~XXXII.~

Ich rührte mich so lange nicht, bis ich mir ganz sicher war, dass keiner mehr da war. Dann fing ich an, meine Wunden zu untersuchen, außer der an meiner Wange natürlich.

Die sogenannte Wunde an meiner rechten Schulter war keine, nur ein Kratzer, der innerhalb von ein paar Tagen auch ohne Kräuterverband heilen würde. Bei der Wunde an meiner linken Schulter sah es schon anders aus. Das Wurfmesser hatte meine Kleidung durchtrennt und einen langen, blutenden Schnitt hinterlassen. Eilig schälte ich mich aus meinen Klamotten und erst da bemerkte ich das Ausmaß der Wunde. Sie war tief, keilförmig und flachte zu beiden Enden hin ab. Man erkannte also, wie die Klinge durch die Luft gesaust war und mühelos Leder und Fleisch durchtrennt hatte. Das Blut am Rand war zu einer Kruste getrocknet und durch das Entkleiden hatte ich sie erneut aufgerissen. Nun hatte sie wieder zu bluten begonnen. Ich erhob mich, quälte mich aus der Kuhle und eilte zum Wald. Dort suchte ich eine Weile einen Bachlauf, an dem ich meine Wunden auswaschen konnte. Als ich ihn schließlich gefunden hatte, ließ ich das kühle Nass über meine Verletzungen perlen. Das eisige Wasser fühlte sich angenehm an auf meiner heißen, gereizten Haut.

Als es dämmerte, stand ich auf und suchte mir am Berghang einen geschützten Platz für die Nacht. Dabei bemerkte ich, dass ich schon fast am Tor von Moria angelangt war. Es wäre ein anstrengender Weg, wenn ich wieder in die Bree zurückkehren würde, vor allem zu Fuß und mit diesen Verletzungen. Letztendlich fand ich eine Höhle und ließ mich erschöpft nieder. Eigentlich wusste ich überhaupt nicht, was ich machen sollte. Das Klügste wäre natürlich nach Bruchtal zu gehen und mich von Elrond richtig heilen zu lassen. Doch das ging ja nicht, weil ich verbannt war. Und nebenbei erwähnt wollte ich das auch gar nicht.

Da ich weder wusste, wo Aragorn noch Nocturîan waren, konnte ich genauso gut umherziehen und darauf warten, dass sich meine Wunden entzündeten. Wenn das passieren würde, wäre es nur eine Frage der Zeit, wann der Tod eintreten würde, sei es ein Wolf, der meinen vom Fieber geschwächten Körper zerfleischte oder ich keine Kraft mehr hätte, eine Wasserquelle zu suchen, ganz egal. Wenn ich es so sah, könnte ich auch gleich von einer Klippe springen. Nun war ich aber erstmal so müde, dass ich so schnell nirgends runterspringen würde. Müde schloss ich meine Lider und augenblicklich legte sich die Schwärze wie eine Decke über mich.

Am nächsten Morgen erwachte ich durch zwei verschiedene Dinge. Einmal durch die Felswand am Eingang, die dadurch, dass sie die Sonnenstrahlen reflektierte, hell erleuchtet war. Und durch den pochenden Schmerz in meiner linken Schulter. Meine rechte Hand war eingeschlafen; ich hatte sie unter meinen Kopf gelegt. Diese Nacht hatte ich auf der rechten Seite geschlafen, um meine linke Schulter zu entlasten. Mühsam stand ich auf, nahm meine Sachen und trat hinaus. Die Helligkeit nahm mir für einen Moment die Sicht, doch schnell hatte ich mich daran gewöhnt. Ich lief in die Richtung, aus der ich am Vortag gekommen war. Trotz allem war mein Ziel die Bree, auch wenn ich in meinem Zustand wahrscheinlich Wochen brauchte. In wenig guter Erwartung wanderte ich los. Doch noch bevor ich den Wald erreichte, bemerkte ich eine Schar von Personen, die sich aus Richtung Pass des Caradhras näherten. Geschwind suchte ich Deckung hinter einer dicken Buche. Als die Gruppe nahe war, erkannte ich die Gestalt des Ersten. Es war Aragorn. Hinter ihm liefen ein Zauberer, Gandalf der Graue, wenn ich mich nicht täuschte, ein weiterer Mensch, ein Elb und ein Zwerg. Dann stutzte ich. Mittendrin entdeckte ich noch einige Hobbits. Wieso um alles in der Welt nahmen sie Hobbits mit auf eine Reise? Ich hoffte, sie würden einfach an mir vorbeilaufen, doch natürlich bemerkte Aragorn meine Anwesenheit im Schatten. Er kam schnurstracks auf mich zu. „Sieh an, Nienná, dich hatte ich hier ja zuletzt erwartet." Finster schaute ich ihn an. „Ich freue mich auch, Streicher." Letzteres betonte ich nachdrücklich. „Verzeih meine Nachlässigkeit, Emewýn." Er neigte leicht den Kopf. Inzwischen waren die anderen in Hörweite. „Wer ist das?", rief der rothaarige Mensch mit dem Wappen Gondors an dem Arm und kam misstrauisch zu uns. „Nur eine alte Freundin", meinte Aragorn. „Wie wahr", murmelte ich, ließ jedoch die merkwürdigen Gefährten nicht aus dem Auge. „Ich glaube, du musst mir Einiges erklären", erwiderte ich skeptisch. „Ja, aber das hat Zeit. Im Moment bin ich nämlich Teil einer wichtigen Mission und die hat Vorrang." Eindringlich blickte er mir in die Augen. „Das trifft sich gut", stellte ich fest und starrte zurück. „Ich habe auch keine Zeit. Aber ich kann auch auf dich warten. Da es ja nur drei Assassinen auf mich abgesehen haben. Mit denen komme ich schon zurecht. Wenn du mich fragst, es hätte wesentlich schlimmer kommen können." „Das sind durchaus gute Nachrichten. Sozusagen als Abwechslung. Ich meine, durch deine ausgesprochene Zuvorkommenheit hatte es ja noch niemand auf dich abgesehen. Aber ich wäre doch gespannt zu hören, wie es hätte schlimmer sein können." „Zum Beispiel könnte Nocturîan ja gekommen sein und alles wäre wieder normal." Letzteres spuckte ich mit einem verbitterten Unterton aus. Sein Blick musterte mich von oben bis unten und blieb an meiner Schulterwunde hängen. Also besser gesagt an der Schnittstelle in meinem Umhang. Sie war blutgetränkt. „Wir müssen uns nun beeilen", bemerkte er nun lauter und verantwortungsbewusst. „Gut. Ich begleite euch ein Stück, wenn es recht ist. Ich weiß die Vorteile einer Gemeinschaft durchaus zu schätzen." „Achja." Zweifelnd sah er mich an, ehe er sich wieder der kleinen Gesellschaft zuwandte. „Das ist Emewýn. Sie wird uns ein Stück begleiten." Aragorn winkte mich zu sich. „Wenn es recht ist." Fragend schweifte sein Blick zu Gandalf, dem alten Zauberer. „Jaja, natürlich, nur... kannte ich dich nicht unter einem anderen Nam..." Kaum merklich schüttelte ich den Kopf und er stoppte sich schnell.

„Also, lasst uns losgehen." Aragorn ging voraus. Der blonde Elb betrachtete mich die ganze Zeit mit einem seltsamen Blick. Als ich an ihm vorbeikam, meinte ich kühl: „Kommt Ihr nicht mit, Legolas, Prinz vom Düsterwald?"


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