~XXXVII.~

Letztlich wanderten wir im grünen Buchenwald ein Stück zusammen. Wir hatten am Morgen einen fetten Feldhasen geschossen und bei einem Feuer genüsslich verspeist. Nun liefen wir in Richtung Parth Galen, immer am Anduin entlang, dem großen Strom Mittelerdes. Auf dem Weg hatten wir uns entschieden, etwas abseits des Stromes zu laufen, denn das Ufer war nach anscheinend kräftigen Regenfällen vollgesogen von Wasser. Doch wir hielten uns nur so weit entfernt, wie wir die Oberfläche des Flusses durch die Bäume blitzen sahen. Bis uns unser Hunger hinaus trieb, zu dem trockeneren Wald, in dem hoffentlich viel Beute unterwegs war.

Nach zwei Tagen war immer noch nichts passiert und ich dachte schon, dass Schicksal meinte es endlich mal gut mit mir und meinem merkwürdigem Weggefährten. Doch, und wie sollte es anders sein, ungefähr gegen Mittag des dritten Tages, als die Sonne zum Zenit schritt, bemerkte ich eine Veränderung. Ich wusste nicht, woran es lag, ob der Assassine deswegen aufrechter lief oder ich mich täuschte. Die Vögel in den Bäumen über uns flatterten hinauf in die Lüfte. Es blies eine sachte Brise zu uns, obwohl das im Wald äußerst untypisch war. Noch nie hatte ich eine derartig verunsicherte Atmosphäre miterlebt, als wäre das, was da auch immer kam oder war, nicht nur bei den sprachbegabten Wesen unbekannt war, sondern auch bei dem restlichen Leben. Und hier gab es alte Wesen, Bäume, die mehr als andere gehört und gesehen hatten. Die mehr wussten. Doch diesmal ging es um etwas anderes. „Still, ich höre etwas", raunte mir der Assassine zu und bedeutete mir, stehen zu bleiben. „Was?" Die gleiche Frage schien er sich gerade selbst beantworten zu wollen, als er abwesend in den Wald hinein lauschte. „Es klingt fast wie... wie Donner. Nur viel zu leise. Ähnlich eines Sprungs von Rehen, der sich von Südwesten her nähert." „Wieso sollten sich Rehe freiwillig in die Gesellschaft von ihren Feinden begeben?" Schon legte ich mein Ohr auf den Boden, um Auskunft geben zu können. „Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder, sie ziehen im Frühjahr immer in den Norden, weil sie den Winter im milderen Süden verbracht haben und nun Ruhe suchen, um ihre Kitze aufzuziehen oder..." „... sie werden verfolgt." Ich erhob mich eilig. „Sie sind in totaler Panik, laufen einfach blindlings durch das Unterholz. Es sind zu schwere Fußtritte für ein Rudel Wölfe und zu viele für einen allein umherstreifenden Bären. Es muss etwas noch größeres und tödlicheres sein. Auf einem Baum sind wir sicher, solange wir kein Aufsehen erregen." Geschwind kletterten wir auf eine uralte Eiche, und der Assassine tat es so geschickt, dass ich verwundert war. Er war eigentlich auch nur ein Mensch mit dem Namen Assassine. Wir suchten uns leise einen geeigneten Platz, hoch genug oben, um unentdeckt zu bleiben und nahe genug am Boden, um zu sehen, welch gefährliche Kreatur den Rehen solche Angst gemacht hatte. Nach einigen Augenblicken konnten wir auch das leise Schaben von groben Waffen auf Leinen hören. „Das sind gar keine Tiere", flüsterte ich. „Ja, nur so etwas in der Art. Ein weiteres teuflisches Spielzeug von dem ach so edlen und weisen Saruman..." Verächtlich spuckte er diesen Namen aus. Fragend schaute ich ihn an. Mit dem Kopf deutete er auf das Unterholz, das gerade noch so in unserem Gesichtsfeld lag. Es wackelte verdächtig deutlich und vorbei stürmten schwarze Kreaturen mit der weißen Hand Sarumans. Sie ähnelten Orks in ihrer Hässlichkeit, und doch mussten es andere, ungeheuerliche Wesen sein, denn sie rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Doch als die Rehe aus dem Weg sprangen, liefen sie einfach weiter. „Sie haben sie nicht verfolgt. Zumindest nicht absichtlich. Ihr Ziel befindet sich weiter östlich." Der Assassine runzelte die Stirn. „Parth Galen liegt in dieser Richtung." Entgeistert starrte ich ihn für eine Weile stumm an. „Dort landen vermutlich die Gefährten an, Teil einer wichtigen Mission." „Wann kommen sie dort an?" „Wenn sie wie geplant morgen losfahren mit dem Boot, sind sie in zwei Tagen mittags da. Los, beeilen wir uns, um vor Sarumans Ungeheuern anzukommen!" Flugs sprangen wir hinunter und folgten der Sonne Richtung Süden.

Zwei Tage später um dieselbe Zeit hatten wir schon fast die gesamte Strecke hinter uns gebracht. Unterwegs hatten wir die Uruk-hais, wie wir inzwischen herausgefunden hatten, überholt und befanden uns nun ganz in der Nähe des vermutlichen Anlandeplatzes. Vorsichtig spähte ich durch einige Büsche am Ufer. Da ich nichts Gefährliches erkennen konnte, schob ich sie auseinander und trat wachsam umherblickend auf den knirschenden Kies. Auch der Assassine kroch nun aus dem Geäst und sah sich um. Ich bemerkte nichts Ungewöhnliches, nur ein anscheinend schon Jahrzehnte altes Boot trieb verlassen, an einem Holzpflock angebunden in einer Kiesbucht etwas abseits herum. Alles war ruhig, nur der Wind säuselte in den Blättern hoch über uns.

Nachdem wir zehn Minuten erfolglos gewartet hatten, beschäftigten wir uns anderweitig, damit uns die Zeit nicht lang wurde. Mit festem Schritt ging ich auf den Assassinen zu, aber auch nur, um meine innere Unsicherheit zu überspielen. „Jetzt, da wir gemeinsam des Weges ziehen, wäre ich erfreut, Euren Namen zu wissen." Der Mann, der ungefähr einen halben Kopf größer als ich war, wie ich erst jetzt merkte, stierte nachdenklich in das dichte Grün auf der anderen Seite des Anduin. „Aber sicher. Ich bin Shay Lenwé Colmac, Sohn eines einfachen Kaufmanns. Er belieferte Assassinen. Früher habe ich ihn gerne begleitet. Meine Mutter pflegte zu sagen, aus mir würde einmal ein ehrenwerter Mann." Shay lachte bitter. „Und stattdessen bin ich nun Assassine." „Man kann auch beides sein, wie Eure Entscheidung mir sagt", murmelte ich abwesend. Dann wandte ich mich ab und ging Richtung einer kleinen Waldwiese. Ich merkte, wie Shay mir nachblickte.

Nach diesem Gespräch begnügte ich mich mit dem Sammeln einiger Heilkräuter. Zum Trocknen legte ich sie etwas auf einen sonnenbeschienenen Felsen in der Bucht. Zwischendurch naschte ich immer mal wieder junge, frische Blätter vom Sauerampfer, wenn ich auf der Waldwiese vereinzelt Pflanzen entdeckte. Shay schaute sich nach Gefahren um und ließ sich in der Nähe der Wasserfläche nieder. Verunsichert realisierte ich, dass er mich hin und wieder beobachtete. Und er war immerhin Assassine. Vielleicht hatte er mir nur etwas vorgemacht und plante in aller Ruhe meinen Tod. Aber es blieb still.

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