~XLIII.~


Am nächsten Morgen weckte mich der Gesang der Vögel, der nicht derselbe war wie der der Waldvögel. Ein Reh trank als letztes eines Sprungs von etwa 15 Tieren und preschte dann auf hinter seinen Freunden her. Eilig hatte ich mich aufgesetzt und aß wenige, schnelle Bissen von dem Dörrfleisch. Dann sprang ich schnell auf den Rücken meines Schimmelhengstes und trieb in einen steten Trab. Die Landschaft floss an uns vorbei wie ein breiter Fluss, als wir uns immer mehr Lothlorién näherten. Fern, auf der anderen Seite des Anduin, ragte ein hoher Berg aus den grünen Wäldern, der Dol Guldur. Die Wälder jenseits dieses Berges würden mein Ziel sein, sofern ich dort nicht auf Elben traf.
In dem Moment merkte ich, dass wir gerade bei Lothlorién angekommen waren und es jetzt passieren mussten. Und da ich nicht in der Nähe anderer Elben rasten wollte, sprich vor Einbruch der Abenddämmerung das andere Ende erreicht haben wollte, drückte ich meinem Hengst die Schenkel in die Seiten. Er sprang sofort in den Galopp und ich beugte meinen gesamten Oberkörper nach vorn und gab mit den Zügeln nach, sodass er verstand und beschleunigte. Im Jagdgalopp preschten wir vorbei an dem Wald, den ich einst meine Heimat nannte. Die Bäume rasten in einer atemberaubenden Geschwindigkeit an uns vorbei, und der kalte Wind trieb mir Tränen in die Augen. Eine kleine Ewigkeit ritten wir so dahin. Plötzlich, sich an die Bäume schmiegend, kam die Handelsstraße in Sicht. Niemand war zu sehen, keine Händler mit ihren Eseln und Karren. Aber kein Wunder, es waren erneut unruhige Zeiten angebrochen. Nach schier einer Ewigkeit waren wir die andere Seite angekommen. Ich zog an den Zügeln und beobachtete mit wachsam erhobenem Kopf, ob ich ungesehen die Brücke überqueren könne. Nichts war zu sehen und ich flüsterte Nocturîan elbische Worte uns Ohr, woraufhin er aus dem Stand los preschte. Die Brücke war eine einfache Holzkonstruktion und die Hufe meines Pferdes donnerten ungewohnt laut über die brausenden Gewässer unter uns. Zum Düsterwald waren es noch gut drei Meilen, während denen Nocturîan im gestreckten Galopp dahin jagte und seinen Schweif wie eine Fahne stolz in den Wind hielt. Bald passierten wir einige Haine und unmittelbar danach befanden wir uns in dichtem Gehölz. "Hooola", sagte ich atemlos vom schnellen Ritt. Als mein Schimmel fast still stand, sprang ich von seinem Rücken und schulterte mein Hab und Gut. "Komm, Nocturîan, auf in unsere neue Heimat."

Nach einer schlaflosen Nacht, in deren Mitte es noch zu allem Überfluss geregnet hatte, sah ich einen rötlichen Schein über dem Wald. Leise murrend erhob ich mich und griff nach meinen Waffen, die ich in den Schutz eines fast hohlen Baumes gelegt hatte. "Nicht schon wieder schlechtes Wetter", grummelte ich vor mich hin, obwohl in den letzten Tagen keine zu beklagende Wetterlage über die dichten Wälder gezogen war. Wobei mich das wahrscheinlich nicht einmal ernsthaft betreffen würde. Doch ich war übermüdet und durchnässt. In diesem Zustand machte ich mich mit Nocturîan auf, einen Bachlauf zu finden. An einer hohen Buche machten wir Halt und ich kletterte hinauf, um mir Überblick zu verschaffen. Die Rinde und das Moos waren noch vollgesogen vom nächtlichen Regen und meine Füße rutschten immer wieder ab. Aber nach einiger Zeit hatte ich auch diese Hürde überwunden und blickte zwischen den hellgrünen Blättern hindurch auf den Düsterwald. Dabei bemerkte ich auch, dass sich der Berg Dol Guldur unmittelbar vor uns befand; oder zumindest war er nur noch einen halben Tagesmarsch entfernt. Ich ertappte mein Herz dabei, wie es einen freudigen Hüpfer machte, denn in der Nähe von Schnee auf hohen Bergen war mit Sicherheit auch Wasser zu finden. Vielleicht, so fiel mir beim Herunterklettern auf, hatte ich soeben meine neue Heimat gefunden. Ich musste sie nur noch erreichen.

Das Rauschen des Baches dröhnte in meinen Ohren, als ich mich an ein trinkendes Reh heran pirschte. Vor mir pickte eine Wasseramsel im Laub vom Vorjahr nach Würmern für ihre Jungen und ich hielt inne, wollte sie nicht aufschrecken, da ihr panischer Ruf den jungen Bock verscheuchen würde. Als sie gefunden was sie gesucht hatte, flatterte sie davon. Ich schlich weiter durchs Gesträuch und zielte. Das Reh hob den Kopf und drehte seine großen felligen Ohren in alle Richtungen. Für einen Moment hörte ich auf zu atmen und dachte, das Tier würde sich wieder beruhigen und weiter trinken, doch anscheinend hatte es etwas gewittert. Eilig wandte es sich um und verschwand im Dickicht, doch in dem Moment ließ ich die Sehne los und der Pfeil jagte ihm nach. Ein Krachen ertönte, wie wenn ein Tier ohne sich abzufangen ins Unterholz stürzte, und danach kehrte wieder Ruhe ein; die Vögel zwitscherten wie vorher und der gurgelnde Bach übertönte die angstvollen Warnrufe eines Eichelhähers. Geschwind brach ich aus meiner Deckung und setzte mit einem Satz über auf die andere Uferseite. Dort musste ich erst ein bisschen im Gebüsch suchen, ehe ich den braunen Körper fand. An seinem weißen Bauch prangte eine große, halbkugelähnliche Erhebung. Auch ohne es abzutasten wusste ich, dass ein Tumor dieses Ausmaßes den Bock früher oder später umgebracht hätte. Dass ich ihn erlegt hatte, war keinesfalls dem Zufall zu verschulden; schon ein paar Tage lang hatte ich ihn beobachtet und heute Morgen schließlich von seinem Sprung getrennt. Ich entfernte Augen und Innereien, als ich ein Knurren hinter mir hörte. Ich drehte mich um und sah einen stattlichen Luchs, der auf einem umgefallenen Baumstamm hockte und ganz offensichtlich meine Beute forderte. Doch darauf war ich vorbereitet, seit mir ein Wolf einmal eine Hirschkuh streitig und schließlich sich ihrer habhaft gemacht hatte. Aus meiner ledernen Tasche holte ich ein totes Kaninchen, welches mir heute früh in die Quere gekommen war, und warf es ihm hin. Fauchend näherte er sich dem Tier, beschnupperte es misstrauisch und machte sich letztlich doch über es her. Schnell schulterte ich das erbeutete Tier und lief zu meinem Lager. Dort knisterte schon ein kleines Feuer. Keuchend legte ich den Rehbock daneben auf dem Waldboden ab. Ich griff nach den Stöcken, die ich zuvor angespitzt hatte. Darauf spießte ich die Fleischstücke, die ich aus dem Körper herausschnitt, und briet sie über dem Feuer. Nocturîan war wieder einmal nicht in Sichtweite. Ein Waschbär tapste aus dem Unterholz heraus und hielt die Nase in die Luft. Anscheinend hatte ihn mein Tun angelockt. Zögernd flog sein Blick von dem toten Reh zu mir; er schien die Entfernung abzuschätzen, abzuwägen, ob er seinen hungrigen Bauch hier stillen sollte. Doch nach einiger Zeit verschwand er grummelnd im Gebüsch. Ich musste etwas lächeln, hatte doch letztlich seine Scheu gesiegt.
Später, als die Sonne schon den Zenit überschritten und ich gegessen hatte, erkannte ich ein weißes Fell, das durch die Bäume zu mir getrottet kam. Nocturîan. Sein schlagender Schweif machte deutlich, dass alles in Ordnung war. Die Anspannung fiel etwas von mir ab und ich suchte mir eine schöne Astgabel in einer alten Buche. Dort machte ich es mir gemütlich und blickte eine Weile in das Blätterdach über mir. Wie war es doch schön, wieder allein im Wald zu sein und nicht gehetzt zu werden. Trotzdem machte ich mir Gedanken um Frodo, wie er wohl den Ring ganz auf sich selbst gestellt nach Mordor zu bringen gedachte. Ob Gandalfs Plan, nach Edoras zu reiten, wohl aufgegangen war? Und was machte Shay jetzt? Ach, mich sollte es nichts mehr angehen, blitzte noch in meinem Kopf auf, bevor ich wegdöste.


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