~XLIV.~
Langsam öffnete ich meine Augen. Zuerst nahm ich alles nur verschommen war, dann erkannte ich ein Glitzern überall. Ich blinzelte, weil ich es nicht glauben konnte, bis das Bild schärfer war. Aber doch, es hatte Frost gegeben und nun waren alle Pflanzen mit funkelndem Reif wie mit kleinen Kristallen besetzt. Ich sollte mir wirklich angewöhnen, meine Decke mit zum Schlafen zu nehmen. Vorsichtig setzte ich mich auf, jedoch rutschte meine Hand auf der glatten, eisigen Rinde aus. Leise fluchte ich. Außerdem war es noch dunkel, und ein heller werdender Himmel über mir ließ mich vermuten, dass die Morgendämmerung nahte. Die Rotkehlchen zwitscherten bereits die schönsten Töne und in den Büschen raschelte ein verspäteter Fuchs. Nocturîan rupfte auf der Lichtung schon an ein paar trockenen Grashalmen. Ungeschickt sprang ich vom Baum auf den Boden. Stöhnend rieb ich mir meine schmerzenden Handgelenke. Dann schnappte ich mir meinen Bogen und machte mich auf zu einem Baum, den die Sonnenstrahlen zuerst erreichen würden. Ich wollte mich etwas aufwärmen, ohne ein Feuer zu machen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das wärmende Licht mich erreicht hatte. Fröstelnd wechselte ich meine Sitzposition, um auch ja viel Wärme aufzusaugen.
Erst, als der gelbe Feuerball sich schon eine Weile über dem Horizont befand, kletterte ich hinunter. Ich griff nach meinen Bogen und machte mich auf, dem Bach zu seiner Quelle zu folgen. Die Vögel hoch oben in dem Blätterdach hüpften von Ast zu Ast und tirilierten entzückend. Da das Rauschen von Wasser immer mehr an Lautstärke zunahm, vermutete ich, dass ich mich in der Nähe eines Wasserfalls befand. Bald sah ich das Blitzen der Wasserkristalle durch die Bäume. Als ich aus dem Schutz des Waldes trat, kniff ich geblendet die Augen zusammen, denn durch die Lücke in den Wipfeln fiel ein gleißender Sonnenstrahl. Eilig hob ich die Hand und schritt etwas unbeholfen in den Schatten vor mir. Dabei sank ich im weichen Uferschlamm ein und sprang erschrocken zur Seite. Sekunden später ärgerte ich mich über mein trampeliges Verhalten, aber ich war ja weder auf Jagd noch ging ich davon aus, dass jemand durch den Wald strich und mich heimlich beobachtete. Ich drehte meinen Kopf in alle Richtungen. Um den Wasserfall hatte sich ein kleiner Tümpel gebildet, an dessen Ufer sich Spuren von Wild in die nasse Erde gedrückt hatten. Diese Stelle würde ich mir merken, denn sicher trieb es auch einige Rehe im Winter hierher. Ich begann, die Felsen neben dem Wasserfall empor zu klettern, was sich im Nachhinein aber als richtige Herausforderung offenbarte, weil meine Hände und Füße keinen Halt auf dem eisigen, vollgesogenen Moos fanden. Als ich endlich keuchend mit Müh' und Not oben angekommen war, blickte ich in die verdatterte Augen eines Eichhörnchens, das auf einem tiefhängenden Haselzweig saß, bevor es panisch quieckend die Flucht ergriff. Schockiert schnappte ich nach Luft und lief nach der ersten Schrecksekunde weiter geradeaus. Dabei klatschte mir ein Zweig mit einer Ladung Tautropfen ins Gesicht. Angewiderte wischte ich mir mit der Hand das Wasser aus dem Gesicht und duckte mich unter dem nächsten Buchenzweig hindurch. Das Gluckern und Gurgeln des Baches wurde leiser und als ich einen Blick dorthin warf, war er nur noch ein schmaler Wasserlauf, der zwischen Farnen und dem Binsengras am Ufer fast ganz verschwand.
Klares, eiskaltes Bergwasser rann über den glatt polierten Fels in ein steiniges Bachbett. Der Dol Guldur ragte riesig in den trüben Himmel. Der Wald lichtete sich und ich erkannte eine Böschung ein paar Schritte vor mir. Neugierig trat ich an den Rand und schaute in ein Tal. Ich sah Elben geschäftig umher laufen und Händler trieben barsch ihre Esel voran, die Karren mit frischem Obst oder bunten Stoffen zogen. Etwas überrascht stellte ich fest, dass das, was ich für eine Böschung gehalten hatte, ein nackter Fels war, der sich wie eine Mauer neben dem Dorf in die Höhe streckte. Das Dorf lag geschützt an dessen Fuß. Eigentlich müsste ich schleunigst den Rückzug antreten, doch meine Neugier hielt mich zurück. Mit einem unwohlen Kribbeln in der Magengegend fuhr ich fort, das Treiben auf dem Marktplatz von meinem verborgenen, erhöhten Posten zu beobachten. Nach einer Weile spielten Fanfaren, als eine goldene Kutsche mit filigranen Verzierung, vor die zwei Schimmel mit glatt gestriegeltem, weißen Fell gespannt waren, vorfuhr. Ich erkannte, wie Thandruil mit einem Kranz aus goldenen Efeublättern auf dem Kopf aus seinem Gefährt ausstieg. Die Elben, die sich, angelockt von den Fanfarenklängen, inzwischen neugierig blickend um den königlichen Ankömmling versammelt hatten, knieten sich auf den Boden und senkten demütig das Haupt. Thandruil hob beschwörend beide Arme und sprach einige Worte, die ich nicht verstand, weil sie vom Wind fortgetragen wurden. Eine Hand voll Diener eilten herbei und brachten Wein und Früchte zu dem Elbenkönig und seinen Begleitern. Hübsche, kleine Mädchen mit langen, blonden Haaren kamen angesprungen und bedeckten den roten Samtteppich zu Thandruils Übergangspalast mit wunderschönen Blütenblättern.
Als Thandruil sich in Bewegung setzte, klebten sie an seiner Seite und berieselten ihn mit Sommerblumen. Knieende Elben säumten seinen Weg und jubelten ihm zu, bis die zweiflügelige Palasttür zufiel.
Nach und nach zerstreute sich die Menge. Nur die Händler blieben zurück und schrien um die Wette nach Kunden. Das Rauschen der Birken und die Schreie eines Steinadlers hallten von den kahlen Felsen wider und füllten das still gewordene Tal mit Lauten.
Inzwischen waren Wolken am Himmel aufgezogen, merkte ich, als ich mich von dem Dorf abwandte. Ich umrundete den Felsen mit der Quelle und sofort ertönte ein leises Knirschen, wie wenn ein Bogen gespannt wird. Erschrocken blickte ich auf. Ein Halbkreis aus Elben schritt auf mich zu und richtete seine Pfeile auf mich. Die meisten kannte ich nicht, sie waren jünger. Nur einige wenige erinnerten sich scheinbar noch an mich und zogen die Mundwinkel nach unten.
"Na, wen haben wir denn da? Ich hatte nicht erwartet, dich noch einmal zu treffen. Hast du vergessen, dass deine Verbannung für immer gilt oder hast du dein geregeltes Dasein mit Elben so vermisst, dass du alle Gesetze vergessen hast?" Oh nein. Die Stimme kannte ich doch. Ein junger Elbenmann trat aus dem Schatten. Er hatte schulterlanges, blondes Haar und schokoladenbraune Augen, die mich verächtlich musterten. Na toll. Ári. Mein bester Freund.
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