~XXVII.~
Keuchend legte ich die Strecke zum Gasthof im Sprint zurück, was jedoch gar nicht so einfach war, da die dünne Eisschicht auf den Pflastersteinen dafür sorgte, dass meine Füße keinen Halt fanden. Ich riss die Tür zum Gasthof auf und rannte an der Theke vorbei zur Treppe, die zum Zimmer führte. Mein Atem rasselte, als ich die Zimmertür aufdrückte und wieder schloss und gleich zu meinem Bett flitzte. Aragorn, wahrscheinlich war er gerade erst aufgewacht, beobachtete mich mit großen Augen. „Was ist passiert?", fragte er. Meine Brust hob und senkte sich noch immer schwer unter meinen Atemzügen, als ich ihm das Ganze erzählte. Besorgnis lag in seinem Blick, während er mir lauschte. „Dann wirst du jetzt keine Sekunde von meiner Seite weichen, verstanden?", meinte er mit einem Ton, der keine Widerrede zuließ, als ich geendet hatte. „Hab ich denn eine Wahl?", murmelte ich verärgert, erwartete jedoch keine Antwort. Aragorn verdrehte die Augen, als ärgere er sich über ein dickköpfiges Kind und zog sich geschwind etwas über, bevor er zur Tür ging, um zum Frühstück nach unten zu gehen. Als er meine Schritte nicht hörte, wandte er sich nochmal um. „Kommst du nicht?" Ich presste meine Beine an meine Brust. „Nein. Ich habe schon gegessen." Er zuckte mit den Schultern. „Konnte ich mir schon denken. Komm trotzdem mit, nachdem, was dir heute Morgen passiert ist." Aragorn strich sich die Haare aus der Stirn. „Du bist in Gefahr, wenn du allein bist. Und du kannst es dir nicht leisten, jetzt eingefangen zu werden. Du hast ja noch nicht mal ein Pferd", sagte er jetzt eindringlicher. Erzürnt sprang ich auf und wollte schon etwas erwidern, da legte er mir einen Finger auf die Lippen. „Du kannst gleich aufgeben. Widerrede zwecklos." Widerwillig ließ ich mich von ihm in den Flur ziehen. An der Treppe riss ich mich jedoch los. „Ich laufe schon nicht weg", fauchte ich ihn an und stieg hinter ihm die Treppe hinab. Im Gastraum waren zu meinem Entsetzen schon etliche Leute eingetroffen und frühstückten in aller Ruhe. Ich blickte jedem von ihm ins Gesicht, um nach einem Zeichen der Erschöpfung oder des Schmerzes zu suchen, doch ich fand nichts. Mein „Fast"-Entführer war nicht unter ihnen. Aragorn bestellte sich einen Bohnenkaffee, weil er heute einmal erhältlich war. Er war eine exotische Besonderheit. Dazu nahm er noch Spiegeleier mit Toast und etwas gebratenem Schinken. Das war das traditionelle Frühstück in dieser Gegend. Ich dagegen wollte nur noch ein Glas Wasser. Ich war nun ganz schön durstig, auch wenn ich in meinem Zimmer erst etwas getrunken hatte. Nach kurzer Zeit schon kamen unserer Getränke, doch Aragorns Magen musste warten. Anscheinend war jetzt durch die vielen Gäste in der Küche so viel Stress, dass neu Dazugekommene sich in Geduld üben mussten.
Eine kleine Ewigkeit verging und Aragorns Bestellung kam und gleich machte er sich heißhungrig über das Ei her. Etwas befremdlich beobachtete ich ihn dabei. Dann wandte ich mich schnell wieder ab. Stattdessen betrachtete ich die noch verbliebenen Gäste. Ich hörte, wie sich am Nebentisch jemand ein Würzfleisch bestellte. Verwirrt nahm ich dies zur Kenntnis. Dieser Jemand musste viel Geld haben. Nicht jeder konnte sich ein Würzfleisch leisten, denn wegen der komplizierten Zubereitung kostete es eine Menge Geld. Fast niemand hatte so viel Geld. Außer denen, die es sich illegal beschafften...
Unauffällig rutschte ich unter die Bank und zog mir meine Kapuze tief ins Gesicht. Ich wusste genau, wer da am Tisch neben mir saß. Der Assassine. Sie hatten genug Geld, da sie von ihren Auftragsgeber für das aus-dem-Weg-räumen von jemandem viel Geld bekamen, oder so hatte ich es jedenfalls gehört. Aragorn musterte mich mit einem seltsamen Blick. „Guck mal, am Nachbartisch", wisperte ich. Er blickte dorthin und erstarrte. „Dann lass uns so schnell wie möglich wieder aufs Zimmer gehen", raunte er mir zu und aß ruhig, aber angespannt, weiter.
Nach einiger Zeit war er fertig und diesmal warteten wir nicht, bis der Kellner das Geschirr abräumte. Geschwind stand ich auf und lief die Treppe hinauf. Aragorn folgte mir mit einigem Abstand. Oben aus unserem Zimmer kam gerade die Putzfrau, wie ich vermutete. Sie hatte eine weiße Haube auf und einen mittlerweile dreckigen Kittel an.
„Ich war noch nicht ganz fertig, aber..." Sie warf uns einen vielsagenden Blick zu. „Ich lasse euch mal allein." Mit einem verschmitzten Grinsen verschwand sie hinter der nächsten Biegung. Wutentbrannt wollte ich hinter ihr her, doch Aragorn hielt mich an meiner Taille fest und schüttelte den Kopf. Ich ballte eine Faust und hätte ihn fast geschlagen, doch dann besann ich mich, senkte meine Faust und entspannte sie. Aragorn schob mich in das Zimmer. Es war noch nicht einmal Mittag und ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Eigentlich war ich ja auf Aragorn angewiesen, denn mit ihm war ich einigermaßen in Sicherheit. So setzte ich mich auf mein Bett, zog die Knie an die Brust und wartete.
Der Winter hatte sich zum Frühling gewandelt. Die Vögel waren zurückgekehrt und füllten die langen Stunden vom Wachwerden zum Sonnenaufgang mit ihrem vielseitigen Gesang. So wurde es mir zumindest nicht zu sehr langweilig. Eigentlich hatte ich ja darauf bestanden, loszuziehen, weg von der Siedlung und wieder in die Einsamkeit, fern von jeglicher Gesellschaft. Doch Aragorn meinte, ich solle warten, bis der größte Teil des Schnees getaut war. Verdrossen blickte ich aus dem Fenster. Das dauerte wahrscheinlich noch eine Ewigkeit. Und ich vermisste Nocturîans stumme Gesellschaft während des Umherziehens. Zwar hatte ich ihn ein paar Mal wiedergesehen, doch diese Wiedersehen hielten sich in Grenzen, da Aragorn meinen Beschützer spielte und mich keine Sekunde aus dem Auge ließ. Es war inzwischen sicher einige Monate her seit meiner Beinahe-Entführung und einige Wochen, seit mir der Assassine das letzte Mal unter die Augen gekommen war. Es gab also keinen Grund mehr, Angst zu haben. Auch von dem Einen Ring hatte ich schon seit der unschönen Begegnung mit den Nazgûl nicht mehr gehört. Keine Bedrohung, die es zu fürchten galt. Ich wusste nicht, warum Aragorn solche Angst um mich hatte. Leise stand ich auf und ging in das kleine Bad, wenn man es so nennen konnte. In dem Eimer war sauberes Wasser und damit wusch ich mir etwas das Gesicht. Als ich fertig war, öffnete ich die Tür und trat wieder in das Zimmer. Aragorn wühlte mit dem Rücken zu mir in seinen Sachen und war in heller Aufregung. Ich lief hinter ihn.
„Ähm... kann ich dir helfen?" Er fuhr herum und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Ja, und zwar indem du in meiner Sichtweite bleibst."
Genervt verdrehte ich die Augen. „Es ist inzwischen schon einige Zeit vergangen. Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen. Ich bin schon lange alleine umhergezogen und nie ist mir etwas Schlimmes passiert."
„Du ziehst allein umher. Und das macht dich zu einer leichten Beute." Er blickte mir in die Augen.
„Du verstehst das nicht." Etwas hilflos knetete ich meine Finger. „Ich bin und habe nichts, wofür es sich zu stehlen oder gar töten lohnt."
„Vielleicht weißt du nur noch nichts davon." Aragorn schaute mich an mit einem Blick, den die Lehrer immer hatten, wenn sie ihre Schüler anguckten.
„Ich habe nichts Wertvolles. Das ist mein letztes Wort." Am Ende meiner Geduld wandte ich mich um und legte mich wieder auf mein Bett.
„Ich gehe jetzt essen. Kommst du?" Er drehte sich zu mir.
„Nein." Stur verschränkte ich die Arme vor der Brust und blieb liegen. Aragorn tauchte neben meinem Bett auf und ragte in die Höhe. „Ich kann dich auch runtertragen, wenn dir das lieber ist", meinte er unschuldig und musste sich ein Schmunzeln verkneifen. „Haha, echt lustig", fauchte ich verbittert. Unter einem leisen Lachen hob er mich ganz einfach hoch. Ein leiser, empörter Aufschrei entfuhr mir. „Du bist ja noch leichter, als ich dachte", bemerkte er. Erschrocken klammerte ich mich an seinem Hals fest. „Lass mich runter", presste ich hervor. „Dann komm ich auch mit."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top