~XLVIII.~

Ich musterte die Runde. Die Männer waren entweder in ihre Karten vertieft oder beobachteten mit wachsamen Augen ihre Gegner. Als ich an der Reihe war, zog ich eine Karte aus meinem Blatt, legte sie dann aber doch nicht. Dafür wählte ich eine andere und warf sie auf den Ablagestapel. "Betrüger!", rief ein rothaariger Mann mir gegenüber. Erzürnt hob ich den Kopf und blickte mit schmalen Augen in seine Richtung. Abrupt schob ich meinen Stuhl zurück, sodass die Beine fürchterlich laut über den rauen Steinboden scharrten und ich so die Aufmerksamkeit der gesamten Gaststube auf mich zog. Erhobenen Hauptes umrundete ich den Eichentisch.

"Sicherlich wissen alle der hier Anwesenden, was ein Betrüger ist", hob ich an und schritt dabei weiter. "Eine Person, die sich durch Verbreitung von Unwahrheiten Vorteile verschafft und sich so durch das Leben schmuggelt. Seit jeher versuchte ich die Bekanntschaft mit derartigen Personen zu meiden. Und doch komme ich nicht umhin mich zu fragen, wer im Leben keine Vorteile erhalten will." Hinter dem Rotschopf angekommen, blieb ich stehen und legte meine Hände auf die Lehne seines Stuhls. Ich merkte, wie er den Kopf einzog. "Wie also kann man wissen, wer kein Betrüger ist? Wie kann ich euch glauben?"

Inzwischen war die Totenstille bis in den hintersten Winkel der Wirtstube vorgedrungen.

Ein leises Lächeln erklomm meine Gesichtszüge.

"Um auf die Frage zu antworten: gar nicht."

Ich beugte mich hinunter, sodass meine Lippen das Ohr des Mannes streiften, als ich flüsterte: "Denn im Leben, mell mellonnya (mein lieber Freund), geht es nicht darum, immer gute Karten zu haben, sondern auch mit schlechten gut zu spielen."

Langsam richtete ich mich auf und ging zu meinem Platz, doch ich setzte mich nicht. Stattdessen nahm ich meine Karten in die Hand und betrachtete sie eingehend. "Das... ist die wahre Kunst des Lebens", meinte ich und warf mein Blatt offen auf den Tisch.

Mit nur einer Armbewegung strich ich mir meine Kapuze vom Kopf und meine Ärmel zurück.

Mein Gesicht war nun entblößt; jeder konnte erkennen, dass ich die verbannte Elbin war, die damals so oft mithilfe von Plakaten gesucht wurde. Auf meinem Unterarm war zudem ein Zeichen eintätowiert, das mich als Verbannte kennzeichnete; ein einfacher Kreis mit einem Strich quer hindurch, doch jeder kannte es.

Ich hörte die Leute scharf einatmen.

Einige Elben am Tisch entblößten ihr Schlüsselbein, an dem das Zeichen der Assassinen tätowiert war.

Ich war ein wenig überrascht, wie viele ihre Missetat zu beichten wagten.

Im selben Moment scharrten Stühle und eine bewaffnete Garde trat an den Tisch. Eilig schlüpfte ich durch eine Lücke und bedeckte meine Arme wieder. Als ich meine Kapuze aufsetzte, kamen zwei bewaffnete Elben zu mir, um mich wieder in meine Zelle zu begleiten. Sie liefen in einigem Abstand hinter mir, jedoch nahe genug, um rechtzeitig einen Satz nach vorne machen und mich an einem Fluchtversuch hindern zu können. Ári blickte mich dankend und warnend zugleich an. Ich erwiderte sein Augenmerk mit trotzig erhobenem Kopf. Draußen blies mir ein unbarmherziger Wind die Kapuze vom Kopf, doch ich hatte keine Zeit zum Denken, denn in dem Moment warf Shay den Männern die Tür vor die Nase und bedeutete mir, ein Seil zu packen, was von einem Balkon nutzlos herunterbaumelte. Das tat ich und nur einen Wimpernschlag später, als die nächsten Wachen alarmiert die Tür aufstießen, kappte Shay mit seiner versteckten Klinge ein anderes und wir sausten nach oben. Wir landeten auf besagtem Balkon, auf der eine schwarzhaarige Frau einen entsetzten Schrei ausstieß, als sie uns erblickte. Geschickt kletterten wir an der restlichen Hauswand aufs Dach. Dort rannten wir sofort weiter, von Haus zu Haus. Wir konnten von Glück sprechen, dass die sie hier so dicht beisammen standen. Leichtfüßig rutschten wir auf den Ziegeln, dann ließen wir uns auf den Boden fallen und rollten uns anschließend ab. Schnell sprangen wir wieder auf die Beine und sprinteten in den Schatten eines Hauses. An die Hauswand gepresst rangen wir nach Luft.

„Ich glaube, ich bräuchte noch meine Waffen." Erwartungsvoll blickte ich zu Shay.

Der verdrehte die Augen und stöhnte vernehmlich. „Das hättest du wirklich früher kundtun können."

Bis zum Gefängnis war es nicht weit, nein; einen Steinwurf von unserer jetzigen Position entfernt lag es. Die Schwierigkeit aber bestand darin, ungesehen dorthin zu gelangen, denn es befand sich so ziemlich genau in der Stadtmitte, direkt neben dem Marktplatz. Eine Menge Leute waren dort unterwegs, vor allem um diese Tageszeit, wenn die Sonne den Zenit schon ein kleines Stück überschritten hatte.

Leise und möglichst unauffällig schlichen wir uns durch die enge Gasse und fanden eine von stabil aussehenden Eisenstäben bewachte Luke an dem steinernen Gebäude, die nicht zum Marktplatz zeigte. Doch mit einer Metallstange, die er in einem offenen Abwasserkanal gefunden hatte, die hier überall neben den Straßen zu finden waren, brach er das Gitter einfach und fast ohne Laut aus seiner Verankerung. Steinstaub rieselte herunter. Ohne jegliches Interesse daran schnitt Shay die Tierhaut auf, die als provisorischer Sichtschutz diente. Ich fädelte mich mit den Beinen zuerst hindurch und der Assassine hielt mich am Arm fest, bis ich Boden unter meinen Füßen spürte. Tastend bewegte ich mich in dem düsteren Gang vorwärts, bis ich eine Tür zu meiner Linken spürte. Leise drückte ich die leicht angerostete Klinke und trat in den Ram. Ein schwaches Licht fiel hier durch die kleinen Fenster und ich erkannte ein Regal mit Gewürzen und anderen Zutaten für eine dünne Suppe. Auch ein Krug voll Wasser stand auf einem Gasherd, der wohl schon oft benutzt worden war. Das war eindeutig die "reiche" Vorratskammer/Küche des Kerkers. Schnell verließ ich den Raum wieder und zog die Tür sachte hinter mir zu. Eine Weile stahl ich mich orientierungslos durch den lichtlosen Gang. Als Schritte ertönten und scheinbar auf mich zukamen, öffnete ich hastig eine massive Holztür auf der rechten Seite, die leise vor sich hin quietschte und knarrte, und ich betete inständig, dass man dies in den hallenden Korridoren nicht vernommen hatte. Als die Fußtritte verstummt waren, schaute ich mich in dem kleinen, fensterlosen und muffigen Raum um. Nur dank meiner Elbenaugen bemerkte ich eine Petroleumlampe auf einem niedrigen Tischchen rechts von mir. Daneben lag eine fast leere Streichholzschachtel, wie ich feststellte, als ich sie nahm und eines davon anzündete. Ich entfachte ein winziges Licht, in dem ich zum Glück problemlos meine Waffen heraussuchen konnte aus dem Sammelsurium von Kampfutensilien, was sich inzwischen hier angehäuft hatte, als ich die Lampe ihrer Benutzung zuführte. Doch bevor ich sie mir nehmen konnte, öffnete ein bulliger Wärter die Tür und blieb wie angewurzelt im Rahmen stehen. Anscheinend war er von meiner Anwesenheit nicht gerade begeistert. Doch mit ein paar gezielten Schlägen war er außer Gefecht gesetzt und fiel zusammengekrümmt auf den Boden, wo er noch einige Minuten reglos liegen bleiben sollte. Eilig schnappte ich mir meine Waffen, und nebenbei griff ich wenige Elbenpfeile, die aus einem Köcher daneben ragten und tat sie in meinen eigenen. Es wurde mal wieder Zeit, dass ich mir welche besorgte. Dann pustete ich die Lampe aus, mein Gegner sollte es schließlich bei seinem Erwachen nicht zu leicht haben. Keuchend rannte ich den Gang entlang, mehr oder weniger blind, bis ich das matte Licht des kaputten Fensters aufleuchten sah und beförderte meine Dolche, meinen Bogen und meinen Köcher hindurch, ehe ich selbst am Mauerwerk Halt suchte und letztendlich von Shay hinaus gezogen wurde. Draußen schnallte ich mir dieselben um und rannte zu einem dichten Busch, um mich in seinem Schutze sicher bis zum Dorfende zu bewegen. An meinem Ziel angekommen wartete ich ungeduldig auf Shay. Gerade begann ich mich zu fragen, ob ihn etwas aufgehalten hatte, als ein Wagen mit einer jungen, braunen Stute um die Kurve gefahren kam. Unerwartet für das Pferd sprang ich hinauf. Es scheute, aber Shay trieb es in den Galopp.


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