11. Kapitel - Die Ankunft am Nîn-in-Eilph


Viel Spaß mit dem neuen Kapitel!

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11. Kapitel – Die Ankunft am Nîn-in-Eilph

Der Wind, der über die Ebene blies, durchdrang die grauen Elbenmäntel, die die Schar beinahe unsichtbar werden ließ. Die Luft war kalt und es schien, als wolle das Wetter ein Vorankommen der Grauen Schar verhindern.

Auf der Ebene fühlte Beravor sich ausgeliefert, ungeschützt den Blicken des Feindes ausgesetzt. Sie konnte beinahe fühlen, wie das Auge des Dunklen Herrschers die Nebelberge durchdrang und all ihre Tätigkeiten wahrnahm. Vielleicht lachte er gerade, vielleicht lachte er über die sinnlose und grundlose Hoffnung der Waldläufer. Vielleicht lachte er über die grundlose Hoffnung der Menschen, vielleicht lachte er über die grundlose Hoffnung der Freien Völker Mittelerdes.

Es war tatsächlich eine grundlose Hoffnung. Beravor wurde dies einmal mehr schmerzlich bewusst. Die Waldläufer würden einen Krieg führen, den sie nicht gewinnen würden können. Es war unmöglich. Die Streitkräfte des Dunklen Herrschers waren zu zahlreich. Die Neun waren unbezwingbar. Der Feind versammelte dunkle Menschen, Orks, Uruk-Hai, Trolle und andere Kreaturen um sich. Ganze Heerscharen führte er an, ganze Heerscharen würden seinem Ruf folgen. Die Menschen hatten nicht genug Kraft, um gegen diese Massen anzutreten, geschweige denn, einen Sieg zu erringen.

In ihren Gedanken konnte Beravor den Chetwald brennen sehen, sie konnte sehen, wie Bree von Orkhorden vernichtet wurde. Sie glaubte, die Schreie von Männern, Frauen und Kindern zu hören. Sie spürte die Hitze der Feuer. Das Krachen niederfallender Bäume. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Flammen sich verdichten, sie umrandeten ein lidloses Auge. In ihrem Kopf hörte sie Seine Stimme. Gib auf, Waldläuferin. Du kannst dem Tod nicht entrinnen. Stirb nun, oder stirb später unter unendlichen Qualen!

Beravor versuchte mit den Händen schlagend das Auge zu vertreiben, doch es nahm all ihre Sinne gefangen und zwang sie, es direkt anzublicken. Die Pupille schien eine unendliche Schwärze zu sein, wie eine Vorahnung des Nichts nach dem Tod. Sie wusste, sie würde sterben. Alles, was sie kannte würde zugrunde gehen. Er ließ sie Bilder sehen, wie Halbarad mit zerfetztem Gesicht am Boden lag, wie ein Ork mit seiner Klinge Istavor tötete. Sie sah sich selbst, wie sie verzweifelt ihre Namen rief. Dann spürte sie den eigenen, unendlichen Schmerz. Es würde das Ende sein. Ein Schrei entfuhr ihren Lippen.

Das Auge verschwand, der Wind wurde schwächer und das leise Plätschern des Mitheithel beruhigte Beravors Gedanken. Als sie die Augen öffnete, wurde ihr bewusst, dass sie nur geträumt hatte. Sowohl Istavor als auch Halbarad waren – natürlich – wohlauf. Erstere hatte sich besorgt über Beravors Schlafplatz gebeugt und fragte nun: „Was ist geschehen? Du riefst im Traum Halbarads und meinen Namen und bewegtest dich eigenartig."

Beravor setzte sich auf. In Gedanken war sie immer noch bei den Worten des Dunklen Herrschers. Stirb nun, oder stirb später. Wollte Er, dass sie die Hoffnung verlor? Gab Er ihr diese Bilder ein, damit sie aufgab? Was, wenn er sie nur glauben lassen wollte, dass ein Sieg ausgeschlossen sei? Vielleicht hatte er Angst, dass die Graue Schar seine Pläne vereiteln könnte. Dass sie das Geschick des Krieges wenden könnte, dass sie den Menschen zum Sieg verhelfen könnte. Beravor entschied sich dafür, dass es so sein musste. Sauron hatte Angst vor ihr und ihren Gefährten.

„Ich habe nur geträumt. Sauron, der Treulose und Verfluchte, ließ mich sehen, was er wollte, dass ich glaube. Er wollte, dass ich die Hoffnung verliere. Doch ich werde sie nicht verlieren, Istavor. Unser Feind fürchtet die Graue Schar und das, was sie zu bewirken vermag. Wenn auch du seine Stimme hörst und seine Bilder siehst, dann glaube auch du sie nicht. Denn er will uns mit seiner einzigen Waffe, der Furcht, besiegen. Doch er wird uns nicht besiegen können. Er weiß, dass wir ihn besiegen und vernichten werden. Er wird wissen, dass Aragorn uns gerufen hat, und wenn wir uns mit ihm vereinen, dann, das weiß er, wird er besiegt werden."

So sprach Beravor zwar, aber in ihren Gedanken zweifelte sie an ihren Worten. Sie wollte Istavor Mut geben, doch ihr Verstand verlachte sie für ihre Torheit. Sauron, so sagte er, hatte natürlich Recht. Er musste ihr nicht zeigen, was nicht geschehen würde. Ihre eigenen Ängste zeigten ihm, was sie fürchtete. Ihr Verstand wusste, dass Sauron recht hatte. Doch ihr Herz wollte es nicht wahrhaben.

„Komm", sagte Istavor, „die Elbenzwillinge sagten, dass wir bald aufbrechen müssen. Denke nicht zu viel an deinen Traum, sondern richte deinen Blick auf das, was tatsächlich ist. Und die Hoffnung, die wir haben, ist nicht trügerisch noch falsch. Na i-Estel uiben, Beravor. Ha ú-na marad. Anglennatham Aragorn ir na dîr i-lû. Avo 'osto, Beravor. Avo 'osto i-goth, ae nod in-ind gîn. Sevo 'orn. (1) Beravor lächelte und erhob sich. „Annag nin gaur, Istavor." (2) Istavor antwortete ebenfalls mit einem leichten Anflug eines Lächelns. Dann begannen die Waldläuferinnen, sich für den weiteren Weg vorzubereiten.

Beravor rollte ihre Decke zusammen und belud damit und mit ihrer Provianttasche Gwaelim. Das treue Pferd hatte, im Gegensatz zu ihrer Reiterin, währen der gesamten Wanderung bisher weder Anzeichen von Müdigkeit noch von Verzweiflung gezeigt.

Während sie sich für den Aufbruch bereitmachte, hörte Beravor, wie Halbarad und die Elbenbrüder in besorgt klingendem Tonfall miteinander redeten. Obwohl sie wusste, dass dieses Gespräch wahrscheinlich nicht für ihre Ohren bestimmt war, musste sie dennoch wie von einem unsichtbaren Willen getrieben näher herangehen und lauschen. Sie versuchte so leise wie möglich zu sein, um nicht die Aufmerksamkeit der sich Unterhaltenden zu erregen. Beravor musste sehr nahe herangehen, um etwas zu hören, war aber immer darauf bedacht, nicht aufzufallen. Als sie nahe genug war, um etwas mitzubekommen, sprach Elladan (oder Elrohir?):

„Hláraryes Beravor vórimave! Á quenta Quenya! Cé ualve, íta lenduvaryes." (3) Dann fuhren sie fort, statt auf Westron auf dieser einen Elbensprache miteinander zu reden, die Beravor nicht verstand. Ob Elladan (oder Elrohir) sie gehört hatte? Enttäuscht wandte sie sich ab und ging zurück zu ihrem Pferd. Istavor stand mit ihrem neben Gwaelim und war bereits für den Aufbruch gerüstet. Schnell stellte Beravor fertig, was sie noch nicht getan hatte, dann riefen die Hörner der Waldläufer auch schon zum Aufbruch.

Beravor und Istavor ritten schweigend nebeneinander. Auch über allen anderen Waldläufern hing ein drückendes Schweigen. Nur Elladan, Elrohir und Halbarad unterhielten sich hin und wieder leise miteinander.

Es entging Beravor nicht, dass Halbarad von Zeit zu Zeit einen besorgten Blick nach hinten warf, manchmal gar ans Ende des Zuges ritt und erst nach einiger Zeit wieder nach vorne aufschloss. Sein Pferd war immer noch beladen mit jenem in schwarzes eingewickelten, langen Bündel, über dessen Inhalt Beravor nichts wusste und den sie ebenso wenig zu vermuten vermochte.

Die Graue Schar entfernte sich nun immer weiter vom Mitheithel, um den kürzeren Weg zum Nîn-in-Eilph zu reiten und so einige Zeit und Kraft der Pferde zu sparen. Bald war das Rauschen des Flusses, das Beravor nun schon seit Tagen stets vernommen hatte und das für sie zu einer Art beruhigender Stimme geworden war, der sie nur folgen musste, um zurück nach Bruchtal zu gelangen, zurück in dieses heimelige Haus, zurück zu einem schier ewigen Frieden, zu einem prasselnden Feuer und weichen Betten, dieses Rauschen war nun beinahe verklungen, und das silberne Glitzern der kleinen Wellen ließ sich im Nebel, der gerade herrschte, nicht mehr erahnen.

Da der Fluss nun so weit entfernt von ihrer rechten Flanke lag, fürchtete Beravor, nun ein noch einfacheres Ziel für Angriffe jeglicher Art zu sein, denn der Fluss hatte ihnen zumindest ein wenig Sicherheit gegeben. Auch bei den anderen Waldläufern spürte sie diese Unruhe, und alle trugen ihr Schwert stets griffbereit. Bald wurde der Wind stärker, und die grauen Elbenumhänge, die die Waldläufer in Bruchtal erhalten hatten, blähten sich auf und flatterten. Beravors Kleidung und der Umhang konnten den Wind bald nicht mehr abhalten, und obwohl es eigentlich hätte wärmer werden müssen, denn schließlich neigte sich der Winter seinem Ende entgegen, fror Beravor, wie sie seit dem gescheiterten Versuch, den Hohen Pass zu überqueren, nicht mehr gefroren hatte.

Kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Punkt überquert hatte, konnten die jüngeren Waldläufer und die Elben mit ihren scharfen Augen bereits die Schwanenflut, den Nîn-in-Eilph, erspähen. Dennoch rechneten die Elben damit, dass sie erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit dort eintreffen würden und deshalb die Sümpfe, die sie durchqueren mussten, so schnell wie möglich durchwandern würden müssen.

„Hoffentlich kommen wir rechtzeitig und geschwind durch die Sümpfe", sagte Istavor neben Beravor reitend und brach damit das gefühlt den ganzen Tag schon andauernde Schweigen der Grauen Schar, „denn sonst, fürchte ich, werden wir schwer mit den Tücken des Sumpfes zu kämpfen haben."

Beravor nickte nachdenklich. Sümpfe waren stets ein nicht zu unterschätzender Gegner. Ein falscher Schritt könnte auch ihres oder Istavors Schicksal zum Bösen wenden. Doch noch mehr fürchtete sie selbst, dass sie im Moor allzu leicht überrascht werden könnten, denn dort waren Pferd und Reiter langsam. Würden sie die Schwanenflut nicht vor dem Dunkel überqueren können, so fürchtete sie, würde ihnen eine gefährliche Nacht bevorstehen.

Auf einmal gab Halbarad das Zeichen zum Halten. Langsam hielt der Zug der Grauen Schar an. Die Elbenzwillinge wendeten ihre Pferde und sprachen zu den Waldläufern:

„Wir sind kurz davor, den Nîn-in-Eilph zu erreichen. Doch mittlerweile hat Halbarad die Gewissheit, denn er ist stets während unserer Reise, seit wir aufbrachen, nach hinten geritten, dass uns Orks verfolgen, ob aus Isengart oder gar aus Mordor selbst, wissen wir nicht. Seid auf der Hut! Wir hoffen, sie bei der Durchquerung der Sümpfe an der Verfolgung zu hindern oder zumindest ihren Schritt zu verlangsamen, doch wir müssen uns eilen. Wir sollten rasch die Sümpfe erreichen, ehe die Orks auf ihren Wargen uns einholen können. Haltet euch auf alle Fälle bereit zum Kämpfen. Rasch! Treibt eure Pferde an, Dúnedain!"

Sobald Elrohirs (oder Elladans?) Worte verklungen waren, setzte sich die Schar in Bewegung, dieses Mal deutlich schneller. Alle wollten so schnell es ging die Bedrohung durch die Orks hinter sich lassen. Beravor fühlte sich nun in ihrem Verdacht bestätigt. Der Feind war auf sie aufmerksam geworden. Sie trieb Gwaelim zur Eile an. Ihr treues Pferd ging in einen leichten Galopp über. Beravor glaubte, hinter sich das leise Geräusch von Wolfspfoten zu hören, doch sie wusste, dies war nur eine Täuschung. Istavor neben ihr konnte kaum mit Gwaelims Geschwindigkeit mithalten, Galruin, ihr Pferd, schien solch ausdauernde Wanderungen nicht so gut zu ertragen. Als Beravor sah, dass ihre Freundin zurückfiel, ließ sie Gwaelim langsamer laufen, damit Galruin Schritt halten konnte.

Bald waren die beiden Waldläuferinnen im hinteren Teil des Zuges angelangt. Nun konnten sie hinter sich die Ebene in all ihrer Offensichtlichkeit sehen. Keine Reiter verdeckten mehr, was Tatsache war: Die Waldläufer waren ihren Feinden bloßgestellt.

Die Sonne senkte sich bereits herab, als Beravor schließlich, ihr Pferd für seine Ausdauer lobend, den Nîn-in-Eilph vor sich sah. Ein großes Moor, voll von dreckigem Wasser. Es stank nach Fäulnis und Tod. Karge Büsche waren das einzige, was dort wuchs. Es schien keine sicheren Pfade zu geben. Die Luft war erfüllt von dem Gestank des Sumpfes und vom Rauschen des Wassers hinter dem Moor an der Mündung der Schwanenflut in den Gwathló.

Beravor stieg von ihrem Pferd ab, wie alle anderen Mitglieder der Grauen Schar auch. Von nun an führten sie ihre Pferde über die sicheren Wege. Die beiden Elben gingen voran – aufgrund ihres leichten Tritts gerieten sie nicht so schnell in Gefahr, zu versinken, wie es bei den Waldläufern geschehen würde. Deshalb überließen die Zwillinge ihre Pferde der Obhut Halbarads und betraten den Sumpf.

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1: (Sindarin) Hoffnung ist ewig, Beravor. Sie ist nicht verloren. Wir werden rechtzeitig zu Aragorn kommen. Fürchte dich nicht, Beravor. Fürchte den Feind nicht, [auch] wenn er deine Gedanken fesselt. Habe Mut.

2: (Sindarin) Du gibst mir Mut, Istavor.

3: (Quenya) Beravor lauscht schon wieder! Sprecht Quenya! Sonst wird sie noch stärker zögern.

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