~LXXX.~

In der nächsten Nacht schlief ich besser als in der vorangegangenen. Die Tagvögel hielten sich zurück, dafür raschelte der Wind in den jungen Blättern. Morhir und Nocturîan grasten friedlich vor sich hin. Das leise Schnappen ihrer Lippen wiegte mich sanft in den Schlaf.

Wir schliefen tatsächlich so lange, bis die Sonne unser Gesicht wärmte. Ich schreckte hoch, und auch Shay setzte sich ruckartig auf. Die Pferde standen dösend da, doch das Feuer war erloschen. Nur noch die ganz besonders hartnäckige Glut leuchtete rötlich auf, wenn der Wind hinein pfiff.

Es war ein Geräusch, das uns geweckt hatte, und zudem den Frühling noch einmal und mit aller Macht ankündigte. Ein Storchenpärchen saß hoch oben auf einem Baumwipfel und hob klappernd die Schnäbel.

Während sie sich liebkosten, aßen Shay und ich das restliche Auerhuhn. Danach machten wir uns auf den Weg.

Es wurde ein herrlicher Tag und die Sonne lachte uns ins Gesicht. Wir ritten eine lange Zeit über die Ebenen, bis die ersten einzelnen Bäume den Druadan-Wald ankündigten. Ich freute mich leise vor mich hin, war dies doch das Zeichen eines baldigen Endes dieser beschwerlichen Reise. Und vielleicht würde sogar alles gut ausgehen.

Der Waldboden sah von Weitem aus wie ein weißer Teppich, und als ich näherkam, erkannte ich, dass es sich dabei um die reinweißen Blüten der Buschwindröschen handelte, und vereinzelt blühte auch schon der Sauerklee. Mittendrin leuchteten die Blüten einiger Leberblümchen, und die Farne entrollten ihre langen Wedel. Am schönsten aber war das zarte Maiengrün des jungen Buchenlaubes.

So bemerkten Shay und ich nicht unsere Verfolger; zwei Assassinen mit grimmiger Miene, die auf uns losstürzten. Zu langsam war Shay, der sein Schwert herausriss, um den Schlag zu parieren, und das glänzende Metall in der Hand des Assassinen färbte Nocturîans Fell um einen tiefen Schnitt rot. Der weiße Hengst stolperte und strauchelte und ich fiel auf den Waldboden, rappelte mich aber schnell wieder auf und zog meine Dolche. Shay war inzwischen ebenfalls von Morhir gesprungen, seine Landung war natürlich weitaus eleganter als meine gewesen, und metallene Schwertschläge hallten durch den Wald. Der graue Wallach scheute leicht und verschwand zwischen den Bäumen.

Panisch rannte ich zu Nocturîan, ließ mich neben ihn auf den Teppich aus altem Laub und weiß-blühendem Sauerklee fallen und untersuchte mit zitternden Händen seine Wunde. Sie war tief. Er würde eindeutig zu kämpfen haben. Tränen trübten meine Sicht und tropften auf seinen Hals, den ich immer und immer wieder streichelte.

In dem Moment spürte ich einen Schatten im Rücken. Ich drehte mich geschwind zu dem Assassinen um, doch ich war nicht schnell genug, er hatte bereits zum finalen Schlag ausgeholt. In der letzten Sekunde bohrte sich ein Schwert durch seine Brust und sein Breitschwert fiel neben mich auf den Waldboden. Shay hatte ihn von hinten erstochen. Ohne Vorwarnung, doch er hatte ja nicht das erste Mal einen seiner Brüder ermordet. Er hatte ja einen Grund.

„Das wäre jetzt schon das zweite Mal, da ich dein Leben rettete", meinte er schweratmend und grinste vor sich hin.

Ich rang mir ebenfalls ein gezwungenes Lächeln als Erwiderung ab. „Du machst dich gut als mein Leibwächter. Vielleicht sollte ich dich dafür bezahlen."

„Aber das wäre doch sinnlos, jetzt, wo dich niemand mehr umbringen will", meinte er mit einem aufgesetzten Schmollmund, doch darunter strahlte er noch immer, bevor er in den Wald rannte, um Morhir zu suchen.

Ich drehte mich zu meinem Hengst um und sofort wurde mein Gesicht von einer sorgenvollen Miene wie von schweren, schwarzen Regenwolken überschattet.

Aus seiner Halswunde strömte noch immer rotes Blut, möglicherweise war eine Arterie verletzt worden. In dem Fall würde er erbärmlich verbluten, und die einzige Möglichkeit, ihn zu retten, sah ich, wenn ich sie mit Magie verschloss. Also hob ich meine zitternden Hände über den klaffenden Spalt und murmelte einige angmarianische Worte. Als ich meine Augen wieder öffnete, war der Blutstrom versiegt.

Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, als ich mich erhob und Nocturîan versuchte dazu zu bewegen, dasselbe zu tun. Erschöpft röchelte er, schloss seine Augen und schlug sie wieder auf. Er sammelte all seine verbliebene Kraft, denn er wusste, er würde sterben, würde er liegen bleiben und dass ich das nicht zulassen würde. Mein stolzer Schimmel schleppte sich weit, doch an einem Bachlauf sackte er wieder zusammen. Er machte sich lang und hielt seine Schnauze ins kühle Nass. Ich tauchte meine Fingerspitzen ins Wasser und wusch das Blut aus seinem weißen Fell. Nun sah die Verletzung nur noch halb so schlimm aus und ich stützte meinen Kopf seufzend auf die Hände.

Bald kam Shay mit Morhir wieder. Beide sahen ziemlich abgehetzt aus, und Shays Gesicht war angespannt. Fragend blickte ich zu ihm, doch er schüttelte nur den Kopf.

Nachdem sich Nocturîan soweit erholt hatte, dass er weitergehen konnte, setzten wir unseren Weg durch den Wald fort.

Plötzlich brachen vor uns zwei Uruk-hais durch das Unterholz und griffen uns mit grimmigen Gesichtern an. Überrumpelt, aber diesmal nicht vollkommen unvorbereitet zogen wir unsere Waffen.

Ich sprang vorwärts, bereit, meinem Gegner den blitzenden Dolch ins Herz zu rammen, doch die Kreatur, die mich um zwei Köpfe überragte, stieß mich einfach weg. Während Shay gegen ihn kämpfte, erhob ich mich (mit schmerzenden Stellen am Rücken, an den Beinen und am Hintern und mit gekränktem Stolz) und stürzte mich auf seinen deutlich kleineren Kumpanen. Ihn drängte ich zurück und fügte ihm einige üble Verletzungen zu, ehe Shay mir zu Hilfe kam und ihn erschlug.

Erschöpft wandte ich mich zu Nocturîan um, doch er war verschwunden. Hektisch suchend drehte ich meinen Kopf in alle Richtungen und taumelte dann tiefer in den Wald. Ich hörte nicht auf Shays Rufe, ich solle hier bleiben. Zwischen Bäumen und Büschen blitzte ein weißes Fell auf, dort, wo ein kleiner Bach rauschte. Ich sprang zu ihm, auch wenn das wahrscheinlich etwas unkoordiniert gewesen war, und ließ mich neben ihn auf den Waldboden sinken. Pferde zogen sich für gewöhnlich nur zum Fohlen und zum Sterben zurück. Sie wollten in dem Moment allein sein und niemand sollte sie beobachten, wenn sie nicht ganz schmerzfrei von dieser Welt gingen. Diese Tatsache beunruhigte mich zutiefst. Aus meinen Augen schossen Tränen und meine Kehle ließ einige Schluchzer hören.

Ich saß sicher eine Weile so, bis ich statt Trauer nur noch unbändige Wut verspürte. So viel Zeit hatte ich mit ihm verbracht, und nun wurde mir dies einfach genommen. Als ich diesmal einen Schatten im Rücken spürte, drehte ich mich geschwind sofort um. Der Uruk-Riese holte aus, und nur einen Wimpernschlag später zog ich beide Dolche, um den Schlag zu parieren. Es steckte so viel Kraft dahinter, dass die Klingen immer näher an mein Gesicht kamen und ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten würde, doch ich konnte, nein, wollte nicht anders, denn wenn ich auswich, würde unweigerlich Nocturîan getroffen werden. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Shay angerannt kam. Seine Augen leuchteten voll Panik auf, als er mich so sah. Er sprintete zu mir und zog mich schnell unter dem Druck hervor.

„Nein!!", schrie ich und salziges Wasser floss unentwegt meine Wangen hinunter, doch Shay hielt mich fest. Als das Schwert Fleisch und Muskel durchtrennte, schien die Zeit langsamer zu vergehen. Der Hengst quietschte vor Schmerzen auf. Die Geräusche im Wald verstummten scheinbar, und als ich mich zu Shay umdrehte, sah ich seine entschlossene Miene. Letztendlich ließ er mich frei und sah stumm zu, wie ich auf das Ungeheuer einschlug, und selbst dafür fast meinen Arm einbüßte. Ich musste noch einen Treffer auf meine einst verletzte Schulter einstecken, ehe ich ihn schlussendlich von hinten erdolchte. Danach brach ich zusammen, kraftlos, und Tränen brachen aus mir hervor wie ein angestauter Fluss. Ich hockte mich neben seinen Kopf, strich die ganze Zeit über sein weißes Fell, das an manchen Stellen etwas gesprenkelt war, und sah hilflos mit zu, wir das Licht in seinen Augen schwand.

Immer wieder versuchte ich ihn zum Aufstehen zu bewegen und immer wieder blieb er liegen. Irgendwann jedoch hatte ich Erfolg. Er schleppte sich noch bis zum Waldrand, doch die Augen fielen ihm immer wieder zu. Schließlich brach er endgültig zusammen und stand nicht wieder auf. Helles Blut lief über seinen Bauch und auf den trockenen Boden. Ich wollte es nicht glauben, konnte es nicht fassen, wollte ihn hoch- und weiterzerren; Shay jedoch hielt meine Arme fest und kniete sich neben mich. Er sah mir in die Augen, während Schluchzer meinen Körper schüttelten. Der Mann blickte mich mitleidig an, und er sah unendlich alt und müde aus, schien nachzudenken und kurzentschlossen nahm er mich in den Arm. „Es tut mir leid", flüsterte er in mein Ohr. Er hielt mich so, bis ich mich beruhigt hatte.

Auf einmal hoben wir wie aufs Kommando den Blick, und es kam uns so vor, als blickten wir dem Tod genau ins Auge: Ein Schlachtfeld lag vor uns. Und mir war es keineswegs unbekannt. Ich hatte es schon einmal in meinem Traum gesehen.

Die Zeit fror ein.

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