~XXIV.~
Entschlossen stapfte ich voraus durch den Schnee. Ungefähr zwei Stunden später erreichten wir eine große Ebene, die es nun zu durchqueren galt. Hier wuchsen viele Bäume, Buchen wie Kiefern, Birken wie Eichen, Fichten wie Eiben, Tannen wie Weißdorn und noch viele mehr. Doch es gab auch eine große Graslandschaft, unterbrochen von einem kleineren Fluss, der sich wie ein Silberband durch das Tal schlängelte. Dahinter begann das Moor. Man erkannte es daran, dass ständig Nebel über dem von Wasser getränkten Boden waberte. Jetzt im Winter war das Wasser zugefroren. Wir würden also keine nassen Füße bekommen. Seufzend betrachtete ich die Landschaft ein letztes Mal, dann kehrte ich ihr den Rücken, um mir einen sicheren Weg ins Tal zu suchen. Der Hang war schwer zu bezwingen, und durch den Schnee war das Ganze noch schwieriger geworden. Es war sehr rutschig, wahrscheinlich hatte sich der Boden mit Wasser vollgesogen und dann war der Frost hereingebrochen. Stöhnend kletterte ich weiter hinunter. Diese Kletterei kam mir wie eine Ewigkeit vor und ich war froh, als wir endlich unten ankamen. Außer Atem orientierte ich mich noch einmal, dann gingen wir weiter.
Gegen Mittag, als die Sonne gerade den Zenit erklommen hatte, traten wir aus dem Schutz des Wäldchens hervor. Die Sonne war nur eine helle Scheibe hinter einer dicken Wand aus Wolken, doch ehrlich gesagt war ich froh über die Wolken, sie dämmten etwas und verhinderten so, das warme Luft abziehen konnte, jedoch konnte auch keine neue dazukommen. Hier über die Ebenen pfiff ein eiskalter Wind und schnitt mir fast in die Wangen. Fröstelnd beschleunigte ich meinen Schritt. Aragorn kam das wohl nicht gerade unrecht.
Nachdem wir einige Zeit über das Flachland gehetzt waren, ertönte hinter uns ein Wiehern. Eigentlich brauchte ich mich gar nicht umdrehen, um zu wissen, von wem es stammte, doch ich tat es des Anblicks wegen. Nocturîan preschte vom Wald zu uns. Der eisige Wind spielte mit seiner Mähne. Jedes Schnauben sah man als kleine weiße Wolke in der Luft. Er trug seinen Schweif edel erhoben und ließ ihn wie eine Fahne von den Böen hin und her wehen. Schließlich kam er schnaufend und mit fliegender Mähne vor mir zum Stehen. Der Schnee stob bei seiner abrupten Vollbremsung. Liebevoll strich ich ihm über die weichen Nüstern. Dann lief ich weiter, Aragorn hinterher.
Der Abend war schon angebrochen, als wir das Moor überquert hatten und in der Ferne die große Handelsstraße sahen, die sich von Westen nach Osten durch Mittelerde schlängelte. Eilig zog ich meine alte Trense aus der Tasche und schnallte sie Nocturîan auf, der gar nicht begeistert war. Ich redete ihm gut zu und schließlich senkte er willig den Kopf und ließ sich darauf ein. Aragorn beobachtete das Ganze skeptisch. Ich erklärte es ihm: „Ich führe Nocturîan in der nächsten Nähe von Zivilisation, weil Gefahr besteht, dass wir gesehen werden und dann würden sich die Leute sicher wundern, warum ein Pferd frei herumläuft, auch wenn er auf mich hört. Das würde auffallen und ich so möglicherweise schneller enttarnt." Er nickte. „Gut. Doch wir sollten uns beeilen, wenn wir noch ein Zimmer im Springenden Hirsch haben wollen." Nickend führte ich Nocturîan am Zügel auf die Straße und legte ein ziemliches Tempo vor. Es war schon dunkel und in den Häusern waren die Lichter an. Das warf unheimliche Schatten auf die Straße, die Nocturîan misstrauisch beäugte. Eilig zog ich ihn weiter. Die Nacht war sternenklar und klirrend kalt. Fröstelnd rieb ich mir die Arme und wünschte mir ein Dach überm Kopf. Aragorn lief hinter uns, doch er kam schnell vor zu uns, um uns den Weg zu zeigen. Wir waren wohl auf dem Markt in der Stadtmitte angelangt. Von dort aus führte Aragorn uns in eine Seitengasse. An einer Ecke war ein nicht schlechtes Gasthaus mit der Aufschrift „Zum Springenden Hirsch" zu sehen. Aragorn ging die Stufen hinauf zur Tür. Sie war schon abgeschlossen. Ungeduldig klopfte er. „Ja?" Eine ebenso genervt aussehende alte Dame öffnete sie.
„Wir hätten gerne noch ein Zimmer für die Nacht."
„Tut mir leid, da muss ich euch enttäuschen. Es sind alle Betten belegt. Ihr seid nicht die ersten, die ich fortschicken musste." Während sie das sagte, machte sie allerdings ein Gesicht, als ob ihr das alles egal wäre.
„Aha, danke für die Information." Aragorn wandte sich ab, als die Frau ohne Gruß die Tür zuschmiss.
Er lief gleich in eine neue Richtung, vermutlich die zum Tänzelnden Pony. Aragorn ging durch allerhand Seitengassen, und ich folgte ihm, mit Nocturîan am Zügel. Seine Hufe klapperten auf dem nackten Pflaster und das Echo verzerrte die Huftritte schauerlich. Unsere Schritte waren das einzige Geräusch. Wir wanderten lange umher und schließlich erreichten wir das Ende der Siedlung. Hier standen die Häuser nur noch vereinzelt, was für uns hieß: weniger Licht. Die alten, selten an dem Straßenrand stehenden Straßenlaternen, die man hier und da mal aufgestellt, halfen nicht wirklich mit ihrem Kerzenschein. Dort, wo der Abstand derselben zu groß war, hatte man tragbare Laternen an Zäune oder Bäume gehängt. Nocturîan gefiel es in dem dämmrigen Halbdunkel nicht und er tänzelte.
„Weißt du eigentlich, ob es im Tänzelnden Pony gleich noch einen Stall gibt?", wandte ich mich nun an Aragorn. Er drehte sich um. „Ähhm, um genau zu sein hab ich noch nie darauf geachtet. Aber ich denke... eher nicht." „Mhh." Ich nickte und nahm Nocturîan die Trense ab. „Dann lauf alter Freund. Wir werden uns wiedersehen." Nocturîan schüttelte erleichtert seinen Kopf, dann machte er kehrt und galoppierte durch die düsteren Straßen weg.
Noch eine Zeit lang stand ich im Dunkeln und sah die Straße hinunter, dort wo Nocturîan verschwunden war. Immerhin war er ein sehr schönes Pferd, das keinen offiziellen Besitzer hatte, vielleicht würde er also wieder eingefangen werden? Schließlich zerrte mich Aragorn weiter. „Wir sollten uns etwas beeilen. Wer weiß, wann das Gasthaus seine Pforten für jeden verschließt."
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