauer, die die Pelennor-Felder einschloss; Rammas Echor wurde sie genannt, aber Beravor sah und wusste, dass große Teile von ihr nun zerstört waren; sie selbst waren bei ihrer Ankunft mit den Schiffen der Corsaren hindurchgeritten, ohne es wirklich zu bemerken. Es würde viel Zeit vergehen und große Mühen kosten, dieses Bollwerk wieder instand zu setzen. Davor breiteten sich die goldenen und grünen Felder aus, und es wäre ein beinahe vollkommener Anblick gewesen, der sich Beravor bot, als sie darauf blickte und die goldene Morgensonne sie beschien: Der Wind wiegte das Gras sanft, wie ein Meer aus den schönsten Farben waren die Wiesen, und man hätte Zeit und Raum vergessen können, wenn man sich ihrer Anmut hätte hingeben und seinen Blick ganz in ihnen verlieren können. Doch überall waren noch die Spuren der Schlacht zu sehen, und auch wenn es Beravor erschien, als seien viele Tage zwischen den Kämpfen und diesem Morgen vergangen, als sei die Nacht, die sie geruht hatte, in Wirklichkeit eine große Zahl von Nächten gewesen, die alle Zeichen des Leids fortgewischt hatte, so war dem doch nicht so: Überall sah sie die tiefen Gräben, die vom Feind ausgehoben und mit Feuer gefüllt worden waren und das Gras um sich herum verbrannt und die Erde geschwärzt hatten; sie sah die riesigen grauen Leichen der mûmakil daliegen wie Berge, die plötzlich vom Himmel mitten hinein in die grünen Wiesen gefallen waren; und überall sah sie dunkle Flecken, die Leichen von Menschen oder Orks, die man noch nicht hatte fortschaffen können. Doch Beravor blieb von diesem Anblick unberührt, sie genoss, auch wenn es ihr selbst widersinnig vorkam, vor allem die junge Wärme der Sonne und den kühlen Wind, der sanft mit ihrem Haar spielte; Halbarad hatten sie fortgebracht, und er lag nicht mehr dort, aber Istavor und Rovaldil waren bei ihr und lebten. Ein letztes Mal atmete sie tief ein, dann wandte sie sich zu Rovaldil um, der ihr bedeutete, ihm zu folgen.

Rovaldil führte sie zu einer größeren Lagerstelle, die den Dúnedain als eine Art Versammlungsplatz diente, nah am großen Zelt, das für Aragorn und die anderen Heerführer des Westens als Besprechungsort aufgestellt worden war. Ein schwarzer Fleck am Boden, umrandet von Feldsteinen, der sich in die sonst von grünen und gelben Gräsern bedeckte Erde gebrannt hatte, zeigte, dass hier am Abend noch ein größeres Feuer gebrannt hatte; nun aber war es erloschen, und der Wind hatte einen Großteil der Asche bereits über die Felder verteilt. Ein gutes Dutzend Waldläufer saß noch dort, manche aßen, die meisten aber unterhielten sich; andere waren bereits aufgestanden und machten sich an ihrer Ausrüstung zu schaffen. Nicht weit von diesem Platz entfernt grasten die Pferde der Dúnedain friedlich auf der Wiese, dankbar, zumindest einmal für mehr als einen Tag von all den Lasten befreit zu sein, die sie seit so vielen Wochen stets getragen hatten. Auch Gwaelim war darunter, und man hatte ihm seinen Sattel abgenommen, an dem auch alles gehangen hatte, was Beravor auf ihren langen Weg mitgenommen und nicht am eigenen Körper getragen hatte.
„Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen", sagte Rovaldil, als er sah, wie Beravor sich nach ihrem Blick auf Gwaelim suchend umsah. „Euer Sattel und all Eure Ausrüstung liegt nicht weit von hier in einem kleinen Zelt, geschützt vor der Witterung, auch wenn man im Nachhinein sagen muss, dass das nicht nötig gewesen wäre. Ich werde Euch später hinbringen, aber jetzt sollten wir erst einmal etwas frühstücken."
„Habt Ihr noch nichts gegessen?", fragte Beravor erstaunt.
„Ich habe auf Euch gewartet", antwortete Rovaldil, „auch wenn ich zugeben muss, dass es mir gegen Ende etwas schwerfiel, denn mein Hunger war bereits nach dem Aufwachen nicht gerade klein."
„Ich hoffe, dass ich Euch nicht zu lange habe warten lassen. Welche Stunde haben wir jetzt, und wann seid Ihr aufgestanden?"
„Es ist die zweite Stunde nach Sonnenaufgang", sagte Rovaldil, „mit dem zusammen ich aufgewacht bin."
„Ihr beschämt mich", sagte Beravor, aber sie lächelte, als sie es sagte. „Ihr hättet wirklich nicht auf mich warten müssen und Euch dabei zu Tode hungern." Rovaldil erwiderte das Lächeln, aber bei sich dachte er, dass er in Wirklichkeit gerne auf Beravor gewartet hatte, um gemeinsam mit ihr essen und den Morgen verbringen zu können, und als er mit dem Aufgang der Sonne aufgewacht war, war er damit zufrieden gewesen, an der noch warmen Glut zu sitzen, über die Ebene und in den klaren Himmel mit seinen verblassenden Sternen und den aufziehenden Wolken zu blicken und über Beravors Schlaf zu wachen.

Beravor und Rovaldil setzten sich nebeneinander zu den anderen Dúnedain. Sie waren keine Minute zu früh gekommen, denn ein Großteil dessen, was man ihnen auch heute wieder aus der Stadt herausgebracht hatte, war bereits weg; doch gab es noch genug Brot und Honig und viele andere Speisen, deren Namen Beravor nicht kannte und die nach Süden, nach weiten Ebenen und warmen Sommern schmeckten. Es gab auch einige Schläuche mit klarem Wasser, das kühl die Kehle hinunterrann, und wie schon am gestrigen Abend fand Beravor, dass sie noch nie ein besseres Mahl gehabt hatte als dieses. Die Stimmung der anderen Waldläufer war zwar ebenfalls im Grunde gut, denn sie hatten die Schlacht mit wenigen Verlusten gewonnen, und sie sahen nicht weiter in die Zukunft, doch wie auf Beravor lastete auch auf ihnen noch die Trauer um Halbarad, und anders als sie hatten sie noch nicht mit Aragorn geredet, den sie auch schon seit dem Abend nicht mehr gesehen hatten. Einer der Waldläufer, der wusste, dass Beravor Halbarads Ziehtochter war, sprach ihr sein Beileid aus, woraufhin sich auch die anderen Waldläufer anschlossen, ehe sie in ein bedrücktes Schweigen verfielen.
„Der Krieg ist noch nicht gewonnen", erhob ein älterer Waldläufer nach einiger Zeit die Stimme, und die anderen murmelten zustimmend. „Wir mögen den Schatten von den Feldern Gondors vertrieben haben, aber er liegt noch immer über unserem Schicksal. Hätten wir gewonnen, so hätte Aragorn seinen Anspruch auf den Thron von Gondor bereits erklärt." Die Waldläufer nickten, aber sie sagten nichts; Beravor trank den letzten Schluck aus einem der Wasserschläuche und beendete damit ihr Frühstück.
„Aber wo ist Aragorn jetzt?", fragte sie. „Gestern Abend erfuhr ich von Elladan, dass er in die Stadt hinauf gegangen war, um bei der Heilung derer zu helfen, die unter den Schatten der Nazgûl gefallen sind. Gewiss wird er mittlerweile aber wieder zurückgekehrt sein?"
„Ich sah ihn heute Morgen, in aller Frühe, noch ehe die Sonne sich erhob", antwortete ihr ein Waldläufer. Er hatte ein hageres Gesicht und kleine, blitzende Augen, die alles um ihn herum genau zu beobachten schienen. „Er ging in sein großes Zelt, und seitdem ist er nicht mehr hinausgekommen. Kurze Zeit später kamen auch die Söhne Elronds und betraten das Zelt, und dann noch einige andere, Hauptleute von Gondor und Rohan, nehme ich an; und wenn ich mich nicht täusche, dann war auch Mithrandir unter ihnen."
„Gandalf ist hier?", entfuhr es Beravor unwillkürlich, und dieser Aufschrei war ihr auch ein wenig peinlich, aber sie sah, dass einige andere Waldläufer mindestens ebenso verwundert aussahen wie sie.„Gewiss ist er das", sagte der alte Waldläufer, der als erster geredet hatte. „Wusstet Ihr das nicht?" Aber er hat sich verändert, der alte Graubart. Als ich ihn gestern einmal kurz sah, war er ganz in weiß gekleidet, und sein Stab war ebenfalls weiß. Ich hätte ihn für Saruman gehalten, wenn ich nicht wüsste, dass er uns und alle Freien Völker verraten hat." Wieder verfielen die Waldläufer in Schweigen. Sie waren weise Menschen, und sie wussten, wenn man von einer Frage beschäftigt wird, die Zauberer betrifft, dann sind die Antworten nur dann herauszufinden, wenn man den Zauberer selbst fragt, und dabei weiß man nie, ob man eine Antwort erhält, die einen weiterbringt. Es war bekannt, dass diese Leute leicht erzürnt waren. So versuchten die Dúnedain gar nicht erst, zu raten, denn die Wahrheit, so glaubten sie, hätten sie ohnehin weit verfehlt.
„Sicherlich sprechen sie gerade darüber, wie es in diesem Krieg weitergehen soll", sagte ein anderer Waldläufer. „Ich muss gestehen, nun, da wir die Schlacht um Minas Tirith gewonnen haben, habe ich wieder Hoffnung: Sie arbeiten gewiss an einem Plan, der uns dem Sieg über Mordor noch näherbringen wird.
„Ich wäre mir da nicht so sicher", sagte der alte Waldläufer. „Ihr jungen Leute scheint den Feind nicht so gut zu kennen und freut euch viel zu oft zu früh – bis auf Beravor hier, die es wahrscheinlich von ihrem Vater gelernt hat" (die meisten Waldläufer hatten Halbarad oft als sehr mürrisch angesehen) „– aber Ihr kennt die wahre Stärke des Feindes nicht. Ich weiß nicht, was Herr Aragorn und Mithrandir und Elronds Söhne und all die anderen da drinnen im Zelt zu besprechen haben. Ich weiß nur, dass sie es nicht täten, wenn es nicht wichtig wäre." Damit schien sich die Sache für ihn erledigt zu haben, und er stand auf und ging fort.

Auch die anderen Waldläufer gingen bald darauf auseinander. Die meisten kümmerten sich um ihr Pferd oder ihre Ausrüstung, suchten einen Schmied oder einen Sattler oder ruhten sich noch einmal von der gestrigen Schlacht aus. Beravor saß noch eine Weile am Feuer und dachte über Gandalf nach, aber schließlich erhob sie sich und wandte sich an Rovaldil. „Wie es scheint, habt auch Ihr nichts zu tun", sagte sie. „Ich würde mir gerne einmal die Stadt ansehen, das Werk unserer berühmten Vorfahren. Würdet Ihr mich begleiten? Es wäre für mich schöner, in so einer Stadt nicht allein umherlaufen zu müssen."
„Gerne würde ich Euch begleiten", sagte Rovaldil, „aber ich habe gehört, dass die Wachen am Tor uns Dúnedain nicht gerne hineinlassen. Bisher sind nur die hindurchgekommen, die wichtige Botschaften hatten oder einen Handwerker brauchten. Sie scheinen uns nicht zu trauen hier in Gondor."
„Wo wird man uns jemals trauen?", sagte Beravor. „Nicht in Bree traut man uns, in Rohan traut man uns nicht, nicht einmal in Gondor, wo die Menschen unsere Blutsverwandten sind. Sagt mir, Rovaldil, sehe ich wirklich so unheimlich aus, dass man mich nicht wenigstens in die Stadt einlassen könnte, die meine Vorfahren gebaut haben?"
„Zumindest nicht unheimlicher als ich", sagte Rovaldil; „schließlich sieht man Euch nicht an, dass Ihr Euch um Euren Bart seit Wochen nicht mehr vernünftig gekümmert habt."
„Kommt mit mir", sagte Beravor lachend. „Wir wollen den Torwächtern und uns keinen Ärger bereiten, aber wenigstens an den Mauern der Stadt können wir entlangwandern und uns ein Bild von ihrer Größe machen. Heute werden wir sicher nicht weiterreiten, und Istavor kann ich auch später noch besuchen. Zumindest für diesen Tag haben wir viel Zeit, die ich nicht damit verschwenden möchte, im Gras zu sitzen und den Pferden beim Fressen zuzusehen."

Zunächst gingen Beravor und Rovaldil noch das letzte Stück zum Großen Tor von Minas Tirith, denn ihr Lager lag ein wenig davon entfernt auf dem Pelennor; und als sie dort ankamen, verschlug es ihnen beinahe die Sprache. Bereits aus einiger Entfernung war die Stadt beeindruckend gewesen, aber nun, da sie genau vor dem Tor standen, schien bereits die erste Mauer, die die Stadt schützte, größer zu sein als alles, was Beravor bisher in ihrem Leben gesehen hatte. Sie dachte zurück an ihren kurzen Aufenthalt in Helms Klamm und den Blick auf die Hornburg. Die Art, wie diese beiden Vesten gebaut waren, ähnelte sich, und beide hatten Gemeinsamkeiten mit den Ruinen, die sie aus Eriador kannte; aber nichts schienen die Hornburg und die Bauten ihrer Heimat zu sein im Vergleich zu den Ausmaßen dieser Stadt. Das Tor war nun zerbrochen, und gewaltige Trümmer lagen noch immer im Eingang, nur von einigen Soldaten der Stadt wurde es nun geschützt; dahinter waren viele Männer, die sich mühten, die Trümmer wegzuschaffen. Auch hier sah Beravor die Spuren von Bränden, und sie fragte sich, welche gewaltige Sturmramme in der Lage gewesen sein könnte, dieses Tor zu durchbrechen. Neben ihr stand Rovaldil und blickte nachdenklich durch den entblößten Eingang der Stadt. „Wir sind keinen Moment zu früh gekommen", sagte er. „Wie es scheint, stand der Feind bereits kurz davor, die Stadt einzunehmen." Schweigend wandten sie sich vom Tor ab und folgten dem Verlauf der Mauer nach Süden.„Ich wollte, der Krieg wäre bereits vorbei", sagte Beravor, nachdem sie eine Weile gelaufen waren. „Ich weiß nicht, was danach geschehen wird, falls wir ihn gewinnen sollten, aber das eine wie das andere erscheint mir jetzt erstrebenswerter als eine Schlacht nach der anderen zu schlagen: Ich wäre gerne wieder eine einfache Waldläuferin, aber ich weiß, dass ich das nie wieder sein werde. Wenn das schon nicht geht, dann wünschte ich wenigstens, wir hätten den Krieg gewonnen und unser Königreich im Norden würde wiederhergestellt, und wir Dúnedain könnten uns niederlassen und wieder zu dem edlen Volk werden, das wir einst waren. Ich habe die Städte in unserer Heimat nie besonders gemocht, aber jetzt, da ich diese hier sehe, stelle ich mir vor, dass es Schlimmeres gäbe, als in so etwas zu leben. Versteht mich nicht falsch, glaubt nicht, dass ich nicht mehr kämpfen möchte: Nichts will ich mehr, als diesen Schatten endlich ein für alle Mal aus Mittelerde zu vertreiben; aber nun, da Aragorn mir die Hoffnung gegeben hat, dass das wirklich geschehen mag, muss ich auch daran wieder denken. Halbarad hat mir noch auf den Schiffen gesagt, ich solle mir darüber keine Gedanken machen, solange der Krieg sein Ende noch nicht gefunden hat, aber das Ende scheint mir nun näher und greifbarer denn je. Und meine Meinung hat sich seitdem geändert: Damals hatte ich beinahe so große Angst vor dem, was nach dem Krieg kommen würde, wie vor den Schrecken dieses Krieges selbst. Jetzt aber bin ich mir da nicht mehr so sicher: Ob ein Leben in Ruhe und Frieden, frei von Gefahren und Sorgen, nicht auch wünschenswert sein mag. Indes weiß ich nicht, ob ich für so etwas wirklich geeignet bin: Ich war eine Waldläuferin, und nun bin ich eine Kriegerin der Dúnedain, aber ob ich einmal in einer Stadtgemeinschaft oder gar in einer Familie leben könnte, da bin ich mir nicht sicher." Sie hielt einen Augenblick inne und bemerkte, dass Rovaldil sie mit ernstem Blick ansah. „Es tut mir leid, dass Ihr Euch das alles anhören müsst, Rovaldil; für einen Waldläufer rede ich viel zu viel, und sicher kommt es euch albern vor, dass ich über solche Dinge nachdenke, anstatt meinen Blick auf den Krieg zu richten, der noch immer überall um uns herum ist, hinter uns liegt und noch auf uns wartet."
„Mitnichten", sagte Rovaldil. „Nun, wo Ihr davon redet, beginnt diese Frage, auch mich zu beschäftigen. Aber ich glaube nicht, dass Ihr Euch nach dem Ende des Krieges sogleich werdet entscheiden müssen, Beravor. Ihr seid noch jung an Jahren, gemessen an der Lebensspanne der Dúnedain, und selbst wenn es Euer Schicksal ist, eines Tages in einer Stadt zu leben und eine eigene Familie zu haben, so wird es doch nicht vonnöten sein, dies gleich zu tun. Sollten wir diesen Krieg gewinnen, so werdet Ihr viel Zeit haben, nach Herzenslust durch Mittelerde zu wandern. Und nun, da ich das sage, gestehe ich, dass ich Euch gerne dabei begleiten würde." Er schenkte Beravor ein Lächeln, und sie erwiderte es.
„Das stimmt", sagte sie, „und ich sollte nicht so hart gegen mich selbst sein. Eine Sache aber ist wirklich albern, und die kann schnell beseitigt werden. Wir Dúnedain sind schließlich eine Familie, und wir beide nun erst recht, da wir uns anscheinend aus Mangel an anderen Freunden aneinander halten müssen. Wir sollten einander vertrauen und auch so miteinander reden, findest du nicht?"
„Du hast recht", sagte Rovaldil, und sein Lächeln wurde noch ein wenig breiter.

Die beiden Dúnedain brauchten mehr als zwei Stunden, um bis zum Berg zu gelangen, den der Sattel mit dem Hügel, auf dem Minas Tirith stand, verband; es war ein Ausläufer des Weißen Gebirges, an dem sie auf ihrem Weg nach Pelargir lange entlanggeritten waren, freilich ohne wie jetzt die Zeit gehabt zu haben, die Schönheit dieser Landschaft bewundern zu können. Zwischendurch hatten sie immer wieder angehalten, wenn sie ein besonders bemerkenswertes Gebäude in den oberen Ringen der Stadt gesehen hatten, oder einfach, um die schwarze Außenmauer zu bestaunen, die sich zu ihrer Rechten erhob wie eine gewaltige Klippe aus reiner Nacht. Blank poliert waren die Steine der Außenmauer, und es schien, als habe kein Geschoss des Feindes und kein Brand ihnen etwas anhaben können; das zerbrochene Tor war tatsächlich die einzige Schwachstelle dieser beeindruckenden Festung gewesen. Bei der Schlacht wie auch jetzt waren überall an der Mauer Wachen aufgestellt, auch wenn ihre Zahl nun geringer war als noch am Vortag, aber sie achteten nicht auf die beiden Dúnedain. Links fiel das Gelände ab, und nur ein schmaler Weg war nunmehr zwischen diesen Hängen und der Mauer, den Beravor und Rovaldil nun entlanggingen. Weit über der Mauer sahen sie sechs der sieben Ringe der Stadt (der erste war durch die hohe Außenmauer verdeckt), viele kleine Häuser, aus weißem Stein erbaut, die im Licht der Mittagssonne erstrahlten, und ganz oben, klein, aber auch in dieser Entfernung noch majestätisch anmutend, den Weiße Turm Ecthelions. Je länger Beravor die Stadt betrachtete und über ihre Schönheit und Erhabenheit staunte, desto stärker wurde ihr Wunsch, sie einmal auch von innen zu sehen und durch ihre hellen Straßen laufen zu können. Noch während sie überlegte, ob auch die heutigen Dúnedain, besonders die, die im Norden lebten, in der Lage wären, solche Städte zu bauen, die zugleich eine Festung waren und eine sichere Heimat für viele Menschen, da erreichten sie den Bergsattel und sahen die Mauern der Brustwehr, die dort auf große Erdwälle gebaut waren. Dahinter im Westen und neben ihnen im Süden erhoben sich die Gipfel des Weißen Gebirges, und direkt vor ihnen ragten die Hänge des Mindolluin auf. Sie befanden sich in einem kleinen Winkel, der von der einen Seite von der Mauer und von der anderen von den Ausläufern des Mindolluin begrenzt und eingeschlossen war, und von hier aus ging es nirgendwohin mehr weiter. Hier, im Schatten des Berges, rasteten sie eine Weile, und Rovaldil wagte es, Beravor zu fragen, wie sie in die Obhut Halbarads gekommen war, eine Frage, die ihm schon lange auf der Zunge gebrannt hatte, die auszusprechen er aber erst jetzt den Mut gefasst hatte, der er glaubte, das Vertrauen Beravors erlangt zu haben. So erzählte im Beravor, während sie am Fuß des Berges saßen, die traurige Geschichte ihrer Eltern, und danach bewunderte Rovaldil sie umso mehr, und er war ihr dankbar dafür, dass sie ihm so vertraute, dass sie ihn sogar in diese schmerzliche Erinnerung eingeweiht hatte. „So viele schreckliche Dinge hast du erlebt", sagte er, „und dennoch bist du mutig und stark geblieben. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte."
„Ich habe alles, was ich kann, Halbarad zu verdanken", erwiderte Beravor, „und ich bin mir sicher, dass du ebenso stark bist wie ich. Aber erzähle mir, bei wem hast du gelernt zu kämpfen, zu reiten und all das zu tun, was ein Waldläufer können muss?"
„Ich will es gerne erzählen", sagte Rovaldil, „aber ich schätze, es ist besser, wenn wir uns beim Reden schon einmal auf den Rückweg machen. Bis zu unserem Lager ist es ein weiter Weg, und wenn du Istavor noch vor Einbruch der Dunkelheit besuchen willst, sollten wir uns ein wenig beeilen. Die Sonne versinkt früh."
„Einverstanden", sagte Beravor, „aber lass uns unten am Hang entlanggehen. Die dunkle Mauer bedrückt mich, und ich würde gerne auf den breiten Wegen unten auf den Feldern zurückgehen und nicht hier oben auf dem schmalen Pfad."

So stiegen Beravor und Rovaldil den kurzen, aber steilen Abhang hinunter. Es war schwieriger als gedacht, denn er war an dieser Stelle beinahe glatt und bot den Füßen der Dúnedain keinen Halt; doch beide waren geübte Kletterer und erreichten bald ohne Zwischenfälle den Pelennor. Von dort gingen sie zurück nach Nordosten, ihrem Lager entgegen, und Rovaldil erzählte Beravor von seiner Kindheit und Jugend in Eriador. Als er begann, lachte er leise. „Ich hatte immer geglaubt, dass meine Kindheit voller Abenteuer gewesen sei und voller Entbehrungen, und dass sie mich gelehrt hätte, widerstandsfähig gegen Übel und Plagen zu sein. Aber nun, da ich deine Geschichte gehört habe, komme ich mir lächerlich vor, so gedacht zu haben, denn meine Leiden und Plagen sind nichts im Vergleich zu dem, was du ertragen musstest. Dennoch, da du es wünschst, will ich dir davon erzählen, damit du nicht glaubst, dein Vertrauen zu mir würde nicht erwidert.

Ich kam im Winkel zur Welt, in einer der größeren Siedlungen der Dúnedain, und wurde in den ersten Jahren meines Lebens von meiner Mutter großgezogen, die dort wohnte und arbeitete, wie es bei den meisten Frauen unseres Stammes üblich ist; denn anders als du und Istavor sind die meisten Frauen unseres Volkes ja keine Waldläufer. Meinen Vater sah ich nur selten, und wenn, dann nur kurz: Er schien immer auf der Reise zu sein, und wenn er einmal am späten Abend nach Hause kam, sah er müde und abgekämpft aus, und meistens blieb er nur über Nacht und war am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang wieder verschwunden. Natürlich fragte ich meine Mutter jedes Mal, ob er diesmal nicht länger bleiben könne, aber sie verneinte stets und sagte: ‚Auch du wirst eines Tages ein solches Leben führen, Rovaldil, und dann wirst auch du nur noch selten nach Hause kommen und nur kurz bleiben.' Und dann erklärte sie mir jedes Mal aufs Neue, was die Aufgaben eines Waldläufers waren und warum wir tun, was wir tun. Und immer, wenn sie das erzählte, brannte ich darauf, mit meinem Vater mitzugehen und selbst solche Abenteuer in der Wildnis zu erleben, die Schwachen aus dem Verborgenen zu schützen und Orks und Wölfe zu jagen. Aber immer, wenn ich meine Mutter fragte, ob ich mit meinem Vater mitkommen dürfe, strich sie mir mit der Hand durchs Haar und sagte: ‚Noch nicht.' Wenn ich dann nachts im Bett lag und über die Erzählungen meiner Mutter nachdachte, fragte ich mich immer, warum ich so begierig gewesen war, in die Wildnis zu ziehen, denn in der Nacht waren die Schatten unheimlicher und das Licht des Hauses umso behaglicher. Am Tag übte ich mich mit den anderen Kindern der Siedlung im Schwertkampf und im Bogenschießen, aber dort war die Wildnis weit entfernt.

Eines Tages, kurz nach meinem zwölften Geburtstag, war es dann so weit, und mein Vater nahm mich zum ersten Mal mit in die Wälder und Höhen nördlich des Winkels. Anfangs kehrten wir noch oft am Abend nach Hause zurück, aber mit der Zeit wurden unsere Besuche bei meiner Mutter immer seltener. Mein Vater brachte mir, wie es Sitte ist, alles bei, was ich als Waldläufer können musste, das Jagen und das Verstecken und Kämpfen und die vielen Zeichen und Runen, mit denen wir uns verständigen. Viele Jahre verbrachte ich so mit ihm in der Wildnis, und ich wurde immer stolzer auf meinen geheimen Auftrag und meine Herkunft und adlige Abstammung, denn ich merkte schnell, dass ich tatsächlich den Menschen und Hobbits, die ich beschützte, in beinahe allem überlegen war, und doch empfand ich keine Abneigung gegen sie und widmete mich meiner Aufgabe mit aller Hingabe, die ich aufbringen konnte. Als ich die Volljährigkeit erreichte, begann mein Vater damit, mich auf immer ausgedehntere Wanderungen fortzuschicken, damit ich allein Aufträge erfüllte oder Botschaften überbrachte, und so vollzog sich langsam, aber sicher unsere Trennung. Ich weiß nicht einmal mehr genau, wann er mir seinen letzten Auftrag gab, aber irgendwann kehrte ich nicht mehr zu ihm zurück, sondern wanderte allein durch Eriador. Hin und wieder bin ich ihm danach noch begegnet, aber nun schon seit über einem Jahr nicht mehr, und die Botschaft, die Halbarad uns geschickt hat, hat ihn offensichtlich nicht mehr rechtzeitig erreicht. Dennoch bin ich nicht besorgt, denn kurz bevor ich nach Bruchtal ging zur Versammlung der Grauen Schar, besuchte ich noch einmal meine Mutter, um mich zu verabschieden, und von ihr erfuhr ich, dass mein Vater erst vor wenigen Tagen bei ihr gewesen war."
„Du rufst mir wahrlich die besten Erinnerungen an meine eigene Vergangenheit ins Gedächtnis", sagte Beravor, als Rovaldil mit seiner Geschichte fertig war. „Lange Jahre habe ich nur gesehen, was ich nicht hatte: Eltern, Anerkennung, Stolz. Aber dass es daneben auch vieles gab, was mich erfreute und mit Stolz erfüllte, habe ich fast verdrängt: Die langen Jahre, die ich mit Halbarad gewandert bin, seine Liebe und seine Lehren, und meinen Beitrag zum Glück der einfachen Menschen des Breelandes und des Auenlandes. Du bringst mich dazu, dass ich in jeder Lage, meiner vergangenen, meiner jetzigen und meiner zukünftigen, Glück und Zuversicht erkennen kann." Darauf erwiderte Rovaldil nichts, aber er war glücklich: glücklich, mit Beravor gelaufen zu sein und geredet zu haben, glücklich, sie glücklich gemacht zu haben.

Sie erreichten das Lager der Dúnedain und sahen, dass gerade einer der Elbenzwillinge aus dem großen Zelt heraustrat. In der Hoffnung, Neues über den weiteren Verlauf ihres langen Marsches zu erfahren, beschleunigten sie ihren Schritt und traten rasch näher. Auch die anderen Waldläufer versammelten sich bald um Elladan, den Beravor nun erkannt hatte, und kurz darauf trat auch Elrohir dazu. Sie führten die Waldläufer ein wenig vom Zelteingang weg, damit sie die anderen Fürsten und Hauptleute nicht behinderten. Es trat eine gespannte Stille ein, denn sie sahen, dass die Söhne Elronds ernst blickten und Sorge sich auf ihren Gesichtern abzeichnete. Es dauerte noch einen Augenblick, bis alle Waldläufer versammelt waren, damit niemand die Ankündigungen verpasste, doch schließlich erhob Elrohir die Stimme und sprach:
„Dúnedain des Nordens", begann er, „Ihr habt einen langen und gefahrvollen Marsch auf Euch genommen, länger und gefahrvoller als je ein Marsch im Dritten Zeitalter der Erde gewesen ist; und so habt Ihr die Hoffnung in diesem Krieg gegen die Finsternis zurück zu den Freien Völkern gebracht, die dem Schatten noch Widerstand leisten. Indes, alle Hoffnung ist trügerisch, und sie mag uns alle noch täuschen: Denn das Schicksal dieses Krieges liegt nicht länger in unserer Hand. Ich kann Euch nicht viel sagen, und ich weiß selbst auch nicht alles, was ich zu wissen wünschte, doch lasst mich so viel sagen: Nie bestand Hoffnung, diesen Krieg mit Waffengewalt zu gewinnen, und diese Hoffnung gibt es auch jetzt nach unserem großen Sieg nicht. Doch denkt nicht, dass Eure Schwerter nicht ihren Beitrag zum Erfolg dieses großen Wagnisses leisten können. Denn unser Feind muss aufgehalten werden und abgelenkt, damit er sein Land entblößt und unsere einzige Hoffnung nicht getrogen wird. Darum verzweifelt nun nicht und verfallt nicht in Furcht, wenn ich Euch sage, was die Heerführer des Westens beschlossen haben: Übermorgen, am 18. März, werden wir aufbrechen. Wir werden nach Mordor marschieren, zum Schwarzen Tor." Ganz gleich, ob Elrohir sie aufgefordert hatte, sich nicht zu fürchten, allein bei der Erwähnung dieses Namens überlief alle Dúnedain ein Schauer, und die Aussicht, sich der Armee des Dunklen Herrschers an seiner eigenen Grenze zu stellen, erfüllte sie mit Schrecken.
„Wie viele werden wir sein?", fragte einer der Waldläufer, aber Beravor hatte das Gefühl, dass sie die Antwort nicht wissen wollte, noch ehe Elrohir sprach.
„Siebentausend."

Die Dúnedain hatten vergessen, was Elrohir ihnen noch eben gesagt hatte, dass sie nicht verzweifeln sollten und keine Furcht haben. Sie begannen, wild durcheinander zu reden. Wahnsinn sei es, sagte der Alte. „Ich habe schon viel gekämpft und durchstreife Mittelerde seit vielen Jahrzehnten, und nie habe ich mich vor irgendetwas gefürchtet oder bin einer Gefahr mit Angst und nicht mit Mut begegnet. Aber das, was Ihr nun sagt, Herr Elrohir, erfüllt mich mit Schrecken und Furcht. Mit Siebentausend Mann gegen die ganze Streitmacht des Dunklen Herrschers zu ziehen! Nicht einmal, wenn es ein Witz wäre, könnte ich darüber lachen."
„Es ist kein Witz, und Ihr sollt nicht darüber lachen, Magolthir. Wenn Ihr mich nicht richtig verstanden habt, will ich es Euch noch einmal sagen: Wie es auch weitergehen mag in diesem Krieg, wir werden der Streitmacht Saurons entgegentreten müssen. So oder so werden wir untergehen im Kampf gegen seine Armeen, ob nun hier oder im Norden oder am Eingang zu seinem eigenen Land. Doch hier und im Norden wird mit uns auch alle Hoffnung sterben, wenn wir aber vor sein Tor gehen und seine Sklaven herauslocken, dann wird unsere einzige kleine Hoffnung vielleicht überleben, und damit auch irgendjemand von uns. Ihr habt die Wahl: Hierzubleiben und zu sterben und nie wieder den Tag zu sehen, oder mit uns zu ziehen und dem Tod ins Auge zu sehen, aber immer noch mit diesem kleinen Licht der Hoffnung in Eurem Herzen, dass der Tag doch noch wiederkehren wird." Daraufhin ging er fort, zurück zu den Verwundeten; Elladan folgte ihm auf dem Fuße, und die Waldläufer schwiegen und sagten nichts mehr. Elrohirs Worte hatten sie schwer getroffen; eben noch hatten sie geglaubt, einen großen Sieg errungen und dem Dunklen Herrscher nun endlich Einhalt geboten zu haben, und nun erfuhren sie, dass all ihre Siege wertlos waren und sie doch im Schatten Mordors ihr Ende finden würden. Sie standen einige Zeit stumm da, ihren eigenen düsteren Gedanken nachhängend, dann lösten sie ihre Versammlung auf und gingen auseinander in einen dunklen Abend, und sie glaubten nicht, dass auf ihn ein Morgen folgen würde.

Beravor ging mit Rovaldil, auch sie hatte Elrohirs Ankündigung mit Furcht erfüllt, und Rovaldil ging es nicht anders; aber beiden schien die Düsternis erträglicher, solange sie zu zweit waren. Sie gingen zurück zu ihrem Lagerplatz, und Rovaldil versuchte, dass Feuer wieder in Gang zu bringen, denn die Sonne stand bereits tief und es war kühler geworden. Schließlich hielt Beravor die angespannte Stille nicht mehr aus, und mit einem verbitterten Lachen brach sie das Schweigen: „Welche unterhaltsame Wendungen das Schicksal doch für uns bereithält! Gestern habe ich den Mann verloren, den ich in Mittelerde am meisten geliebt und geschätzt habe, und das war meine dunkelste Stunde; und dann kommen Aragorn und Istavor und du, und plötzlich erwacht das Licht in meinem Herzen neu und meine Angst fällt von mir ab; und kaum, dass das geschehen ist, kommt Elrohir und stürzt mich in die Dunkelheit und den Schatten des Untergangs zurück, indem er uns verkündet, dass wir ins Land des Feindes ziehen werden und für uns keine Hoffnung mehr besteht."
„Verzweifle nicht", sagte Rovaldil, der das Feuer mittlerweile entzündet hatte. „Ich bitte dich, versinke nicht in deiner Furcht. Ich mag es lieber, wenn du glücklich bist. Noch sind wir nicht untergegangen, und morgen werden wir noch nicht losziehen. Blicke nicht zu weit in die Zukunft. Und du hast Elrohir doch gehört: Noch gibt es Hoffnung für uns; und ich bin gewillt, mich an jeden kleinsten Zipfel der Hoffnung zu klammern, den es noch gibt. Ich habe mich noch nicht aufgegeben, und dich habe ich auch noch nicht aufgegeben."
„Ich glaube, du hast es noch nicht richtig begriffen", erwiderte Beravor. „Wir reiten nach Mordor, Rovaldil. Wir werden gegen zehntausende von Saurons Dienern kämpfen. Wir werden am Morannon sterben." Voll Sorge setzte Rovaldil sich nun neben sie ans Feuer und sah sie schweigend an. Ihr Blick war von Tränen getrübt, und erschüttert sah Rovaldil, dass ihr Gesicht von Leid und Schmerz verzerrt war. Er wollte sie trösten, auch wenn er nicht wusste, wie; mit seiner Hand berührte er leicht ihre Schulter, und als sie nicht zurückzuckte, legte er seinen Arm um sie; und leise sagte er:„Vielleicht hast du recht, und wir werden dort sterben; vielleicht erweist sich unsere Hoffnung auch als stärker als die Dunkle Macht in Mordor. Ich weiß es nicht; aber was ich weiß, ist, dass ich mit niemandem an meiner Seite lieber sterben würde als mit dir." Da musste Beravor lächeln.
„Noch vor wenigen Tagen hatte ich nicht geglaubt, neben Istavor noch andere Freunde bei den Dúnedain zu finden; die meisten sind alt und stolz und mürrisch. Aber du nicht; und du hast recht: Ich könnte mir niemanden vorstellen, mit dem ich im Augenblick lieber meine letzten Tage verbringen würde, außer vielleicht mit Istavor. Da fällt mir ein, dass ich sie noch besuchen muss, und wohl oder übel werde ich ihr diese dunkle Botschaft überbringen müssen."
„Ich werde dich begleiten", sagte Rovaldil.

Istavor nahm diese Nachricht indes weniger beunruhigt zur Kenntnis, als Beravor erwartet hatte. „Ich hatte in meinem Herzen schon befürchtet, dass es dazu kommen würde", sagte sie, „und es reut mich, dass ich nicht mit euch kommen kann. Aber Elladan hat mir nicht erlaubt, mitzureiten. Er sagt, mit meinem verwundeten Knie sei ich nicht kampffähig, und ich fürchte, er hat recht." Beravor blickte auf Istavors Knie; es sah ihr nicht besonders anders aus, als es sein sollte; Elladan hatte einen neuen Verband angelegt, der nun nicht mehr blutdurchtränkt, sondern sauber und weiß war. „Ihr solltet jetzt nicht verzweifeln", sagte Istavor, „du und Rovaldil. Immerhin habt ihr noch einander, und vielleicht kehrt ihr sogar zurück aus diesem verfluchten Land, durch diesen schrecklichen Kampf in ewiger Freundschaft verbunden." Sie lächelte, als hätten sie ihre eigenen Worte belustigt. „Dann müsst ihr mir natürlich alles berichten. Ich werde mich nicht von der Stelle rühren und auf euch warten, bis ihr zurückkehrt – oder der Schatten uns alle verschlingt." Beravor und Rovaldil schwiegen, und Istavor gähnte. „Ich bin immer noch müde und erschöpft von meiner Verletzung; und diese Neuigkeiten haben nicht gerade zu meiner guten Laune beigetragen. Aber ihr reitet erst übermorgen, daher können wir uns für heute trennen, wenn ihr versprecht, mich morgen noch einmal zu besuchen. Gute Nacht." Und damit legte sie ihren Kopf auf ihren Umhang, der ihr jetzt als Kissen diente. Beravor und Rovaldil wünschten ihr ebenfalls eine gute Nacht und versprachen ihr natürlich, sie am nächsten Tag zu besuchen und möglichst auch am Tage ihres Aufbruchs, dann verließen sie das Zelt und gingen hinaus in den lauen Frühlingsabend. Sie setzten sich wieder nebeneinander ans Feuer, das immer noch brannte, und beschlossen, früh schlafen zu gehen, damit sie den morgigen Tag, ihren letzten im Frieden von Minas Tirith, bestmöglich würden nutzen können.

Ihre Hoffnung, diesen letzten Tag zu genießen, erfüllte sich allerdings nur zum Teil. Sie wurden früh geweckt, und nach einem im Vergleich zum gestrigen eher kargen Frühstück versammelten sich die Waldläufer ein weiteres Mal um die Söhne Elronds, die ihnen mitteilten, wie ihr Marsch zum Schwarzen Tor gemäß dem Plane Aragorns ablaufen sollte. Besonders von Belang war nur, dass sie, da sie auf ihren Pferden reiten würden, bereits am Tag ihres Aufbruchs bis zur Wegscheide in Ithilien reiten würden, wo sie einen Tag rasten und auf die Fußtruppen warten würden. Vieles über ihren weiteren Weg schien Beravor wie eine Erzählung alter Schauergeschichten über einen Pfad, der immer düsterer wurde, bis er schließlich in einem Abgrund aus Dunkelheit endete, der schwärzer war als das Nichts, das war, bevor die Erde entstand. Gerade, als sie in diese düsteren Gedanken verfiel, beendete Elladan seinen Bericht ihres Weges und sagte: „Dort, am Schwarzen Tor, wird die letzte große Schlacht dieses Krieges geschlagen werden, zum Guten oder zum Schlechten. Aber viele von Euch sind zu einer solchen Schlacht nicht gerüstet, in der wir vom Feind von allen Seiten bedrängt sein werden; keiner von euch hat einen Panzer aus Stahl, und nur wenige haben einen Schild. Keines von beidem lässt sich auf die Schnelle noch ändern, denn der Umgang mit einem Schild muss erlernt werden, und eine Plattenrüstung würde Euch nun mehr behindern denn nützen. Doch sehe ich einige unter Euch, die nicht einmal einen ledernen Brustpanzer haben, und dem werden wir heute Abhilfe schaffen. Die Rüstkammern von Minas Tirith werden für Euch geöffnet werden, damit Ihr nicht ganz schutzlos in diese große Schlacht am Ende eines langen Krieges ziehen müsst."

So kam es, dass Beravor den ganzen Vormittag damit verbrachte, Brustpanzer anzuprobieren. Rovaldil war bereits mit einem aus dem Norden gekommen, und er fragte lediglich nach einem neuen Bogen, da sein alter zerbrochen war, und passenden Pfeilen, aber Beravor hatte solch eine Rüstung für einen Waldläufer immer für unnötig gehalten, auch wenn Halbarad ihr wieder und wieder nahegelegt hatte, einen zu tragen. Den Helm, den er einst für sie hatte anfertigen lassen, hatte sie vor ihrem Ritt mit der Grauen Schar nur selten gebraucht, und während dieser noch am Sattel von Gwaelim gut zu verstauen gewesen war, wäre das mit einem Lederpanzer nicht so gut gegangen. Aber nun wünschte sich Beravor, sie hätte auf Halbarad gehört, denn in den Waffenkammern von Minas Tirith fanden sich erwartungsgemäß keine Brustpanzer, die einer Frau passen würden, schon gar nicht einer von Beravors Größe. Zu Anfang wollten die Männer von Gondor, die die Panzer brachten, nicht glauben, dass Beravor wirklich einen benötigte. Sie waren einigermaßen ungläubig, als sie eine Frau vor sich sahen, groß wie die Männer aus adligem Hause bei ihnen in Gondor, gegürtet mit einem Schwert und mit den durchdringenden Augen der Dúnedain, die im Norden noch unvermindert waren und deren Linie nicht getrübt war durch die Heirat mit Menschen andere Abstammung. Dennoch waren sie zunächst sehr unwillig und waren nicht bereit, ihr eine Rüstung zu geben. Einer von ihnen, derjenige, der den Dúnedain dabei half, die Panzer anzulegen, während die anderen noch weitere aus der Stadt herbeischafften, blickte sie ärgerlich an und sagte: „So groß ist unsere Not nun wirklich nicht, dass sogar die Frauen mit in den Krieg ziehen müssten."
„Unsere Not ist so groß", sagte Beravor, nicht weniger ärgerlich als ihr Gegenüber, „und wenn ihr statt eines Kriegers lieber eine Amme für Euer Kind haben wollt, dann sucht sie Euch bei Eurem eigenen Volk, aber nicht bei den Dúnedain von Arnor." Ihre Worte und ihre blaugrauen Augen, die ihn zornig anblitzten, brachten den Mann zunächst zum Schweigen, aber schon bald hatte er sich, wie es schien, eine passende Erwiderung überlegt. Er machte gerade den Mund auf, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Magolthir, der alte Dúnadan, stand hinter ihm und sagte:
„Es genügt. Ihr braucht Euch nicht mit Beravor zu streiten, weil Ihr ohnehin verlieren würdet. Geht und kümmert Euch um die Männer, ich werde Beravor behilflich sein, wenn sie Hilfe braucht." Magolthir selbst war einer derjenigen Dúnedain, die den ganzen Weg über in ihrer ganzen Ausrüstung geritten waren, und er trug einen Brustpanzer aus leichtem Stahl und auf seinem Rücken einen runden Schild aus Holz. Der Mann machte sich geschwind von dannen und ging zu den anderen Dúnedain. Beravor dankte Magolthir kurz und versuchte dann mit seiner Hilfe die verschiedenen Brustpanzer, die man ihnen gebracht hatte, aber immer wieder wurde sie der verhalten wütenden Blicke des Mannes gewahr. Dies und die vielen Panzer, die ihr überhaupt nicht passten, schlugen auf Beravors ohnehin schon trübe und finstere Stimmung, und sie verbrachte viele Stunden mit dem Anprobieren, ohne einen passenden zu finden; und mit jedem, den sie verwarf, wurde sie ärgerlicher ob dieser sinnlosen Anordnung der Söhne Elronds. Schließlich aber wurde doch einer gefunden, der wenigstens leidlich bequem war und sie nicht in ihren Bewegungen behinderte; und es begab sich, dass es einer war, der das Zeichen Gondors trug, einen weißen Baum, der von sieben Sternen gekrönt war. Die Verzierungen blitzten im Licht der Mittagssonne, als wären sie aus wahrhaftigem Silber gewirkt, und schienen zu flackern von gelbem und rotem Licht. Beravor konnte nicht verleugnen, dass er sehr schön war und sie mit einem gewissen Stolz erfüllte, auch wenn sie sich in ihm nicht gerade wohlfühlte und er sie schmerzhaft an den Weg erinnerte, der sich vor ihr aufgetan hatte.

„Jetzt fehlt nur noch eine Krone über dem Weißen Baum, schließlich bist du eine Soldatin des Königs", sagte Rovaldil, als er sie ansah, wie sie kurz vor Mittag zu ihm zurückkehrte.
„Diese schönen Verzierungen sind nur ein schwacher Trost", sagte Beravor, ein wenig niedergeschlagen und erschöpft und immer noch wütend angesichts der nach ihrer Sicht vergeudeten Zeit, die sie lieber mit Rovaldil verbracht hätte. „Viel bedeutender ist, dass dieses Ding überall drückt und eng ist und ich mich ziemlich lächerlich darin fühle."
„Keineswegs lächerlich", sagte Rovaldil, „und mit der Zeit wird er bestimmt auch angenehmer zu tragen sein, wenn du dich einmal daran gewöhnt hast und ihn länger getragen hast."
„Ich werde ihn bestimmt nicht länger anhaben als unbedingt nötig", erwiderte Beravor, fast ein wenig bestürzt.
„Das solltest du aber", sagte Rovaldil. „Ich rate dir, ihn jetzt, wo die Schlacht noch einige Tage entfernt ist, zu tragen, um dich daran zu gewöhnen. Dann wird er dir während des Kampfes mehr nützen, als wenn du mehr mit ihm als mit deinen Gegnern zu kämpfen hast." Beravor seufzte.
„Dir zuliebe und auf deinen Rat vertrauend will ich es tun. Aber ich bezweifle, dass ich in diesem Ding auch nur ein Auge zubekomme, wenn ich schlafen sollte."
„So schlimm wird es nicht werden, glaube mir", sagte Rovaldil. „Und nun lass uns wie gestern ein wenig auf den Feldern wandern, solange wir noch Zeit haben. Da wirst du sicherlich auch auf andere Gedanken kommen."
„Den Gedanken zum Beispiel, dass ich diese Felder nie wiedersehen werde nach dem morgigen Tag", sagte Beravor, aber trotzdem folgte sie Rovaldil.

Tatsächlich vermochte die Wanderung weder die Stimmung Rovaldils noch die Beravors nennenswert zu heben, und sie kamen kaum auf andere Gedanken als auf die der bevorstehenden letzten Schlacht, wo ihr Tod auf sie wartete; zu viele Zeichen der vergangenen Kämpfe waren noch überall auf den Feldern zu sehen. Beravor wünschte sich, sie könnte jetzt schon mit Rovaldil und Istavor nach Norden zurückkehren und dort ein sorgenfreies Leben führen, doch sie wusste, dass es dazu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals kommen würde. Zuerst würden sie und Rovaldil sterben, i der Schlacht an der Grenze Mordors, und dann würde der Schatten von dort herauskriechen und all die anderen Länder Mittelerdes schnell und unbarmherzig verschlingen, auch Istavor auf ihrem Feldbett im Zelt vor den Toren von Minas Tirith. Und auch Rovaldil, dessen Gemüt meist zuversichtlicher war als Beravors, konnte an kaum etwas anderes denken als daran. Er versuchte, die Stunden, die er noch im Frieden mit Beravor verbringen durfte, zu genießen, doch es fiel ihm schwer. Nicht um sich selbst machte er sich Sorgen; sondern immer, wenn er Beravor ansah, wünschte er sich, dass so eine schöne Frau nicht in ihren Tod im Schwarzen Land ziehen müsse, und doch war er zugleich froh, dass sie ihn begleiten würde. Doch auch wenn sie bei ihrem Spaziergang über den Pelennor oft das gleiche dachten, redeten sie kaum miteinander, und wenn, dann versuchten sie, Reden über die Zukunft zu vermeiden. Beide aber waren in ihrem Herzen froh, dass der andere bei ihnen war.

Wie am vorigen Tag war es beinahe Abend, als sie zu ihrem Lager zurückkehrten, und noch ehe sie etwas aßen, gingen sie zu Istavor. Ihre Unterhaltung war noch kürzer als am vorangegangenen Abend, auch wenn Istavor ihnen noch einmal Mut zusprach; denn die Stunde des Aufbruchs ins Ungewisse, der wahrscheinlich nie eine Wiederkehr sehen würde, rückte unaufhaltsam näher. Sie verabschiedeten sich bald, und ihr Mut sank, der Mut Rovaldils, der Mut Beravors und der Mut Istavors. Diese fürchtete den Tod ihrer Freunde, jene, ihre Freundin nie wieder sehen zu dürfen. Beravor und Rovaldil nahmen ein karges Mahl zu sich, und Beravor schien es, als könne sie kaum mehr etwas schmecken, so sehr bedrückte sie die Furcht vor der Zukunft. Alles Essen schien wie Asche zu sein, die ihre Kehle ausdörrte. Kaum vermochte das Wasser, sie zu erfrischen oder ihren Durst zu stillen. Wie ein Vorgeschmack auf das Schwarze Land schien alles an diesem Abend zu sein, die Wolken verbargen den Mond und die silbernen Sterne, sodass auch die Wahrzeichen auf Beravors Rüstung fahl und matt waren und allen Glanz verloren hatten. Wie sie erwartet hatte, konnte Beravor in dieser Nacht kaum schlafen, aber ob es am steifen Leder lag oder der Angst vor dem nächsten Morgen und den wenigen Morgen, die noch auf diesen folgen würden, wusste sie nicht. Als sie doch einmal eingeschlafen war, hatte sie einen düsteren Traum voller böser Vorbedeutung. Sie ritt mit Halbarad über ein weites Feld. Sie kannte es nicht, aber sie wusste, dass es in Eriador liegen musste. Sie lachte und der Wind pfiff durch ihre hellen Haare, und vor ihr ritt Halbarad, und seine dunklen Haare leuchteten auf zauberhafte Weise im Licht der Abendsonne. Doch plötzlich wurde es dunkel, und am Himmel zuckten rote Blitze wie eine Feuersbrunst. Es krachte und donnerte, und wie aus dem Nichts tat sich vor Halbarad die Erde auf: Ein klaffender Spalt, unten rot glühend von flüssigem Feuer, Flammen züngelten daraus hoch. Halbarad konnte sein Pferd nicht rechtzeitig zum Stehen bringen. Er stürzte in den Abgrund und wurde verschlungen. Beravor schrie auf vor Schmerz und Entsetzen, aber noch während sie schrie, warf ihr Pferd sie ab, und sie rutschte an den Rand des Spaltes und darüber hinaus. Nur noch mit einer Hand konnte sie sich an einem Zweig, der etwas unter der Kante aus der gefolterten Erde hervorragte, festhalten, und ihr Körper hing über dem flammenden Abgrund. Ihr Schrei nach Hilfe erstarb im Wüten des Feuers. Plötzlich erschien über ihr Rovaldil, und er hielt ihr seine Hand hin; doch sie war zu weit entfernt und konnte sie nicht erreichen. Da zog Rovaldil in seiner Verzweiflung sein Schwert und streckte es nach ihr aus, er selbst hielt es mit der nackten Hand an der Schneide fest. Mit letzter Kraft zog er Beravor nach oben und fort von den roten Flammen; und einige Tropfen dunklen Blutes fielen hinein und verdampften zischend irgendwo im wogenden Meer aus Hitze. Der Spalt schloss sich.
„Du hast mich gerettet", sagte Beravor. Rovaldil antwortete nicht. Er stand still da wie ein Schatten, von Beravor abgewandt. Doch plötzlich drehte er sich um, und die Sonne hinter ihm versank und färbte den Westen blutrot, und er selbst war wie ein schwarzer Schatten vor einer brennenden Welt. Beravor sah Rovaldil ins Gesicht, und sie sah, dass es sich verändert hatte und nicht mehr Rovaldils war: Eine schwarze Fratze blickte sie an, ihre Augen aber waren lidlos und von Flammen umrandet.
„Ich habe dich nicht gerettet", sagte eine Stimme, auch wenn Beravor keinen Mund sah, der sich bewegte. Sie war schneidend und kalt und schmerzhaft wie ein Messer aus Eis. „Hier sollst du nicht sterben. Dein Tod soll schmerzhafter sein als das hier. Ich bringe dich nach Mordor, und dort sollst du unter Folter und unendlichen Schmerzen dein Ende finden!" Er blickte sie an, hinter ihm war die rote Sonne, und es schien, als werde alles von ihr in Brand gesetzt und zu Asche verwandelt. Beravor konnte sich nicht rühren; sein Blick schien sie zu fesseln. „Nach Mordor!" rief die Stimme. „Nach Mordor und in den Tod!" Mit einem Schrei erwachte Beravor.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber einige Waldläufer waren schon wach. Alles machte sich zum Aufbruch bereit; aber Rovaldil schlief noch. Sein Gesicht sah aus wie am Tag zuvor, friedlich und jung und schön. Beravor atmete durch und versuchte ihren Traum zu vergessen, bis ihr bewusstwurde, welcher Tag es war. Es war der Tag des Abschiednehmens. Der Tag des Aufbruchs ins Ungewisse. Sanft weckte sie Rovaldil, und sie aßen kurz und ohne Freude. Noch einmal, ein letztes Mal, machten sie sich auf den kurzen Weg zu Istavor. Sie traten in das Zelt ein und sahen, dass viele, die hier gelegen hatten, bereits entlassen worden waren und nun vielleicht sogar unter denen waren, die mit ihnen reiten oder hinter ihnen marschieren würden. Istavor saß auf ihrem Bett, und sie schien beinahe wieder gesund zu sein; aber als sie ihre Freunde eintreten sah, erhob sie sich, und Beravor erkannte, dass sie ihr linkes Knie nicht bewegen konnte. Für eine kleine Weile standen sie stumm beieinander. Schließlich sagte Istavor: „Ich wünsche euch Glück, und noch mehr wünschte ich, euch folgen zu können. Dann sah sie Beravor an und sagte: „Möge dir das Zeichen des Weißen Baumes Schutz bringen." Dann umarmte sie ihre Freundin, und Beravor hörte, dass sie leise weinte. „Kommt zurück", sagte sie, als sie auch Rovaldil umarmte, der etwas überrumpelt wirkte. Beravor nickte, aber sie brachte keinen Ton heraus. Istavor setzte sich zurück auf ihr Bett, das Stehen schien sie angestrengt zu haben. Ohne ein weiteres Wort verließen Beravor und Rovaldil das Zelt, aber Istavor legte sich hin und weinte. Nachdem sie das Zelt verlassen hatten, gingen die beiden Dúnedain zu ihren Pferden. Viele andere Waldläufer waren nun ebenfalls erwacht, aber keiner redete oder sang. Alle blickten sie düster in den Sonnenaufgang, sattelten ihre Pferde und saßen auf. Elladan und Elrohir saßen nicht weit von ihnen entfernt auf ihren edlen Rössern und blickten in die Ferne, doch auf ihren Gesichtern lag noch Hoffnung und Mut, und sie waren immer noch schön anzusehen und eine Freude für die Augen. Doch Beravor sah sie nicht lange an. Sie richtete ihre Augen auf das Heer, das sich vor den Toren der Weißen Stadt versammelt hatte, und sie sah den Weißen Baum aus Gondor und das Pferd Rohans und den Schwan von Dol Amroth und einige Banner der Außenlehen, die sie nicht zuordnen konnte. Aber an der Spitze des Zuges saß Aragorn auf Roheryn; der Stern der Dúnedain war wieder auf seiner Stirn. Nun ritten die anderen Waldläufer herbei und scharten sich um die Elbenprinzen, und wie zum Geleit für den König suchten diese ihren Platz gleich hinter Aragorn, und dann war das Heer abmarschbereit. Beravor sah Rovaldil ins Gesicht, und er blickte sie an und versuchte zu lächeln. „Nun reiten wir zum Ende der Welt", sagte Beravor, und Rovaldil nickte. Da ertönten laut die Hörner von Gondor. Der Heereszug setzte sich in Bewegung. Beravor blickte zurück auf die weißen Dächer von Minas Tirith. Die Sonne war aufgegangen, und die Häuser brannten von ihrem Feuer.

***

Magolthir: Aus magol (Schwert) und -thir (Wächter)

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So langsam nähert sich die Geschichte ihrem Ende, und wir freuen uns, dass noch so viele dabei sind. Ein herzlicher Dank geht an alle unsere Leser, die hier kommentieren und für diese Geschichte abstimmen.

Auf ein baldiges Wiederlesen!
Annaeru & Taudir

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