~XLII.~

Alsbald konnten wir die Gegenwart einer mächtigen Person zwischen den Bäumen ausmachen. Je näher wir kamen, desto mehr blendete uns das grelle Licht. Aragorn, Legolas und Gimli griffen nach ihren Waffen. Auch Shays Hand wanderte zu seinen Dolchen, doch ich hatte das Gefühl, dass Waffen nicht nötig waren und hielt ihn zurück.

"Der weiße Zauberer!", rief Aragorn und fast glaubte ich, es wäre Saruman, der hier vor uns stand, doch noch immer brachte mich mein Gefühl dazu, meine Finger von dem Bogen über meiner Schulter zu lassen. Plötzlich verging das Licht und ich traute meinen Augen kaum. Es war Gandalf, mein alter Freund, den ich verloren geglaubt hatte. Auch die anderen waren sichtlich baff und verneigten sich ehrfürchtig vor Gandalf dem Weißen. Shay blieb hinter mir stehen und rührte sich nicht. Ich lächelte dem Zauberer zu und neigte meinen Kopf. Seine Stimme hatte nichts von seinem entschlossenen Klang verloren, als er sie erhob: "Wie schön, euch hier unverletzt vor mir zu sehen. Wenn mich mein Augenlicht nicht täuscht, begleitet euch ein weiterer Freund." Bei diesem Wort verzog Aragorn sein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.

Nachdem wir bei einem Lagerfeuer unter dem dunklen Sternenhimmel, den man im Wald fast nicht sah, Gandalf ein wenig über den Verlauf unserer Reise erzählt hatten und eine Nacht geruht hatten, brachen wir am nächsten Morgen Richtung Waldrand auf. Während des kurzen Marsches erzählte uns Gandalf, was er vorhatte. "Wir werden nach Edoras reiten. Dort finden wir König Théoden, der unter dem Einfluss vom Saruman steht. Er weiß nicht mehr, was er tut, hat sogar viele seiner besten Kämpfer als Aufrührer verbannt. Grima, sein "Berater", ein gefügiger Untertan von Saruman, regiert Rohan mehr als der König selbst. Wir werden eingreifen müssen." Etwas verwirrt zog ich die Stirn kraus.

"Glaubt ihr wirklich, dass wir nicht den Hass Sarumans doppelt auf uns spüren werden?"

"Nicht, wenn wir ihm keine Gelegenheit dazu geben."

"Trotzdem halte ich es für eine irrsinnige Idee. Die Leute werden uns hassen, weil wir uns in ihre Regierung einmischen. Sie werden uns hassen, weil sie denken, wir halten sie für schwach."

Gandalf fuhr zu mir herum. "Hast du Angst vor Hass, Emewýn? Hier geht es nicht um Hass oder eine zu begleichenden Rechnung, es geht darum, einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen. Und wenn du dich dieser Meinung nicht anschließen willst, dann verlasse diese Gemeinschaft und werde wieder zu einer einsamen Waldläuferin! Warum hast du dich denn vor dem Winter entschieden, wieder in den Süden zu ziehen? Gewiss nicht nur, um ein warmes Gemach im eisigen Winter zu haben! Den Winter bist du schon zu lange gewohnt, sodass er von dir Besitz ergriffen hat!" Die anderen starrten Gandalf und mich entsetzt an.

Enttarnt wich ich einige Schritte zurück. "Vielleicht bin ich eine bessere Waldläuferin als Gesellschafterin. Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif, um etwas zu ändern", zischte ich leise, bevor ich mich umwandte. "Und macht euch ja nicht die Mühe, mich zu suchen, wenn ihr mich sowieso nicht finden werdet!" Mit diesen letzten Worten war ich auch schon zwischen den Bäumen verschwunden.

Schnaubend rannte ich im Schatten der Bäume entlang und in meinem Köcher hüpften die Pfeile fröhlich, als wäre es ihnen recht, wieder nur zum Jagen zu nutzen. Ich brach etwas nördlich der Stelle aus dem Wald, an der der Scheiterhaufen errichtet worden war. Von da an lief ich langsam über das trockene Gras. Als mein rasselnder Atem zur Ruhe gekommen war, drängte sich immer deutlicher eine Frage in mein Bewusstsein, die ich nicht beantworten konnte. Was sollte ich nun machen? Wo sollte ich hingehen? Galoppierende Hufe donnerten zu mir, doch ich konnte mich noch immer nicht rühren. Warum war ich nur Hals über Kopf von dannen gestürzt, ohne zu wissen, was ich nun machen wollte? Nach dem Moment der Panik kam wieder die kühle Klarheit zum Vorschein, die ich von mir kannte. Ich würde jagen und überleben. Doch gab es dafür überhaupt noch einen Sinn? Und vor allem, wo sollte ich jagen und überleben? Garantiert würde ich nicht noch einmal einen Fuß in diese schrecklichen Minen setzen. Und hier war es mir zu unsicher. Saruman war zu nahe. Auf meiner inneren Landkarte tastete ich die Gebiete weiter nördlich entlang des Anduin mit den Augen ab. Es gab Lothlorién, meine Heimat, aus der ich für immer verbannt worden war. Dort würde man jemandem wie mir gewiss kein Asyl gewähren. Auf dem anderen Ufer war der Düsterwald, ein Ort, an dem die Bäume tief im Wald so dicht wuchsen, dass kein Licht einen Weg zum Boden finden konnte. Selbst hatte ich jedoch nie einen Fuß hineingesetzt, höchstens als ich noch so klein gewesen war, dass ich mich jetzt nicht mehr daran erinnerte. Ich wusste nicht, wo ich auf Elbensiedlungen stoßen würde, falls es dort mehr gab als nur eine große Stadt. Doch was ich wusste, war, dass Elben ihre Dörfer und Städte zumeist tief im Wald errichteten. Und der Düsterwald war so groß, dass sie sie Grenzen hoffentlich nicht so gründlich kontrollierten, sodass dort eine einzelne Waldläuferin sicher problemlos leben könnte.
"Hoffnung ist in unseren Tagen unabdingbar geworden", murmelte ich leise vor mich hin, als ich mich auf Nocturîans Rücken schwang und mich in Richtung Norden aufmachte.
Noch bevor sich der Westhimmel orange färbte, erreichte ich den großen Strom. Als ein nicht einsehbares Nachtlager gefunden war, glitt ich von dem Rücken meines treuen Begleiters und schlich mich mit Bogen und Pfeilen ausgestattet zu dem brüllenden Gewässer hin. Es war wirklich beeindruckend reißend und meine Hoffnung, eine seichte Stelle zum Überqueren zu finden, schwand allmählich dahin. Mit einem Seufzer erkannte ich, dass wir wohl die Brücke würden nutzen müssen, über welche eine große Handelsstraße führte. Eine winzige Bewegung im Wasser ließ mich aufmerksam werden. Vorsichtig spannte ich den Bogen und zielte. Der Fisch zögerte. Witterte er die Jagd? Blitzschnell schoss er davon, bevor ich fähig war zu reagieren. Genervt entspannte ich den Bogen wieder. Und gleich darauf sah ich auch, dass seine schnelle Flucht nicht eine falsche Bewegung von mir zu verschulden hatte. Ein stolzer Hecht schwamm herbei und schien sich an seiner furchteinflößenden Wirkung zu laben. Ich schärfte erwartungsvoll meine Sinne. Dieser würde ein prächtiges Abendmahl abgeben. Leise beugte ich mich etwas weiter über den Fluss und legte an. Gespannt beobachtete ich, wie der Hecht in der Strömung seine Schwanzflosse hin und her bewegte.

Zischend schnellte mein Pfeil von der Sehne und tauchte glucksend in die gurgelnden Wellen ein. Schlammwolken trübten das Wasser, wahrscheinlich aufgewirbelt von der wild schlagenden Schwanzflosse des Fisches. Als sich ein paar Sekunden lang nichts regte, zog ich an der Schnur, die ich zuvor am Pfeil befestigt hatte, und als ich dann endlich den Pfeil aus dem Fluss holte, war weit und breit kein Hecht zu sehen. Nur an der Steinspitze, wie meine Elbenaugen erkannten, klebten ein paar schimmernde Schuppen. Ein eindeutiger Indiz dafür, dass ich den Fisch nur knapp verfehlt hatte. Leise vor mich hin fluchend, legte ich den Pfeil wieder ein und wartete.

Kurz bevor es ganz dunkel wurde, tauchte ein kleiner, silbriger Fisch in mein Sichtfeld ein. Mit seinem Maul schnappte er nach Algen und Kleinstlebewesen. Sofort erlangte ich meine alte Wachsamkeit zurück und zielte. Der Fisch erweckte nicht den Eindruck eines sehr geistreichen Zeitgenossen. Bis dicht über die Wasseroberfläche wagte ich die Pfeilspitze zu führen und verharrte einige Sekunden reglos. Plötzlich erzitterte meine rechte Hand und mit einer Schnelligkeit, bei der sogar Nocturîan zusammenzuckte, stürzte sich der Pfeil wie ein hungriger Kormoran in die Fluten. Diesmal wartete ich nicht und zog gleich an der Leine. An meinem Pfeil befand sich doch tatsächlich der durchbohrte, silberne Fischkörper. Sogleich entfernte ich die Augen - meine einzige Möglichkeit, ohne schlechtes Gewissen zu jagen - und machte flink ein Feuer. Äste fand ich bei dem Gesträuch in der Nähe genug und Steine für die Umrandung waren am Ufer. Als sich die erste Flamme knisternd am Holz empor schlängelte, steckte ich den Fisch auf einen Stock und hielt ihn übers Feuer.
Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont versunken, als ich mich endlich unter Nocturîans wachsamen Blick schlafen legte.



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