~LXXVII.~

Der Nieselregen hatte nachgelassen, doch die Luft hing noch immer nasskalt und schwer über den Berghängen, als ich mich auf den Rücken des grauen Wallachs schwang und zusammen mit Nienná und Lûthien aus der Stadt ritt.

Draußen auf den Ebenen beschleunigten wir unser Tempo und trabten so stetig vorwärts. Trab war die schnellste Geschwindigkeit, die bei solch Wetter möglich war, wenn man etwas erkennen wollte. Nocturîan und Nienná schienen wieder an den Tod von Aimée erinnert zu werden, der noch zu frisch über ihnen hing, und waren dementsprechend ziemlich ruhig. Lûthiens Stute hingegen hatte ihre Ohren aufmerksam aufgestellt und beobachtete wachsam ihre Umgebung, die sich langsam veränderte. Die kleinen Bäche und Auen wurden zu kargen Gräsern und lichten Hainen. Mit ihrer dunkelbraunen Mähne und dem gleichfarbigen Schweif wirkte sie fast wie Aimée, die allerdings ein bisschen kleiner gewesen war. Ihr Fell, das eine Nuance heller war als Mähne und Schweif, war dick und augenscheinlich wärmend. Sie lief munter zwischen Nocturîan und Morhir, obwohl beide keine Anstalten machten, sich zu ärgern.

Die graue Landschaft floss vorbei und wir erreichten noch am Abend die Buchenhaine nördlich des Weißen Gebirges. Unter den Bäumen war es recht trocken und die Luftfeuchtigkeit war einigermaßen auszuhalten. Die Mittagszeit war schon lange vorbei, aber die Sonne war noch nicht einmal herausgekommen durch den bedeckten Himmel. Es würde noch ein Stück dauern, bis es vollständig dunkel war, doch bald würde die Abenddämmerung einsetzen, und wenn es, wie ich vermutete, durch die Nässe in der Luft neblig werden und das ohnehin spärliche Tageslicht abnehmen würde, brauchten wir heute nicht die Helden zu spielen und durch Dunst und Dunkel reiten, zumal wir nicht verfolgt wurden und es demzufolge nicht unnötig eilig hatten.

Ich machte mich auf zu einem nahen Bachlauf, an dem wir auf dem Weg vorbeigekommen waren. Bevor ich außer Hörweite war, vernahm ich, wie Lûthien Nienná verunsichert fragte, ob wir wirklich im Freien übernachten müssten oder nicht bis zum nächsten Dorf weiterreiten könnten. Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, und überließ es Nienná ihr zu erklären, dass es nicht lohnenswert wäre, bis zu einem Dorf zu reiten, da das nächste wahrscheinlich einen dreiviertel Tagesmarsch entfernt war. Doch ich konnte sie verstehen. Immerhin hatte sie vermutlich noch nie draußen übernachtet, oder zumindest nicht bei so trübem Wetter.

Zwischen einigen triefenden Grashalmen und abgestorbenen, braunen Farnwedeln rauschte ein kleiner Bach über allerhand im sandigen Boden eingebettete Steine. Ich spritzte mir das kristallklare und eiskalte Wasser ins Gesicht, wusch mir meine Hände und trank einen Schluck. Dann ging ich wieder zurück zu unserem provisorischen Lager. Nienná hatte kein Feuer entfacht, was auch nicht verwunderlich war bei der Feuchte. Also mussten wir uns wieder mit Dörrfleisch und Trockenpflaumen zufriedengeben. Nachdem wir lustlos auf einigen Stücken herum gekaut hatten, fing es erneut an zu nieseln und es wurde dunkler, wobei ich mir nicht sicher war, ob das die einsetzende Dämmerung zu verschulden hatte oder der Umstand, dass nun noch mehr der regenschweren Wolken buchstäblich den Himmel verdunkelten. Da keine Anzeichen von Zivilisation in der Nähe waren, nicht einmal rußige Rauchsäulen am Horizont (wobei diese vermutlich vom Dunst verschluckt worden wären), beschlossen wir, an dieser Stelle zu kampieren.

Die Frauen ließ ich unter zwei mageren Tannen schlafen und nahm selbst mit einer zu dieser Jahreszeit noch kahlen Birke Vorlieb.

Lange noch lag ich unter dem bedeckten Himmel und fand keinen Schlaf. Ich lauschte auf die verschiedenartigen Geräusche in dem lichten Wald, und zählte die Käuzchenrufe, die geisterhaft von den in Dunkelheit gekleideten Bergseiten widerhallten. Bald wurden meine Augenlider schwer und ich sank in eine traumlose Finsternis.

~~~

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah ich, dass sich die Wolken in der Nacht verzogen hatten und es merklich abgekühlt war. Ich streckte meine steifen Glieder nach einem wenig erholsamen Schlaf und gähnte tonlos. Wir setzten früh unseren Weg fort, um das gute Wetter auszunutzen, und aßen unterwegs eine Kleinigkeit, während uns eine rote Sonne den Rücken wärmte.

Am Tag zuvor hatten wir durch den Druadan-Wald abgekürzt und trafen jetzt wieder auf die große Ost-West-Handelsstraße nach Edoras. Vormittags begegneten wir nur einem Händler, der sich mit seinem Ochsenkarren vermutlich in der Richtung geirrt hatte. Gegen Nachmittag zog es sich immer mehr zu und fing schließlich wieder an zu tröpfeln. Zu ungefähr der Zeit ritten wir in den Schutz eines Waldes. Zwar bestand zu einem großen Teil aus Buchen, Eichen, Lärchen und Espen, doch nach und nach wurde er zu einem Mischwald und wir rasteten an einer Ruine, auf die wir unterwegs trafen. Es standen nur noch niedrige Mauern, was vermuten ließ, dass es als Wohnhaus gedient hatte, auch wenn ich nicht wusste, wer in solcher Abgeschiedenheit wohnen wollte, doch ein Teil war noch intakt. Wir traten in den kleinen Raum, der zum Großteil aus Brettern errichtet war. Es war ziemlich wettergeschützt, wenn man davon absah, dass das Holzdach nach der tagelangen Feuchtigkeit nun tropfte durch den Nieselregen. Ein Feuer würden wir hier wohl auch nicht machen können, aber wenigstens waren wir etwas vor dem Regen geschützt, der in den letzten Minuten zugenommen hatte.

Der folgende Morgen war nicht wirklich gut, und wir ritten erst los, als das erste Licht in den Wald drang, was wohl so ungefähr kurz vor Mittag der Fall war.

Wir mussten die Straße suchen, die wir am vergangenen Tag verlassen hatten, um nach einem einigermaßen geschützten Schlafplatz Ausschau zu halten. Als wir sie gefunden hatten, verließen wir den Wald kurze Zeit später auch schon. Draußen war es im Gegensatz zu dem Wetter zwei Tage zuvor sehr windig und die eisigen Tropfen stachen uns wie winzige, spitze Speere ins Gesicht. Zumindest aber blieb uns noch die Hoffnung, dass das Wetter bald umschlagen würde.

Das Wetter schlug an dem Tag nicht mehr um und wir begannen, den Bergen dafür die Schuld zu geben, deren Gipfel immer wolkenumhangen waren. Am gestrigen Tag waren wir durch ein Dorf geritten, in welchem wir zwei Laibe Brot erworben hatten und dann schließlich in einem zweiten ein Wirtshaus gefunden, in dem wir übernachten konnten.

Heute hatten wir Edoras und Helms Klamm passiert und waren kurz davor, durch die Pforte von Rohan zu reiten. Wie hinwärts sahen wir irgendwo in der Ferne den Turm von Isengart.

Nachdem wir uns etwa zwei Stunden von den Bergen entfernt hatten, klarte es auf und die Sonne stand uns den restlichen Tag im Rücken.

Auch an diesem Tag übernachteten wir im Freien, was aber bei weitem nicht so ungemütlich war, da es trocken war. Wir hofften, dass das Wetter hielt.

An einem Rinnsal wusch ich Hände und Gesicht, und als ich wieder zurück zu den Frauen ging, legte ich mich gleich hin. Ich vernahm noch, wie die Elben-Frauen leise tuschelten, ehe ich einschlief.

Niennás point of view:

Über Nacht war Nebel aufgezogen, doch die Sonnenstrahlen vertrieben ihn schnell. Zwar war es nun recht trocken, aber da wir sowieso bald wieder aufbrachen und in dem vergleichsweise ebenen Land keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns ziehen wollten, machten wir kein Feuer, sondern aßen nur Lembasbrot, Dörrfleisch du Trockenfrüchte.

Nach dem Mahl packten wir unsere wenigen Sachen und ritten los. Noch bevor die Sonne am höchsten stand, sahen wir am Horizont vor uns Tharbad. Wir ärgerten uns ein bisschen, dass wir nicht noch ein Stück weitergeritten und stattdessen ohne Schutz im Freien übernachtet hatten. Wir beschleunigten unser Tempo, sodass wir die Stadt kurz nach Mittag erreichten. Schon von Ferne hatte ich ein Gehöft ausgemacht, das etwas abseits der Häuser stand. Im Trab näherten wir uns diesem. Ich war etwas verwirrt, weil ich unseren Rastplatz anders in Erinnerung hatte. Der Vier-Seiten-Hof schien kleiner und verfallener als beim letzten Mal. Als wir noch näher kamen, warf Shay mir fragende Blicke zu.

„Bist du sicher, dass es hier war?", erkundigte er sich skeptisch.

Ich wiegte den Kopf. „Sicher bin ich mir nicht", gestand ich, „aber ich denke, es war hier."

„In dem Fall wäre es günstiger, wenn es etwas mehr als ‚denken' wäre", erwiderte er ungerührt.

Leise stöhnte ich und trieb Nocturîan vorwärts. Als wir am hölzernen Tor angekommen waren, sprang ich hinunter. Die kleinere Eingangstür daneben war nur angelehnt. Angespannt packte ich einen meiner Dolche beim Schaft und warf einen vorsichtigen Blick hinein. Im Hof gab es nichts Ungewöhnliches, es sah aber danach aus, als wäre dieser Wohnort in größter Eile verlassen worden.

Ich hielt meinen Atem an, als ich die Tür achtsam ein Stück aufschob und ein fürchterliches Quietschen ertönte. Meinen Dolch versteckte ich unter meinem Umhang, während ich einige Sekunden wartete und dann den Hof betrat. Ich durchmaß ihn mit meinen Schritten. Keines der Gebäude kam mir auch nur annähernd bekannt vor, weshalb ich das Gehöft kurzerhand wieder verließ.

Shay war gerade abgestiegen, als ich zu ihnen zurück kam.

„Das hier ist scheinbar der falsche Hof", gab ich kleinlaut zu, und als der braunhaarige Mann genervt mit den Augen rollte, fügte ich hinzu: „Jedenfalls kommen mir die Gebäude nicht bekannt vor."

Wortlos stiegen wir wieder auf und ritten um die Stadt herum. Aufgrund von Tharbads Größe nahm das einige Stunden in Anspruch.

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