~XVII.~

Der nächste Morgen war kalt, und die Decke, die ich mir in der Nacht übergeworfen hatte, war teilweise gefroren. Nocturîan stand etwas abseits; er zitterte, denn sein Fell wurde auch im Winter nicht richtig dick und wärmend. Aragorn streckte sich neben mir. „Na, wie hast du geschlafen?" Ich nahm seine Frage gar nicht richtig wahr, denn der Wind heulte und pfiff um uns herum. „Ganz gut. Doch die Wolken machen mir Sorgen, zumindest zusammen mit dem Wind. Es könnte einen Schneesturm geben." „Dann sollten wir sehen, dass wir schleunigst einen Unterschlupf finden, sonst könnte es ziemlich ungemütlich werden." Auf seinen Wangen erschien ein schiefes Lächeln, ein künstliches Zeichen von Heiterkeit, genauso gefälscht wie meine Sorglosigkeit.

Wir brachen eilig auf und legten an diesem Tag eine große Strecke zurück. Gegen Mittag erreichten wir einen Berggipfel. Ich blieb dort stehen und blickte meine Umgebung an, wenngleich sie hinter einem trüben Schleier verborgen war. In der Ferne konnte ich schon die Bree erahnen. Es würden nur noch vier Tagesmärsche sein, bis wir ein Dach über dem Kopf hatten und geschützt waren von den Launen der Natur. Der kalte Wind spielte mit meinen schwarzen Haaren. Eine Kapuze hatte ich nicht auf, denn auf einem Berg würden wir zu dieser Jahreszeit niemandem begegnen. „Ein schöner Anblick, nicht wahr?" Aragorn war neben mich getreten. „Ja", antwortete ich brav, obgleich man so gut wie nichts außer Dunst sah. Vermutlich freute ihn der Anblick der Lichter in der Bree. „Machen wir uns an den Abstieg. Wenn der Schneesturm dann hereinbricht, sind wir schlecht dran", meinte ich und suchte einen geeigneten Weg nach unten.

Nach zwei Stunden waren wir verschwitzt, trotz der eisigen Temperaturen. Der Abstieg war fast noch kräfteraubender als der Aufstieg. Überall lag lockeres Gestein, was den Pfad deutlich gefährlicher machte. Ein paar Mal rutschte ich aus, doch konnte mich gerade noch so fangen. Aragorn erging es ähnlich, wie ich an seinen Schritten hören konnte. Am Abend, wir waren streng weitergelaufen, bis es dunkel war, hatten wir gerade einmal die Hälfte der für heute geplanten Strecke geschafft. Völlig erschöpft von dem rutschigen Bergpfad ließen wir uns nieder. In einer sicheren Höhle hatten wir einen guten Lagerplatz gefunden, doch eine Feuerstelle weiter vorne zeugte davon, dass wir nicht die ersten waren, denen sie Schutz bot. Diesmal konnte auch Nocturîan mit hinein, worüber er sichtlich erleichtert war, vor allem im Angesicht dessen, dass die Nacht vermutlich einen Schneesturm barg. Als erstes packten wir unsere Flaschen aus und tranken kräftig. Dann machten wir ein Feuer, auch wenn es uns nicht zu kalt war. Erstens würde es Tiere wie Bären und Wölfe daran hindern, in die Höhle zu kommen und zweitens mussten wir die Reste des Rehs aufbrauchen, die wir mit herumgeschleppt hatten. Während Aragorn das Feuer anfachte und das Rehfleisch auf einige Spieße steckte, ging ich noch einmal zum Höhleneingang. Draußen fing es an zu schneien. Leise stöhnte ich auf. Das würde den Abstieg nur noch beschwerlicher machen. Durch den fallenden Schnee erkannte ich die Umrisse der rauen Felsen und noch den nächsten Gipfel, und ich glaubte einen Lichtpunkt an dem Berghang zu entdecken. Doch dann wurde das Schneetreiben dichter und ich konnte mir nicht mehr sicher sein. Die Temperatur fiel schnell und ich ging bald wieder zu Aragorn hinein. Er hatte das Feuer schon in Gang gebracht und es strahlte schon eine wohlige Wärme aus. Leicht fröstelnd hielt ich meine Handflächen an die Flammen. „Na, war wohl kalt draußen?", sagte er, doch es war wohl mehr eine Feststellung und keine Frage. „Ja, vor allem jetzt, wenn der Schneefall zunimmt. Und ähhh..." Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich ihm von meiner Entdeckung erzählen sollte. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr glaubte ich, dass das alles wohl nur ein Produkt meiner Einbildungskraft war. Aragorn nahm mir jedoch die Entscheidung ab. „Nun sag schon. Ich beiße nicht." Innerlich lachte ich auf. ‚Hab ich ja auch nie behauptet.' „Naja, ich habe am Hang des gegenüberliegenden Gipfels ein Licht gesehen...", fing ich an. „Von einem Feuer, also einem Wanderer kann es nicht stammen. Bei diesem Wetter kann niemand ein Feuer anzünden. Und es würde auch niemand so dumm sein, bei solch einem Schneesturm im Freien ohne Schutz zu übernachten." Ich biss mir auf die Unterlippe. Er hatte es zwar gewiss nicht böse gemeint, doch ich spürte, dass er überzeugt davon war, dass es ein Irrtum war. Zweifel stiegen in mir hoch und drohten überzuschwappen, doch ich drängte sie zurück, so wie alle Gefühle. „Ja...", murmelte ich und meine Stimme war rau. „...wahrscheinlich hast du recht." Etwas verwirrt und ahnungsvoll durchbohrte er mich mit seinem Blick. „Was hast du?" Verletzlich drehte ich mich weg. „Nichts. Wieso?" „Du hast etwas, seit du von dem Höhleneingang zurückgekommen bist." „Nein, stimmt gar nicht", flüsterte ich, weil ich Angst hatte, dass meine Stimme ungewollt anschwoll. „Ich geh jetzt schlafen." Ohne einen Blick zurück lief ich auf eine Nische in der Felswand zu und legte dort meine kleine Tasche hinein. Dann breitete ich meinen Umhang aus. „Hier, du kannst meine Decke haben." Die bunte Flickendecke schmiss ich zu Aragorn hinüber. Zwar sah sie nicht besonders schön aus, dafür war sie zweckmäßig. „Schlaf gut", nuschelte ich in meinen Umhang hinein und schlief gleich ein.

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