~XXV.~

Nachdem wir noch ein ganzes Stück durch das Städtchen gelaufen waren, kamen wir schließlich zu einem großen Holztor. Aragorn klopfte vernehmlich. Ein mürrischer, alter Mann öffnete eine Luke. „Wer ist da und dazu noch zu so später Stunde?" „Wir sind auf der Suche nach einer Unterkunft." „Soso." Unter großem Geklapper öffnete sich das Tor. „Und was treibt euch in diese Gegend?" Dieses Mal war ich diejenige, die sprach. „Wie gesagt, wir suchen eine Unterkunft für den Winter. Mehr gibt es nicht zu erzählen." „Schon gut. Mir sind schon zwielichte Gestalten in diesem Eckchen der Welt begegnet." Aragorn neigte den Kopf kaum merklich und wir liefen zügig an einem Pferch vorbei, in dem einige Tiere standen. Weiter zwischen den Häusern ging es lebhaft zu, jedenfalls im Vergleich zu der Stadt außerhalb. Zwei Wagen fuhren durch die Gassen und mehrere Personen waren unterwegs. Suchend blickten wir uns um. Nach einigem Umherblicken sahen wir den Gasthof, der allerdings schon alt aussah. Das Schild mit der Aufschrift ‚Zum Tänzelnden Pony' hing nur noch windschief an dem rostigen Eisenstab und quietschte in jeder Windböe. Als Aragorn an die Tür drückte, war sie tatsächlich noch offen. Wir traten ein, erleichtert, die eisige Nacht hinter uns zu lassen. An der Theke stand ein dicklicher Mann mit lederner Schürze um, der gerade einen Bierkrug abtrocknete.

„Ah, guten Abend die Herrschaften. Wollt ihr ein Zimmer?"

Ich ließ Aragorn sprechen. „Ja danke, das wäre toll. Und vielleicht noch eine warme Suppe."

„Und wer seid ihr? Ihr wirkt ja geradezu ausgehungert." Der Wirt durchbohrte uns mit einem neugierigen Blick, insbesondere mich, da mein Gesicht immer noch unter meiner Kapuze verborgen lag.

„Spielt das eine Rolle?", fragte ich nun und trat vor. Der Mann hinter der Theke schien überrascht, weil meine Stimme unüberhörbar die einer Frau war.

„Ähh... nein, natürlich nicht. Entschuldigung der Nachfrage. Ich werde euch sofort mit der Dienstmagd auf ein Zimmer schicken", meinte er betroffen.

Ein junges Mädchen kam eine Holztreppe schräg hinter der Theke herunter, zwei Bierkrüge in den Händen.

„Na das hat ja gedauert", motzte der Mann und nahm die Bierkrüge entgegen. „Bringe die Gäste nun auf ein Zimmer." Der anordnende Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Das Mädchen bedeutete uns, ihr zu folgen und leitete uns in den hinteren Teil der Gaststube, wo wiederum eine Treppe nach oben führte. Dort hinauf ging sie. Die Treppe war aus Holz und knarzte fürchterlich unter unseren Schritten. Auch der obere Flur war mit Holzdielen ausgelegt. Hier sah alles ziemlich alt aus... wie lange nicht benutzt.

„Und, woher kommt ihr denn?", fing das Mädchen in einem Plauderton an.

„Ist das wichtig?", meinte Aragorn freundlich.

Das Mädchen zögerte. „Naja, viele unserer Gäste haben einiges zu erzählen. Wissen Sie, ich komme nicht viel herum und durch die Reisenden erfahre ich doch ab und zu etwas." Nervös biss sie sich auf die Lippe.

„Es gibt nichts zu erzählen", murmelte ich finster. Ein Grund meines etwas bösen Tons war Misstrauen, jede Frage stellte für mich eine Gefahr dar. Deshalb mied ich Ortschaften für gewöhnlich.

Das Mädchen wirkte etwas irritiert, fragte aber nicht weiter, was ich ihr auch geraten hätte, und führte uns in ein Zimmer mit zwei Betten. An der Wand waren einige Kerzenständer angebracht, deren Kerzen sie jetzt anzündete.

„Danke, das ist sehr freundlich." Aragorn lächelte die Magd an.

Sie strahlte zurück. „Aber Essen gibt es nur unten in der Gaststube", erklärte sie noch, dann zog sie die Tür hinter sich zu und ging. Ich hörte, wie ihre Schritte verstummten. Erst dann atmete ich auf.

Als Aragorn auf mich zutrat, blickte ich auf. „Ich weiß ja, dass du Gesellschaft nicht sonderlich magst, aber könntest du vielleicht etwas freundlicher sein? Das würde dir wirklich weiterhelfen. Und antworte nicht immer so misstrauisch, sonst merken die anderen noch etwas."

Ich nickte. „Okay." Nur ungern gab ich zu, dass er recht hatte. Schuldbewusst schlich ich zu meinem Bett, legte mich hinein und starrte die Holzbalken an.

Eine Zeit lang hörte ich das Plätschern von Wasser. Es gab hier zwar kein fließendes Wasser, übrigens gab es das bei den wenigsten, aber das Mädchen hatte uns wohl einen Eimer mit Quellwasser hingestellt. Aragorn machte sich sicher etwas frisch.

Nach kurzer Zeit kam er wieder hinaus und ging zur Tür. Dann zögerte er aber doch noch. „Willst du nichts essen?", fragte er an mich gewandt. Stumm schüttelte ich den Kopf. „Komm doch mit hinunter", versuchte er mich umzustimmen.

„Nein. Ich habe schlechte Erfahrung gemacht mit Gasthäusern", meinte ich.

Er wartete. Schien nachzudenken. „Komm trotzdem mit hinunter und überlass das Reden mir."

Kurz war ich noch skeptisch, dann nickte ich. „Also schön. Aber bleibe bitte bei mir."

„Natürlich." Aragorn öffnete die Tür und trat in den Flur. Ich folgte ihm und schloss sie. Meine Kapuze ließ ich dort, wo sie war, ebenso Aragorn. Je näher wir der Gaststube kamen, desto wärmer wurde es. Der Geruch nach Schweiß und Bier stellte meine Nackenhaare auf. Ich ging hinter Aragorn wie sein Schatten. Unten schlug uns warme, stickige Luft entgegen. Mein Magen drehte sich um. „Psst." Am Ärmel zupfend machte ich Aragorn aufmerksam. „Können wir uns etwas an den Rand setzen?" Er nickte und schlug die Richtung zu dem Tisch ein, auf den ich mit meinen Augen gedeutet hatte. Erleichtert ließ ich mich nieder. Aragorn tat es mir gleich. Der aufmerksame Kellner kam sofort zu uns und fragte uns nach unseren Wünschen. Aragorn bestellte eine Suppe, ich bestellte nichts. Der Kellner nickte und ging.

Aragorn schaute sich unauffällig um. Dann nickte er hinter mich. „Der Typ da. Der beobachtet dich", raunte er leise. Schnell wandte ich mich um. Es war ein dunkel gekleideter Mann. Auch er hatte seine Kapuze ins Gesicht gezogen. Er blickte mich aus funkelnden Augen an. Unter seinem Mantel blitzte der Griff eines Schwertes auf und auf seiner Kapuze waren Runen und Muster, angeordnet in Form einer Maske. Solche Leute kannte ich. Nicht persönlich, aber ich hatte schon von ihnen gehört. Assassine, Auftragskiller, Meuchelmörder. Seine Anwesenheit verhieß nichts Gutes, vor allem nicht sein offensichtliches Interesse an mir. Ich drehte mich wieder nach vorn zu Aragorn. „Lass mich bitte ja nicht allein. Weißt du, wer das ist?" Er schüttelte den Kopf und zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Das ist ein Assassine, ein Meuchelmörder. Und vermutlich, warum auch immer, hat er es auf mich abgesehen."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top